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Bundessozialgericht
Beschl. v. 22.04.2015, Az.: B 3 P 5/15 B
Entziehung von Leistungen der sozialen Pflegeversicherung nach der Pflegestufe I; Ermittlung der Pflegebedürftigkeit und Zuordnung zu Pflegestufen; Nicht konkret verrichtungsbezogener Aufsichtsbedarf
Gericht: BSG
Entscheidungsform: Beschluss
Datum: 22.04.2015
Referenz: JurionRS 2015, 16278
Aktenzeichen: B 3 P 5/15 B
ECLI: [keine Angabe]

Verfahrensgang:

vorgehend:

LSG Niedersachsen-Bremen - 16.10.2014 - AZ: L 15 P 35/14 ZVW

SG Osnabrück - AZ: S 14 P 30/10

BSG, 22.04.2015 - B 3 P 5/15 B

Redaktioneller Leitsatz:

1. Der erkennende Senat hat bereits entschieden, dass es für die Ermittlung von Pflegebedürftigkeit und die Zuordnung zu den Pflegestufen allein auf den Hilfebedarf bei den in § 14 Abs. 4 SGB XI genannten Verrichtungen ankommt, dass der Katalog des § 14 Abs. 4 SGB XI abschließend ist, dass die Beaufsichtigung zur Vermeidung einer Selbst- oder Fremdgefährdung ebenso wenig in Ansatz gebracht werden kann wie eine allgemeine Ruf- oder Einsatzbereitschaft einer Pflegeperson und dass der Bezug der Pflegebedürftigkeit auf bestimmte Verrichtungen sowie die Nichtberücksichtigung eines allgemeinen Betreuungsaufwandes verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden sind.

2. Dabei hat der Senat stets betont, dass die Betreuung, die Aufsicht und die Kontrolle durch die Pflegeperson nur dann bei der Bemessung des Pflegebedarfs zu berücksichtigen sind, wenn sie sich konkret auf eine der in § 14 Abs. 4 SGB XI genannten Verrichtungen beziehen und ein so hohes Maß an Aufmerksamkeit der Pflegeperson erfordern, dass die gleichzeitige Ausführung anderer Tätigkeiten praktisch ausgeschlossen ist.

3. Ein daneben bestehender allgemeiner, also nicht konkret verrichtungsbezogener Aufsichtsbedarf kann deshalb nicht in Ansatz gebracht werden.

in dem Rechtsstreit

Az: B 3 P 5/15 B

L 15 P 35/14 ZVW (LSG Niedersachsen-Bremen)

S 14 P 30/10 (SG Osnabrück)

..................................,

Klägerin und Beschwerdeführerin,

Prozessbevollmächtigte: ....................................................,

gegen

BARMER GEK - Pflegekasse,

Axel-Springer-Straße 44, 10969 Berlin,

Beklagte und Beschwerdegegnerin,

Prozessbevollmächtigte: ............................................... .

Der 3. Senat des Bundessozialgerichts hat am 22. April 2015 durch den Vorsitzenden Richter Prof. Dr. W e n n e r sowie den Richter S c h r i e v e r und die Richterin Dr. W a ß e r

beschlossen:

Tenor:

Die Beschwerde der Klägerin gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des Landessozialgerichts Niedersachsen-Bremen vom 16. Oktober 2014 wird als unzulässig verworfen.

Kosten des Beschwerdeverfahrens sind nicht zu erstatten.

Gründe

I

1

Streitig ist die Rechtmäßigkeit der Entziehung von Leistungen der sozialen Pflegeversicherung nach der Pflegestufe I.

2

Die 1999 geborene Klägerin leidet seit 2002 an insulinpflichtigem Diabetes mellitus Typ I. Seit dem 1.7.2004 bezog sie Leistungen nach der Pflegestufe I. Mit Wirkung ab 1.7.2009 hob die beklagte Pflegekasse die Leistungsbewilligung nach § 48 SGB X auf, weil der Grundpflegebedarf der Klägerin entwicklungsbedingt nicht mehr den für die Pflegestufe I erforderlichen Mindestwert von täglich "mehr als 45 Minuten" (§ 15 Abs 2 und Abs 3 Satz 1 Nr 1 SGB XI) erreiche (Bescheid vom 2.6.2009, Widerspruchsbescheid vom 24.3.2010). Sie berief sich dazu auf zwei Gutachten des Medizinischen Dienstes der Krankenversicherung (MDK) vom 6.5.2009 und 21.9.2009. Das SG hat die Klage nach Beweisaufnahme abgewiesen (Urteil vom 20.10.2011). Das LSG hat die Berufung der Klägerin zurückgewiesen (Urteil vom 16.10.2014). Es hat ausgeführt, die von der Klägerin gewünschte erweiterte Berücksichtigung der umfangreichen Hilfen der Eltern diabeteskranker Kinder bei der Behandlung und Kontrolle der Krankheit sei nach derzeitiger Rechtslage nicht möglich. Dies verstoße nicht gegen verfassungsrechtliche Vorgaben.

