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Bundesverwaltungsgericht
Beschl. v. 24.09.2015, Az.: BVerwG 6 B 31.15
Beurteilung des Vorliegens einer ernsthaften Gewissensentscheidung gegen den Kriegsdienst mit der Waffe; Förmliche Vernehmung des Klägers als Partei in Verfahren zur Verweigerung des Kriegsdienstes
Gericht: BVerwG
Entscheidungsform: Beschluss
Datum: 24.09.2015
Referenz: JurionRS 2015, 30303
Aktenzeichen: BVerwG 6 B 31.15
ECLI: ECLI:DE:BVerwG:2015:240915B6B31.15.0

Verfahrensgang:

vorgehend:

VG Koblenz - 10.06.2015 - AZ: VG 2 K 980/14.KO

BVerwG, 24.09.2015 - BVerwG 6 B 31.15

In der Verwaltungsstreitsache
hat der 6. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
am 24. September 2015
durch den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht Neumann und
die Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. Heitz und Prof. Dr. Hecker
beschlossen:

Tenor:

Das Urteil des Verwaltungsgerichts Koblenz vom 10. Juni 2015 wird aufgehoben.

Die Sache wird zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an das Verwaltungsgericht zurückverwiesen.

Die Entscheidung über die Kosten bleibt der Schlussentscheidung vorbehalten.

Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Beschwerdeverfahren auf 5 000 € festgesetzt.

Gründe

1

Die Beschwerde des Klägers gegen die Nichtzulassung der Revision ist begründet. Das angefochtene Urteil kann auf der Verletzung der gerichtlichen Aufklärungspflicht gemäß § 86 Abs. 1 VwGO beruhen. Der Senat macht im Interesse der Verfahrensbeschleunigung von der Möglichkeit des § 133 Abs. 6 VwGO Gebrauch, die angefochtene Entscheidung aufzuheben und den Rechtsstreit zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an die Vorinstanz zurückzuverweisen.

2

1. Die Aufklärungsrüge genügt den Darlegungserfordernissen des § 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO. Sie hat auch in der Sache Erfolg.

3

Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (vgl. jeweils m.w.N. etwa: Urteile vom 26. Juni 1981 - 6 C 183.80 - NVwZ 1982, 40 f., vom 3. September 1987 - 6 C 11.86 - Buchholz 310 § 86 Abs. 1 VwGO Nr. 192 S. 4 ff. und vom 29. Januar 1990 - 6 C 4.88 - Rn. 8; Beschlüsse vom 29. April 1991 - 6 B 40.90 - Buchholz 310 § 86 Abs. 1 VwGO Nr. 231 S. 59 f., vom 13. September 2010 - 6 B 31.10 - Buchholz 448.6 § 2 KDVG Nr. 6 Rn. 3 und vom 2. Dezember 2013 - 6 B 30.13 - Rn. 3) gehört es in gerichtlichen Verfahren, deren Gegenstand die Berechtigung des Klägers zur Verweigerung des Kriegsdienstes ist, unter der Geltung des Kriegsdienstverweigerungsgesetzes jedenfalls dann, wenn die Ablehnung des Anerkennungsbegehrens in Frage steht, regelmäßig zur Erforschung des Sachverhalts im Sinne des § 86 Abs. 1 VwGO, dass sich das Gericht einen persönlichen Eindruck von dem Kläger verschafft und ihn zu diesem Zweck förmlich als Partei vernimmt. Die Förmlichkeit einer Parteivernehmung in Verbindung mit der ihr vorausgehenden Belehrung ist ein sachgerechtes Mittel, nicht nur dem Kläger und den sonstigen Verfahrensbeteiligten, sondern auch dem Gericht selbst die Bedeutung und die Gewichtigkeit der Bekundungen des Kriegsdienstverweigerers vor Augen zu führen. Dies ist umso bedeutsamer, als nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts für die Beurteilung des Vorliegens einer ernsthaften Gewissensentscheidung gegen den Kriegsdienst mit der Waffe das Verhalten, die Bekundungen und der Gesamteindruck des Wehrpflichtigen entscheidende Bedeutung haben (BVerwG, Urteil vom 26. Juni 1981 - 6 C 183.80 - NVwZ 1982 S. 41 m.w.N.). Das Erfordernis der Parteivernehmung besteht auch bei Fehlen eines dahingehenden Antrags des Betroffenen. Es entfällt nicht durch eine formlose Anhörung (BVerwG, Urteile vom 26. Juni 1981 a.a.O. S. 40 und vom 29. Januar 1990 - 6 C 4.88 - Rn. 10).

4

Ausnahmen von dieser Regel kommen nur in sehr seltenen Konstellationen in Betracht. Das Bundesverwaltungsgericht hat sie in seiner Rechtsprechung im Wesentlichen dann angenommen, wenn die gesamten Umstände des Falles den Schluss rechtfertigten, dass der Kläger sein Anerkennungsbegehren nicht mit der nötigen Ernsthaftigkeit verfolgte, oder wenn sein bisheriges Vorbringen unschlüssig war, weil sich daraus ergab, dass er sich aus anderen als Gewissensgründen um die Anerkennung als Kriegsdienstverweigerer bemühte bzw. sich nicht der Beteiligung an jeder Waffenanwendung zwischen den Staaten widersetzte.

5

Im vorliegenden Fall sind keine Anhaltspunkte dafür erkennbar, dass der Kläger sein Anerkennungsbegehren nicht mit der nötigen Ernsthaftigkeit verfolgt. Dass sich der Kläger aus anderen als Gewissensgründen um die Anerkennung als Kriegsdienstverweigerer bemüht, erscheint zwar nach den Ausführungen des Verwaltungsgerichts möglich, aber nicht zwingend. Sonstige Gründe, die eine Parteivernehmung des Klägers entbehrlich machten, sind nicht ersichtlich.

6

Das Urteil kann auf dem Aufklärungsmangel beruhen, da nicht ausgeschlossen werden kann, dass das Verwaltungsgericht unter Berücksichtigung einer im Rahmen der Parteivernehmung abgegebenen Darstellung die Gewissensgründe des Klägers anders als geschehen bewertet hätte.

7

2. Liegt bereits in Gestalt der Verletzung der gerichtlichen Aufklärungspflicht aus § 86 Abs. 1 VwGO ein Verfahrensmangel vor, auf dem die vorinstanzliche Entscheidung im Sinne von § 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO beruhen kann, kann dahinstehen, ob der Kläger die weitere Verfahrensrügen zu Recht erhebt.

8

3. Die Festsetzung des Werts des Streitgegenstandes beruht auf § 47 Abs. 1 und 3, § 52 Abs. 2 GKG.

Neumann

Dr. Heitz

Prof. Dr. Hecker

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