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Bundesverwaltungsgericht
Beschl. v. 15.12.2009, Az.: BVerwG 1 W 58.09
Sicherheitsrisiko eines Soldaten durch dessen finanzielle Schwierigkeiten; Rechtmäßigkeit der Feststellung eines Sicherheitsrisikos durch eine Soldaten trotz dessen Betrauung mit sicherheitsempfindlichen Tätigkeiten nach Bekanntwerden seiner Zahlungsunfähigkeit; Feststellung eines Sicherheitsrisikos durch einen Soldaten trotz fehlender Berücksichtigung der Verwendung des Soldaten in sicherheitsempfindlicher Verwendung bis zur Eröffnung des Bescheides; Vereinbarkeit der Feststellung eines Sicherheitsrisikos mit dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz trotz Möglichkeit der Vermeidung eines Sicherheitsrisikos durch bestimmte Auflagen oder Einschränkungen
Gericht: BVerwG
Entscheidungsform: Beschluss
Datum: 15.12.2009
Referenz: JurionRS 2009, 29797
Aktenzeichen: BVerwG 1 W 58.09
ECLI: [keine Angabe]

Rechtsgrundlagen:

§ 2 Abs. 1 S. 1 SÜG

§ 5 Abs. 1 S. 1 Nr. 1, 2 SÜG

Nr. 2705 Abs. 1 ZDv 2/30 Teil C

Fundstellen:

DÖV 2010, 663

JZ 2010, 189

BVerwG, 15.12.2009 - BVerwG 1 W 58.09

Redaktioneller Leitsatz:

Die Feststellung des Sicherheitsrisikos bei einem Soldaten wegen seiner Überschuldung ist rechtswidrig, wenn dieser die Eröffnung des Verbraucherinsolvenzverfahrens dem zuständigen Kommandeur frühstmöglich mitteilt und anschließend weiterhin mit sicherheitsempfindlichen Tätigkeiten betraut wird. Aus einer erheblichen Schuldenlast allein kann nicht zwingend auf das Bestehen eines Sicherheitsrisikos geschlossen werden, jedenfalls so lange nicht, wie der Soldat seinen finanziellen Verpflichtungen nachkommt und eine seiner Dienststellung entsprechende Lebensführung sicherstellen kann. Erforderlich ist stets eine wertende Beurteilung des Einzelfalls.

In dem Wehrbeschwerdeverfahren
...
hat der 1. Wehrdienstsenat des Bundesverwaltungsgerichts
durch
den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht Golze,
die Richterin am Bundesverwaltungsgericht Dr. Frentz,
den Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. Langer,
den ehrenamtlichen Richter Oberstleutnant Weschollek und
die ehrenamtliche Richterin Stabsarzt Stritter
am 15. Dezember 2009
beschlossen:

Tenor:

Der Bescheid des Geheimschutzbeauftragten im Bundesministerium der Verteidigung vom 12. Mai 2009 wird aufgehoben.

Die dem Antragsteller im Verfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht erwachsenen notwendigen Aufwendungen werden dem Bund auferlegt.

Gründe

I

1

Der Antragsteller wendet sich gegen die Feststellung eines Sicherheitsrisikos in seiner erweiterten Sicherheitsüberprüfung mit Sicherheitsermittlungen (Ü 3) durch den Geheimschutzbeauftragten im Bundesministerium der Verteidigung.

2

Der 1961 geborene Antragsteller ist Berufssoldat, dessen Dienstzeit voraussichtlich mit Ablauf des 31. Juli 2016 enden wird. Zum Hauptmann wurde er am 3. August 2004 ernannt. Seit dem 1. Januar 2003 wird er als Offizier ..., beim ...bereich ... in F. verwendet. Seit dem 2. Juni 2009 ist er nicht mehr in einer sicherheitsempfindlichen Tätigkeit eingesetzt.

3

Für den Antragsteller wurde zuletzt am 5. November 2004 eine erweiterte Sicherheitsüberprüfung mit Sicherheitsermittlungen (Ü 3) ohne Erkenntnisse abgeschlossen.