3

Mit der Beschwerde wendet sich die Klägerin gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des LSG und beruft sich dabei auf den Zulassungsgrund der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache (§ 160 Abs 2 Nr 1 SGG).

II

4

Die Nichtzulassungsbeschwerde ist unzulässig, weil sie nicht in der durch § 160 Abs 2 und § 160a Abs 2 Satz 3 SGG normierten Form begründet worden ist. Sie ist deshalb ohne Zuziehung ehrenamtlicher Richter zu verwerfen (§ 160a Abs 4 Satz 1, § 169 SGG).

5

Zur Darlegung des Revisionszulassungsgrundes, die angegriffene Entscheidung betreffe eine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung (§ 160 Abs 2 Nr 1 SGG), ist es erforderlich, die Rechtsfrage klar zu formulieren und aufzuzeigen, dass sie eine über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung besitzt (BSGE 40, 158 [BSG 22.08.1975 - 11 BA 8/75] = SozR 1500 § 160a Nr 11 und BSG SozR 1500 § 160a Nr 39) und dass sie klärungsbedürftig sowie klärungsfähig ist (BSG SozR 4-1500 § 160a Nr 7 RdNr 4), im Falle der Revisionszulassung also entscheidungserheblich wäre (BSG SozR 1500 § 160a Nr 54). In der Regel fehlt es an der Klärungsbedürftigkeit einer Rechtsfrage, wenn diese höchstrichterlich bereits entschieden ist (BSG SozR 1500 § 160 Nr 51; BSG SozR 1500 § 160a Nr 13 und 65; BSG SozR 3-1500 § 160 Nr 8) oder sich ihre Beantwortung eindeutig aus dem Gesetz ergibt (Krasney/Udsching, Handbuch des sozialgerichtlichen Verfahrens, 6. Aufl 2011, IX. Kap RdNr 66 mwN). Diese Erfordernisse betreffen die gesetzliche Form des § 169 Satz 1 SGG (vgl BVerfG SozR 1500 § 160a Nr 48). Deren Voraussetzungen sind im vorliegenden Fall nicht erfüllt.

6

Die Klägerin hat - sinngemäß - folgende Rechtsfrage aufgeworfen: Ist der krankheitsbedingt erhöhte zeitliche Aufwand der Eltern für die Beaufsichtigung und Kontrolle ihres an Diabetes mellitus Typ I leidenden Kindes bei der Ermittlung des Grundpflegebedarfs nach den §§ 14 und 15 SGB XI zu berücksichtigen?

7

Damit hat die Klägerin zwar eine Rechtsfrage formuliert. Es fehlt aber an der Darlegung, dass sich die Antwort auf diese Rechtsfrage nicht bereits aus der vorhandenen höchstrichterlichen Rechtsprechung ergibt und damit Klärungsbedarf besteht. Die Auslegungszweifel werden von der Klägerin lediglich behauptet, aber nicht nachvollziehbar dargelegt. Vor allem setzt sie sich nur ganz kursorisch und lückenhaft mit der zum Pflegebedarf von Kindern vorliegenden höchstrichterlichen Rechtsprechung auseinander.

