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Bundesverfassungsgericht
Urt. v. 19.02.2013, Az.: 1 BvR 3247/09
Möglichkeit der Annahme eines adoptierten Kindes eines eingetragenen Lebenspartners durch den anderen Lebenspartner (Sukzessivadoption)
Gericht: BVerfG
Entscheidungsform: Urteil
Datum: 19.02.2013
Referenz: JurionRS 2013, 55577
Aktenzeichen: 1 BvR 3247/09
ECLI: [keine Angabe]

Verfahrensgang:

vorgehend:

AG Münster - 30.09.2008 - AZ: 105 XVI 5/08

LG Münster - 16.03.2009 - AZ: 05 T 775/08

OLG Hamm - 01.12.2009 - AZ: I-15 Wx 236/09

OLG Hamburg - 22.12.2010 - AZ: 2 Wx 23/09

Fundstelle:

BVerfGE 133, 59 - 100

Hinweis:

Hinweis: Verbundenes Verfahren

Volltext siehe unter:
BVerfG - 19.02.2013 - AZ: 1 BvL 1/11

BVerfG, 19.02.2013 - 1 BvR 3247/09

Amtlicher Leitsatz:

  1. 1

    Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 6 Abs. 2 Satz 1 GG verleiht dem Kind ein Recht auf staatliche Gewährleistung elterlicher Pflege und Erziehung. Eine Verpflichtung des Gesetzgebers, die Adoption des angenommenen Kindes eines eingetragenen Lebenspartners durch den anderen Lebenspartner (Sukzessivadoption) zu ermöglichen, lässt sich daraus nicht ableiten.

  2. 2

    Zwei Personen gleichen Geschlechts, die gesetzlich als Elternteile eines Kindes anerkannt sind, sind auch im verfassungsrechtlichen Sinne Eltern (Art. 6 Abs. 2 Satz 1 GG). Eine Person, die bislang weder in einer biologischen noch in einer einfachrechtlichen Elternbeziehung zu einem Kind steht, ist grundsätzlich nicht allein deshalb nach Art. 6 Abs. 2 Satz 1 GG Elternteil im verfassungsrechtlichen Sinne, weil sie in sozial-familiärer Beziehung mit dem Kind lebt.

  3. 3

    Leben eingetragene Lebenspartner mit dem leiblichen oder angenommenen Kind eines Lebenspartners in sozial-familiärer Gemeinschaft, bilden sie mit diesem eine durch Art. 6 Abs. 1 GG geschützte Familie im Sinne des Grundgesetzes. Bei der rechtlichen Ausgestaltung der Familie ist der Gesetzgeber verfassungsrechtlich nicht ohne Weiteres verpflichtet, denjenigen, die tatsächlich soziale Elternfunktion wahrnehmen, allein deswegen eine Adoptionsmöglichkeit zu schaffen.

  4. 4

    Indem § 9 Abs. 7 des Lebenspartnerschaftsgesetzes die Möglichkeit der Annahme eines adoptierten Kindes des eingetragenen Lebenspartners durch den anderen Lebenspartner (Sukzessivadoption) verwehrt, wohingegen die Möglichkeit der Annahme eines adoptierten Kindes des Ehepartners und die Möglichkeit der Annahme eines leiblichen Kindes des eingetragenen Lebenspartners (Stiefkindadoption) eröffnet sind, werden sowohl die betroffenen Kinder als auch die betroffenen Lebenspartner in ihrem Recht auf Gleichbehandlung verletzt (Art. 3 Abs. 1 GG).

In den Verfahren
I.
zur verfassungsrechtlichen Prüfung,
ob das Verbot der sukzessiven Adoption durch den Lebenspartner des zunächst Annehmenden gemäß § 9 Abs. 7 des Lebenspartnerschaftsgesetzes (LPartG) in der Fassung vom 16. Februar 2001 (BGBl I S. 266), zuletzt geändert durch Art. 7 des Gesetzes zur Änderung des Zugewinnausgleichs- und Vormundschaftsrechts vom 6. Juli 2009 (BGBl I S. 1696), mit dem Grundgesetz vereinbar ist
- Aussetzungs- und Vorlagebeschluss des Hanseatischen Oberlandesgerichts vom 22. Dezember 2010 (2 Wx 23/09) -
- 1 BvL 1/11 -,

II.
über die Verfassungsbeschwerde
der Frau Dr. K.-W...,
- Bevollmächtigte:
Rechtsanwälte Meisterernst, Düsing, Manstetten,
Wolbecker Straße 16 a, 48155 Münster -
1.
unmittelbar gegen
a)
den Beschluss des Oberlandesgerichts Hamm vom 1. Dezember 2009 - I-15 Wx 236/09 -,
b)
den Beschluss des Landgerichts Münster vom 16. März 2009 - 05 T 775/08 -,
c)
den Beschluss des Amtsgerichts Münster vom 30. September 2008 - 105 XVI 5/08 -,
2.
mittelbar gegen
§ 9 Abs. 7 LPartG
- 1 BvR 3247/09 -

hat das Bundesverfassungsgericht - Erster Senat - unter Mitwirkung der Richterinnen und Richter
Vizepräsident Kirchhof,
Gaier,
Eichberger,
Schluckebier,
Masing,
Paulus,
Baer,
Britz
aufgrund der mündlichen Verhandlung vom 18. Dezember 2012 durch
Urteil
für Recht erkannt:

Tenor:

  1. 1

    § 9 Absatz 7 des Lebenspartnerschaftsgesetzes ist mit Artikel 3 Absatz 1 des Grundgesetzes unvereinbar, soweit die Annahme eines adoptierten Kindes des eingetragenen Lebenspartners durch den anderen Lebenspartner danach nicht möglich ist.

  2. 2

    Dem Gesetzgeber wird aufgegeben, bis zum 30. Juni 2014 eine verfassungsgemäße Regelung zu treffen. Bis zur gesetzlichen Neuregelung ist § 9 Absatz 7 des Lebenspartnerschaftsgesetzes mit der Maßgabe anzuwenden, dass die Adoption des angenommenen Kindes des eingetragenen Lebenspartners möglich ist.

  3. 3

    Der Beschluss des Oberlandesgerichts Hamm vom 1. Dezember 2009 - I-15 Wx 236/09 -, der Beschluss des Landgerichts Münster vom 16. März 2009 - 05 T 775/08 - und der Beschluss des Amtsgerichts Münster vom 30. September 2008 - 105 XVI 5/08 - verletzen die Beschwerdeführerin in ihrem Grundrecht aus Artikel 3 Absatz 1 des Grundgesetzes. Sie werden aufgehoben. Die Sache wird an das Amtsgericht Münster zurückverwiesen.

  4. 4

    Die Bundesrepublik Deutschland hat der Beschwerdeführerin ihre notwendigen Auslagen zu erstatten.

Kirchhof

Gaier

Eichberger

Schluckebier

Masing

Paulus

Baer

Britz

Verkündet am 19. Februar 2013

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