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Bundessozialgericht
Beschl. v. 29.07.2015, Az.: B 12 P 1/15 BH
Gerichtliche Beiordnung eines Rechtsanwalts als Notanwalt; Nicht-Finden eines vertretungsbereiten Rechtsanwalts; Nicht zumutbare Vertretung in von vornherein aussichtslosen Sachen
Gericht: BSG
Entscheidungsform: Beschluss
Datum: 29.07.2015
Referenz: JurionRS 2015, 23182
Aktenzeichen: B 12 P 1/15 BH
ECLI: [keine Angabe]

Verfahrensgang:

vorgehend:

LSG Nordrhein-Westfalen - 01.04.2015 - AZ: L 10 P 94/14

SG Aachen - AZ: S 13 KR 142/13

BSG, 29.07.2015 - B 12 P 1/15 BH

Redaktioneller Leitsatz:

1. Das Tatbestandsmerkmal des "Nicht-Findens" eines vertretungsbereiten Rechtsanwalts ist nur gegeben, wenn der Beteiligte ihm zumutbare Anstrengungen zur Beauftragung eines Rechtsanwalts ergriffen hat, die aus von ihm nicht zu verantwortenden Gründen erfolglos geblieben sind.

2. Für ein beabsichtigtes Rechtsmittelverfahren vor einem obersten Bundesgericht ist dabei erforderlich, dass sich der Beteiligte an mehr als vier Rechtsanwälte gewandt hat.

3. Das Vorliegen der genannten Voraussetzungen muss der um Beiordnung eines Rechtsanwalts Nachsuchende substantiiert darlegen.

4. Die Einschränkung der gerichtlichen Beiordnung eines Notanwalts soll einen Rechtsanwalt, der die Verantwortung für den Inhalt und die Fassung seiner Schriftsätze trägt, vor einer ihm nicht zumutbaren Vertretung in von vornherein aussichtslosen Sachen bewahren.

5. Bei einer Nichtzulassungsbeschwerde gemäß § 160a SGG gegen die Nichtzulassung der Revision in einem Urteil des LSG liegt eine solche Aussichtslosigkeit vor, wenn die tatbestandlichen Voraussetzungen für einen der in § 160 Abs. 2 SGG enumerativ aufgeführten Gründe für die Zulassung der Revision - grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache, Abweichung (Divergenz), Verfahrensmangel - offenbar nicht vorliegen.

in dem Rechtsstreit

Az: B 12 P 1/15 BH

L 10 P 94/14 (LSG Nordrhein-Westfalen)

S 13 KR 142/13 (SG Aachen)

...............................................,

Kläger und Antragsteller,

gegen

IKK classic,

Tannenstraße 4 b, 01099 Dresden,

Beklagte.

Der 12. Senat des Bundessozialgerichts hat am 29. Juli 2015 durch den Vorsitzenden Richter Dr. K r e t s c h m e r sowie die Richter Dr. M e c k e und B e c k

beschlossen:

Tenor:

Der Antrag des Klägers auf Beiordnung eines Rechtsanwalts als Prozessbevollmächtigten für das Verfahren der Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen vom 1. April 2015 wird abgelehnt.

Gründe

1

Der Kläger hat mit Schreiben vom 28.5.2015 einen Antrag auf Beiordnung einer anwaltlichen Vertretung zum Zwecke der Einlegung einer Nichtzulassungsbeschwerde gegen das ihm - nach eigenen Angaben - am 6.5.2015 zugestellte Urteil des LSG Nordrhein-Westfalen vom 1.4.2015 - L 10 P 94/14 - gestellt.

2

Der Antrag des Klägers auf Beiordnung eines Rechtsanwalts ist abzulehnen. Die in § 202 SGG iVm § 78b Abs 1 ZPO normierten Voraussetzungen für die gerichtliche Beiordnung eines Rechtsanwalts als sog "Notanwalt" (außerhalb des Anwendungsbereichs der Prozesskostenhilfe [PKH]) sind nicht erfüllt.

3

Gemäß § 202 SGG iVm § 78b Abs 1 ZPO kann das Prozessgericht in Verfahren, die dem Anwaltszwang unterliegen, einem Beteiligten auf seinen Antrag hin einen Rechtsanwalt zur Wahrnehmung seiner Rechte beiordnen, sofern der Beteiligte einen zu seiner Vertretung bereiten Rechtsanwalt nicht findet und die beabsichtigte Rechtsverfolgung nicht mutwillig oder aussichtslos erscheint.

4

Der Kläger legt nicht substantiiert dar, dass er sich ernsthaft und erfolglos um die Vertretung durch einen Rechtsanwalt bemüht hat. Zudem erscheint die beabsichtigte Rechtsverfolgung aussichtslos.