4

Das Amtsgericht S. - Insolvenzgericht - eröffnete mit Beschluss vom 14. Februar 2007 (Geschäftsnummer: ...) über das Vermögen des Antragstellers wegen Zahlungsunfähigkeit das Insolvenzverfahren und bestellte einen Treuhänder. Nachdem der zuständige Sicherheitsbeauftragte diesen Umstand mit Nachbericht vom 14. März 2007 gemeldet hatte, befragte der Militärische Abschirmdienst den Antragsteller dazu im Einzelnen. Der Geheimschutzbeauftragte im Bundesministerium der Verteidigung hörte den Antragsteller mit Schreiben vom 5. Dezember 2008 und vom 11. Februar 2009 zu den ermittelten sicherheitserheblichen Erkenntnissen an.

5

In seiner Stellungnahme vom 18. Dezember 2008 erklärte der Antragsteller, dass es ihm nach der Trennung von seiner damaligen Ehefrau im Jahr 2006 nicht mehr möglich gewesen sei, seinen finanziellen Verpflichtungen nachzukommen. Dieser Umstand habe auch aus Unterhaltsverpflichtungen gegenüber der Ehefrau und den drei Kindern resultiert. Nachdem am 14. Februar 2007 durch das Amtsgericht S. das Insolvenzverfahren gegen ihn eröffnet worden sei, habe die ...-Bausparkasse das gemeinsame Eigenheim außerhalb dieses Verfahrens Anfang 2008 veräußert. Nach Aussage des Treuhänders werde das eigentliche Insolvenzverfahren vermutlich in naher Zukunft aufgehoben werden; er werde dann in die Wohlverhaltensperiode wechseln können. Zu diesem Zeitpunkt werde es dann eine genaue Aufstellung noch ausstehender Forderungen geben. Er habe zu diesem Sachverhalt sämtliche Informations- und Meldepflichten erfüllt. Bereits im August 2006 habe er den Kommandeur und den S2-Offizier des ...bereichs ... über die Trennung von seiner Ehefrau und über die ihm drohende Zahlungsunfähigkeit informiert. Bis zum Zeitpunkt der Stellungnahme seien ihm keine zusätzlichen Auflagen als Soldat oder als Geheimnisträger erteilt worden. Es habe bisher keine Anbahnungs- oder Werbungsversuche anderer Nachrichtendienste gegeben. Solche Versuche werde er abweisen und sofort vorschriftsmäßig melden.

6

Mit Schreiben vom 19. März 2009 legte der Antragsteller eine Äußerung des Treuhänders Rechtsanwalt R. vom 11. März 2009 vor. Dieser erklärte, dass sich die aktuellen Verbindlichkeiten des Antragstellers auf 98 070,39 EUR beliefen. Das eigentliche Insolvenzverfahren werde voraussichtlich in etwa drei bis sechs Monaten aufgehoben und der Antragsteller werde in die Wohlverhaltensperiode wechseln. Die angemeldeten Verbindlichkeiten seien in einem (beigefügten) Schlussverzeichnis fixiert worden. Es habe ein Massebestand von 17 643,51 EUR erwirtschaftet werden können. Der Antragsteller habe sich im Verfahren stets einwandfrei verhalten. Es bestünden derzeit keine Bedenken, dem Antragsteller zum 14. Februar 2013 die Restschuldbefreiung zu erteilen.

