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Bundesverwaltungsgericht
Urt. v. 28.04.2015, Az.: BVerwG 1 C 20.14
Anspruch eines Ausländers auf Befristung der Wirkungen einer vor Inkrafttreten des Zuwanderungsgesetzes gegen ihn verfügten Ausweisung
Gericht: BVerwG
Entscheidungsform: Urteil
Datum: 28.04.2015
Referenz: JurionRS 2015, 19131
Aktenzeichen: BVerwG 1 C 20.14
ECLI: [keine Angabe]

Verfahrensgang:

vorgehend:

VGH Baden-Württemberg - 30.04.2014 - AZ: 11 S 244/14

BVerwG, 28.04.2015 - BVerwG 1 C 20.14

Redaktioneller Leitsatz:

  1. 1.

    Eine 1999 auf der Grundlage des § 47 Abs. 1 Nr. 1 AuslG 1990 i.V.m. § 12 AufenthG/EWG verfügte Ausweisung hatte ein gesetzliches Verbot der Wiedereinreise und des erneuten Aufenthalts im Bundesgebiet zur Folge. Dieses Verbot erstreckte sich auch auf die aufenthaltsrechtliche Stellung von EG-Bürgern nach dem Aufenthaltsgesetz/EWG. Das an die Ausweisung des Klägers geknüpfte Einreise- und Aufenthaltsverbot ist nicht durch das Inkrafttreten des Freizügigkeitsgesetzes/EU am 01.01.2005 erloschen. An der Fortgeltung des an die Ausweisung geknüpften gesetzlichen Einreise- und Aufenthaltsverbots hat auch die Richtlinie 2008/115/EG (Rückführungsrichtlinie) nichts geändert. Der personale Anwendungsbereich der Rückführungsrichtlinie erfasst nach Art. 2 Abs. 1 nur Drittstaatsangehörige; auf Unionsbürger ist sie nicht anwendbar. Gleiches gilt für die nationale Umsetzung der Rückführungsrichtlinie in § 11 Abs. 1 AufenthG.

  2. 2.

    Art. 11 Abs. 2 der Rückführungsrichtlinie verbietet zwar grundsätzlich die Aufrechterhaltung der Wirkungen unbefristeter Einreiseverbote, die vor dem Zeitpunkt der Anwendbarkeit der Richtlinie verhängt wurden, soweit sie über die in dieser Bestimmung vorgesehene Höchstdauer von fünf Jahren hinausgehen. Dies gilt aber nicht, wenn diese Verbote gegen Drittstaatsangehörige verhängt wurden, die eine schwerwiegende Gefahr für die öffentliche Ordnung, die öffentliche Sicherheit oder die nationale Sicherheit darstellen.

  3. 3.

    Nach § 7 Abs. 2 S. 5 FreizügG/EU ist eine Verlustfeststellung nach § 6 Abs. 1 FreizügG/EU bereits mit Erlass von Amts wegen zu befristen. Die Vorschrift gewährt Unionsbürgern einen strikten Rechtsanspruch auf Befristung. Die Frist ist nach den Einzelfallumständen festzusetzen und darf die Dauer von fünf Jahren nur in den Fällen des § 6 Abs. 1 FreizügG/EU überschreiten. Die neu eingeführte Höchstfrist von fünf Jahren betrifft nur Fälle, in denen nach § 2 Abs. 7 FreizügG/EU festgestellt worden ist, dass ein Recht auf Einreise und Aufenthalt nicht besteht, und dem Betroffenen deshalb nach § 7 Abs. 2 S. 2 FreizügG/EU untersagt worden ist, erneut in das Bundesgebiet einzureisen und sich darin aufzuhalten. Für Verlustfeststellungen nach § 6 Abs. 1 FreizügG/EU und ihnen gleichzustellende Altausweisungen ist weiterhin keine Höchstfrist vorgesehen.

  4. 4.

    Für die Bestimmung der Dauer der Frist kann auf die Rechtsprechung des Senats zum Befristungsanspruch nach § 7 Abs. 2 S. 2 FreizügG/EU a.F. zurückgegriffen werden. Zunächst ist eine an dem Gewicht des Grundes für die Verlustfeststellung sowie dem mit der Maßnahme verfolgten spezialpräventiven Zweck orientierte äußerste Frist zu bestimmen. Hierzu bedarf es der prognostischen Einschätzung, wie lange das Verhalten des Betroffenen das öffentliche Interesse an der Gefahrenabwehr zu tragen vermag. In der Regel stellt ein Zeitraum von maximal zehn Jahren den Zeithorizont darstellt, für den eine Prognose noch gestellt werden kann.

  5. 5.

    Diese äußerste Frist muss sich in einem zweiten Schritt an höherrangigem Recht, d.h. unionsrechtlichen Vorgaben und verfassungsrechtlichen Wertentscheidungen messen und gegebenenfalls relativieren lassen. Hierfür sind insbesondere die in § 6 Abs. 3 FreizügG/EU genannten schutzwürdigen Belange des Unionsbürgers in den Blick zu nehmen.

  6. 6.

