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Bundesverwaltungsgericht
Beschl. v. 17.10.2016, Az.: BVerwG 1 B 111.16
Grundsätzliche Klärungsbedürftigkeit der Aufnahmepraxis für Asylbewerber in Italien
Gericht: BVerwG
Entscheidungsform: Beschluss
Datum: 17.10.2016
Referenz: JurionRS 2016, 27619
Aktenzeichen: BVerwG 1 B 111.16
ECLI: ECLI:DE:BVerwG:2016:171016B1B111.16.0

Verfahrensgang:

vorgehend:

OVG Nordrhein-Westfalen - 06.07.2016 - AZ: 13 A 1476/15.A

BVerwG, 17.10.2016 - BVerwG 1 B 111.16

In der Verwaltungsstreitsache
hat der 1. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
am 17. Oktober 2016
durch den Richter am Bundesverwaltungsgericht Prof. Dr. Dörig
und die Richterinnen am Bundesverwaltungsgericht Dr. Rudolph
und Dr. Wittkopp
beschlossen:

Tenor:

Die Beschwerde des Klägers gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Urteil des Oberverwaltungsgerichts für das Land Nordrhein-Westfalen vom 6. Juli 2016 wird verworfen.

Der Kläger trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.

Gründe

1

Die Beschwerde des Klägers, mit der er eine grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache (§ 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO) sowie einen Verfahrensmangel (§ 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO) geltend macht, ist unzulässig. Sie genügt nicht den Darlegungsanforderungen des § 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO.

2

1. Soweit die Beschwerde für klärungsbedürftig hält, ob gegenwärtig strukturelle Mängel im Asylverfahren in Italien bestehen, fehlt es an einer hinreichenden Darlegung der Voraussetzungen für eine Zulassung der Revision wegen grundsätzlicher Bedeutung.

3

Eine Rechtssache hat grundsätzliche Bedeutung im Sinne von § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO, wenn sie eine abstrakte, in dem zu entscheidenden Fall erhebliche Frage des revisiblen Rechts mit einer über den Einzelfall hinausgehenden allgemeinen Bedeutung aufwirft, die im Interesse der Einheitlichkeit der Rechtsprechung oder im Interesse der Rechtsfortbildung in einem Revisionsverfahren geklärt werden muss. Diese Voraussetzungen sind nicht erfüllt, wenn sich die aufgeworfene Frage im Revisionsverfahren nicht stellen würde, wenn sie bereits geklärt ist bzw. aufgrund des Gesetzeswortlauts mit Hilfe der üblichen Regeln sachgerechter Auslegung und auf der Grundlage der einschlägigen Rechtsprechung ohne Durchführung eines Revisionsverfahrens beantwortet werden kann oder wenn sie einer abstrakten Klärung nicht zugänglich ist (BVerwG, Beschlüsse vom 1. April 2014 - 1 B 1.14 - AuAS 2014, 110 und vom 10. März 2015 - 1 B 7.15 - ).

4

Gemessen daran ist eine grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache nicht dargelegt. Mit dem Vorbringen zur Aufnahmepraxis für Asylbewerber in Italien zeigt die Beschwerde keine klärungsbedürftigen Fragen des revisiblen Rechts auf. Denn das Beschwerdevorbringen zielt nicht auf eine Rechtsfrage, sondern auf die dem Tatrichter vorbehaltene prognostische Würdigung, ob dem Kläger infolge der angeordneten Abschiebung nach Italien dort aufgrund systemischer Mängel des Asylverfahrens und der Aufnahmebedingungen mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung droht. Die Beschwerde greift damit der Sache nach die vom Berufungsgericht getroffenen tatsächlichen Feststellungen zu den Prognosegrundlagen sowie die darauf aufbauende Prognose als Teil der Beweiswürdigung an und stellt dem ihre eigene Einschätzung der Sachlage entgegen, ohne insoweit eine konkrete Rechtsfrage aufzuzeigen. Damit kann sie die Zulassung der Revision gemäß § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO nicht erreichen (stRspr, BVerwG, Beschluss vom 15. April 2014 - 10 B 17.14 - m.w.N.). Klärungsbedürftige Fragen zum Maßstab, an dem das Vorliegen systemischer Schwachstellen im Sinne von Art. 3 Abs. 2 Unterabs. 2 Dublin III-VO zu messen ist, wirft die Beschwerde nicht auf.

