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Bundesverwaltungsgericht
Beschl. v. 22.06.2010, Az.: BVerwG 1 WB 43.09
Allgemeine Kriterien zur Abgrenzung einer Kommandierung von einer Dienstreise; Inbetrachtkommen einer ausnahmsweisen Gewährung des Auslandsverwendungszuschlags ohne Zugehörigkeit zu einem Verband, einer Einheit oder einer Gruppe
Gericht: BVerwG
Entscheidungsform: Beschluss
Datum: 22.06.2010
Referenz: JurionRS 2010, 20470
Aktenzeichen: BVerwG 1 WB 43.09
ECLI: [keine Angabe]

Rechtsgrundlagen:

§ 21 Abs. 1 WBO

§ 1 S. 1 AuslVZV

BVerwG, 22.06.2010 - BVerwG 1 WB 43.09

Redaktioneller Leitsatz:

  1. 1.

    Die Anordnung einer Dienstreise kann rückwirkend in eine Kommandierung umgewandelt werden. Ist kein Unterstellungswechsel erfolgt, ist die Umwandlung nur in Form der (ausnahmsweisen) Kommandierung ohne Unterstellungswechsel möglich.

  2. 2.

    Der Zuschlag nach § 1 S.z 1 der Auslandsverwendungszuschlagsverordnung (AuslVZV) setzt bei Soldaten die Zugehörigkeit zu einer geschlossenen militärischen Einheit (im weiteren Sinne) voraus. Die Kommandierung ohne Unterstellungswechsel führt nicht zu einer vollständigen Integration in die Einheit.

  3. 3.

    Wenn die Erledigung der Hauptsache bereits vor Stellung des Antrags auf gerichtliche Entscheidung eingetreten ist und sich der Antragsteller auf die Absicht bezieht, einen Schadensersatzanspruch geltend zu machen, hat das für die Schadensersatzklage zuständige allgemeine Verwaltungsgericht oder Zivilgericht über sämtliche den Anspruch betreffenden Rechtsfragen in eigener Zuständigkeit zu befinden. Für die Fortsetzung des Wehrbeschwerdeverfahrens mit einem Feststellungsantrag vor dem Wehrdienstgericht fehlt in diesem Falle das Feststellungsinteresse.

In dem Wehrbeschwerdeverfahren
...
hat der 1. Wehrdienstsenat des Bundesverwaltungsgerichts
durch
die Richterin am Bundesverwaltungsgericht Dr. Frentz als Vorsitzende,
den Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. Langer,
den Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. Burmeister,
den ehrenamtlichen Richter Oberstleutnant i.G. Muermans und
den ehrenamtlichen Richter Hauptmann Wagner
am 22. Juni 2010
beschlossen:

Tenor:

Der Antrag wird als unzulässig verworfen.

Gründe

I

1

Der Antragsteller wendet sich gegen die Anordnung einer Auslandsdienstreise und begehrt stattdessen eine entsprechende nachträgliche Kommandierung.

2

Der 1957 geborene Antragsteller ist Berufssoldat; seine Dienstzeit endet voraussichtlich mit Ablauf des 30. November 2012. Zum Hauptmann wurde er am 1. Dezember 1995 ernannt. Derzeit wird er in der ...-Abteilung der ... Panzerdivision in S. verwendet.

3

Der Antragsteller war vom 2. bis 20. Juni 2009 im Rahmen einer Erkundung zur Einführung des Führungsinformationssystems des Heeres bei ISAF in Afghani-stan (Mazar-e-Sharif, Kunduz und Feyzabad) eingesetzt. Der Einsatz erfolgte im Wege der Dienstreise, die der Chef des Stabes des Führungsstabes des Heeres im Auftrag des Bundesministeriums der Verteidigung unter dem 26. Mai 2009 anordnete. Auftrag und Zusammensetzung des Erkundungskommandos ergeben sich aus dem "Befehl für die 2. Erkundung zur Einführung des Führungsinformationssystems des Heeres bei ISAF" des Heeresführungskommandos vom 20. Mai 2009. Diesem Befehl gingen ein "Befehl Nr. 1 zur Vorbereitung der Einführung des Führungsinformationssystems des Heeres bei ISAF in 2010" vom 23. März 2009 und ein "Vorbefehl für die 2. Erkundung zur Einführung des Führungsinformationssystems des Heeres bei ISAF" vom 9. April 2009 voraus. Alle drei Befehle sehen in ihren Verwaltungsbestimmungen vor, dass die Teilnehmer an der Erkundung "im Wege der Dienstreise ein Besonderes Dienstgeschäft der Bundeswehr" leisten.