    Der Ausländerbehörde steht für die Bestimmung der Länge des Einreise- und Aufenthaltsverbots kein Auswahlermessen zusteht. Bei Befristungen nach § 11 Abs. 1 S. 3 AufenthG geht der Senat seit dem Inkrafttreten des Richtlinienumsetzungsgesetzes 2011 von einer auch hinsichtlich der Dauer der Frist gebundenen Verwaltungsentscheidung aus, die gerichtlich voll überprüfbar ist. Diese Rechtsprechung ist auf die Fristbemessung der Einreisesperre nach dem Freizügigkeitsgesetz/EU zu übertragen.

  7. 7.

    Die Rechtsauffassung (des Berufungsgerichts), für die Bemessung der Frist nach § 7 Abs. 2 FreizügG/EU gelte eine Höchstfrist von zehn Jahren ab Ausreise, verstößt gegen Bundesrecht. Das Berufungsurteil verstößt auch insoweit gegen Bundesrecht, als das Berufungsgericht davon ausgeht, dass bei Befristungsentscheidungen nach § 7 Abs. 2 FreizügG/EU nach Ablauf von sechs Monaten ab Antragstellung eingetretene Veränderungen der tatsächlichen Verhältnisse nicht mehr zu Lasten des Ausländers berücksichtigt werden dürften.

In der Verwaltungsstreitsache
hat der 1. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
auf die mündliche Verhandlung vom 28. April 2015
durch den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht Prof. Dr. Berlit,
die Richter am Bundesverwaltungsgericht Prof. Dr. Dörig und Prof. Dr. Kraft
sowie die Richterinnen am Bundesverwaltungsgericht Fricke und Dr. Rudolph
für Recht erkannt:

Tenor:

Auf die Revision des Beklagten wird das Urteil des Verwaltungsgerichtshofs Baden-Württemberg vom 30. April 2014 geändert, soweit es sich auf die Befristungsentscheidung des Regierungspräsidiums Stuttgart vom 14. Oktober 2013 bezieht. Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Stuttgart vom 7. Januar 2014 - 6 K 4400/13 - wird zurückgewiesen.

Der Kläger trägt die Kosten des Revisionsverfahrens und des Verfahrens erster Instanz (6 K 4400/13); von den Kosten des Berufungsverfahrens tragen der Kläger und der Beklagte jeweils die Hälfte.

Gründe

I

1

Der Kläger, ein italienischer Staatsangehöriger, begehrt die Befristung der Wirkungen einer vor Inkrafttreten des Zuwanderungsgesetzes gegen ihn verfügten Ausweisung.

2

Der 1968 geborene Kläger kam 1981 im Wege des Familiennachzugs nach Deutschland. Er ist Vater einer inzwischen volljährigen Tochter und lebt seit 1997 mit einer italienischen Staatsangehörigen zusammen. Während seines Aufenthalts im Bundesgebiet ist er mehrfach strafrechtlich in Erscheinung getreten, u.a. wurde er 1999 wegen schweren Raubes sowie Führens einer halbautomatischen Selbstladewaffe mit einer Länge von nicht mehr als 60 cm zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von fünf Jahren verurteilt. Mit bestandskräftigem Bescheid vom 21. Oktober 1999 wies das Regierungspräsidium Stuttgart den Kläger unbefristet aus dem Bundesgebiet aus. Noch in der Strafhaft beging der Kläger eine vorsätzliche Körperverletzung, wegen der er 2001 zu einer Freiheitsstrafe von sechs Monaten verurteilt wurde. Am 1. Februar 2002 wurde er aus der Haft nach Italien abgeschoben. Zu einem nicht bekannten Zeitpunkt reiste er in das Bundesgebiet ein und beging im April 2011 gemeinsam mit dem Sohn seiner Lebensgefährtin eine gefährliche Körperverletzung und im Mai 2012 eine versuchte räuberische Erpressung. Mit Urteil des Landgerichts Stuttgart vom 30. Januar 2013 wurde er wegen dieser beiden Taten zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren und zwei Monaten verurteilt.

3

Im Juli 2011 beantragte der Kläger beim Regierungspräsidium Stuttgart, die Wirkungen seiner Ausweisung auf den 12. Juli 2011 zu befristen. Das Regierungspräsidium Karlsruhe drohte dem Kläger mit Bescheid vom 29. Juli 2013 die Abschiebung nach Italien an; das Regierungspräsidium Stuttgart befristete mit Bescheid vom 14. Oktober 2013 die Wirkungen der Ausweisung auf den 31. Dezember 2016 (Ziff. 1) und die Wirkungen der Abschiebung auf den Tag nach erneuter Abschiebung (Ziff. 2).

