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Bundessozialgericht
Beschl. v. 30.06.2015, Az.: B 1 KR 30/15 B
Liposuktionsbehandlung; Uneingeschränkte Geltung des Qualitätsgebots; Allgemein anerkannter Stand der medizinischen Erkenntnisse; Ausreichende Zahl von Behandlungsfällen
Gericht: BSG
Entscheidungsform: Beschluss
Datum: 30.06.2015
Referenz: JurionRS 2015, 20577
Aktenzeichen: B 1 KR 30/15 B
ECLI: [keine Angabe]

Verfahrensgang:

vorgehend:

LSG Rheinland-Pfalz - 05.03.2015 - AZ: L 5 KR 241/13

SG Trier - AZ: S 1 KR 110/12

BSG, 30.06.2015 - B 1 KR 30/15 B

Redaktioneller Leitsatz:

1. Der 3. Senats des BSG hat bereits entscheiden, dass § 137c SGB V die uneingeschränkte Geltung des Qualitätsgebots auch im stationären Bereich nicht außer Kraft setzt.

2. Es ist in ständiger Rechtsprechung des BSG vertretene Auffassung, dass den Qualitätskriterien des § 2 Abs. 1 S. 3 SGB V, der bestimmt, dass die Leistungen der Krankenversicherung nach Qualität und Wirksamkeit dem allgemein anerkannten Stand der medizinischen Erkenntnisse zu entsprechen und den medizinischen Fortschritt zu berücksichtigen haben, eine Behandlung nur entspricht, wenn die große Mehrheit der einschlägigen Fachleute (Ärzte, Wissenschaftler) die Behandlungsmethode befürwortet und von einzelnen, nicht ins Gewicht fallenden Gegenstimmen abgesehen, über die Zweckmäßigkeit der Therapie Konsens besteht.

3. Dieses setzt im Regelfall voraus, dass über Qualität und Wirksamkeit der Methode zuverlässige, wissenschaftlich nachprüfbare Aussagen gemacht werden können; der Erfolg muss sich aus wissenschaftlich einwandfrei durchgeführten Studien über die Zahl der behandelten Fälle und die Wirksamkeit der Methode ablesen lassen.

4. Die Therapie muss in einer für die sichere Beurteilung ausreichenden Zahl von Behandlungsfällen erfolgreich gewesen sein.

in dem Rechtsstreit

Az: B 1 KR 30/15 B

L 5 KR 241/13 (LSG Rheinland-Pfalz)

S 1 KR 110/12 (SG Trier)

.....................................,

Klägerin und Beschwerdeführerin,

Prozessbevollmächtigte: .............................................,

gegen

Techniker Krankenkasse,

Bramfelder Straße 140, 22305 Hamburg,

Beklagte und Beschwerdegegnerin.

Der 1. Senat des Bundessozialgerichts hat am 30. Juni 2015 durch den Präsidenten M a s u c h sowie die Richter C o s e r i u und Dr. E s t e l m a n n

beschlossen:

Tenor:

Die Beschwerde der Klägerin gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des Landessozialgerichts Rheinland-Pfalz vom 5. März 2015 wird als unzulässig verworfen.

Kosten des Beschwerdeverfahrens sind nicht zu erstatten.

Gründe

I

1

Die bei der beklagten Krankenkasse versicherte Klägerin leidet an einem Lipo-Lymphödem. Sie ist mit ihrem Begehren, sie mit einer vollstationären Liposuktionsbehandlung zu versorgen, bei der Beklagten und in den Vorinstanzen erfolglos geblieben. Das LSG hat zur Begründung ausgeführt, die Klägerin habe keinen Anspruch auf Verschaffung einer Liposuktion, weil diese neue Behandlungsmethode nicht dem allgemein anerkannten Stand der medizinischen Erkenntnisse entspreche. Insbesondere beruhe die die Liposuktion befürwortende S1-Leitlinie "Diagnostik und Therapie der Lymphödeme" der Gesellschaft Deutschsprachiger Lymphologen nach den Kriterien der evidenzbasierten Medizin nicht auf hinreichenden wissenschaftlichen Erkenntnissen. Das Qualitätsgebot sei auch bei einer stationären Behandlung zu beachten. § 137c SGB V schränke dessen Geltung im stationären Bereich nicht ein. Unerheblich sei daher, dass der Gemeinsame Bundesausschuss für diese Methode bislang kein Verbot ausgesprochen habe (Urteil vom 5.3.2015).

