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Bundessozialgericht
Beschl. v. 14.10.2014, Az.: B 1 KR 96/14 B
Begründung der Nichtzulassungsbeschwerde im sozialgerichtlichen Verfahren; Bezeichnung des Verfahrensmangels einer Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör; Verwertung eines Sachverständigengutachtens ohne Anhörung des Sachverständigen bei Zweifeln an einer persönlichen Untersuchung
Gericht: BSG
Entscheidungsform: Beschluss
Datum: 14.10.2014
Referenz: JurionRS 2014, 24027
Aktenzeichen: B 1 KR 96/14 B
ECLI: [keine Angabe]

Verfahrensgang:

vorgehend:

LSG Niedersachsen-Bremen - 30.04.2014 - AZ: L 1 KR 163/11

SG Hannover - AZ: S 16 KR 568/06

BSG, 14.10.2014 - B 1 KR 96/14 B

Redaktioneller Leitsatz:

Allein der Umstand, dass ein Sachverständiger ein Gutachten mit der Formulierung "Einverstanden auf Grund eigener Untersuchung und Urteilsbildung" unterzeichnet hat, belegt nicht, dass der Sachverständige tatsächlich eine persönliche Untersuchung vorgenommen hat. In einem solchen Fall muss das Tatsachengericht, wenn es nicht anderweitig Klarheit über die Verwertbarkeit des Gutachtens erzielen will, den Sachverständigen auf Antrag des Betroffenen zur Erläuterung des Umfangs seiner Mitwirkung zur mündlichen Verhandlung laden.

in dem Rechtsstreit

Az: B 1 KR 96/14 B

L 1 KR 163/11 (LSG Niedersachsen-Bremen)

S 16 KR 568/06 (SG Hannover)

...............................................,

Klägerin und Beschwerdeführerin,

Prozessbevollmächtigte: ...............................................,

gegen

Techniker Krankenkasse,

Bramfelder Straße 140, 22305 Hamburg,

Beklagte und Beschwerdegegnerin.

Der 1. Senat des Bundessozialgerichts hat am 14. Oktober 2014 durch den Richter Prof. Dr. H a u c k als Vorsitzenden, die Richter C o s e r i u und Dr. E s t e l m a n n sowie die ehrenamtliche Richterin B e r n d t und den ehrenamtlichen Richter R i e s

beschlossen:

Tenor:

Auf die Nichtzulassungsbeschwerde der Klägerin wird das Urteil des Landessozialgerichts Niedersachsen-Bremen vom 30. April 2014 aufgehoben.

Die Sache wird zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Landessozialgericht zurückverwiesen.

Gründe

I

1

Die bei der beklagten Krankenkasse versicherte Klägerin ist mit ihrem Begehren, 3053,98 Euro Kosten der Excimer-Laser-Behandlung vom 18.1. und 15.2.2006 zur Korrektur der Fehlsichtigkeit beider Augen bei Brillenunverträglichkeit von der Beklagten erstattet zu erhalten, bei dieser und in den Vorinstanzen ohne Erfolg geblieben. Das LSG hat zur Begründung ua ausgeführt, die durchgeführte neue Behandlungsmethode der photorefraktiven Keratektomie diene entsprechend dem Gutachten des Sachverständigen Dr. H. zur Korrektur der Fehlsichtigkeit und sei vom Gemeinsamen Bundesausschuss (GBA) in Richtlinien (RL) aus dem Leistungskatalog der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) ausgeschlossen. Ausnahmetatbestände, die die RL für die phototherapeutische Keratektomie vorsähen, griffen entsprechend Dr. H. nicht ein. Eine grundrechtsorientierte Auslegung komme bei der bestehenden starken Sehstörung nach der Rechtsprechung des BSG nicht in Betracht. Es habe der beantragten Anhörung von Dr. H. nicht bedurft, da die Klägerin keine konkreten Fragen gestellt und er durch den Zusatz "Einverstanden auf Grund eigener Untersuchung und Urteilsbildung" seine persönliche Verantwortung kenntlich gemacht habe (Urteil vom 30.4.2014).

2

Die Klägerin wendet sich mit ihrer Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision im LSG-Urteil und rügt Verfahrensmängel.

II

3

Die Nichtzulassungsbeschwerde ist zulässig. Der Kläger bezeichnet insbesondere ausreichend einen Verfahrensfehler (§ 160a Abs 2 S 3 SGG).

4

Wer eine Nichtzulassungsbeschwerde - wie vorliegend - darauf stützt, dass ein Verfahrensmangel vorliege, auf dem die angefochtene Entscheidung beruhen könne (§ 160 Abs 2 Nr 3 SGG), muss zur Bezeichnung des Verfahrensmangels die diesen (vermeintlich) begründenden Tatsachen substantiiert dartun (vgl BSG SozR 1500 § 160a Nr 14, 24, 34, 36). Er hat zudem darzulegen, dass und warum die Entscheidung des LSG - ausgehend von dessen materieller Rechtsansicht - auf dem Mangel beruhen kann, dass also die Möglichkeit einer Beeinflussung des Urteils besteht (vgl BSG SozR 1500 § 160a Nr 14, 36). Die Klägerin trägt diesen Anforderungen mit ihrer Begründung hinreichend Rechnung. Sie rügt ua, das LSG habe Dr. H. zur mündlichen Erläuterung seines Gutachtens laden müssen, da nicht er, sondern Augenarzt W. aus der gleichen Arztpraxis das Gutachten erstellt habe. Dr. H. habe die Klägerin überhaupt nicht gesehen.

