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Bundessozialgericht
Beschl. v. 17.12.2014, Az.: B 12 KR 88/14 B
Nicht mit Gründen versehene Entscheidung; Inhaltliche Anforderungen an Entscheidungsgründe
Gericht: BSG
Entscheidungsform: Beschluss
Datum: 17.12.2014
Referenz: JurionRS 2014, 30513
Aktenzeichen: B 12 KR 88/14 B
ECLI: [keine Angabe]

Verfahrensgang:

vorgehend:

LSG Hessen - 26.06.2014 - AZ: L 8 KR 82/13

SG Frankfurt/Main - AZ: S 25 KR 141/10

BSG, 17.12.2014 - B 12 KR 88/14 B

Redaktioneller Leitsatz:

1. Nach § 202 S. 1 SGG i.V.m. § 547 Nr. 6 ZPO liegt ein absoluter Revisionsgrund vor, wenn die Entscheidung entgegen den Bestimmungen dieses Gesetzes nicht mit Gründen versehen ist; die Begründungspflicht ist zwar nicht schon dann verletzt, wenn die Ausführungen des Gerichts zu den rechtlichen Voraussetzungen und zum tatsächlichen Geschehen aus der Sicht eines Dritten falsch, oberflächlich oder wenig überzeugend sind.

2. Umgekehrt ist ein Urteil nicht nur dann nicht mit Gründen versehen, wenn es überhaupt keine Gründe enthält, sondern auch, wenn die Gründe in so extremem Maß mangelhaft sind, dass sie ihre Funktion - Unterrichtung der Beteiligten über die dem Urteil zugrundeliegenden Erwägungen; Grundlage der Nachprüfung des Rechtsmittelgerichts - nicht erfüllen können.

3. Vom Fehlen der Entscheidungsgründe ist jedenfalls auszugehen, wenn die Entscheidungsgründe vollständig oder zu wesentlichen Teilen fehlen oder sich als derart verworren oder unverständlich darstellen, dass sie unbrauchbar sind.

in dem Rechtsstreit

Az: B 12 KR 88/14 B

L 8 KR 82/13 (Hessisches LSG)

S 25 KR 141/10 (SG Frankfurt am Main)

.........................................,

Kläger und Beschwerdeführer,

Prozessbevollmächtigte: ........................................,

gegen

AOK - Die Gesundheitskasse in Hessen,

Basler Straße 2, 61352 Bad Homburg,

Beklagte und Beschwerdegegnerin,

beigeladen:

Pflegekasse bei der AOK - Die Gesundheitskasse in Hessen,

Basler Straße 2, 61352 Bad Homburg.

Der 12. Senat des Bundessozialgerichts hat am 17. Dezember 2014 durch den Vorsitzenden Richter Dr. K r e t s c h m e r , die Richter Dr. M e c k e und B e c k sowie den ehrenamtlichen Richter S t e i n und die ehrenamtliche Richterin B e r n d t

beschlossen:

Tenor:

Auf die Beschwerde des Klägers wird das Urteil des Hessischen Landessozialgerichts vom 26. Juni 2014 aufgehoben.

Die Sache wird zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Landessozialgericht zurückverwiesen.

Gründe

I

1

In dem der Nichtzulassungsbeschwerde zugrundeliegenden Rechtsstreit streiten die Beteiligten darüber, ob Leistungen aus einer Kapitallebensversicherung der Beitragspflicht in der gesetzlichen Krankenversicherung und sozialen Pflegeversicherung unterliegen.

2

Das SG Frankfurt am Main hat die gegen die Bescheide der Beklagten vom 6. und 7.8.2008 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 5.2.2010 gerichtete Klage durch Gerichtsbescheid vom 15.2.2013 abgewiesen. Das LSG hat die Berufung des Klägers nach Übertragung der Sache auf die Berichterstatterin gemäß § 153 Abs 5 SGG durch Urteil vom 26.6.2014 zurückgewiesen. Der Tenor des Berufungsurteils lautet:

"Die Berufung des Klägers gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Frankfurt am Main vom 15. Februar 2013 wird zurückgewiesen.

..."

3

In den Entscheidungsgründen hat das LSG ausgeführt, der Gerichtsbescheid des SG Kassel vom 29.11.2012 sei nicht zu beanstanden. Der Bescheid der Beklagten vom 28.10.2010 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 16.2.2011 sei rechtmäßig und verletze den Kläger nicht in seinen Rechten. Der Senat mache sich die zutreffende, widerspruchsfreie und ausführliche Begründung des erstinstanzlichen Urteils zu eigen und weise die Berufung aus den dort niedergelegten Entscheidungsgründen zurück. Von einer erneuten Darstellung der Entscheidungsgründe würde abgesehen (§ 153 Abs 2 SGG).

4

Gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des LSG wendet sich der Kläger mit seiner Beschwerde. Er rügt insbesondere das Fehlen von Entscheidungsgründen im angefochtenen Urteil (§ 202 S 1 SGG iVm § 547 Nr 6 ZPO; § 128 Abs 1 S 2 SGG) und macht einen Verstoß gegen den Anspruch auf rechtliches Gehör geltend. Ergänzend beruft er sich auf den Zulassungsgrund der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache (§ 160 Abs 2 Nr 1 SGG).

II

5

1. Die Beschwerde des Klägers ist zulässig. Ihre Begründung genügt den Anforderungen des § 160a Abs 2 S 3 SGG. Insbesondere bezeichnet sie die Tatsachen, aus denen sich der geltend gemachte Verfahrensmangel des Fehlens von Entscheidungsgründen (§ 128 Abs 1 S 2, § 136 Abs 1 Nr 6, § 153 Abs 2 SGG; § 202 S 1 SGG iVm § 547 Nr 6 ZPO) - zugleich ein absoluter Revisionsgrund - ergibt (vgl hierzu BSG Beschluss vom 12.2.2004 - B 4 RA 67/03 B - Juris).

