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Bundesverfassungsgericht
Beschl. v. 06.08.2009, Az.: 1 BvR 322/09
Verfassungsbeschwerde betreffend der Versagung von Beratungshilfe nach dem Gesetz über Rechtsberatung und Vertretung für Bürger mit geringem Einkommen (Beratungshilfegesetz - BerHG); Geltendmachung einer Verletzung des Anspruchs auf Rechtswahrnehmungsgleichheit durch eine Person mit einem geringen Einkommen; Zumutbarkeit der Einlegung eines kostenlosen Widerspruchs und zur Einholung einer Beratung bei der den Ausgangsverwaltungsakt erlassenen Behörde
Gericht: BVerfG
Entscheidungsform: Beschluss
Datum: 06.08.2009
Referenz: JurionRS 2009, 22228
Aktenzeichen: 1 BvR 322/09
ECLI: [keine Angabe]

Verfahrensgang:

vorgehend:

AG Zwickau - 30.12.2008 - AZ: 014 UR II 02568/08

Verfahrensgegenstand:

Verfassungsbeschwerde der Frau L...
...

BVerfG, 06.08.2009 - 1 BvR 322/09

In dem Verfahren
...
hat die 2. Kammer des Ersten Senats des Bundesverfassungsgerichts
durch
die Richterin Hohmann-Dennhardt und
die Richter Gaier, Kirchhof
am 6. August 2009
einstimmig beschlossen:

Tenor:

Der Beschluss des Amtsgerichts Zwickau vom 30. Dezember 2008 - 014 UR II 02568/08 - verletzt die Beschwerdeführerin in ihrem Grundrecht aus Artikel 3 Absatz 1 in Verbindung mit Artikel 20 Absatz 1 und Absatz 3 des Grundgesetzes. Er wird aufgehoben. Die Sache wird an das Amtsgericht Zwickau zurückverwiesen.

Der Freistaat Sachsen hat der Beschwerdeführerin die notwendigen Auslagen zu erstatten.

Gründe

1

Die Verfassungsbeschwerde betrifft die Versagung von Beratungshilfe nach dem Gesetz über Rechtsberatung und Vertretung für Bürger mit geringem Einkommen (Beratungshilfegesetz - BerHG).

2

I.

1.

Der Antrag der Beschwerdeführerin auf Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch wurde abgelehnt. Sie beantragte beim Amtsgericht erfolglos Beratungshilfe für den Widerspruch gegen die Ablehnung. Die zuständige Rechtspflegerin wies den Antrag unter Hinweis auf die ständige Rechtsprechung des Amtsgerichts zurück, wonach es zumutbar sei, dass sich ein Rechtsuchender selbst und ohne anwaltliche Hilfe an die zuständige Arbeitsgemeinschaft (ARGE) wende.

3

Die Erinnerung wurde mit richterlichem Beschluss als unbegründet zurückgewiesen. Der Beschwerdeführerin stehe eine andere zumutbare Hilfe im Sinne des § 1 Abs. 1 Nr. 2 BerHG zur Verfügung. Sie könne sich mit der Person auseinandersetzen, die den Bescheid erlassen habe, und selbständig Widerspruch einlegen.

4

2.

Mit der Verfassungsbeschwerde rügt die Beschwerdeführerin die Verletzung von Art. 3 Abs. 1, Art. 19 Abs. 4 und Art. 20 Abs. 3 sowie sinngemäß von Art. 20 Abs. 1 GG. Sie trägt insbesondere vor, dass sie als unbemittelte Rechtsuchende gegenüber bemittelten Rechtsuchenden ungleich behandelt werde.

5

3.

Das Sächsische Staatsministerium der Justiz, dem die Verfassungsbeschwerde gemäß § 94 Abs. 2 BVerfGG zugestellt wurde, hat von einer Stellungnahme abgesehen.

6

II.

1.

Die Kammer nimmt die Verfassungsbeschwerde zur Entscheidung an und gibt ihr statt, weil dies zur Durchsetzung des Grundrechts der Beschwerdeführerin aus Art. 3 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 20 Abs. 1 und Abs. 3 GG angezeigt ist (§ 93a Abs. 2 Buchstabe b BVerfGG). Die Voraussetzungen für eine stattgebende Kammerentscheidung liegen vor (§ 93c Abs. 1 BVerfGG). Die für die Beurteilung der Verfassungsbeschwerde maßgeblichen Grundsätze sind in der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts geklärt.

7

2.

Die Verfassungsbeschwerde erweist sich danach als begründet. Die angegriffene richterliche Entscheidung verletzt die Beschwerdeführerin in ihrem Anspruch auf Rechtswahrnehmungsgleichheit (Art. 3 Abs. 1 i.V.m. Art. 20 Abs. 1 und Abs. 3 GG).

8

Es wird insoweit auf den Beschluss der 2. Kammer des Ersten Senats des Bundesverfassungsgerichts vom 11. Mai 2009 - 1 BvR 1517/08, [...] - verwiesen, wonach die vom Amtsgericht befürwortete Auslegung des Beratungshilfegesetzes, dass es einem Rechtsuchenden zumutbar sei, selbst kostenlos Widerspruch einzulegen und dabei die Beratung derjenigen Behörde in Anspruch zu nehmen, die zuvor den Ausgangsverwaltungsakt erlassen hat, den verfassungsrechtlichen Anforderungen nicht gerecht wird.

9

Das Amtsgericht hat keine Umstände angeführt, die die Notwendigkeit fremder Hilfe hier in Frage stellen könnten. Die Verweisung auf die Beratung durch dieselbe Behörde, deren Entscheidung die Beschwerdeführerin angreifen will, überschreitet die Grenze der Zumutbarkeit.

10

III.

Die angegriffene Entscheidung wird gemäß § 95 Abs. 2 BVerfGG aufgehoben. Die Sache wird an das Amtsgericht zurückverwiesen, das erneut über die Erinnerung zu entscheiden hat.

11

Die Entscheidung über die notwendigen Auslagen beruht auf § 34a Abs. 2 BVerfGG.

12

Von einer weiteren Begründung wird nach § 93d Abs. 1 Satz 3 BVerfGG abgesehen.

Hohmann-Dennhardt
Gaier
Kirchhof

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