2

Mit ihrer Beschwerde wendet sich die Klägerin gegen die Nichtzulassung der Revision im LSG-Urteil.

II

3

Die Beschwerde der Klägerin ist unzulässig und daher gemäß § 160a Abs 4 S 1 Halbs 2 iVm § 169 S 3 SGG zu verwerfen. Ihre Begründung entspricht nicht den aus § 160a Abs 2 S 3 SGG abzuleitenden Anforderungen an die Darlegung des allein geltend gemachten Revisionszulassungsgrundes der grundsätzlichen Bedeutung.

4

1. Die Klägerin legt die für eine grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache (Zulassungsgrund gemäß § 160 Abs 2 Nr 1 SGG) notwendigen Voraussetzungen nicht in der gesetzlich gebotenen Weise dar. Wer sich auf den Zulassungsgrund der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache beruft, muss eine Rechtsfrage klar formulieren und ausführen, inwiefern diese Frage im angestrebten Revisionsverfahren entscheidungserheblich sowie klärungsbedürftig und über den Einzelfall hinaus von Bedeutung ist (vgl zB BSG SozR 3-1500 § 160a Nr 21 S 38; BSG SozR 3-4100 § 111 Nr 1 S 2 f; BSG SozR 3-2500 § 240 Nr 33 S 151 f mwN).

5

Die Klägerin formuliert als Rechtsfrage:

"Genügt es zur Erfüllung der Anforderungen an Qualität und Wirksamkeit einer Behandlungsmethode im stationären Bereich, dass eine medizinische Leitlinie im Sinne eines informellen Konsenses (S1-Leitlinie) existiert, welche die Methode als letzte Option nach einer erfolglos durchgeführten konservativen Therapie empfiehlt"?