7

Mit Schreiben vom 12. Mai 2009 teilte der Geheimschutzbeauftragte dem Antragsteller mit, dass er trotz der vorgelegten Stellungnahmen gehalten sei, die Sicherheitsüberprüfung mit der Feststellung eines Sicherheitsrisikos nach Nr. 2414 (1) und (2) ZDv 2/30 Teil C abzuschließen. Auszugehen sei von den finanziellen Schwierigkeiten des Antragstellers seit dem Jahr 2006 und von dem im Februar 2007 eröffneten Insolvenzverfahren; ferner sei die mögliche Restschuldbefreiung ab 14. Februar 2013 zu berücksichtigen. Der Antragsteller sei nicht in der Lage, seinen finanziellen Verpflichtungen nachzukommen. Dies ergebe sich aus dem im Februar 2007 eröffneten Privatinsolvenzverfahren. Bereits die Eröffnung eines derartigen Verfahrens über das Vermögen des Betroffenen rechtfertige die Feststellung eines Sicherheitsrisikos. Hinzu komme, dass fremde Nachrichtendienste regelmäßig nach Personen forschten, die sich in finanziell angespannter Lage befinden, um diese für ihre Ziele zu gewinnen. Hieraus erwachse für den Antragsteller eine besondere Gefährdungslage hinsichtlich einer Anbahnung und Werbung durch derartige Dienste. Das in der Vergangenheit gezeigte Konsumverhalten des Antragstellers und die Gefahr der Ansprechbarkeit für finanzielle Zuwendungen eröffneten nachhaltige Zweifel, ob der Antragsteller beim Umgang mit oder beim Zugang zu Verschlusssachen korrekt arbeiten werde. Aus heutiger Sicht biete der Antragsteller noch keine Gewähr für eine positive Prognose. Der Dienstherr benötige noch einige Zeit, um festzustellen, ob sich der Antragsteller in Zukunft in seinen finanziellen Angelegenheiten korrekt verhalten werde, sodass ihm wieder das entsprechende Vertrauen entgegengebracht werden könne. Bis dahin sei im Hinblick auf § 14 Abs. 3 SÜG den Schutzgütern des Staates ein größeres Gewicht einzuräumen. Unter Berücksichtigung der schriftlichen Stellungnahme des Vorgesetzten des Antragstellers und in Anlehnung an die vom Amtsgericht vorgegebene Wohlverhaltensphase bis Februar 2013 werde bereits nach vier Jahren eine Wiederholungsüberprüfung zugelassen, sofern der Antragsteller dann für eine sicherheitsempfindliche Tätigkeit eingeplant sei.

8

Mit Bescheid vom 12. Mai 2009, dem Antragsteller am 3. Juni 2009 eröffnet, stellte der Geheimschutzbeauftragte fest, dass die erweiterte Sicherheitsüberprüfung mit Sicherheitsermittlungen (Ü 3) Umstände ergeben habe, die ein Sicherheitsrisiko darstellten. Die Entscheidung schließe auch einen Einsatz in einer sicherheitsempfindlichen Tätigkeit nach Ü 1/Ü 2 aus. Einer erneuten Sicherheitsüberprüfung in vier Jahren werde zugestimmt.

9

Gegen diesen Bescheid beantragte der Antragsteller mit Schreiben vom 2. Juli 2009 die Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts. Den Antrag hat der Bundesminister der Verteidigung - PSZ I 7 - mit seiner Stellungnahme vom 30. September 2009 dem Senat vorgelegt.

10

Zur Begründung seines Rechtsschutzbegehrens trägt der Antragsteller ergänzend insbesondere vor:

Der Geheimschutzbeauftragte gehe von einem unzutreffenden Sachverhalt aus. Er unterstelle offene finanzielle Verpflichtungen in Höhe von insgesamt über 200 000 EUR. Demgegenüber beliefen sich nach Aussage des Treuhänders vom 11. März 2009 die aktuellen Verbindlichkeiten auf lediglich 98 070,39 EUR. In materiellrechtlicher Hinsicht sei die Feststellung eines Sicherheitsrisikos rechtswidrig, weil der Geheimschutzbeauftragte eine Beurteilung des Einzelfalles unterlassen und stattdessen allein auf die Schuldenlast abgestellt habe. Die Tatsache, dass ein Privatinsolvenzverfahren eröffnet worden sei, nötige in keiner Weise zwingend zur Feststellung eines Sicherheitsrisikos. Das Insolvenzverfahren habe gerade den Zweck, dem Schuldner die Last zu nehmen, sich ständig mit seinen Gläubigern auseinandersetzen und einen weitaus größeren Teil seines Vermögens zur Schuldentilgung einsetzen zu müssen, als dies während der Wohlverhaltensphase notwendig sei. Das Insolvenzverfahren solle dazu beitragen, dass ein gewisser repräsentativer Lebensstandard noch gehalten werden könne. Die in Aussicht gestellte Restschuldbefreiung befreie ihn letztendlich von seinen Zahlungsverpflichtungen; dies bedeute wiederum, dass es überhaupt keine Notwendigkeit mehr gebe, sich beispielsweise von fremden Diensten bezahlen zu lassen, um Schulden zu bedienen. Der Geheimschutzbeauftragte habe überdies unberücksichtigt gelassen, dass er, der Antragsteller, seine Schwierigkeiten zu keinem Zeitpunkt verheimlicht habe. Er habe sofort Vorgesetzte informiert und auch den Militärischen Abschirmdienst rechtzeitig unterrichtet. Bei den Fürsorgeerwägungen habe der Geheimschutzbeauftragte übersehen, dass die Versetzung von seinem Dienstposten wegen des Verlustes seiner Sicherheitsberechtigung auch zu finanziellen Auswirkungen führen werde. Der Verlust der mit seinem Dienstposten verbundenen Zulage mache einen Unterschied von bis zu 400 EUR monatlich aus. Solange er seine Obliegenheiten aus dem Insolvenzverfahren und die Auflagen, denen er während der Wohlverhaltensphase unterliege, ordnungsgemäß erfülle, gebe es überhaupt keinen Zweifel daran, dass letzten Endes die Restschuldbefreiung auch erteilt würde.