4

Nach seiner Rückkehr aus dem Einsatzland legte der Antragsteller mit Schreiben vom 21. Juni 2009 eine "Beschwerde wegen ungleicher Behandlung von Dienstleistenden bei ISAF" ein. Der Bundesminister der Verteidigung - PSZ I 7 - wertete die Beschwerde als Antrag auf gerichtliche Entscheidung und legte diesen mit seiner Stellungnahme vom 4. August 2009 dem Senat vor.

5

Zur Begründung trägt der Antragsteller insbesondere vor:

Seine Beschwer liege in erster Linie in der Durchführung der Erkundung als Dienstreise und nicht als Kommandierung. Während des Einsatzes sei er zwar nicht Angehöriger des Kontingents gewesen, habe aber für die Kontingente 22 und folgende eine wichtige und aufwändige Arbeitsleistung erbracht. Im Vorfeld und während der Dienstreise habe er denselben Bedingungen wie die Kontingentangehörigen unterlegen. Das umfasse z.B. die Untersuchung zur Feststellung der Auslandsverwendungsfähigkeit, das komplette Impfprogramm, die Malariaprophylaxe, das gleiche Sicherheitsrisiko vor Ort, eine ständige Bewaffnung mit Lang- und Kurzwaffe und einer erheblichen Menge an Munition, das teilweise Tragen der schweren Schutzausrüstung und die Unterbringung in ungehärteten Zelten. Aufgabenbedingt sei er mit Flügen an die Standorte Mazar-e-Sharif, Kunduz und Feyzabad im ganzen RC NORTH unterwegs gewesen. Als Dienstreisender habe er jedoch erst ab dem 14. Tag einen Anspruch auf Auslandsverwendungszuschlag. Während Kontingentangehörige ab dem 1. Tag 110 EUR pro Tag erhielten, stünden Dienstreisenden wegen der Kürzung aufgrund freier Unterbringung und Verpflegung insoweit nur 3,50 EUR pro Tag zu. Seine Beschwerde gründe sich auch darauf, dass die zeitgleich mit dem Erkundungskommando eingetroffenen drei Soldaten des Einsatzführungskommandos, die das Führungsinformationssystem der Streitkräfte wieder zum Laufen hätten bringen sollen, auf Kommandierungsbasis - mindestens drei Tage kürzer, aber wegen des anderen Status trotzdem mit vollem Auslandsverwendungszuschlag - vor Ort gewesen seien. Da das Erkundungskommando mit einer Stärke von 15 Soldaten die Kontingentobergrenze nicht überschritten hätte, wäre eine Kommandierung auf temporäre oder offene Dienstposten sicherlich möglich gewesen. Eine kurzzeitige Kommandierung mit Herauslösung aus dem bisherigen Unterstellungsverhältnis werde in aller Regel ohnehin nur pro forma erstellt; der Wechsel der disziplinaren Unterstellung sei real nicht spürbar. Auch hinsichtlich der Tätigkeit sei die Unterscheidung zwischen Dienstreise und Kommandierung nicht zu rechtfertigen. Eine Beschränkung auf eine Einzeltätigkeit sei nicht erkennbar, da die Einführung des neuen, deutlich erweiterten Führungssystems vielschichtig sei. Auch die bei der Erkundung gewonnenen Erkenntnisse über den schlechten Zustand des abzulösenden FAUST-Systems und den verbesserungswürdigen Ausbildungsstand in der Handhabung von Führungsmitteln sowie die Erteilung von technischen Tipps bei der Nutzung von VHF-Funk und von Anregungen zur Verbesserung der Informationsbeziehungen ließen eine Zuordnung auf eine abgrenzbare Tätigkeit nicht zu.

6

Der Bundesminister der Verteidigung beantragt,

den Antrag zurückzuweisen.

7

Der Antrag sei unzulässig. Da der Reisezeitraum verstrichen sei, könne der Antragsteller nur die Feststellung begehren, dass die Anordnung einer Dienstreise rechtswidrig gewesen sei und stattdessen eine Kommandierung zu verfügen gewesen wäre. Hierfür fehle jedoch das Feststellungsinteresse. Insbesondere sei eine Wiederholungsgefahr weder vorgetragen noch sonst ersichtlich.