5

Die Klägerin rügt damit die Verletzung ihres rechtlichen Gehörs und eine Verletzung von § 118 Abs 1 SGG iVm § 407a ZPO. Gemäß § 407a Abs 2 S 1 ZPO ist der Sachverständige nicht befugt, den Auftrag auf einen anderen zu übertragen. Soweit er sich der Mitarbeit einer anderen Person bedient, hat er diese namhaft zu machen und den Umfang ihrer Tätigkeit anzugeben, falls es sich nicht um Hilfsdienste von untergeordneter Bedeutung handelt (§ 407a Abs 2 S 2 ZPO). Dazu trägt die Klägerin vor, das LSG habe seine Entscheidungsgründe auf das Gutachten von Dr. H. gestützt, dieses aber nicht verwerten dürfen, weil der Sachverständige das Gutachten von Augenarzt W. habe erstellen lassen. Es sei grundlos dem daraufhin von der Klägerin gestellten Antrag nicht gefolgt, Dr. H. im Hinblick hierauf zur mündlichen Erläuterung seines Gutachtens zu laden.

6

Die Nichtzulassungsbeschwerde ist auch begründet. Der gerügte Verfahrensmangel liegt vor. Das LSG hat durch die Verwertung des eingeholten Sachverständigengutachtens ohne Anhörung von Dr. H. das rechtliche Gehör der Klägerin und § 118 Abs 1 SGG iVm § 407a Abs 2 ZPO verletzt. Den Beteiligten steht das Recht zu, den Sachverständigen diejenigen Fragen vorlegen zu lassen, die sie zur Aufklärung der Sache für dienlich erachten (§ 116 S 2 SGG, § 118 Abs 1 S 1 SGG iVm §§ 397, 402, 411 Abs 4 ZPO). Die Klägerin hat innerhalb der ihr gesetzten Frist nach Erhalt des Gutachtens ua gerügt, dass das Gutachten nicht vom Sachverständigen erstellt worden sei, und sodann dessen Ladung zur Erläuterung seines Gutachtens beantragt. Das LSG hätte dem Antrag stattgeben müssen. Denn Dr. H. hatte sich der Mitarbeit von Augenarzt W. bedient, ohne den Umfang seiner Tätigkeit anzugeben. Es hatte sich hierbei auch nicht nur um Hilfsdienste von untergeordneter Bedeutung gehandelt, denn die Klägerin hatte Dr. H. nach ihrem Vorbringen - in Kenntnis der Erklärung des Sachverständigen - überhaupt nicht gesehen. Allein der vom LSG in diesem Zusammenhang genannte Umstand, dass Dr. H. das Gutachten mit der Formulierung "Einverstanden auf Grund eigener Untersuchung und Urteilsbildung" unterzeichnet hat, belegt angesichts der sofort geltend gemachten und abweichenden Darstellung der Klägerin nicht, dass der Sachverständige die Klägerin tatsächlich persönlich untersucht hat (vgl auch BSG SozR 4-1500 § 118 Nr 3 RdNr 8). In einem solchen Fall muss das Tatsachengericht, wenn es nicht anderweitig Klarheit über die Verwertbarkeit des Gutachtens erzielen will, den Sachverständigen auf Antrag des Betroffenen zur Erläuterung des Umfangs seiner Mitwirkung zur mündlichen Verhandlung laden. Dies hat das LSG unterlassen.

7

Das angegriffene Berufungsurteil kann auf dem gerügten Verfahrensmangel beruhen, weil sich das LSG für seine Feststellungen, dass die durchgeführte neue Behandlungsmethode der photorefraktiven Keratektomie zur Korrektur der Fehlsichtigkeit diene, der GBA die Methode in RL aus dem Leistungskatalog der GKV ausgeschlossen habe und Ausnahmetatbestände, die die RL für die phototherapeutische Keratektomie vorsähen, nicht eingriffen, auf das Gutachten von Dr. H. gestützt und dieses seiner Entscheidung mit zugrunde gelegt hat.

8

Das BSG kann in dem Beschluss über die Nichtzulassungsbeschwerde das angefochtene Urteil aufheben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung zurückverweisen, wenn die Voraussetzungen des § 160 Abs 2 Nr 3 SGG vorliegen (§ 160a Abs 5 SGG). Der Senat macht auch zur Beschleunigung des Verfahrens von dieser Möglichkeit hinsichtlich des angefochtenen Urteils Gebrauch, da dieses von dem erfolgreich gerügten Verfahrensmangel insgesamt betroffen ist. Der erkennende Senat kann unter diesen Umständen die Frage offenlassen, ob auch die weiteren von der Klägerin gerügten Verfahrensmängel vorliegen.

9

Die Kostenentscheidung für das Beschwerdeverfahren bleibt dem LSG vorbehalten.

Prof. Dr. Hauck
Coseriu
Dr. Estelmann
Berndt
Ries

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