8

Der erkennende Senat hat bereits entschieden, dass es für die Ermittlung von Pflegebedürftigkeit und die Zuordnung zu den Pflegestufen allein auf den Hilfebedarf bei den in § 14 Abs 4 SGB XI genannten Verrichtungen ankommt (BSGE 82, 27 [BSG 19.02.1998 - B 3 P 3/97 R] = SozR 3-3300 § 14 Nr 2; BSGE 85, 278 [BSG 10.02.2000 - B 3 P 12/99 R] = SozR 3-3300 § 43 Nr 1), dass der Katalog des § 14 Abs 4 SGB XI abschließend ist (stRspr, vgl BSGE 82, 27 [BSG 19.02.1998 - B 3 P 3/97 R] = SozR 3-3300 § 14 Nr 2; BSGE 82, 276 [BSG 27.08.1998 - B 10 KR 4/97 R] = SozR 3-3300 § 14 Nr 7; BSG SozR 3-3300 § 14 Nr 3, 6 und 11; BSG SozR 3-3300 § 14 Nr 14: Erweiterung nur um das Liegen und Sitzen), dass die Beaufsichtigung zur Vermeidung einer Selbst- oder Fremdgefährdung ebenso wenig in Ansatz gebracht werden kann (BSG SozR 3-3300 § 14 Nr 5 und 8 sowie BSG SozR 3-3300 § 43a Nr 5) wie eine allgemeine Ruf- oder Einsatzbereitschaft einer Pflegeperson (BSG SozR 3-3300 § 15 Nr 1) und dass der Bezug der Pflegebedürftigkeit auf bestimmte Verrichtungen sowie die Nichtberücksichtigung eines allgemeinen Betreuungsaufwandes verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden sind (bestätigt durch BVerfG SozR 4-3300 § 14 Nr 1 = NJW 2003, 3044). Dabei hat der Senat stets betont, dass die Betreuung, die Aufsicht und die Kontrolle durch die Pflegeperson nur dann bei der Bemessung des Pflegebedarfs zu berücksichtigen sind, wenn sie sich konkret auf eine der in § 14 Abs 4 SGB XI genannten Verrichtungen beziehen und ein so hohes Maß an Aufmerksamkeit der Pflegeperson erfordern, dass die gleichzeitige Ausführung anderer Tätigkeiten praktisch ausgeschlossen ist (BSG SozR 3-3300 § 14 Nr 6). Ein daneben bestehender allgemeiner, also nicht konkret verrichtungsbezogener Aufsichtsbedarf kann deshalb nicht in Ansatz gebracht werden (BSG SozR 3-3300 § 14 Nr 8). Unberücksichtigt bleibt daher zB auch die örtliche Bindung von Pflegepersonen in der Nähe eines geistig behinderten Menschen, die erforderlich ist, um jederzeit eingreifen zu können ("prophylaktische Anwesenheit"). Die Hilfe bei einer Maßnahme der medizinischen Behandlungspflege ist demgemäß nur dann zu berücksichtigen, wenn sie untrennbarer Bestandteil einer Verrichtung der Grundpflege (§ 14 Abs 4 Nr 1 bis 3 SGB XI) ist oder mit ihr notwendig in einem unmittelbaren zeitlichen und sachlichen Zusammenhang steht (vgl § 15 Abs 3 Satz 3 SGB XI). Welche Auswirkungen dies bei der Begutachtung des Grundpflegebedarfs eines an Diabetes mellitus Typ I erkrankten Kindes hat, ist vom erkennenden Senat in dem Urteil vom 19.2.1998 (B 3 P 3/97 R - BSGE 82, 27 = SozR 3-3300 § 14 Nr 2) grundlegend entschieden worden und entspricht seither ständiger Rechtsprechung.

9

Auch zu der Frage der Bemessung des Hilfebedarfs von Kindern bei der Grundpflege nach den Begutachtungs-Richtlinien (BRi) der Spitzenverbände der Pflegekassen vom 11.5.2006, in Kraft seit dem 1.9.2006, hat sich der erkennende Senat bereits geäußert (Urteil vom 15.3.2012 - B 3 P 1/11 R - BSGE 110, 214 = SozR 4-3300 § 15 Nr 5). Das Urteil betrifft formal zwar die BRi in der Fassung vom 11.5.2006, ist aber auf die von der Klägerin angesprochene Neufassung der BRi durch den GKV-Spitzenverband vom 8.6.2009 übertragbar, weil beide Fassungen inhaltlich weitgehend übereinstimmen; insbesondere die hier interessierenden Vorschriften zur Begutachtung der Pflegebedürftigkeit von Kindern sind unverändert geblieben.

10

Mit dieser umfangreichen Rechtsprechung des erkennenden Senats hat sich die Klägerin nicht hinreichend auseinandergesetzt. Daher wird der (fortbestehende) Klärungsbedarf der aufgeworfenen Rechtsfrage nicht formgerecht dargelegt.

11

Die Kostenentscheidung beruht auf der entsprechenden Anwendung des § 193 SGG.

Prof. Dr. Wenner
Schriever
Dr. Waßer

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