5

1. Das erste Tatbestandsmerkmal des "Nicht-Findens" eines vertretungsbereiten Rechtsanwalts ist nur gegeben, wenn der Beteiligte ihm zumutbare Anstrengungen zur Beauftragung eines Rechtsanwalts ergriffen hat, die aus von ihm nicht zu verantwortenden Gründen erfolglos geblieben sind. Für ein beabsichtigtes Rechtsmittelverfahren vor einem obersten Bundesgericht ist dabei erforderlich, dass sich der Beteiligte an mehr als vier Rechtsanwälte gewandt hat. Das Vorliegen der genannten Voraussetzungen muss der um Beiordnung eines Rechtsanwalts Nachsuchende substantiiert darlegen (vgl zum Ganzen ausführlich BSG Beschluss vom 16.10.2007 - B 6 KA 3/07 S - Juris mwN; BSG Beschluss vom 3.3.1997 - 4 BA 155/96 - Juris; BSG Beschluss vom 15.10.1999 - B 13 RJ 129/99 B - Juris; Beschluss vom 3.1.2005 - B 9a/9 SB 39/04 B - Juris).

6

Diesen Anforderungen wird das klägerische Vorbringen nicht gerecht. Der Kläger legt in seinem Schreiben vom 28.5.2015 nicht substantiiert dar, bei welchen Rechtsanwälten er sich konkret und ernsthaft um eine Vertretung bemüht hat. Zunächst benennt er in seinem Schreiben eine Rechtsanwaltskanzlei und einen Rechtsanwalt, bei denen er "erfolglos gefragt" habe. Sodann benennt er vier Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälte bzw Rechtsanwaltskanzleien namentlich und übersendet Kopien von vier handschriftlichen Schreiben mit einem Telefax-Sendebericht. Konkrete Angaben zu Details zur Kommunikation macht der Kläger hingegen nicht. Er behauptet, es habe bzgl aller Anfragen keine Reaktion gegeben, lediglich "eine Anwaltskanzlei" habe "sinngemäß" mitgeteilt, dass man das Mandat nicht übernehmen werde. Darüber hinaus seien "alle Anfragen" bei Rechtsanwaltskanzleien erfolglos geblieben. Dies verdeutliche erneut, "wie gemeinschaftlich dem Opfer Schwierigkeiten bereitet werden, um es zur Aufgabe zu zwingen". Hierdurch weist der Kläger ein ernsthaftes Bemühen um eine anwaltliche Vertretung nicht nach.

7

2. Darüber hinaus fehlt es an einer weiteren Voraussetzung von § 202 SGG iVm § 78b Abs 1 ZPO, weil die vorliegend beabsichtigte Rechtsverfolgung aussichtslos erscheint.

8

Wie sich aus dem Verb "erscheinen" ergibt, ist keine abschließende Beurteilung der Erfolgsaussichten erforderlich, sondern eine summarische Prüfung ähnlich wie im Verfahren der Gewährung von PKH gemäß § 73a SGG iVm § 114 ZPO. Im Unterschied zur PKH ist der Entscheidungsmaßstab aber nicht eine hinreichende Erfolgsaussicht, sondern "Aussichtslosigkeit" als solche. Aussichtslosigkeit besteht, wenn ein günstiges Ergebnis auch bei anwaltlicher Beratung ganz offenbar nicht erreicht werden kann. Diese Einschränkung der gerichtlichen Beiordnung eines Notanwalts soll einen Rechtsanwalt, der die Verantwortung für den Inhalt und die Fassung seiner Schriftsätze trägt, vor einer ihm nicht zumutbaren Vertretung in von vornherein aussichtslosen Sachen bewahren (vgl BSG SozR 4-1750 § 78b Nr 1 mwN - die dagegen gerichtete Verfassungsbeschwerde wurde vom BVerfG nicht zur Entscheidung angenommen vgl BVerfG 1. Senat 3. Kammer Beschluss vom 18.7.2012 - 1 BvR 1243/12). Bei einer Nichtzulassungsbeschwerde gemäß § 160a SGG gegen die Nichtzulassung der Revision in einem Urteil des LSG liegt eine solche Aussichtslosigkeit vor, wenn die tatbestandlichen Voraussetzungen für einen der in § 160 Abs 2 SGG enumerativ aufgeführten Gründe für die Zulassung der Revision - grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache, Abweichung (Divergenz), Verfahrensmangel - offenbar nicht vorliegen. Eine allgemeine Überprüfung des Rechtsstreits in dem Sinne, ob das LSG in der Sache richtig entschieden hat, ist im Rahmen einer Nichtzulassungsbeschwerde nicht zulässig und kann daher nicht deren Erfolgsaussichten begründen.

9

Der Kläger selbst hat seinen Antrag nicht näher begründet. Er führt lediglich - ohne irgendeine Schilderung der zugrundeliegenden Umstände - aus, dass die Nichtzulassungsbeschwerde zur Aufklärung begangener "Grundrechtsverletzungen" in Form der "Nichtgewährung rechtlichen Gehörs" durch "nicht sachgemäße Rechtsanwendung der richterlichen Hinweispflichten nach § 139 ZPO", wodurch "§ 546 ZPO" verletzt worden sei, durchgeführt werden soll. Weder sind aus dieser Schilderung durch den Kläger noch aus der summarischen Prüfung der Entscheidungsgründe des Urteils des LSG Anhaltspunkte für das Vorliegen eines der in § 160 Abs 2 SGG genannten Gründe für die Zulassung der Revision ersichtlich. Damit erscheint die beabsichtigte Rechtsverfolgung aussichtslos iS von § 202 SGG iVm § 78b Abs 1 ZPO.

Dr. Kretschmer
Dr. Mecke
Beck

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