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Bundesverfassungsgericht
Beschl. v. 07.04.2010, Az.: 1 BvR 612/10
Anspruch auf Prozesskostenhilfe bei mutwilliger Begründung einer Rechtsverfolgung
Gericht: BVerfG
Entscheidungsform: Beschluss
Datum: 07.04.2010
Referenz: JurionRS 2010, 20214
Aktenzeichen: 1 BvR 612/10
ECLI: [keine Angabe]

Verfahrensgang:

vorgehend:

SG Düsseldorf - 12.11.2009 - AZ: S 35 AS 198/09

LSG Nordrhein-Westfalen - 21.01.2010 - AZ: L 19 B 388/09 AS

Verfahrensgegenstand:

Verfassungsbeschwerde

  1. 1.

    der Frau E...,

  2. 2.

    des Minderjährigen E..., vertretendurchdie Mutter E...,

  3. 3.

    der Minderjährigen E..., vertretendurchdie Mutter E...,

  4. 4.

    der Minderjährigen E..., vertretendurchdie Mutter E...,

gegen

  1. a)

    den Beschluss des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen vom 21. Januar 2010 - L 19 B 388/09 AS -,

  2. b)

    den Beschluss des Sozialgerichts Düsseldorf vom 12. November 2009 - S 35 AS 198/09 - und Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe und Beiordnung eines Rechtsanwalts

BVerfG, 07.04.2010 - 1 BvR 612/10

Redaktioneller Leitsatz:

  1. 1.

    § 40 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 SGB II in Verbindung mit § 330 Abs. 1 1. Alt. SGB III schließt eine rückwirkende Aufhebung von Verwaltungsakten, die aufgrund einer vom Bundesverfassungsgericht für nichtig oder für unvereinbar mit dem Grundgesetz erklärten Vorschrift bereits im Zeitpunkt ihres Erlasses rechtswidrig waren, nach § 44 Abs. 1 Satz 1 SGB X für Zeiträume vor Wirksamwerden der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts aus, ohne dass es nach dem Wortlaut der Vorschrift darauf ankommt, ob der Überprüfungsantrag vor diesem Zeitpunkt gestellt worden ist oder nicht.

In dem Verfahren
...
hat die 3. Kammer des Ersten Senats des Bundesverfassungsgerichts
durch
den Vizepräsidenten Kirchhof und
die Richter Bryde, Schluckebier
gemäß § 93b in Verbindung mit § 93a BVerfGG
in der Fassung der Bekanntmachung vom 11. August 1993 (BGBl. I S. 1473)
am 7. April 2010
einstimmig beschlossen:

Tenor:

Der Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe und Beiordnung eines Rechtsanwalts wird abgelehnt, weil die beabsichtigte Rechtsverfolgung keine Aussicht auf Erfolg bietet.

Die Verfassungsbeschwerde wird nicht zur Entscheidung angenommen.

Gründe

1

Die Verfassungsbeschwerde ist nicht zur Entscheidung anzunehmen. Annahmegründe im Sinne von § 93a Abs. 2 BVerfGG liegen nicht vor. Die Verfassungsbeschwerde hat weder grundsätzliche verfassungsrechtliche Bedeutung noch ist ihre Annahme zur Durchsetzung der als verletzt gerügten Grundrechte angezeigt, denn sie ist - unabhängig von der bislang fehlenden Vollmacht im Sinne von § 22 Abs. 2 BVerfGG - unzulässig. Der Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe und Beiordnung eines Rechtsanwalts ist deshalb wegen fehlender Erfolgsaussichten der Rechtsverfolgung entsprechend§ 114 ZPO abzulehnen.

2

Es kann dahinstehen, ob die Verfassungsbeschwerde bereits deshalb unzulässig ist, weil die angefochtenen Entscheidungen erst nach Ablauf der Frist des § 93 Abs. 1 Satz 1 BVerfGG beim Bundesverfassungsgericht eingegangen sind und die Verfassungsbeschwerde deshalb nicht fristgerecht den Anforderungen von § 23 Abs. 1 Satz 2, § 92 BVerfGG entsprechend begründet worden ist. In jedem Fall genügt die Beschwerdebegründung auch inhaltlich den Anforderungen von § 23 Abs. 1 Satz 2, § 92 BVerfGG nicht, weil sie nicht hinreichend substantiiert und schlüssig die Möglichkeit einer Verletzung von in § 90 Abs. 1 BVerfGG genannten Rechten aufzeigt.