4

Mit Urteilen vom 7. Januar 2014 hat das Verwaltungsgericht Stuttgart die auf Aufhebung der Abschiebungsandrohung und Verpflichtung des Beklagten zur Befristung der Wirkungen der Ausweisung auf den 31. Januar 2012 gerichteten Klagen abgewiesen. Auf die Berufungen des Klägers hat der Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg mit Urteil vom 30. April 2014 den Bescheid vom 29. Juli 2013 aufgehoben und das beklagte Land unter Aufhebung des Bescheids vom 14. Oktober 2013 verpflichtet, die Wirkungen der Ausweisung auf den 31. Januar 2012 zu befristen. Die Entscheidung wurde hinsichtlich der Befristung damit begründet, dass die gesetzlichen Wirkungen der Ausweisung weder mit dem Freizügigkeitsgesetz/EU noch durch die Rückführungsrichtlinie entfallen seien. Letztere sei auch über das unionsrechtliche Diskriminierungsverbot auf den Kläger nicht anwendbar, weil eine Ausweisung keine Rückkehrentscheidung darstelle. Im Übrigen gehe von ihm eine schwerwiegende Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung aus, so dass auch nach den für Drittstaatsangehörige im Falle einer Rückkehrentscheidung geltenden Maßstäben ein Einreiseverbot von mehr als fünf Jahren zulässig wäre. Der Kläger habe aber nach § 7 Abs. 2 Satz 4 FreizügG/EU Anspruch auf eine Befristung der Wirkungen der Ausweisung zum 31. Januar 2012. Bei der Bestimmung der Frist stehe der Behörde kein Ermessen zu. Da über einen Antrag spätestens nach Ablauf von sechs Monaten zu entscheiden sei, dürften spätere Veränderungen der tatsächlichen Verhältnisse nicht zu Lasten des Betroffenen berücksichtigt werden. Außerdem dürften Unionsbürger nicht schlechter gestellt werden als Drittstaatsangehörige. Auch bei ihnen gelte daher regelmäßig eine Höchstfrist von zehn Jahren ab Ausreise. Diese Frist könne zwar nachträglich verkürzt werden; sie werde aber weder durch weitere Straftaten oder unerlaubte Einreisen gehemmt noch bestehe die Möglichkeit einer nachträglichen Verlängerung. Eine Befristung auf Ende 2016 sei auch unter Verhältnismäßigkeitsgesichtspunkten nicht gerechtfertigt.

5

Der Beklagte wendet sich mit seiner Revision gegen seine Verpflichtung zur (weiteren) Befristung der Wirkungen der Ausweisung und rügt insbesondere eine Verletzung des § 7 Abs. 2 Satz 4 FreizügG/EU (a.F.). Bei der Sechsmonatsfrist handele es sich um eine Bearbeitungsfrist; selbst eine festgesetzte Frist könne bei einer Änderung der für die Festsetzung maßgeblichen Umstände zu Lasten des Unionsbürgers verändert werden. Zudem gelte keine regelmäßige Höchstfrist von zehn Jahren nach erstmaliger Ausreise; der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts zu Befristungen nach § 11 Abs. 1 AufenthG sei lediglich zu entnehmen, dass zum Zeitpunkt der Entscheidung über eine Befristung nur ein Zeitraum von zehn Jahren prognostisch betrachtet werden könne.

6

Der Kläger verteidigt die angegriffene Entscheidung.

II

7

Die Revision des Beklagten, mit der dieser sich nur gegen die Verpflichtung zur Befristung der Wirkungen der Ausweisung auf den 31. Januar 2012 wendet, hat Erfolg. Das Berufungsgericht hat der Festsetzung der Frist für das an die Ausweisung des Klägers geknüpfte Einreise- und Aufenthaltsverbot einen Maßstab zugrunde gelegt, der Bundesrecht verletzt (§ 137 Abs. 1 VwGO). Die maßgeblichen Rechtsfragen hat der Senat in seinem - den Beteiligten bekannten - Urteil vom 25. März 2015 (- 1 C 18.14 - zur Veröffentlichung in der Entscheidungssammlung BVerwGE vorgesehen) geklärt. Bei Zugrundelegung dieser Grundsätze hat der Kläger keinen Anspruch darauf, dass der Beklagte die Wirkungen der Ausweisung aus dem Jahre 1999 über das im Bescheid vom 14. Oktober 2013 festgesetzte Datum hinaus befristet.

8

Maßgeblich für die rechtliche Beurteilung der begehrten Befristung ist grundsätzlich die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung oder Entscheidung des Tatsachengerichts, hier also des Berufungsgerichts am 30. April 2014 (stRspr, vgl. BVerwG, Urteil vom 6. März 2014 - 1 C 2.13 - Buchholz 402.242 § 25 AufenthG Nr. 20 Rn. 6). Rechtsänderungen während des Revisionsverfahrens sind allerdings zu beachten, wenn das Berufungsgericht - entschiede es anstelle des Bundesverwaltungsgerichts - sie zu berücksichtigen hätte (BVerwG, Urteil vom 6. März 2014 - 1 C 2.13 - Buchholz 402.242 § 25 AufenthG Nr. 20 Rn. 6). Als Anspruchsgrundlage für das Befristungsbegehren ist daher nunmehr § 7 Abs. 2 FreizügG/EU i.d.F. des am 9. Dezember 2014 in Kraft getretenen Gesetzes zur Änderung des Freizügigkeitsgesetzes/EU und weiterer Vorschriften vom 2. Dezember 2014 (BGBl. I S. 1922) heranzuziehen (BVerwG, Urteil vom 25. März 2015 - 1 C 18.14 - Rn. 10).

9

1. Die Verpflichtungsklage ist zulässig, insbesondere hat der Kläger ein Rechtsschutzbedürfnis für sein Begehren.

10

1.1 Zutreffend ist das Berufungsgericht davon ausgegangen, dass die gesetzlichen Wirkungen der Ausweisung weiterhin andauern und dem Kläger entgegengehalten werden können.