6

Die Klägerin legt die Klärungsbedürftigkeit nicht hinreichend dar. Das Bedürfnis für die Klärung einer Rechtsfrage in einem Revisionsverfahren fehlt, wenn ihre Beantwortung nach der dazu ergangenen höchstrichterlichen Rechtsprechung keinem vernünftigen Zweifel unterliegt, die Frage also "geklärt" ist (vgl zB BSG Beschluss vom 21.10.2010 - B 1 KR 96/10 B - RdNr 7 mwN). Die Klägerin verweist selbst auf eine Entscheidung des 3. Senats des BSG (BSGE 113, 167 = SozR 4-2500 § 137c Nr 6), die sich dort (RdNr 24) der Rechtsprechung des erkennenden Senats (BSGE 101, 177 = SozR 4-2500 § 109 Nr 6, RdNr 51 ff; BSG SozR 4-2500 § 27 Nr 18 RdNr 23; BSG SozR 4-2500 § 2 Nr 4 RdNr 15 ff mwN; BSG Urteil vom 14.10.2014 - B 1 KR 27/13 R - Juris RdNr 14, zur Veröffentlichung in BSGE und SozR 4-2500 § 109 Nr 40 vorgesehen) anschließt, wonach § 137c SGB V die uneingeschränkte Geltung des Qualitätsgebots auch im stationären Bereich nicht außer Kraft setze. Auch gibt die Beschwerdebegründung selbst die in ständiger Rechtsprechung vertretene Auffassung des BSG (BSG SozR 3-2500 § 18 Nr 6 S 23; BSG SozR 4-2500 § 18 Nr 5 RdNr 22; BSGE 113, 167 = SozR 4-2500 § 137c Nr 6, RdNr 12) wieder, dass den Qualitätskriterien des § 2 Abs 1 S 3 SGB V, der bestimmt, dass die Leistungen der Krankenversicherung nach Qualität und Wirksamkeit dem allgemein anerkannten Stand der medizinischen Erkenntnisse zu entsprechen und den medizinischen Fortschritt zu berücksichtigen haben, eine Behandlung nur entspricht, wenn die große Mehrheit der einschlägigen Fachleute (Ärzte, Wissenschaftler) die Behandlungsmethode befürwortet und von einzelnen, nicht ins Gewicht fallenden Gegenstimmen abgesehen, über die Zweckmäßigkeit der Therapie Konsens besteht. Dieses setzt im Regelfall voraus, dass über Qualität und Wirksamkeit der Methode zuverlässige, wissenschaftlich nachprüfbare Aussagen gemacht werden können. Der Erfolg muss sich aus wissenschaftlich einwandfrei durchgeführten Studien über die Zahl der behandelten Fälle und die Wirksamkeit der Methode ablesen lassen. Die Therapie muss in einer für die sichere Beurteilung ausreichenden Zahl von Behandlungsfällen erfolgreich gewesen sein. Die Klägerin legt nicht hinreichend dar, wieso danach in rechtlicher Hinsicht noch Klärungsbedarf verblieben ist. Hierzu hätte sie sich schließlich auch mit der Entscheidung des erkennenden Senats vom 30.6.2009 - B 1 KR 5/09 R - (SozR 4-2500 § 31 Nr 15, SozR 4-5585 Allg Nr 1) auseinandersetzen müssen, wonach Leitlinien der medizinischen Fachgesellschaften grundsätzlich nicht den Umfang der Leistungsansprüche der Versicherten der GKV bestimmen, das Leistungsrecht vielmehr insbesondere von den Vorgaben des § 2 Abs 1 S 1 und 3, § 12 SGB V geprägt ist, wonach Qualität und Wirksamkeit der Leistungen dem allgemein anerkannten Stand der medizinischen Erkenntnisse und dem Wirtschaftlichkeitsgebot entsprechen müssen (BSG aaO RdNr 47).

7

Eine Rechtsfrage, über die bereits höchstrichterlich entschieden worden ist, kann wieder klärungsbedürftig werden, wenn der Rechtsprechung in nicht geringfügigem Umfang widersprochen wird und gegen sie nicht von vornherein abwegige Einwendungen vorgebracht werden (vgl zB BSG SozR 1500 § 160a Nr 13 S 19 mwN), was im Rahmen der Beschwerdebegründung ebenfalls darzulegen ist (vgl zum Ganzen auch BSG Beschluss vom 22.12.2010 - B 1 KR 100/10 B - Juris RdNr 7). Daran fehlt es. Die Klägerin verweist lediglich auf ein Urteil des Hessischen LSG vom 5.2.2013 (L 1 KR 391/12 - Juris) und ein Urteil des SG Dresden vom 13.3.2015 (S 47 KR 541/11 - Juris). Sie legt aber nicht näher dar, mit welchen neuen Argumenten diese Urteile sich gegen die höchstrichterliche Rechtsprechung zu § 2 Abs 1 S 3 SGB V gewandt haben.

8

Zudem zeigt die Klägerin nicht die Entscheidungserheblichkeit der Rechtsfrage auf. Denn die S1-Leitlinie "Diagnostik und Therapie der Lymphödeme" der Gesellschaft Deutschsprachiger Lymphologen besaß nur Gültigkeit bis zum 30.4.2014 (vgl http://www.awmf.org/leitlinien/detail/ll/058-001.html, abgerufen am 17.6.2015). Eine überarbeitete, neue Leitlinie existiert derzeit nicht.

9

2. Der Senat sieht von einer weiteren Begründung ab (§ 160a Abs 4 S 2 Halbs 2 SGG).

10

3. Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung des § 193 SGG.

Masuch
Coseriu
Dr. Estelmann

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