3

Sowohl das Sozialgericht als auch - sinngemäß - das Landessozialgericht haben die Rechtsverfolgung mit der Begründung als mutwillig angesehen und einen Anspruch auf Prozesskostenhilfe verneint, weil das Klageverfahren nicht erforderlich sei, um Rechte der Beschwerdeführer zu wahren und deshalb auch eine bemittelte Vergleichsperson anstelle der Beschwerdeführer den Rechtsstreit nicht betreiben würde. Soweit die Beschwerdeführer hiergegen einwenden, der Überprüfungsantrag und die sozialgerichtliche Klage seien im Hinblick auf § 330 Abs. 1 SGB III und die Rechtsprechung des Bundessozialgerichts, wonach § 330 Abs. 1 2. Alt. SGB III nicht gelte, wenn der Überprüfungsantrag vor dem Zeitpunkt der Änderung der Rechtsprechung gestellt worden sei, die einzigen Möglichkeiten gewesen, mögliche Nachzahlungsansprüche, die sich aus einer positiven Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts hätten ergeben können, zu sichern, ist dies nicht nachvollziehbar. § 40 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 SGB II in Verbindung mit § 330 Abs. 1 1. Alt. SGB III schließt eine rückwirkende Aufhebung von Verwaltungsakten, die aufgrund einer vom Bundesverfassungsgericht für nichtig oder für unvereinbar mit dem Grundgesetz erklärten Vorschrift bereits im Zeitpunkt ihres Erlasses rechtswidrig waren, nach § 44 Abs. 1 Satz 1 SGB X für Zeiträume vor Wirksamwerden der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts aus, ohne dass es nach dem Wortlaut der Vorschrift darauf ankommt, ob derÜberprüfungsantrag vor diesem Zeitpunkt gestellt worden ist oder nicht. Die von den Beschwerdeführern zitierte Rechtsprechung des Bundessozialgerichts bezieht sich ausdrücklich nur auf § 330 Abs. 1 2. Alt. SGB III. Warum die speziell auf den Sinn und Zweck des § 330 Abs. 1 2. Alt. SGB III ausgerichteten Erwägungen des Bundessozialgerichts (vgl. BSG, Urteil vom 8. Februar 2007 - B 7a AL 2/06 R -, [...], Rn. 16 m.w.N.) auch für § 330 Abs. 1 1. Alt. SGB III, bei dem es sich um eine Fortführung des Rechtsgedankens des § 79 Abs. 2 Satz 1 BVerfGG handelt, gelten sollen, legen die Beschwerdeführer nicht dar. Sie setzen sich auch nicht mit Rechtsprechung und Literatur auseinander, die § 330 Abs. 1 1. Alt. SGB III auch dann für anwendbar halten, wenn der Überprüfungsantrag vor der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts gestellt wurde (vgl. Eicher, in: Eicher/Spellbrink, SGB II, 2. Aufl. 2008, § 40 Rn. 58; Hengelhaupt, in: Hauck/Noftz, SGB III, § 330 Rn. 157 <Dez. 2009>; in Sache ebenso BSGE 91, 47 <48 Rn. 3, 51 Rn. 11, 52 Rn. 13>). Von daher ergibt sich aus der Beschwerdebegründung nicht schlüssig, welchen Nutzen die Beschwerdeführer von dem Überprüfungsantrag und dem sozialgerichtlichen Verfahren haben beziehungsweise im Zeitpunkt der Bewilligungsreife des Prozesskostenhilfegesuchs gehabt haben sollen. Es ist deshalb aus der Beschwerdebegründung auch nicht ersichtlich, warum Sozialgericht und Landesssozialgericht gerade auch in Anbe-tracht der Ausführungen im Beschluss der 2. Kammer des Ersten Senats desBundesverfassungsgerichts vom 18. November 2009 - 1 BvR 2455/08 -, www.bverfg.de, Bedeutung und Tragweite von Art. 19 Abs. 4 und Art. 3 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 20 Abs. 3 GG verkannt haben sollen.

4

Von einer weiteren Begründung wird nach § 93d Abs. 1 Satz 3 BVerfGG abgesehen.

5

Diese Entscheidung ist unanfechtbar.

Kirchhof
Bryde
Schluckebier

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