8

Der Antrag sei im Übrigen auch unbegründet. Nach den allgemeinen Kriterien zur Abgrenzung einer Kommandierung von einer Dienstreise sei zu Recht eine Dienstreise angeordnet worden. Die Aufgaben des Antragstellers hätten sich nicht darauf bezogen, eine Erkundung für das jeweilige Einsatzkontingent vorzunehmen, sondern ausschließlich darauf, wie das Führungsinformationssystem des Heeres zukünftig bei ISAF implementiert werden könne. Dies sei keine allgemeine Aufgabe, die dem jeweiligen Einsatzkontingent zuzuordnen gewesen sei, sondern eine einzeln abgrenzbare Tätigkeit, die die ... Panzerdivision als Dienststelle des Antragstellers zu erfüllen habe. Das ergebe sich auch aus der Festlegung der jeweiligen Federführung in den dem Einsatz zugrundeliegenden Befehlen. Es treffe zu, dass Soldaten auf der Grundlage eines Befehls des Einsatzführungskommandos vom 20. Mai 2009 in das Einsatzland kommandiert worden seien. Diese hätten jedoch nicht wie der Antragsteller an einer Erkundung zur Einführung des Führungsinformationssystems des Heeres teilgenommen, sondern seien zur Beseitigung von Störungen bei der operationellen Nutzung des bereits eingeführten und verwendeten Führungsinformationssystems der Streitkräfte eingesetzt worden; dies stelle eine Tätigkeit dar, die unmittelbar mit der Aufgabe des Kontingents im Zusammenhang stehe.

9

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts wird auf den Inhalt der Akten Bezug genommen. Die Beschwerdeakte des Bundesministers der Verteidigung - PSZ I 7 - Az.: ... - und die Personalgrundakte des Antragstellers, Hauptteile A bis C haben dem Senat bei der Beratung vorgelegen.

II

10

Der Antrag auf gerichtliche Entscheidung ist unzulässig.

11

Der Bundesminister der Verteidigung - PSZ I 7 - hat die Beschwerde des Antragstellers gegen die vom Chef des Stabes des Führungsstabes des Heeres im Auftrag des Bundesministeriums der Verteidigung am 26. Mai 2009 getroffene Dienstreiseanordnung zutreffend als Antrag auf gerichtliche Entscheidung gewertet (§ 21 Abs. 1 WBO).

12

1.

Der Antragsteller hat keinen bestimmten Sachantrag gestellt. Soweit sein Vorbringen dahin zu verstehen ist, dass es ihm um die Aufhebung der Dienstreiseanordnung und eine entsprechende nachträgliche Kommandierung in das Einsatzland geht, hat sich dieses Verpflichtungsbegehren durch Ablauf des Verwendungszeitraums erledigt.

13

Zwar ist dem Senat aus Mitteilungen des Bundesministers der Verteidigung - PSZ I 7 - in anderen Wehrbeschwerdeverfahren bekannt, dass es grundsätzlich möglich ist, die Anordnung einer Dienstreise rückwirkend in eine Kommandierung umzuwandeln, allerdings wegen des tatsächlich nicht erfolgten Unterstellungswechsels nur in Form einer (ausnahmsweisen) Kommandierung ohne Unterstellungswechsel. Damit wäre dem Antragsteller aber nicht gedient, weil er einerseits die nachträgliche Kommandierung nur aus dem Grund wünscht, doch noch den Auslandsverwendungszuschlag zu erhalten, und weil andererseits der Zuschlag nach § 1 Satz 1 der Auslandsverwendungszuschlagsverordnung (AuslVZV) i.d.F. der Bek. vom 8. April 2009 (BGBl. I S. 809) regelmäßig nur bei Verwendungen in einem Verband, einer Einheit oder Gruppe sowie im polizeilichen Einzeldienst gezahlt wird. Die Gewährung des Zuschlags setzt also, wie auch die Formulierung "im polizeilichen Einzeldienst" deutlich macht, bei Soldaten die Zugehörigkeit zu einer geschlossenen militärischen Einheit (im weiteren Sinne) voraus. Die Kommandierung ohne Unterstellungswechsel führt aber nicht zu einer vollständigen Integration in die Einheit, zu der die Kommandierung erfolgt, so dass die Voraussetzungen für die letztlich begehrte Gewährung des Auslandsverwendungszuschlags nicht erfüllt wären (vgl. auch Plog/Wiedow/Schmidt, BBG, Stand April 2010, § 58a BBesG Rn. 5). Die ausnahmsweise Gewährung des Auslandsverwendungszuschlags ohne Zugehörigkeit zu einem Verband, einer Einheit oder einer Gruppe, wie sie in § 1 Satz 2 AuslVZV geregelt ist, kommt hier nicht in Betracht.