5

2. Auch ein Verfahrensmangel (§ 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO) ist nicht dargelegt.

6

Die Beschwerde rügt als Verfahrensmangel, die angefochtene Entscheidung sei nicht mit Gründen versehen. Das Berufungsgericht setze sich nicht damit auseinander, dass die Beklagte die Übernahmebereitschaft Italiens nicht festgestellt habe. Auch sei den Urteilsgründen nicht zu entnehmen, warum die dem Kläger im jüngsten Attest bescheinigte Behandlungsbedürftigkeit durch eine zeitlich ältere amtsärztliche Stellungnahme mit einer entgegenstehenden Information vom Hörensagen entkräftet werden könne.

7

Soweit damit eine Verletzung des § 138 Nr. 6 VwGO geltend gemacht wird, genügt diese Rüge nicht den Darlegungsanforderungen. Nicht mit Gründen im Sinne von § 138 Nr. 6 VwGO versehen ist eine Entscheidung nur dann, wenn sie so mangelhaft begründet ist, dass die Entscheidungsgründe ihre doppelte Funktion - die Beteiligten über die dem Urteil zugrunde liegenden tatsächlichen und rechtlichen Erwägungen zu unterrichten und dem Rechtsmittelgericht die Nachprüfung der Entscheidung auf ihre inhaltliche Richtigkeit zu ermöglichen - nicht mehr erfüllen können. Das ist nur dann der Fall, wenn die Entscheidungsgründe rational nicht nachvollziehbar, sachlich inhaltslos oder sonst derart unbrauchbar sind, dass sie unter keinem denkbaren Gesichtspunkt geeignet sind, den Urteilstenor zu tragen. Hingegen liegt ein Verstoß gegen § 138 Nr. 6 VwGO nicht schon dann vor, wenn die Entscheidungsgründe lediglich unklar, unvollständig, oberflächlich oder unrichtig sind (vgl. BVerwG, Beschluss vom 23. September 2011 - 1 B 19.11 - Rn. 3 m.w.N.). Bei Anwendung dieses Maßstabs ist vorliegend für einen Begründungsmangel gemäß § 138 Nr. 6 VwGO nichts ersichtlich. Vielmehr hat das Oberverwaltungsgericht die Übernahmebereitschaft Italiens damit begründet, dass diese Bereitschaft nach der gerichtsbekannten ständigen Praxis jedenfalls vor Ablauf der - hier noch nicht verstrichenen - Überstellungsfrist bestehe. Mit den gesundheitlichen Beeinträchtigungen des Klägers und den hierzu vorgelegten ärztlichen Ausführungen hat sich das Gericht ausführlich auseinandergesetzt.

8

In Wahrheit wendet sich die Beschwerde mit ihrem Vorbringen gegen die Tatsachen- und Beweiswürdigung des Berufungsgerichts. Damit vermag sie eine Zulassung der Revision gemäß § 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO schon deshalb nicht zu erreichen, weil die Grundsätze der Beweiswürdigung nach ständiger Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts revisionsrechtlich regelmäßig nicht dem Verfahrensrecht, sondern dem sachlichen Recht zuzuordnen sind. Ein Verfahrensfehler kann zwar ausnahmsweise dann gegeben sein, wenn die Beweiswürdigung objektiv willkürlich ist, gegen die Denkgesetze verstößt oder einen allgemeinen Erfahrungssatz missachtet (BVerwG, Beschluss vom 23. September 2011 - 1 B 19.11 - Rn. 4 m.w.N.). Ein Verfahrensmangel bei der Beweiswürdigung liegt aber nur dann vor, wenn sich der gerügte Fehler hinreichend eindeutig von der materiellrechtlichen Subsumtion, d.h. der konkreten Anwendung des sachlichen Rechts abgrenzen lässt und der Tatrichter den ihm bei der Tatsachenfeststellung durch den Grundsatz freier Beweiswürdigung gemäß § 108 Abs. 1 Satz 1 VwGO eröffneten Wertungsrahmen verlassen hat. Einen solchen qualifizierten Mangel der Beweiswürdigung zeigt die Beschwerde nicht auf. Sie kritisiert lediglich allgemein die tatrichterliche Sachverhalts- und Beweiswürdigung und setzt dieser abweichende Tatsachenbehauptungen sowie ihre eigene Würdigung entgegen, ohne einen Verstoß gegen Denkgesetze aufzuzeigen.

9

3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO. Gerichtskosten werden gemäß § 83b AsylG nicht erhoben. Der Gegenstandswert ergibt sich aus § 30 RVG; Gründe für eine Abweichung gemäß § 30 Abs. 2 RVG liegen nicht vor.

Prof. Dr. Dörig

Dr. Rudolph

Dr. Wittkopp

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