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Bundesverwaltungsgericht
Beschl. v. 27.10.2015, Az.: BVerwG 1 BN 1.15
Antragsbefugnis und Rechtsschutzinteresse einer Behörde hinsichtlich indirekter Vorwirkung der Norm; Beachtung der ZweigstellenVO durch das antragstellende Präsidium i.R.d. Geschäftsverteilung
Gericht: BVerwG
Entscheidungsform: Beschluss
Datum: 27.10.2015
Referenz: JurionRS 2015, 31144
Aktenzeichen: BVerwG 1 BN 1.15
ECLI: ECLI:DE:BVerwG:2015:271015B1BN1.15.0

Verfahrensgang:

vorgehend:

OVG Mecklenburg-Vorpommern - 25.03.2015 - AZ: OVG 2 K 22/14

BVerwG, 27.10.2015 - BVerwG 1 BN 1.15

In der Normenkontrollsache
hat der 1. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
am 27. Oktober 2015
durch den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht Prof. Dr. Berlit,
den Richter am Bundesverwaltungsgericht Prof. Dr. Dörig und
die Richterin am Bundesverwaltungsgericht Dr. Rudolph
beschlossen:

Tenor:

Die Beschwerde des Antragstellers gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Urteil des Oberverwaltungsgerichts Mecklenburg-Vorpommern vom 25. März 2015 wird zurückgewiesen.

Der Antragsteller trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.

Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Beschwerdeverfahren auf 10 000 € festgesetzt.

Gründe

1

Die Beschwerde hat keinen Erfolg.

2

1. Die Rechtssache hat nicht die grundsätzliche Bedeutung (§ 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO), die ihr die Beschwerde beimisst.

3

Eine Rechtssache hat grundsätzliche Bedeutung im Sinne des § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO, wenn sie eine abstrakte, in dem zu entscheidenden Fall erhebliche Frage des revisiblen Rechts mit einer über den Einzelfall hinausgehenden allgemeinen Bedeutung aufwirft, die im Interesse der Einheitlichkeit der Rechtsprechung oder im Interesse der Rechtsfortbildung in einem Revisionsverfahren geklärt werden muss. Diese Voraussetzungen sind nicht erfüllt, wenn sich die aufgeworfene Frage im Revisionsverfahren nicht stellen würde, wenn sie bereits geklärt ist bzw. aufgrund des Gesetzeswortlautes mit Hilfe der üblichen Regeln sachgerechter Auslegung und auf der Grundlage der einschlägigen Rechtsprechung ohne Durchführung eines Revisionsverfahrens beantwortet werden kann oder wenn sie einer abstrakten Klärung nicht zugänglich ist (BVerwG, Beschlüsse vom 1. April 2014 - 1 B 1.14 - AuAS 2014, 110 und vom 10. März 2015 - 1 B 7.15 - Rn. 3). Die als grundsätzlich klärungsbedürftig aufgeworfenen Fragen müssen entscheidungserheblich sein, ansonsten fehlt ihnen die Klärungsfähigkeit. Entscheidungserheblichkeit liegt nicht vor, wenn die Rechtsfrage nicht Teil der tragenden Begründung ist (vgl. Czybulka, in: Sodan/Ziekow, VwGO, 4. Aufl. 2014, § 132 Rn. 65). Klärungsbedürftig sind daher nur Rechts- oder Tatsachenfragen, die die Vorinstanz entschieden hat, nicht jedoch solche, die sich erst stellen würden, wenn die Vorinstanz anders entschieden hätte (Seibert, in: Sodan/Ziekow, a.a.O. § 124 Rn. 152; BVerwG, Beschluss vom 29. Juni 1992 - 3 B 102.91 - Buchholz 418.04 Heilpraktiker Nr. 17 = Rn. 8).

4

a) Soweit die Beschwerde folgende Frage als grundsätzlich klärungsbedürftig aufwirft:

"Setzen die Antragsbefugnis und das Rechtsschutzinteresse einer Behörde im Sinne des § 47 Abs. 2 Satz 1 VwGO voraus, dass die angegriffene Norm unmittelbar für die Tätigkeit der antragstellenden Behörde gilt oder reicht eine indirekte Vorwirkung der Norm dergestalt aus, dass die antragstellende Behörde eine nur mittelbar für sie geltende Norm gleichwohl im Rahmen ihrer Tätigkeit beachten muss, so dass ihr daher ein Interesse an der Klärung der objektiven Rechtslage zukommt?"