11

a) Die 1999 auf der Grundlage des § 47 Abs. 1 Nr. 1 AuslG 1990 i.V.m. § 12 AufenthG/EWG verfügte Ausweisung hatte nach § 8 Abs. 2 Satz 1 AuslG 1990 ein gesetzliches Verbot der Wiedereinreise und des erneuten Aufenthalts im Bundesgebiet zur Folge. Dieses Verbot erstreckte sich auch auf die aufenthaltsrechtliche Stellung von EG-Bürgern nach dem Aufenthaltsgesetz/EWG. Dem gemeinschaftsrechtlichen Freizügigkeitsrecht war dadurch Rechnung getragen, dass der Ausländer spätestens bei Fortfall der die Einschränkung der Freizügigkeit rechtfertigenden Gründe die Befristung der Ausweisungswirkungen verlangen konnte (BVerwG, Urteil vom 25. März 2015 - 1 C 18.14 - Rn. 12 m.w.N.).

12

b) Das an die Ausweisung des Klägers geknüpfte Einreise- und Aufenthaltsverbot ist nicht durch das Inkrafttreten des Freizügigkeitsgesetzes/EU am 1. Januar 2005 erloschen. Seitdem können Unionsbürger zwar nicht mehr ausgewiesen werden. § 7 Abs. 2 Satz 1 AufenthG sieht im Anschluss an eine Verlustfeststellung, die bei Unionsbürgern an die Stelle der Ausweisung getreten ist, aber ebenfalls ein Einreise- und Aufenthaltsverbot vor. Der Senat hat bereits entschieden, dass nach der Übergangsregelung in § 102 Abs. 1 Satz 1 AufenthG und der Rückverweisung in § 11 Abs. 2 FreizügG/EU die Wirkungen der "Altausweisung" eines Unionsbürgers grundsätzlich auch nach dem Inkrafttreten des Freizügigkeitsgesetzes/EU fortbestehen (BVerwG, Urteil vom 4. September 2007 - 1 C 21.07 - BVerwGE 129, 243 Rn. 14 f.).

13

Nichts anderes ergibt sich aus der Richtlinie 2004/38/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 29. April 2004 (Unionsbürgerrichtlinie), an der auf Unionsebene die fortgeltenden gesetzlichen Rechtswirkungen der Altausweisung zu messen sind. Insbesondere genügt die Befristungsregelung in § 7 Abs. 2 FreizügG/EU, die in sinngemäßer Anwendung auch die fortwirkenden Rechtsfolgen einer Altausweisung erfasst, den Vorgaben in Art. 32 der Unionsbürgerrichtlinie hinsichtlich der zeitlichen Wirkungen eines Aufenthaltsverbots (BVerwG, Urteil vom 25. März 2015 - 1 C 18.14 - Rn. 14 m.w.N.).

14

c) An der Fortgeltung des an die Ausweisung des Klägers geknüpften gesetzlichen Einreise- und Aufenthaltsverbots hat auch die Richtlinie 2008/115/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 16. Dezember 2008 (Rückführungsrichtlinie) nichts geändert. Diese Richtlinie und ihre nationale Umsetzung in § 11 Abs. 1 AufenthG finden auf den Kläger als Unionsbürger keine Anwendung (aa). Der Kläger hat - entgegen der Rechtsauffassung des Berufungsgerichts - auch keinen Anspruch, aufenthaltsrechtlich nicht schlechter behandelt zu werden als ein Drittstaatsangehöriger in einer vergleichbaren Situation (bb). Dessen ungeachtet erfüllt er nicht die Voraussetzungen, unter denen einem ausgewiesenen Drittstaatsangehörigen das gesetzliche Einreise- und Aufenthaltsverbot unabhängig von einer Befristung nicht mehr entgegengehalten werden dürfte (cc).

15

aa) Der personale Anwendungsbereich der Rückführungsrichtlinie erfasst nach Art. 2 Abs. 1 nur Drittstaatsangehörige; auf Unionsbürger ist sie nicht anwendbar. Gleiches gilt für die nationale Umsetzung der Rückführungsrichtlinie in § 11 Abs. 1 AufenthG (§ 1 Abs. 2 Nr. 1 AufenthG i.V.m. § 1 FreizügG/EU). Diese Bestimmung findet für nicht (mehr) freizügigkeitsberechtigte Unionsbürger weder über die Rückverweisung in § 11 Abs. 2 FreizügG/EU noch über das Günstigkeitsprinzip des § 11 Abs. 1 Satz 11 FreizügG/EU Anwendung (BVerwG, Urteil vom 25. März 2015 - 1 C 18.14 - Rn. 16).

16

bb) Der Kläger hat keinen Anspruch darauf, als Unionsbürger nicht schlechter behandelt zu werden als Drittstaatsangehörige in einer vergleichbaren Situation. Der Senat hat bereits entschieden, dass eine Anwendung der für Drittstaatsangehörige geltenden Bestimmungen nicht zur Vermeidung einer unzulässigen Diskriminierung geboten ist. Ein derartiger Anspruch ergibt sich weder aus Art. 18 Abs. 1 AEUV noch aus Art. 24 Abs. 1 Unionsbürgerrichtlinie, Art. 3 Abs. 1 GG oder Art. 14 EMRK (BVerwG, Urteil vom 25. März 2015 - 1 C 18.14 -Rn. 17).

