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Bundesverwaltungsgericht
Beschl. v. 06.05.2013, Az.: BVerwG 20 F 12.12
Geltendmachen des Zugang zu den Dienstanweisungen für die Sachbearbeiter-Asyl und den Dienstanweisungen zu den Herkunftsländern (sogenannte Herkunftsländer-Leitsätze) im selbständigen Zwischenverfahren
Gericht: BVerwG
Entscheidungsform: Beschluss
Datum: 06.05.2013
Referenz: JurionRS 2013, 36646
Aktenzeichen: BVerwG 20 F 12.12
ECLI: [keine Angabe]

Rechtsgrundlagen:

§ 3 Nr. 4 Alt. 2 IFG

§ 99 Abs. 2 S. 1 VwGO

BVerwG, 06.05.2013 - BVerwG 20 F 12.12

In der Verwaltungsstreitsache
hat der Fachsenat des Bundesverwaltungsgerichts für Entscheidungen nach § 99 Abs. 2 VwGO
am 6. Mai 2013
durch
den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht Neumann,
die Richterin am Bundesverwaltungsgericht Dr. Bumke und
den Richter am Bundesverwaltungsgericht Brandt
beschlossen:

Tenor:

Der Antrag der Klägerin wird abgelehnt.

Gründe

I

1

Die Klägerin ist eine im Vereinsregister eingetragene bundesweit tätige Arbeitsgemeinschaft für Flüchtlinge. In dem Verfahren, das diesem Zwischenverfahren zugrunde liegt, begehrt sie auf der Grundlage des Informationsfreiheitsgesetzes des Bundes von der Beklagten, vertreten durch das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge, Zugang zu den Dienstanweisungen für die Sachbearbeiter-Asyl und den Dienstanweisungen zu den Herkunftsländern (sogenannte Herkunftsländer-Leitsätze). Diese hat das Bundesamt zum Zwecke einer einheitlichen Entscheidungspraxis angelegt.

2

Das Verwaltungsgericht wies die Klage der Klägerin mit der Begründung ab, es liege ein Ausschlussgrund nach § 3 Nr. 4 Alt. 2 IFG vor (Urteil vom 22. Januar 2008 - AN 4 K 07.01333 -). Im Berufungsverfahren forderte der Verwaltungsgerichtshof die Beklagte auf, die Herkunftsländer-Leitsätze vorzulegen. Der Beigeladene gab daraufhin eine Sperrerklärung ab und begründete das Interesse an der Geheimhaltung damit, es lägen Ausschlussgründe gemäß § 3 Nr. 1 Buchst. a, Nr. 4 und Nr. 7 IFG vor. Auf den Antrag der Klägerin hat der Fachsenat des Bundesverwaltungsgerichts festgestellt, dass die Verweigerung der Aktenvorlage durch den Beigeladenen rechtswidrig war (Beschluss vom 18. April 2012 -BVerwG 20 F 7.11 - NVwZ 2012, 1488).

3

Der Verwaltungsgerichtshof gab in dem fortgesetzten Berufungsverfahren der Beklagten durch Beschluss vom 25. September 2012 auf, alle Herkunftsländer-Leitsätze in der aktuell verfügbaren Fassung vorzulegen. Die Beklagte legte daraufhin teilweise geschwärzte Herkunftsländer-Leitsätze zu bestimmten Herkunftsländern vor. Im Übrigen gab der Beigeladene eine erneute Sperrerklärung gemäß § 99 Abs. 2 Satz 1 VwGO ab. In ihr umschrieb er bezogen jeweils auf die geschwärzten Passagen der Herkunftsländer-Leitsätze deren Inhalt und machte insoweit Ausschlussgründe gemäß § 3 Nr. 1 Buchst. a, Nr. 4 Alt. 2 oder Nr. 7 IFG geltend.