11

Der Antragsteller beantragt,

den Bescheid des Geheimschutzbeauftragten im Bundesministerium der Verteidigung vom 12. Mai 2009 aufzuheben.

12

Der Bundesminister der Verteidigung beantragt,

den Antrag zurückzuweisen.

13

Beim Antragsteller sei nach § 5 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 und Nr. 2 SÜG i.V.m. Nr. 2414 (1) und (2) ZDv 2/30 Teil C ein Sicherheitsrisiko festzustellen. Der Geheimschutzbeauftragte habe sich sowohl in seinem Anhörungsschreiben als auch in seiner Mitteilung über das Ergebnis der Sicherheitsüberprüfung umfassend mit dem Vorbringen des Antragstellers auseinandergesetzt und auf dieser Grundlage seine Entscheidung getroffen. Mit der Eröffnung des Verbraucherinsolvenzverfahrens habe der Antragsteller dokumentiert, dass er nicht in der Lage sei, seinen finanziellen Verpflichtungen nachzukommen. Ob seine Verschuldung eine Höhe von 200 000 EUR oder von 98 000 EUR erreicht habe, spiele nur eine untergeordnete Rolle; in keinem Falle könne der Antragsteller eine Rückzahlung dieser Schulden in einem angemessenen Zeitraum gewährleisten. Bei der Restschuldbefreiung im Rahmen des Insolvenzverfahrens handele es sich nicht um einen Automatismus. Vielmehr müsse der Betroffene im Rahmen eines solchen Verfahrens den ihm gemäß § 295 InsO obliegenden Verpflichtungen nachkommen. Erst wenn keine Versagungsgründe im Sinne der §§ 297, 298 InsO vorlägen, könne es zu einer Restschuldbefreiung kommen. Daher beinhalte die Eröffnung des Verbraucherinsolvenzverfahrens nicht bereits eine positive Aussage über die zukünftige Entwicklung der finanziellen Verhältnisse. Die Angabe des Antragstellers, seine schwierige finanzielle Situation sei allein Folge der Trennung von seiner Ehefrau im Jahr 2006, sei schwer nachvollziehbar, weil die zu leistenden Unterhaltszahlungen an das Gehalt des Unterhaltspflichtigen angepasst und an seiner individuellen Leistungsfähigkeit orientiert seien. Eine zuverlässige Einschätzung, wie sich der Antragsteller zukünftig in finanziellen Angelegenheiten und in seinem wirtschaftlichen Gebaren verhalten werde, könne zum jetzigen Zeitpunkt noch nicht getroffen werden. Im Sicherheitsinteresse der Bundeswehr warte der Dienstherr daher den Zeitraum bis zur Restschuldbefreiung ab, um dem Soldaten das Vertrauen wieder zu gewähren. Aus dem Umstand, dass der Antragsteller seine finanzielle Situation über einen längeren Zeitraum nicht im Griff gehabt habe, ergäben sich sicherheitsrelevante Zweifel an seiner Zuverlässigkeit. Tatsächliche Anhaltspunkte für eine besondere Gefährdung durch Anbahnungs- und Werbungsversuche fremder Nachrichtendienste folgten daraus, dass diese Dienste bekanntermaßen insbesondere nach Personen suchten, die sich in wirtschaftlichen Schwierigkeiten befänden, um diese durch Versprechung finanzieller Zuwendungen zur Mitarbeit zu gewinnen. Der Bevollmächtigte des Antragstellers trage selbst vor, dass sich der Antragsteller einschränken müsse. Genau hieraus erwachse - bezogen auf den langen Zeitraum bis zur Restschuldbefreiung - das gesteigerte Risiko einer Anbahnung oder Werbung durch einen fremden Nachrichtendienst. Insofern sei auch aus Fürsorgeaspekten zu verhindern, dass der Antragsteller bei fortdauernder Ausübung einer sicherheitsempfindlichen Tätigkeit in das Visier eines fremden Nachrichtendienstes gelange. Wenn kein Zugang zu oder kein Umgang mit Verschlusssachen mehr bestehe, sei einer derartigen Konfliktlage die Grundlage entzogen.