17

cc) Dessen ungeachtet wären selbst bei Anwendung der für Drittstaatangehörige geltenden Bestimmungen die Wirkungen der gegen den Kläger verfügten Ausweisung nicht automatisch nach Ablauf von fünf Jahren ab Ausreise erloschen. Insoweit ist das Berufungsgericht zutreffend davon ausgegangen, dass die Voraussetzungen des § 11 Abs. 1 Satz 4 AufenthG i.V.m. Art. 11 Abs. 2 der Rückführungsrichtlinie für ein über fünf Jahre dauerndes Einreise- und Aufenthaltsverbot vorliegen. Art. 11 Abs. 2 der Rückführungsrichtlinie verbietet zwar grundsätzlich die Aufrechterhaltung der Wirkungen unbefristeter Einreiseverbote, die - wie hier - vor dem Zeitpunkt der Anwendbarkeit der Richtlinie verhängt wurden, soweit sie über die in dieser Bestimmung vorgesehene Höchstdauer von fünf Jahren hinausgehen. Dies gilt aber nicht, wenn diese Verbote gegen Drittstaatsangehörige verhängt wurden, die eine schwerwiegende Gefahr für die öffentliche Ordnung, die öffentliche Sicherheit oder die nationale Sicherheit darstellen (EuGH, Urteil vom 19. September 2013 - C-297/12 [ECLI:EU:C:2013:569], Filev und Osmani - Rn. 44). Das ist hier der Fall.

18

Die Ausweisung des Klägers war damit begründet worden, dass bei ihm die konkrete Gefahr der Begehung weiterer schwerwiegender Straftaten bestand. Nach den tatsächlichen Feststellungen des Berufungsgerichts ging vom Kläger im maßgeblichen Entscheidungszeitpunkt "weiterhin" eine schwerwiegende Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung aus (UA S. 19). Diese nicht näher dargelegte Annahme ist auf der Grundlage des - zwischen den Beteiligten nicht streitigen - strafbaren Verhaltens des Klägers ohne weiteres nachvollziehbar. Denn der Kläger ist nach Art und Umfang wiederholt und mit erheblicher Intensität im Bereich der mittleren bis schweren Kriminalität strafrechtlich in Erscheinung getreten und hat auch während seiner Inhaftierung und selbst nach Abschiebung und unerlaubter Wiedereinreise weitere Straftaten begangen, so dass keine Anhaltspunkte für eine nachhaltige Verhaltensänderung erkennbar waren.

19

1.2 Es fehlt auch nicht am Rechtsschutzbedürfnis, weil der Kläger 2002 abgeschoben worden ist, was nach § 8 Abs. 2 Satz 1 AuslG 1990 ebenfalls zu einem Einreise- und Aufenthaltsverbot führte. Diese gesetzliche Wirkung ist mit Inkrafttreten des Zuwanderungsgesetzes am 1. Januar 2005 entfallen. Seitdem führt bei Unionsbürgern - wie sich aus § 7 Abs. 2 FreizügG/EU ergibt - nur eine Verlustfeststellung nach § 6 Abs. 1 FreizügG/EU oder in Fällen, in denen das Nichtbestehen des Freizügigkeitsrechts festgestellt worden ist, inzwischen auch eine ausdrückliche Untersagung nach § 7 Abs. 2 Satz 3 FreizügG/EU, nicht jedoch allein die Abschiebung zu einem Einreise- und Aufenthaltsverbot (BVerwG, Urteil vom 25. März 2015 - 1 C 18.14 - Rn. 20). Hat die Abschiebung des Klägers inzwischen kraft Gesetzes kein Einreise- und Aufenthaltsverbot (mehr) zur Folge, ergibt sich hieraus zugleich, dass die vom Regierungspräsidium Stuttgart im Bescheid vom 14. Oktober 2013 ausgesprochene Befristung der Wirkungen der Abschiebung auf den Tag nach erneuter Abschiebung, die vom Kläger nicht angefochten worden ist, keinerlei Rechtswirkungen entfaltet.

20

1.3 Zutreffend ist das Berufungsgericht im Übrigen davon ausgegangen, dass der Kläger wegen möglicher strafrechtlicher Konsequenzen (vgl. § 9 Abs. 2 FreizügG/EU) ein schutzwürdiges Interesse an einer Befristung für bereits vergangene Zeiträume hat.

21

2. Die Klage ist aber unbegründet. Der Kläger hat keinen Anspruch darauf, dass die Wirkungen der gegen ihn verfügten Ausweisung über den 31. Dezember 2016 hinaus befristet werden.