4

Auf Antrag der Klägerin hat der Verwaltungsgerichtshof durch Beschluss vom 14. November 2012 die Sache dem Fachsenat des Bundesverwaltungsgerichts vorgelegt: Zur Überprüfung der geltend gemachten Geheimhaltungsgründe und damit zur Entscheidung des Rechtsstreits über den Informationsanspruch nach dem Informationsfreiheitsgesetz sei die Vorlage der vollständigen und ungeschwärzten Herkunftsländer-Leitsätze erforderlich. In der Sperrerklärung des Beigeladenen seien die geschwärzten Textpassagen derart pauschal umschrieben, dass die behaupteten Ausschlussgründe nach dem Informationsfreiheitsgesetz nicht konkret für die jeweiligen geschwärzten Textpassagen überprüft werden könnten.

II

5

Der Antrag der Klägerin, die Rechtswidrigkeit der Sperrerklärung des Beigeladenen festzustellen, ist - derzeit - unzulässig und war deshalb abzulehnen. Der Antrag eines Verfahrensbeteiligten gemäß § 99 Abs. 2 Satz 1 VwGO auf Entscheidung des Fachsenats im selbständigen Zwischenverfahren, ob die Verweigerung der Vorlage der in Rede stehenden Unterlagen rechtmäßig ist, setzt voraus, dass das Gericht der Hauptsache deren Entscheidungserheblichkeit ordnungsgemäß bejaht hat. Daran fehlt es derzeit.

6

1. a) Das Gericht der Hauptsache hat in der Regel zur ordnungsgemäßen Verlautbarung der Entscheidungserheblichkeit der angeforderten Unterlagen einen förmlichen Beweisbeschluss zu erlassen. Je nach Fallkonstellation darf es sich dabei allerdings nicht in formelhafter Weise allein auf die Angabe des Beweisthemas und der als entscheidungserheblich erachteten Aktenteile (Beweismittel) beschränken, sondern muss in den Gründen des Beschlusses zur Entscheidungserheblichkeit im konkreten Fall - sei es mit Blick auf die Zulässigkeit des Rechtsschutzbegehrens, sei es unter Darlegung der materiell-rechtlichen Voraussetzungen des geltend gemachten Anspruchs sowie der fachgesetzlichen Ablehnungsgründe - Stellung nehmen (Beschlüsse vom 24. November 2003 - BVerwG 20 F 13.03 - BVerwGE 119, 229 <230 f.> und vom 15. März 2013 - BVerwG 20 F 8.12 - Rn. 11). Hat das Gericht der Hauptsache die Entscheidungserheblichkeit in einem Beschluss geprüft und bejaht, ist der Fachsenat grundsätzlich an dessen Rechtsauffassung gebunden. Eine andere Beurteilung durch den Fachsenat kommt nur dann in Betracht, wenn die Rechtsauffassung des Gerichts der Hauptsache offensichtlich fehlerhaft ist. Eine Bindungswirkung entfällt auch dann, wenn das Gericht der Hauptsache seiner Verpflichtung nicht genügt, die ihm nach dem Grundsatz der Amtsermittlung zur Verfügung stehenden Mittel zur Aufklärung des Sachverhalts zu erschöpfen, um auf dieser Grundlage über die Erforderlichkeit der Aktenvorlage zu entscheiden (Beschlüsse vom 22. Juli 2010 - BVerwG 20 F 11.10 - BVerwGE 137, 318 Rn. 7 und vom 15. März 2013 - BVerwG 20 F 8.12 - Rn. 11).