14

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts wird auf den Inhalt der Akten Bezug genommen. Die Verfahrensakte des Bundesministers der Verteidigung - PSZ I 7 - Az.: 742/09 - und die Personalgrundakte des Antragstellers, Hauptteile A bis D, haben dem Senat bei der Beratung vorgelegen.

II

15

Der Antrag ist zulässig und begründet.

16

Der Bescheid des Geheimschutzbeauftragten im Bundesministerium der Verteidigung vom 12. Mai 2009 ist rechtswidrig und verletzt den Antragsteller in seinen Rechten.

17

Die Frage der Rechtmäßigkeit dieses Bescheides ist nach der im Zeitpunkt der Vorlage durch den Bundesminister der Verteidigung maßgeblichen Sach- und Rechtslage zu beurteilen (stRspr, Beschlüsse vom 8. November 1994 - BVerwG 1 WB 64.94 - BVerwGE 103, 182 <183> = NZWehrr 1995, 27, vom 8. August 2007 - BVerwG 1 WB 52.06 -, vom 27. September 2007 - BVerwG 1 WDS-VR 7.07 - Buchholz 402.8 § 14 SÜG Nr. 13 und vom 13. November 2009 - BVerwG 1 WDS-VR 6.09 -).

18

Die Überprüfung von Angehörigen der Bundeswehr auf Sicherheitsbedenken ist eine vorbeugende Maßnahme, die Sicherheitsrisiken nach Möglichkeit ausschließen soll (stRspr, vgl. Beschluss vom 11. März 2008 - BVerwG 1 WB 37.07 - BVerwGE 130, 291 = Buchholz 402.8 § 14 SÜG Nr. 14). Die Beurteilung des Sicherheitsrisikos, die zugleich eine Prognose der künftigen Entwicklung der Persönlichkeit des Soldaten und seiner Verhältnisse darstellt, darf sich dabei nicht auf eine vage Vermutung oder eine rein abstrakte Besorgnis stützen, sondern muss auf der Grundlage tatsächlicher Anhaltspunkte getroffen werden. Dabei gibt es keine "Beweislast", weder für den Soldaten dahingehend, dass er die Sicherheitsinteressen der Bundeswehr bisher gewahrt hat und künftig wahren wird, noch für den zuständigen Geheimschutzbeauftragten, dass der Soldat diesen Erwartungen nicht gerecht geworden ist oder ihnen künftig nicht gerecht werden wird (stRspr, vgl. Beschlüsse vom 18. Oktober 2001 - BVerwG 1 WB 54.01 - Buchholz 402.8 § 5 SÜG Nr. 11 und vom 8. März 2007 - BVerwG 1 WB 63.06 -; vgl. auch BVerfG, Beschluss vom 22. Mai 1975 - 2 BvL 13/73 - BVerfGE 39, 334 <353>).

19

Dem Geheimschutzbeauftragten steht bei der ihm hiernach obliegenden Entscheidung ein Beurteilungsspielraum zu. Die gerichtliche Kontrolle beschränkt sich darauf, ob der Geheimschutzbeauftragte von einem unrichtigen Sachverhalt ausgegangen ist, den anzuwendenden Begriff oder den gesetzlichen Rahmen, in dem er sich frei bewegen kann, verkannt, allgemein gültige Wertmaßstäbe nicht beachtet, sachfremde Erwägungen angestellt oder gegen Verfahrensvorschriften verstoßen hat (stRspr, vgl. Beschlüsse vom 18. August 2004 - BVerwG 1 WB 37.04 - <insoweit nicht veröffentlicht in Buchholz 402.8 § 5 SÜG Nr. 18> m.w.N. und vom 22. Juli 2009 - BVerwG 1 WB 53.08 -).