22

2.1 Als Anspruchsgrundlage kommt nur § 7 Abs. 2 Satz 5 FreizügG/EU in seiner - während des Revisionsverfahrens in Kraft getretenen - aktuellen Fassung in Betracht. Danach ist eine Verlustfeststellung nach § 6 Abs. 1 FreizügG/EU bereits mit Erlass von Amts wegen zu befristen. Die Vorschrift gewährt Unionsbürgern einen strikten Rechtsanspruch auf Befristung ("ob"). Dies entspricht der Rechtsprechung des Senats zu § 7 Abs. 2 Satz 2 FreizügG/EU a.F. (BVerwG, Urteil vom 4. September 2007 - 1 C 21.07 - BVerwGE 129, 243 Rn. 18). Nach der gesetzlichen Systematik handelt es sich aber weiterhin bei der Verlustfeststellung und der Befristung ihrer Wirkungen um zwei getrennte Verwaltungsakte. Bei einer nach alter Rechtslage unbefristet ergangenen Verlustfeststellung ist die (nach neuem Recht gebotene) Befristung von Amts wegen nachzuholen. Entsprechendes gilt für eine vor Inkrafttreten des Freizügigkeitsgesetzes gegen einen Unionsbürger unbefristet verfügte Ausweisung (BVerwG, Urteil vom 25. März 2015 - 1 C 18.14 - Rn. 22).

23

a) Nach § 7 Abs. 2 Satz 6 FreizügG/EU ist die Frist unter Berücksichtigung der Umstände des Einzelfalles festzusetzen und darf die Dauer von fünf Jahren nur in den Fällen des § 6 Abs. 1 FreizügG/EU überschreiten. Die neu eingeführte Höchstfrist von fünf Jahren betrifft nur Fälle, in denen nach § 2 Abs. 7 FreizügG/EU festgestellt worden ist, dass ein Recht auf Einreise und Aufenthalt nicht besteht, und dem Betroffenen deshalb nach § 7 Abs. 2 Satz 2 FreizügG/EU untersagt worden ist, erneut in das Bundesgebiet einzureisen und sich darin aufzuhalten. Für Verlustfeststellungen nach § 6 Abs. 1 FreizügG/EU und ihnen gleichzustellende Altausweisungen ist weiterhin keine Höchstfrist vorgesehen. Der Gesetzgeber geht nach der Gesetzesbegründung zum Zuwanderungsgesetz davon aus, dass bei Unionsbürgern ein langfristiger Ausschluss der Wiedereinreise bei fortbestehender Rückfall- bzw. Gefährdungsprognose nicht ausgeschlossen ist (BT-Drs. 15/420 S. 105). Dies gilt auch für die Neufassung der Vorschrift (BVerwG, Urteil vom 25. März 2015 - 1 C 18.14 -Rn. 23).

24

Weitergehende Vorgaben für die Bestimmung der Dauer der Frist ergeben sich auch nicht aus dem Unionsrecht. Der Rechtsprechung des EuGH (Urteil vom 17. Juni 1997 - C-65/95 und C-111/95 [ECLI:EU:C:1997:300], Shingara und Radiom - Rn. 39 ff.) und der Unionsbürgerrichtlinie (vgl. Art. 32 der Richtlinie und die Bezugnahme auf die Rechtsprechung des EuGH im 27. Erwägungsgrund) ist für die Bemessung der Sperrfrist nur die Vorgabe zu entnehmen, dass diese nicht auf Lebenszeit ohne Möglichkeit der Verkürzung festgesetzt werden darf. Dem wird durch die Möglichkeit der nachträglichen Verkürzung in § 7 Abs. 2 Satz 8 FreizügG/EU Rechnung getragen (BVerwG, Urteil vom 25. März 2015 - 1 C 18.14 - Rn. 25).

25

b) Im Übrigen kann angesichts der nach neuer Rechtslage weitgehend unverändert gebliebenen normativen Vorgaben für die Bestimmung der Dauer der Frist zur weiteren Konkretisierung auf die Rechtsprechung des Senats zum Befristungsanspruch nach § 7 Abs. 2 Satz 2 FreizügG/EU a.F. zurückgegriffen werden (BVerwG, Urteil vom 25. März 2015 - 1 C 18.14 - Rn. 26 ff. m.w.N.).

26

Hiernach ist in einem ersten Schritt eine an dem Gewicht des Grundes für die Verlustfeststellung sowie dem mit der Maßnahme verfolgten spezialpräventiven Zweck orientierte äußerste Frist zu bestimmen. Hierzu bedarf es der prognostischen Einschätzung im jeweiligen Einzelfall, wie lange das Verhalten des Betroffenen, das der zu spezialpräventiven Zwecken verfügten Verlustfeststellung zugrunde liegt, das öffentliche Interesse an der Gefahrenabwehr mit Blick auf die im vorliegenden Fall bedeutsame Gefahrenschwelle des § 6 Abs. 1 FreizügG/EU zu tragen vermag. Im Falle einer langfristig fortbestehenden Rückfall- bzw. Gefährdungsprognose ist ein langfristiger Ausschluss der Wiedereinreise nicht ausgeschlossen. Vom gleichen Ansatz ausgehend hat der Senat zum Befristungsanspruch aus § 11 Abs. 1 Satz 3 AufenthG ausgeführt, dass in der Regel ein Zeitraum von maximal zehn Jahren den Zeithorizont darstellt, für den eine Prognose realistischerweise noch gestellt werden kann. Weiter in die Zukunft lässt sich die Persönlichkeitsentwicklung - insbesondere jüngerer Menschen - kaum abschätzen, ohne spekulativ zu werden. Diese Aussage gilt auch für die im Rahmen von § 7 Abs. 2 Satz 5 FreizügG/EU zu treffende Prognose.