7

b) Ist ein Anspruch auf Informationszugang Streitgegenstand des Verfahrens vor dem Gericht der Hauptsache, folgt daraus nicht zwingend, dass es für eine Sachentscheidung der Einsicht in die zurückgehaltenen Akten bedarf. Solche Streitigkeiten führen nicht gleichsam automatisch zu einem Verfahren vor dem Fachsenat. Das gilt zunächst hinsichtlich prozeduraler Geheimhaltungsgründe, die sich aus dem jeweiligen den Informationszugang regelnden Fachgesetz ergeben und die - unabhängig vom Inhalt der Akten - darauf zielen, die Art und Weise des Zustandekommens behördlicher Akten und Unterlagen zu schützen, mithin dem Schutz des behördlichen Entscheidungsprozesses dienen. Ebenso kann es Fallgestaltungen geben, bei denen es für die Feststellung materieller Geheimhaltungsgründe auf die Kenntnis des konkreten Akteninhalts nicht ankommt (Beschlüsse vom 31. August 2009 - BVerwG 20 F 10.08 - Buchholz 310 § 99 VwGO Nr. 55 Rn. 4 und vom 15. März 2013 - BVerwG 20 F 8.12 - Rn. 12). Ob es zur Beurteilung des Geheimhaltungsbedarfs als Erkenntnishilfe der streitigen Akten bedarf, kann neben dem Zuschnitt der Geheimhaltungsgründe auch davon abhängen, ob der Akteninhalt seinem Gegenstand nach unstreitig ist und auf dieser Grundlage über die fachgesetzlichen Geheimhaltungsgründe entschieden werden kann (Beschluss vom 2. November 2010 - BVerwG 20 F 2.10 - Buchholz 310 § 99 VwGO Nr. 61 Rn. 13).

8

c) Hat das Gericht der Hauptsache zwar zunächst in einem Beweisbeschluss in ausreichender Weise die Entscheidungserheblichkeit der angeforderten Unterlagen verlautbart, kann es aber unter Umständen verpflichtet sein, die Entscheidungserheblichkeit aller oder einzelner Unterlagen nach Abgabe der Sperrerklärung nochmals zu überprüfen. Ist erst in der Sperrerklärung der Inhalt der angeforderten Unterlagen inhaltlich jedenfalls stichwortartig näher beschrieben worden, folgt aus der durch § 99 VwGO vorgegebenen Aufgabenverteilung zwischen dem Fachsenat und dem Gericht der Hauptsache, dass zunächst das zur Sachentscheidung berufene Gericht der Hauptsache zu prüfen und förmlich darüber zu befinden hat, ob es die im Verfahren aufgeworfenen Rechtsfragen ohne Einsichtnahme in die angeforderten Unterlagen auf der Grundlage der abstrakten Umschreibung ihres Inhalts beantworten kann (Beschlüsse vom 13. April 2011 - BVerwG 20 F 25.10 - [...] Rn. 9 f. und vom 3. Juli 2012 - BVerwG 20 F 12.11 - [...] Rn. 12).

9

2. Gemessen hieran hat der Verwaltungsgerichtshof nicht ausreichend dargelegt, dass die Herausgabe der vollständigen und ungeschwärzten Herkunftsländer-Leitsätze erforderlich ist, um beurteilen zu können, ob dem geltend gemachten Informationsanspruch der Klägerin Ausschlussgründe nach § 3 Nr. 1 Buchst. a, Nr. 4 Alt. 2 oder Nr. 7 IFG entgegenstehen. Zwar hat der Verwaltungsgerichtshof nach Vorlage der Sperrerklärung in seinem Beschluss vom 14. November 2012 eine ergänzende Begründung gegeben, in der nun auch (hilfsweise) Bezug genommen wird auf die fachgesetzlichen Ausschlussgründe. Auch sie macht aber für den Fachsenat die Entscheidungserheblichkeit der vollständigen und ungeschwärzten Herkunftsländer-Leitsätze nicht nachvollziehbar.