20

Die Feststellung des Geheimschutzbeauftragten im Bundesministerium der Verteidigung, dass in der Person des Antragstellers ein Sicherheitsrisiko vorliegt, weist unter Berücksichtigung dieser Vorgaben durchgreifende Mängel bei der Sachverhaltserfassung und keine rechtsfehlerfreie Prognose auf. Sie ist daher rechtswidrig und verletzt den Antragsteller in seinen Rechten.

21

Der Geheimschutzbeauftragte ist bei der Feststellung der sicherheitserheblichen Erkenntnisse nicht von einem in allen entscheidungserheblichen Aspekten richtigen und vollständigen Sachverhalt ausgegangen.

22

Als sicherheitserhebliche Erkenntnis hat er die seit dem Jahr 2006 beim Antragsteller bestehenden finanziellen Schwierigkeiten gewertet, die dazu geführt haben, dass dieser seinen finanziellen Verpflichtungen nicht mehr nachkommen konnte; ferner hat er bei der Sachverhaltsfeststellung berücksichtigt, dass am 14. Februar 2007 das Insolvenzverfahren über das Vermögen des Antragstellers eröffnet worden ist und dass die Wohlverhaltensphase voraussichtlich bis zum 13. Februar 2013 laufen wird. Mit der Angabe des Gesamtbetrags der Verpflichtungen von 206 904,22 EUR hat der Geheimschutzbeauftragte ersichtlich auf die Gläubigerliste des Treuhänders vom 8. August 200 7 Bezug genommen. Aus seinem Hinweis auf die Stellungnahme des Antragstellers vom 19. März 2009, der die Äußerung des Treuhänders vom 11. März 200 9 mit dem geringeren aktuellen Schuldenstand beigefügt war, lässt sich entnehmen, dass der Geheimschutzbeauftragte auch diese Äußerung in seine sicherheitserheblichen Erwägungen mit einbezogen hat. Überdies hat der Bundesminister der Verteidigung in der Vorlage an den Senat ausdrücklich den aktuellen Schuldenstand des Antragstellers im Umfang von ca. 98 000 EUR dokumentiert.

23

Hingegen ist der Geheimschutzbeauftragte in den Sachverhaltsfeststellungen seines Begründungsschreibens nicht darauf eingegangen, dass der Antragsteller nach Bekanntwerden der Eröffnung des Insolvenzverfahrens nicht aus seiner sicherheitsempfindlichen Tätigkeit herausgelöst, sondern weiter (tatsächlich bis zum 1. Juni 2009) beanstandungsfrei in sicherheitsempfindlicher Verwendung eingesetzt worden ist. Darauf hatte der Antragsteller schon im Rahmen seiner Anhörung in der Form hingewiesen, dass ihm "bis zum heutigen Tag keine Auflagen als Soldat oder Geheimnisträger" gemacht worden seien.

24

Nach dem Inhalt der vorgelegten Akten hat der Antragsteller seine finanziellen Schwierigkeiten infolge der Trennung und Scheidung von seiner Ehefrau umgehend (nach seiner Darlegung im August 2006) seinem Kommandeur und dem zuständigen S2-Offizier gemeldet. Nach Mitteilung des Bundesministers der Verteidigung berichtete der zuständige Sicherheitsbeauftragte unter dem 14. März 2007 über die Eröffnung des Insolvenzverfahrens vom 14. Februar 2007. Obwohl damit die Zahlungsunfähigkeit des Antragstellers feststand (s. unten stehende Ausführungen), aus der der Geheimschutzbeauftragte die tragenden Erwägungen zu seiner Risikoeinschätzung herleitet, wurde der Antragsteller - auch noch nach seiner umfassenden Äußerung vom 18. Dezember 2008 - deutlich länger als zwei Jahre weiter mit sicherheitsempfindlichen Tätigkeiten betraut. Dabei handelte es sich gerade um einen Zeitraum, in dem man die "Anfälligkeit" des Antragstellers für ein sicherheitsrelevantes Fehlverhalten als besonders hoch hätte bewerten können, weil sein Schuldenstand damals anfangs noch mehr als doppelt so hoch war wie im März 2009 (vgl. die Stellungnahme des Treuhänders Rechtsanwalt R. vom 11. März 2009). Die Ermittlungen des Militärischen Abschirmdienstes und die erst im Dezember 2008 erfolgte Anhörung des Antragstellers haben an dem maßgeblichen sicherheitserheblichen Umstand, dass der Antragsteller im Februar 2007 zahlungsunfähig war und dass dies spätestens im März 2007 bekannt war, nichts geändert.