14

2.

Der Antrag auf gerichtliche Entscheidung ist aber auch als Feststellungsantrag unzulässig, weil es an dem erforderlichen Feststellungsinteresse des Antragstellers fehlt (§ 19 Abs. 1 Satz 3 WBO).

15

Hat sich eine truppendienstliche Maßnahme, die keinen Befehl im Sinne von § 2 Nr. 2 WStG darstellt, vor der gerichtlichen Entscheidung erledigt, so entscheidet das Wehrdienstgericht gemäß § 19 Abs. 1 Satz 3 WBO, ob die Maßnahme rechtswidrig gewesen ist, wenn der Antragsteller ein berechtigtes Interesse an dieser Feststellung hat. Ein solcher Antrag ist nach der ständigen Rechtsprechung des Senats (vgl. z.B. Beschluss vom 8. August 2007 - BVerwG 1 WB 8.07 -) in entsprechender Anwendung der Vorschrift grundsätzlich auch dann zulässig, wenn sich - wie hier - das Begehren bereits vor Stellung des Antrags auf gerichtliche Entscheidung erledigt hat. § 19 Abs. 1 Satz 3 WBO in der seit dem 1. Februar 2009 geltenden Fassung (Bekanntmachung vom 22. Januar 2009, BGBl. I S. 81) verlangt hierfür von dem jeweiligen Antragsteller nicht mehr die förmliche Stellung eines Feststellungsantrags. Der Antragsteller muss aber - weiterhin - das erforderliche Feststellungsinteresse substanziiert geltend machen (vgl. Beschluss vom 25. März 2010 - BVerwG 1 WB 42.09 - [...] Rn. 19 <zur Veröffentlichung in Buchholz vorgesehen>).

16

Das berechtigte Interesse an der Feststellung kann sich aus einem Rehabilitierungsinteresse, aus einer Wiederholungsgefahr oder aus der Absicht ergeben, einen Schadensersatzanspruch geltend zu machen, sofern dieser nicht von vornherein als aussichtslos erscheint. Zusätzlich kommt ein berechtigtes Feststellungsinteresse in Betracht, wenn die erledigte Maßnahme eine fortdauernde faktische Grundrechtsbeeinträchtigung nach sich zieht (stRspr, vgl. z.B. Beschluss vom 24. März 2009 - BVerwG 1 WB 46.08 - Buchholz 449 § 3 SG Nr. 52 m.w.N.). Allerdings hat, wenn - wie hier - die Erledigung der Hauptsache bereits vor Stellung des Antrags auf gerichtliche Entscheidung eingetreten ist und sich der Antragsteller auf die Absicht bezieht, einen Schadensersatzanspruch geltend zu machen, das für die Schadensersatzklage zuständige allgemeine Verwaltungsgericht oder Zivilgericht über sämtliche den Anspruch betreffenden Rechtsfragen in eigener Zuständigkeit zu befinden; für die Fortsetzung des Wehrbeschwerdeverfahrens mit einem Feststellungsantrag vor dem Wehrdienstgericht fehlt in diesem Falle das Feststellungsinteresse (stRspr, vgl. Beschluss vom 8. August 2007 - BVerwG 1 WB 8.07 - m.w.N.).

17

Der Antragsteller hat zu einem möglichen Feststellungsinteresse, auch auf die entsprechenden Einwände des Bundesministers der Verteidigung - PSZ I 7 - gegen die Zulässigkeit des Antrags hin, nichts vorgetragen. Hinsichtlich einer Wiederholungsgefahr hat er mit Schreiben vom 19. Oktober 2009 vielmehr erklärt, dass er davon ausgehe, in Zukunft nicht mehr selbst betroffen zu sein, weil alle weiteren Aktivitäten in Sachen Führungsinformationssystem Heer auf der Basis von Kommandierungen vorgesehen seien. Gesichtspunkte, die für ein Feststellungsinteresse im vorliegenden Wehrbeschwerdeverfahren sprächen, sind für den Senat auch sonst nicht ersichtlich.

18

3.

Dem Antragsteller sind keine Kosten des Verfahrens aufzuerlegen, weil die Voraussetzungen des § 20 Abs. 2 i.V.m. § 21 Abs. 2 Satz 1 WBO nicht vorliegen.

Dr. Frentz
Dr. Langer
Dr. Burmeister

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