6

2. Die Beschwerde ist auch begründet. Das LSG-Urteil ist schon deshalb verfahrensfehlerhaft, weil ihm die Entscheidungsgründe fehlen.

7

Nach § 136 Abs 1 Nr 6 SGG enthält das Urteil die Entscheidungsgründe. Die Norm wird durch § 128 Abs 1 S 2 SGG konkretisiert (vgl Keller in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 11. Aufl 2014, § 128 RdNr 16), wonach im Urteil die Gründe anzugeben sind, die für die richterliche Überzeugung leitend gewesen sind. Nach § 153 Abs 2 SGG kann das LSG in dem Urteil über die Berufung von einer weiteren Darstellung der Entscheidungsgründe absehen, soweit es die Berufung aus den Gründen der angefochtenen Entscheidung als unbegründet zurückweist. Nach § 202 S 1 SGG iVm § 547 Nr 6 ZPO liegt ein absoluter Revisionsgrund vor, wenn die Entscheidung entgegen den Bestimmungen dieses Gesetzes nicht mit Gründen versehen ist. Die Begründungspflicht ist zwar nicht schon dann verletzt, wenn die Ausführungen des Gerichts zu den rechtlichen Voraussetzungen und zum tatsächlichen Geschehen aus der Sicht eines Dritten falsch, oberflächlich oder wenig überzeugend sind (stRspr vgl ua BSG Beschluss vom 21.12.1987 - 7 BAr 61/84 - Juris; Keller, aaO, § 136 RdNr 7e mwN). Umgekehrt ist ein Urteil nicht nur dann nicht mit Gründen versehen, wenn es überhaupt keine Gründe enthält, sondern auch, wenn die Gründe in so extremem Maß mangelhaft sind, dass sie ihre Funktion - Unterrichtung der Beteiligten über die dem Urteil zugrundeliegenden Erwägungen; Grundlage der Nachprüfung des Rechtsmittelgerichts - nicht erfüllen können (vgl BVerwG Beschluss vom 5.6.1998 - 9 B 412/98 - NJW 1998, 3290 mwN; Keller, aaO, mwN). Vom Fehlen der Entscheidungsgründe ist jedenfalls auszugehen, wenn die Entscheidungsgründe vollständig oder zu wesentlichen Teilen fehlen oder sich als derart verworren oder unverständlich darstellen, dass sie unbrauchbar sind (vgl BSG Beschluss vom 12.2.2004 - B 4 RA 67/03 B - Juris).

8

Verfahrensfehlerhaft hat das LSG zwar von der nach § 153 Abs 2 SGG bestehenden Möglichkeit, von einer weiteren Darstellung der Entscheidungsgründe abzusehen, Gebrauch gemacht, die Berufung aber nicht - wie vom Gesetz vorgesehen - aus den Gründen der angefochtenen Entscheidung - also der des SG Frankfurt am Main - zurückgewiesen, sondern auf Entscheidungsgründe einer anderen Entscheidung eines anderen Gerichts - SG Kassel - verwiesen. Es ist insoweit auch keine offenbare Unrichtigkeit iS von § 138 S 1 SGG gegeben, da auch die weiteren Daten, insbesondere die Datumsangaben der SG-Entscheidung sowie die der Bescheide, nicht mit den tatsächlich dem vorliegenden Verfahren zugrundeliegenden Sachverhalt übereinstimmen. Auch im Übrigen kann aus den Entscheidungsgründen nicht erschlossen werden, was für die Entscheidung des LSG tragend war. Dem angefochtenen Urteil fehlen damit die Entscheidungsgründe.

9

Daran ändert auch nichts, dass das LSG im Tenor die richtige vorinstanzliche Entscheidung bezeichnet hat, weil die Entscheidungsgründe nicht erkennen lassen, ob auch die Entscheidungsgründe des SG Frankfurt am Main bzw welche Entscheidungsgründe von welchem Gericht für die Entscheidung des LSG maßgebend waren. Es ist auch kein Fall gegeben, in dem das Gericht "nur" Gründe aus einem nicht völlig identischen Parallelverfahren unverändert übernommen hat, trotzdem aber noch eine Auseinandersetzung mit dem Kern des Vorbringens erkennbar sowie die Argumentation nachvollziehbar und verständlich ist (vgl hierzu BSGE 111, 114 = SozR 4-2500 § 87 Nr 26, RdNr 22 mwN).

10

Schließlich steht der drittletzte Absatz der Entscheidungsgründe des LSG-Urteils der Annahme des Fehlens von Entscheidungsgründen im og Sinn nicht entgegen. Zwar weist das LSG darin "ergänzend" auf die bereits vom SG zitierte Rechtsprechung des BVerfG hin und macht hierzu weitere Ausführungen. Dieser "ergänzende" Hinweis auf die Rechtsprechung des BVerfG vermag jedoch die nach § 136 Abs 1 Nr 6 SGG erforderlichen Entscheidungsgründe nicht zu ersetzen.

11

3. Nach § 160a Abs 5 SGG kann das BSG in dem Beschluss über die Nichtzulassungsbeschwerde das angefochtene Urteil aufheben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das LSG zurückverweisen, wenn die Voraussetzungen des § 160 Abs 2 Nr 3 SGG vorliegen, was - wie ausgeführt - hier der Fall ist. Der Senat macht von dieser Möglichkeit Gebrauch.

12

4. Die Entscheidung über die Kosten des Beschwerdeverfahrens bleibt dem LSG vorbehalten.

Dr. Kretschmer
Dr. Mecke
Beck
Stein
Berndt

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