25

Die Feststellung eines Sicherheitsrisikos weist auf dieser Grundlage materiellrechtliche Fehler auf.

26

Zwar können sich nach der Rechtsprechung des Senats tatsächliche Anhaltspunkte, die Zweifel an der Zuverlässigkeit bei der Wahrnehmung einer sicherheitsempfindlichen Tätigkeit (§ 5 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SÜG) und/oder eine besondere Gefährdung durch Anbahnungs- und Werbungsversuche fremder Nachrichtendienste (§ 5 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 SÜG) und damit ein Sicherheitsrisiko begründen, aus einer hohen Verschuldung des Betroffenen ergeben (vgl. auch zum Folgenden: Beschlüsse vom 5. Juni 1991 - BVerwG 1 WB 5.90 - BVerwGE 93, 95, vom 8. November 1994 a.a.O., vom 22. Juli 1999 - BVerwG 1 WB 28.99 - , vom 30. Januar 2001 - BVerwG 1 WB 119.00 - Buchholz 402.8 § 5 SÜG Nr. 10 und vom 6. September 2007 - BVerwG 1 WB 61.06 -). Aus der Tatsache einer erheblichen Schuldenlast allein kann jedoch noch nicht zwingend auf das Bestehen eines Sicherheitsrisikos geschlossen werden, jedenfalls so lange nicht, wie der Soldat seinen finanziellen Verpflichtungen nachkommt und eine seiner Dienststellung entsprechende Lebensführung sicherstellen kann. Erforderlich ist daher stets eine wertende Beurteilung des Einzelfalls.

27

Der angefochtene Bescheid stützt sich auf einen Schuldenstand des Antragstellers, der es ihm unmöglich macht, seinen finanziellen Verbindlichkeiten in vollem Umfang Rechnung zu tragen. Insbesondere steht, worauf der Geheimschutzbeauftragte zutreffend hinweist, mit der am 14. Februar 2007 erfolgten Eröffnung des Verbraucherinsolvenzverfahrens, die u.a. das Scheitern einer außergerichtlichen Einigung mit den Gläubigern voraussetzt (§ 305 Abs. 1 Nr. 1 InsO), die Zahlungsunfähigkeit des Antragstellers fest (§ 17 i.V.m. § 304 Abs. 1 Satz 1 InsO). Bereits der Umstand der Zahlungsunfähigkeit eines Soldaten kann die Annahme eines Sicherheitsrisikos durch den Geheimschutzbeauftragten rechtfertigen (Beschluss vom 6. September 2007 - BVerwG 1 WB 61.06 -). Erforderlich bleibt aber - insbesondere bei der Prognose - eine einzelfallbezogene Würdigung der Indizwirkung der Zahlungsunfähigkeit für ein mögliches Sicherheitsrisiko.

28

Der Geheimschutzbeauftragte hat im vorliegenden Verfahren mit einer unzureichenden prognostischen Einschätzung des Sicherheitsrisikos den ihm zustehenden Beurteilungsspielraum überschritten.