27

Die sich an der Erreichung des Zwecks der Verlustfeststellung orientierende äußerste Frist muss sich in einem zweiten Schritt an höherrangigem Recht, d.h. unionsrechtlichen Vorgaben und verfassungsrechtlichen Wertentscheidungen messen und gegebenenfalls relativieren lassen. Dieses normative Korrektiv bietet ein rechtsstaatliches Mittel dafür, fortwirkende einschneidende Folgen des Einreise- und Aufenthaltsverbots für die persönliche Lebensführung des Betroffenen zu begrenzen. Dabei sind insbesondere die in § 6 Abs. 3 FreizügG/EU genannten schutzwürdigen Belange des Unionsbürgers in den Blick zu nehmen. Die Abwägung nach Maßgabe des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit, die auf der Grundlage der Umstände des Einzelfalls nach Gewichtung der jeweiligen Belange vorzunehmen ist, kann im Extremfall auch zu einer Befristung auf den Jetzt-Zeitpunkt führen.

28

c) Im Ergebnis ist das Berufungsgericht zutreffend davon ausgegangen, dass der Ausländerbehörde für die Bestimmung der Länge des Einreise- und Aufenthaltsverbots kein Auswahlermessen zusteht. Bei Befristungen nach § 11 Abs. 1 Satz 3 AufenthG geht der Senat seit dem Inkrafttreten des Richtlinienumsetzungsgesetzes 2011 von einer auch hinsichtlich der Dauer der Frist gebundenen Verwaltungsentscheidung aus, die gerichtlich voll überprüfbar ist (BVerwG, Urteil vom 14. Februar 2012 - 1 C 7.11 - BVerwGE 142, 29 Rn. 33). Diese Rechtsprechung ist nach der Neufassung des § 7 Abs. 2 FreizügG/EU im Dezember 2014 und der durch sie bewirkten Aufwertung der Rechtsstellung des Freizügigkeitsberechtigten angesichts des offenen Wortlauts der Vorschrift auch auf die Fristbemessung der Einreisesperre nach dem Freizügigkeitsgesetz/EU zu übertragen (BVerwG, Urteil vom 25. März 2015 - 1 C 18.14 - Rn. 29).

29

d) Die Rechtsauffassung des Berufungsgerichts, für die Bemessung der Frist nach § 7 Abs. 2 FreizügG/EU gelte eine Höchstfrist von zehn Jahren ab Ausreise, verstößt hingegen gegen Bundesrecht. Der Senat hat bereits zur Befristungsentscheidung nach § 7 Abs. 2 FreizügG/EU a.F. entschieden, dass diese auf der Grundlage der aktuellen Tatsachengrundlage zu treffen und hierbei auch das Verhalten des Betroffenen nach der Ausweisung zu würdigen ist (BVerwG, Urteil vom 4. September 2007 - 1 C 21.07 - BVerwGE 129, 243 Rn. 19). Das Berufungsgericht kann sich zur Stützung seiner Rechtsauffassung nicht auf die Rechtsprechung des Senats zu § 11 Abs. 1 AufenthG berufen, wonach in der Regel ein Zeitraum von maximal zehn Jahren den Zeithorizont darstellt, für den eine Prognose realistischerweise noch gestellt werden kann (so BVerwG, Urteil vom 13. Dezember 2012 - 1 C 14.12 - Buchholz 402.242 § 11 AufenthG Nr. 10 Rn. 14). Denn diese zeitliche Grenze ergibt sich allein aus der begrenzten Prognosefähigkeit und ist daher immer vom Zeitpunkt der Prognoseentscheidung aus zu berechnen. Das verkennt das Berufungsgericht, wenn es die Zehn-Jahres-Frist von dem in der Vergangenheit liegenden Zeitpunkt der Ausreise berechnet und davon ausgeht, dass es nach Fristablauf nicht mehr darauf ankomme, ob der Ausweisungszweck noch fortdauere (BVerwG, Urteil vom 25. März 2015 - 1 C 18.14 - Rn. 31 m.w.N.).

30

e) Das Berufungsurteil verstößt auch insoweit gegen Bundesrecht, als das Berufungsgericht davon ausgeht, dass bei Befristungsentscheidungen nach § 7 Abs. 2 FreizügG/EU nach Ablauf von sechs Monaten ab Antragstellung eingetretene Veränderungen der tatsächlichen Verhältnisse nicht mehr zu Lasten des Ausländers berücksichtigt werden dürften. Nach der Neufassung des § 7 Abs. 2 FreizügG/EU gilt die sechsmonatige Bescheidungsfrist nicht für die erstmalige Befristung (§ 7 Abs. 2 Satz 5 FreizügG/EU), sondern nur für spätere Verkürzungsanträge (§ 7 Abs. 2 Satz 8 FreizügG/EU). Dessen ungeachtet ergeben sich weder aus § 7 Abs. 2 FreizügG/EU noch aus Art. 32 Abs. 1 der Unionsbürgerrichtlinie Anhaltspunkte für eine generelle Rückverlagerung des Prognosezeitpunkts oder - wie vom Berufungsgericht angenommen - für eine Festschreibung der Entscheidungsgrundlagen zugunsten des Unionsbürgers. Insbesondere kann den einschlägigen Bestimmungen nicht entnommen werden, dass es sich bei der 6-Monats-Frist um mehr als eine bloße Bearbeitungsfrist zur effektiven Sicherung des unionsrechtlichen Anspruchs auf erneute Prüfung eines bestehenden Einreiseverbots nach Änderung der maßgeblichen Umstände handelt (BVerwG, Urteil vom 25. März 2015 - 1 C 18.14 - Rn. 35).

