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Bundesverfassungsgericht
Beschl. v. 15.01.2016, Az.: 1 BvR 2911/14
Heranziehung von Grundstückseigentümern zu einem Kanalanschlussbeitrag auf der Grundlage des Kommunalabgabengesetzes für das Land Brandenburg (KAG Bbg)
Gericht: BVerfG
Entscheidungsform: Beschluss
Datum: 15.01.2016
Referenz: JurionRS 2016, 11338
Aktenzeichen: 1 BvR 2911/14
ECLI: ECLI:DE:BVerfG:2016:rk20160115.1bvr291114

BVerfG, 15.01.2016 - 1 BvR 2911/14

In dem Verfahren
über
die Verfassungsbeschwerde
XXX
1. unmittelbar gegen
a) den Beschluss des Bundesverwaltungsgerichts vom 11. September 2014 - BVerwG 9 B 22.14 -,
b) das Urteil des Oberverwaltungsgerichts Berlin-Brandenburg vom 14. November 2013 - OVG 9 B 34.12 -,
c) das Urteil des Verwaltungsgerichts Cottbus vom 3. November 2011 - VG 6 K 15/11 -,
d) den Widerspruchsbescheid des Oberbürgermeisters der Stadt Cottbus vom 13. Dezember 2010 - II-70/sd-rei -,
e) den Beitragsbescheid des Oberbürgermeisters der Stadt Cottbus vom 19. Oktober 2010 -644101934 -,
2. mittelbar gegen
a) § 8 Abs. 7 Satz 2 des Kommunalabgabengesetzes für das Land Brandenburg in der Fassung des Zweiten Gesetzes zur Entlastung der Kommunen von pflichtigen Aufgaben vom 17. Dezember 2003 (GVBl I S. 294),
b) § 12 Abs. 3a des Kommunalabgabengesetzes für das Land Brandenburg in der Fassung des Dritten Gesetzes zur Änderung des Kommunalabgabengesetzes für das Land Brandenburg vom 2. Oktober 2008 (GVBl I S. 218),
c) § 19 Abs. 1 des Kommunalabgabengesetzes für das Land Brandenburg in der Fassung des Sechsten Gesetzes zur Änderung des Kommunalabgabengesetzes für das Land Brandenburg vom 5. Dezember 2013 (GVBl I Nr. 40 S. 1)
hat die 2. Kammer des Ersten Senats des Bundesverfassungsgerichts durch
die Richter Gaier,
Schluckebier,
Paulus
am 15. Januar 2016 einstimmig beschlossen:

Tenor:

  1. 1.

    Das Urteil des Oberverwaltungsgerichts Berlin-Brandenburg vom 14. November 2013 - OVG 9 B 34.12 -, das Urteil des Verwaltungsgerichts Cottbus vom 3. November 2011 -VG 6 K 15/11 -, der Widerspruchsbescheid des Oberbürgermeisters der Stadt Cottbus vom 13. Dezember 2010 - II-70/sd-rei - und der Beitragsbescheid des Oberbürgermeisters der Stadt Cottbus vom 19. Oktober 2010 - 644101934 - verletzen die Beschwerdeführer in ihren Grundrechten aus Artikel 2 Absatz 1 des Grundgesetzes in Verbindung mit dem verfassungsrechtlichen Grundsatz des Vertrauensschutzes (Artikel 20 Absatz 3 des Grundgesetzes). Das Urteil des Oberverwaltungsgerichts wird aufgehoben. Damit wird der Beschluss des Bundesverwaltungsgerichts vom 11. September 2014 - BVerwG 9 B 22.14 - gegenstandslos. Die Sache wird an das Oberverwaltungsgericht zurückverwiesen.

  2. 2.

    Das Land Brandenburg hat den Beschwerdeführern ihre notwendigen Auslagen zu erstatten.

Gründe

1

Die Beschwerdeführer wenden sich mit ihrer Verfassungsbeschwerde gegen ihre Heranziehung zu einem Kanalanschlussbeitrag auf der Grundlage des Kommunalabgabengesetzes für das Land Brandenburg (KAG Bbg).

I.

2

1. Die Beschwerdeführer sind Miteigentümer eines Grundstücks, das bereits vor dem 3. Oktober 1990 an die Schmutzwasserkanalisation im Gebiet der beklagten Stadt (im Folgenden: Beklagte) angeschlossen wurde. Im Jahr 2010 zog die Beklagte die Beschwerdeführer für das Grundstück zu einem Kanalanschlussbeitrag heran. Mit ihrer Verfassungsbeschwerde rügen die Beschwerdeführer eine Verletzung ihrer Grundrechte aus Art. 2 Abs. 1 GG in Verbindung mit Art. 20 Abs. 3 GG und Art. 3 Abs. 1 GG.

3

2. Die Beklagte, das Bundesministerium der Justiz und für Verbraucherschutz und das Ministerium der Justiz und für Europa und Verbraucherschutz des Landes Brandenburg hatten Gelegenheit, zu der Verfassungsbeschwerde Stellung zu nehmen. Die Akten des Ausgangsverfahrens wurden beigezogen.

II.

4

Die Kammer nimmt die Verfassungsbeschwerde zur Entscheidung an und gibt ihr statt (§ 93c Abs. 1 Satz 1 i.V.m. § 93a Abs. 2 Buchstabe b BVerfGG). Die Annahme ist zur Durchsetzung von in § 90 Abs. 1 BVerfGG genannten Rechten der Beschwerdeführer angezeigt. Das Bundesverfassungsgericht hat die für die Beurteilung der Verfassungsbeschwerde maßgeblichen verfassungsrechtlichen Fragen bereits entschieden. Die im Wesentlichen zulässige Verfassungsbeschwerde ist offensichtlich begründet.

5

Die angegriffenen Entscheidungen verletzen die Beschwerdeführer in ihren Grundrechten aus Art. 2 Abs. 1 GG in Verbindung mit dem Grundsatz des Vertrauensschutzes aus Art. 20 Abs. 3 GG. Die Anwendung des § 8 Abs. 7 Satz 2 KAG Bbg in der Fassung des Zweiten Gesetzes zur Entlastung der Kommunen von pflichtigen Aufgaben vom 17. Dezember 2003 (GVBl I S. 294) in Fällen, in denen Beiträge nach der ursprünglichen Fassung dieser Vorschrift vom 27. Juni 1991 (GVBl I S. 200) nicht mehr erhoben werden könnten, verstößt gegen das rechtsstaatliche Rückwirkungsverbot (vgl. im Einzelnen BVerfG, Beschluss der 2. Kammer des Ersten Senats vom 12. November 2015 - 1 BvR 2961/14, 1 BvR 3051/14 -, www.bverfg.de).

III.

6

Die angegriffene Entscheidung des Oberverwaltungsgerichts ist aufzuheben und die Sache an das Oberverwaltungsgericht zurückzuverweisen (§ 93c Abs. 2, § 95 Abs. 2 BVerfGG). Der ebenfalls angegriffene Beschluss des Bundesverwaltungsgerichts wird damit gegenstandslos.

7

Die Entscheidung über die Auslagenerstattung beruht auf § 34a Abs. 2 BVerfGG.

Gaier

Schluckebier

Paulus

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