29

Der zuständige Geheimschutzbeauftragte hat sich bei der Beurteilung, ob ein Sicherheitsrisiko festzustellen ist, prognostisch zur künftigen Entwicklung der Persönlichkeit des Antragstellers und seiner Verhältnisse zu äußern, denn das Sicherheitsüberprüfungsverfahren dient in besonderem Maße einer vorbeugenden Risikoeinschätzung (vgl. Beschlüsse vom 8. März 2007 - BVerwG 1 WB 63.06 -, vom 27. September 2007 - BVerwG 1 WDS-VR 7.07 - Buchholz 402.8 § 14 SÜG Nr. 13, vom 11. März 2008 - BVerwG 1 WB 37.07 - BVerwGE 130, 291 = Buchholz 402.8 § 14 SÜG Nr. 14, vom 22. Juli 2009 - BVerwG 1 WB 53.08 - und vom 13. November 2009 - BVerwG 1 WDS-VR 6.09 -). Dieses Erfordernis beruht auf dem Umstand, dass die Feststellung eines Sicherheitsrisikos keine zusätzliche Ebene der repressiven Ahndung eines Fehlverhaltens (nach einer möglichen disziplinarrechtlichen und ggf. zuvor strafrechtlichen Ahndung) darstellt, sondern eine Maßnahme der vorbeugenden Gefahrenabwehr. Die zu leistende präventive Gefahreneinschätzung wird unter anderem durch die Frage beeinflusst, ob das (Fehl-)Verhalten eines Soldaten bereits in seinem unmittelbaren dienstlichen Umfeld zu massiven oder aber geringen oder gar keinen Vertrauenseinbußen geführt hat und ob und ggf. wann (deshalb) eine Herauslösung des Soldaten aus sicherheitsempfindlicher Tätigkeit stattgefunden hat oder nicht (vgl. Beschlüsse vom 13. November 2009 - BVerwG 1 WDS-VR 6.09 - und vom 24. November 2009 - BVerwG 1 WB 52.09 -). Deshalb werden im Sicherheitsüberprüfungsverfahren häufig - wie auch im Falle des Antragstellers - Stellungnahmen der Disziplinarvorgesetzten beigezogen und bei der Risikoeinschätzung gewürdigt. Dabei verkennt der Senat im Hinblick auf das Vorbringen des Bundesministers der Verteidigung (auf der letzten Seite seiner Vorlage) nicht, dass der Geheimschutzbeauftragte nicht die Kompetenz besitzt, eigenständig die Verwendung eines sicherheitsrechtlich in Erscheinung getretenen Soldaten zu ändern oder bestehende Zugangsermächtigungen zu entziehen; er hat aber den Umstand, ob derartige Verwendungsänderungen bzw. Einschränkungen für den betroffenen Soldaten vor dem Hintergrund einer sicherheitserheblichen Erkenntnis stattgefunden haben oder nicht, in seine prognostischen Erwägungen mit einzubeziehen. Denn die Prognose hat sich an dem Schutzzweck des § 5 Abs. 1 i.V.m. § 2 Abs. 1 Satz 1 SÜG zu orientieren, das Verhalten des Betroffenen bei der "Wahrnehmung" einer sicherheitsempfindlichen Tätigkeit zu bewerten.

30

Die beanstandungsfreie fortgesetzte Tätigkeit des Antragstellers in sicherheitsempfindlicher Verwendung bis zur Eröffnung des angefochtenen Bescheids hat in die Prognoseerwägungen des Geheimschutzbeauftragten keinen Eingang gefunden. Auch der Bundesminister der Verteidigung hat diesen Aspekt im Rahmen seiner Ausführungen zur Prognose nicht aufgegriffen.

31

Deshalb ist auch eine profunde Prüfung unterblieben, ob angesichts des konstruktiven und offenen Verhaltens des Antragstellers im gesamten Verfahren anstelle der Feststellung eines Sicherheitsrisikos bestimmte Auflagen oder Einschränkungen (wie etwa zunächst im Verfahren BVerwG 1 WB 61.06) im Sinne der Nr. 2705 Abs. 1 ZDv 2/30 Teil C hinreichend sind. Insoweit wäre in Betracht gekommen, dem Antragsteller aufzugeben, alle sechs Monate einen Bericht des Treuhänders über den aktuellen Stand des Insolvenzverfahrens und der noch offenen Verbindlichkeiten vorzulegen. Vor diesem Hintergrund ist die Entscheidung des Geheimschutzbeauftragten auch nicht mit dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz als Ausprägung allgemeingültiger Wertmaßstäbe zu vereinbaren.

32

Der angefochtene Bescheid ist deshalb aufzuheben. Der Geheimschutzbeauftragte hat von Amts wegen eine neue Entscheidung über die Frage zu treffen, ob in der Person des Antragstellers ein Sicherheitsrisiko besteht, sofern dieser wieder in sicherheitsempfindlicher Tätigkeit verwendet werden soll.

33

Die Kostenentscheidung beruht auf § 21 Abs. 2 Satz 1 i.V.m. § 20 Abs. 1 Satz 1 WBO.

Golze
Dr. Frentz
Dr. Langer

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