rechtfertigt diese nicht die Zulassung der Revision. Die Klärung dieser Rechtsfrage ist für die Entscheidung in der Sache nicht erheblich und kann daher der Rechtssache keine grundsätzliche Bedeutung verleihen. Das Oberverwaltungsgericht ist - entgegen der Auffassung des Antragstellers (S. 6 der Beschwerdebegründung) - gerade nicht davon ausgegangen, dass die Verordnung über die amtsgerichtlichen Zweigstellen und weitere Vorschriften zur Umsetzung des Gerichtsstrukturneuordnungsgesetzes vom 15. Januar 2014 (Zweigstellenverordnung - ZweigStVO M-V - GVOBl. M-V S. 29) Vorgaben für den Antragsteller enthalten, die bei der Planung der Geschäftsverteilung für das Jahr 2015 eine inhaltliche Vorwirkung entfalten. Vielmehr ergibt sich aus den Entscheidungsgründen (S. 11 UA), dass das Oberverwaltungsgericht eine Vorwirkung der Zweigstellenverordnung verneint und eine solche lediglich für die Regelungen des Gesetzes zur Änderung des Gerichtsstrukturgesetzes und weiterer Rechts- vorschriften vom 11. November 2013 (Gerichtsstrukturneuordnungsgesetz -GVOBl. M-V S. 609) angenommen hat. Gegen diese Feststellung hat die Beschwerde keine durchgreifenden Rügen erhoben.

5

b) Des Weiteren wirft die Beschwerde folgende Frage als klärungsbedürftig auf:

"Entfaltet die ZweigStVO wegen der bundesrechtlichen Bindung des Präsidiums aus § 21e Abs. 1 Satz 1 GVG eine vom Gerichtsstrukturneuordnungsgesetz unabhängige zeitliche Vorwirkung, die das Präsidium des Amtsgerichts Bergen auch vor dem Inkrafttreten der ZweigStVO beachten muss?"

6

Insoweit bezeichnet sie jedoch keine klärungsfähige Frage des revisiblen Rechts. Das Oberverwaltungsgericht ist in Anwendung und Auslegung von Landesrecht davon ausgegangen, dass die Zweigstellenverordnung keine inhaltlichen Vorwirkungen entfaltet, die der Antragsteller zu beachten hätte, sondern Vorgaben bei der Planung der Geschäftsverteilung für das Jahr 2015, die der Antragsteller zu beachten hat, auf den Regelungen des Gerichtsstrukturneuordnungsgesetzes beruhen. Die landesrechtlichen Vorschriften der Zweigstellenverordnung und des Gerichtsstrukturneuordnungsgesetzes gehören nicht zum revisiblen Recht. Auch die von der Beschwerde aufgeworfene Frage ist nach den insoweit maßgeblichen landesrechtlichen Regelungen zu beantworten.

7

Den notwendigen Bezug zum revisiblen Bundesrecht stellt die Beschwerde auch nicht insoweit her, als sie sinngemäß meint, aus § 21e Abs. 1 Satz 1 GVG ergebe sich, dass Normen wie die Zweigstellenverordnung vorwirkend zu beachten seien. Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts vermag die Rüge der Nichtbeachtung von Bundesrecht bei der Auslegung und Anwendung von Landesrecht die Zulassung der Revision nur dann zu begründen, wenn die Auslegung der - gegenüber dem Landesrecht als korrigierender Maßstab angeführten - bundesrechtlichen Norm ihrerseits ungeklärte Fragen von grundsätzlicher Bedeutung aufwirft. Die angeblichen bundesrechtlichen Maßgaben, deren Tragweite und Klärungsbedürftigkeit im Hinblick auf die einschlägigen landesrechtlichen Regelungen sowie die Entscheidungserheblichkeit ihrer Klärung in dem anhängigen Verfahren sind in der Beschwerdebegründung darzulegen (BVerwG, Beschluss vom 16. Juli 2013 - 9 B 15.13 - Rn. 5 m.w.N.). Dazu ist der Beschwerde nichts zu entnehmen.

8

2. Der geltend gemachte Zulassungsgrund der Divergenz (§ 132 Abs. 2 Nr. 2 VwGO) liegt ebenfalls nicht vor.

9

Der Zulassungsgrund der Divergenz ist nur dann hinreichend bezeichnet, wenn die Beschwerde einen inhaltlich bestimmten, die angefochtene Entscheidung tragenden abstrakten Rechtssatz benennt, mit dem die Vorinstanz einem in der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts oder eines anderen der in § 132 Abs. 2 Nr. 2 VwGO aufgeführten Gerichte aufgestellten ebensolchen (abstrakten) Rechtssatz in Anwendung derselben Rechtsvorschrift widersprochen hat. Die nach Auffassung des Antragstellers divergierenden Rechtssätze müssen einander gegenübergestellt werden und die entscheidungstragende Abweichung muss darauf bezogen konkret herausgearbeitet werden. Das Aufzeigen einer fehlerhaften oder unterbliebenen Anwendung von Rechtssätzen, die das Bundesverwaltungsgericht oder der Gemeinsame Senat der obersten Bundesgerichte oder das Bundesverfassungsgericht in ihrer Rechtsprechung aufgestellt haben, genügt den Zulässigkeitsanforderungen einer Divergenzrüge nicht (BVerwG, Beschlüsse vom 17. Januar 1995 - 6 B 39.94 - Buchholz 421.0 Prüfungswesen Nr. 342 und vom 8. Dezember 2005 - 1 B 37.05).