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2.2 In Anwendung dieser Grundsätze hat der Kläger keinen Anspruch darauf, dass die Wirkungen der Ausweisung weiter befristet werden. Die vom Regierungspräsidium im angegriffenen Bescheid ausgesprochene Befristung auf den 31. Dezember 2016 entspricht im maßgeblichen Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung vor dem Berufungsgericht einer Frist von zwei Jahren, acht Monaten und einem Tag. Diese Frist ist jedenfalls nicht zu Lasten des Klägers zu beanstanden.

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Dem Berufungsurteil ist mit Blick auf die auf der ersten Stufe gebotene Prognoseentscheidung zu entnehmen, dass vom Kläger weiterhin eine schwerwiegende Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung ausgeht. Es fehlen zwar konkrete Feststellungen zur voraussichtlichen Dauer dieser Gefahr. Auch mit Blick auf eine mögliche normative Korrektur auf der zweiten Stufe hat das Berufungsgericht keine abschließenden Feststellungen zu den privaten Interessen des Klägers an einem (weiteren) Aufenthalt in Deutschland getroffen. Nach Aktenlage lagen allerdings für die auf der ersten Stufe gebotene Prognoseentscheidung keine Anhaltspunkte für eine in absehbarer Zeit zu erwartende nachhaltige Verhaltensänderung beim Kläger vor. Weder die Verhängung mehrjähriger Freiheitsstrafen noch die gegen den Kläger ergriffenen aufenthaltsbeendenden Maßnahmen konnten ihn davon abhalten, nach seiner unerlaubten Einreise in das Bundesgebiet erneut Straftaten zu begehen. Dies spricht auf der ersten Stufe für eine langfristig fortbestehende Rückfall- bzw. Gefährdungsprognose des Klägers, der sich im maßgeblichen Zeitpunkt der Berufungsentscheidung weiterhin in Strafhaft befand. Bei dieser Ausgangslage vermögen auch die von ihm - im Rahmen seiner Mitwirkungspflicht nach § 82 Abs. 1 AufenthG i.V.m. § 11 Abs. 2 FreizügG/EU - geltend gemachten und auf der zweiten Stufe zu berücksichtigenden privaten Interessen eine Reduzierung der vom Regierungspräsidium festgesetzten Frist nicht zu rechtfertigen. Auch wenn zu Gunsten des Klägers in die Abwägung eingestellt wird, dass er 1981 mit 13 Jahren in das Bundesgebiet eingereist ist, nach seinen Angaben im Berufungsverfahren hier seine italienische Verlobte und seine erwachsene Tochter leben und es ihm letztlich nicht gelungen ist, sich nach seiner Abschiebung in Italien dauerhaft eine eigene Existenz aufzubauen, wiegen diese privaten Belange nicht so schwer, dass unter Verhältnismäßigkeitsgesichtspunkten trotz fortdauernder Gefährlichkeit und einer nicht absehbaren nachhaltigen Verhaltensänderung eine weitergehende Verkürzung der Frist geboten wäre. Dabei ist mit Blick auf die effektive Dauer des Einreise- und Aufenthaltsverbots im maßgeblichen Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung vor dem Berufungsgericht von über 14 Jahren und den Umstand, dass nach der Neuregelung des § 7 Abs. 2 FreizügG/EU die Befristung inzwischen zusammen mit der Verlustfeststellung zu treffen ist, auch zu berücksichtigen, dass - entgegen der Rechtsauffassung des Berufungsgerichts - bei fortbestehender Gefährdung, jedenfalls bei Vorliegen der für eine Verlustfeststellung erforderlichen Gefahrenlage, eine einmal getroffene Befristung von der Ausländerbehörde auch nachträglich zu Lasten des Unionsbürgers verlängert werden kann (BVerwG, Urteil vom 25. März 2015 - 1 C 18.14 - Rn. 32); umgekehrt hat der Kläger bei einer zukünftigen Veränderung der tatsächlichen Umstände zu seinen Gunsten nach Maßgabe des § 7 Abs. 2 Satz 8 FreizügG/EU einen Anspruch auf Aufhebung oder Verkürzung der festgesetzten Frist.

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Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1, § 155 Abs. 1 VwGO.

Streitwertbeschluss:

Der Wert des Streitgegenstands wird für das Revisionsverfahren auf 5 000 € festgesetzt (§ 47 Abs. 1 i.V.m. § 52 Abs. 2 GKG).

Prof. Dr. Berlit

Prof. Dr. Dörig

Prof. Dr. Kraft

Fricke

Dr. Rudolph

Verkündet am 28. April 2015

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