10

Das Verwaltungsgericht hat (hilfsweise) angenommen, der fachgesetzliche Ausschlussgrund des § 3 Nr. 4 Alt. 2 IFG liege vor, soweit Herkunftsländer-Leitsätze materiell zu Recht als Verschlusssache eingestuft seien, und dies sei der Fall, wenn ihre Bekanntgabe die Integrität der beim Bundesamt zu führenden Verwaltungsverfahren, nämlich eine an objektiven Kriterien orientierte sachgerechte Entscheidungspraxis, beeinträchtige, weil eine solche Bekanntgabe es Asylbewerbern ermögliche, ihr Aussageverhalten entsprechend anzupassen und sich Legenden zurechtzulegen, um einen für sie günstigeren Verfahrensausgang wahrscheinlicher zu machen. Von dieser Auslegung des Verwaltungsgerichts ausgehend, die jedenfalls nicht offensichtlich fehlerhaft ist (vgl. insoweit auch Urteil vom 29. Oktober 2009 - BVerwG 7 C 21.08 - Buchholz 400 IFG Nr. 2 Rn. 27 f.), ist es nicht von vornherein von der Hand zu weisen, dass bereits die stichwortartige Umschreibung des Inhalts eines Herkunftsländer-Leitsatzes den Schluss auf das Vorliegen des fachgesetzlichen Ausschlussgrundes nach § 3 Nr. 4 Alt. 2 IFG zulässt, ohne dass es notwendig wäre, den betreffenden Herkunftsländer-Leitsatz selbst einzusehen. Kann der Gebrauch offengelegter Teile der Herkunftsländer-Leitsätze, um daraus eine sogenannte Verfolgungslegende zu entwickeln, den fachgesetzlichen Ausschlussgrund des § 3 Nr. 4 Alt. 2 IFG erfüllen, liegt nicht fern, dass hierfür Hinweise an die Entscheider zu typischen asylrechtsrelevanten Sachverhalten nebst Beispielen verwendet werden können, wie sie nach den Angaben des Beigeladenen in den geschwärzten Teilen der Herkunftsländer-Leitsätze nicht selten enthalten sind. Angesichts dessen reicht die pauschale Behauptung des Verwaltungsgerichtshofs nicht aus, ohne Kenntnis der ungeschwärzten Passagen der Herkunftsländer-Leitsätze könne nicht nachvollzogen werden, ob deren Einstufung als Verschlusssache materiell gerechtfertigt sei. Der Verwaltungsgerichtshof hat sich nicht dazu geäußert, wie er den fachgesetzlichen Ausschlussgrund des § 3 Nr. 4 Alt. 2 IFG auslegt und wieso und in welchen Fällen von seinem Verständnis des Ausschlussgrundes aus zu dessen abschließender Beurteilung mehr als nur die jeweils gegebenen Hinweise auf den konkreten Inhalt der Leitsätze erforderlich ist.

11

Im Ergebnis nichts anderes gilt für die Frage, ob die inhaltliche Umschreibung geschwärzter Passagen in den Herkunftsländer-Leitsätzen für die Feststellung ausreicht, dass ihre Bekanntgabe nachteilige Auswirkungen auf internationale Beziehungen haben kann und dadurch der fachgesetzliche Ausschlussgrund des § 3 Nr. 1 Buchst. a IFG erfüllt wird. Dies kommt nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts etwa dann in Betracht, wenn der Bundesregierung zurechenbare negative Bewertungen von Entwicklungen und Verhältnissen in anderen Staaten nach der Einschätzung der Bundesregierung die Beziehungen zu diesen Staaten in einer unerwünschten Weise trüben kann (Urteil vom 29. Oktober 2009 - BVerwG 7 C 22.08 - Buchholz 400 IFG Nr. 1). Nach den Erläuterungen in der Sperrerklärung haben die geschwärzten Passagen vielfach solche Einschätzungen konkreter Verhältnisse und Entwicklungen in anderen Ländern zum Gegenstand, zu denen die Bundesrepublik Deutschland Beziehungen unterhält. Damit ist wiederum nicht ausgeschlossen, dass diese Angaben in der Sperrerklärung für eine abschließende Beurteilung des fachgesetzlichen Ausschlussgrundes ausreichen könnten.

12

Es ist Sache des Verwaltungsgerichtshofs als Gericht der Hauptsache, mit Blick auf die von ihm auszulegenden und anzuwendenden fachgesetzlichen Ausschlussgründe nach dem Informationsfreiheitsgesetz die umfangreichen Angaben des Beigeladenen in seiner Sperrerklärung zu sichten und zu würdigen. Hingegen kann nicht der Fachsenat wegen einer nur möglichen Entscheidungserheblichkeit einzelner bisher geschwärzter Passagen in eine umfassende Prüfung eintreten, ob die von ihm zu beurteilenden Gründe nach § 99 Abs. 2 VwGO einer Vorlage der vollständigen und ungeschwärzten Herkunftsländer-Leitsätze entgegenstehen.

Neumann

Brandt

Dr. Bumke

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