10

Entgegen dem Beschwerdevorbringen besteht keine Divergenz zu den Beschlüssen des Bundesverwaltungsgerichts vom 15. März 1989 (4 NB 10.88 -BVerwGE 81, 307 <310>) und vom 11. August 1989 (4 NB 23.89 - Buchholz 310 § 47 VwGO Nr. 41 = Rn. 7). In ersterem Beschluss wird ausgeführt: "Für die Antragsbefugnis der Gemeinde als Behörde ist insoweit ausreichend, dass die angegriffene Norm im Gemeindegebiet gilt und von ihr bei der Wahrnehmung der eigenen oder übertragenen Angelegenheiten zu beachten ist. ... Auch eine Behörde ist freilich nicht schlechthin, sondern nur dann antragsbefugt, wenn ihr ein Rechtsschutzinteresse zur Seite steht. Das ist immer dann gegeben, wenn sie nur mit der Ausführung der von ihr beanstandeten Norm befasst ist, ...".

11

In dem Beschluss des Bundesverwaltungsgerichts vom 11. August 1989 (4 NB 23.89) heißt es: "Der beschließende Senat hat bereits entschieden, dass eine Gemeinde die Prüfung der Gültigkeit einer von ihr zwar nicht erlassenen, aber in ihrem Gebiet geltenden Rechtsvorschrift gemäß § 47 Abs. 1 Nr. 2 VwGO stets beantragen kann, wenn sie die Vorschrift als Behörde zu beachten hat."

12

Von diesen Rechtssätzen ist das Oberverwaltungsgericht nicht abgewichen. Es hat in Übereinstimmung mit der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts angenommen (vgl. S. 10 UA), dass eine Behörde zu einem Normenkontrollantrag im Sinne des § 47 Abs. 2 Satz 1 VwGO nur dann befugt ist, wenn sie mit der Ausführung der angegriffenen Norm befasst ist oder sie bei der Wahrnehmung der ihr übertragenen Aufgaben zu beachten hat.

13

Es besteht auch keine Divergenz zu dem Beschluss des Bundesverwaltungsgerichts vom 7. August 1986 (2 B 76.86 - Buchholz 300 § 21e GVG Nr. 16) und dem Urteil vom 22. Januar 1985 (9 C 902.82 - Buchholz 300 § 21e GVG Nr. 13 = Rn. 8) sowie dem Urteil vom 28. November 1975 (7 C 47.73 - BVerwGE 50, 11 <20>). Hierin wird ausgeführt, dass die Verteilung der richterlichen Aufgaben durch das Präsidium nach pflichtgemäßem Ermessen erfolgt. Dass das Oberverwaltungsgericht einen hiervon abweichenden Rechtssatz aufgestellt hat, legt die Beschwerde nicht dar. Vielmehr rügt sie (S. 19 der Beschwerdebegründung) lediglich eine fehlerhafte Anwendung der Rechtsvorschrift, die eine Zulassung der Revision nicht rechtfertigt.

14

3. Das angefochtene Urteil beruht schließlich auch nicht auf dem behaupteten Verfahrensmangel (§ 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO).

15

Das Oberverwaltungsgericht hat nicht gegen den Grundsatz der Gewährung rechtlichen Gehörs verstoßen (Art. 103 Abs. 1 GG, § 108 Abs. 2 VwGO). Entgegen der Auffassung der Beschwerde hat es entscheidungserhebliches Vorbringen des Antragstellers nicht übergangen. Es hat insbesondere das Vorbringen des Antragstellers berücksichtigt, dass die Zweigstellenverordnung im Rahmen der Geschäftsverteilung gemäß § 21e GVG durch das antragstellende Präsidium zu beachten ist. Im Tatbestand des angefochtenen Urteils (vgl. S. 5 UA) wird der entsprechende Vortrag des Antragstellers wiedergegeben. Das Oberverwaltungsgericht hat sich auch mit diesem Vorbringen auseinandergesetzt. Es hat ausgeführt, dass die Zweigstellenverordnung ihre Wirkung erst mit der Aufhebung des Amtsgerichts B. zum 23. November 2015 entfalte. Die Aufgaben und Befugnisse des Antragstellers, insbesondere die richterliche Geschäftsverteilung gemäß § 21e GVG, seien beschränkt auf das Amtsgericht B. und endeten mit der Aufhebung dieses Gerichts. Entgegen der Auffassung des Antragstellers hätten die Vorgaben aus § 2 Abs. 6 ZweigStVO M-V auch keine inhaltlichen Vorwirkungen für die Geschäftsverteilung für das Jahr 2015.

16

Das Oberverwaltungsgericht hat sich folglich mit dem Vortrag des Antragstellers auseinandergesetzt und ist lediglich der rechtlichen Wertung seitens des Antragstellers nicht gefolgt.

17

4. Bei dieser Sachlage kommt es auf die vom Antragsgegner mit Schriftsatz vom 26. Oktober 2015 gelten gemachten weiteren Einwendungen nicht an.

18

5. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO. Die Festsetzung des Streitwertes ergibt sich aus § 47 Abs. 1 und 3, § 52 Abs. 1 GKG.

Prof. Dr. Berlit

Prof. Dr. Dörig

Dr. Rudolph

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