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Bundessozialgericht
Beschl. v. 01.07.2009, Az.: B 4 AS 17/09 B
Begründung der Nichtzulassungsbeschwerde im sozialgerichtlichen Verfahren; Bezeichnung des Verfahrensmangels der Verletzung des Grundsatzes der Öffentlichkeit; Grundsätzliche Bedeutung einer Rechtsfrage; Erneute Klärungsbedürftigkeit
Gericht: BSG
Entscheidungsform: Beschluss
Datum: 01.07.2009
Referenz: JurionRS 2009, 21319
Aktenzeichen: B 4 AS 17/09 B
ECLI: [keine Angabe]

Verfahrensgang:

vorgehend:

LSG Chemnitz - 09.01.2009 - AZ: L 7 AS 163/07

BSG, 01.07.2009 - B 4 AS 17/09 B

Redaktioneller Leitsatz:

1. Es liegt kein Verfahrensmangel wegen Verletzung des Grundsatzes der Öffentlichkeit nach § 61 SGG in Verbindung mit § 169 GVG vor, wenn aufgrund einer Stellungnahme des Vorsitzenden und des Geschäftsstellenbeamten geklärt ist, dass der Begriff "Erörterungstermin" in der Sitzungsniederschrift neben der Bezeichnung "mündliche Verhandlung" versehentlich verwendet wurde und der Zutritt zum Gerichtssaal durchgehend gewährleistet gewesen ist. Eine Verfahrensmangel kann nur dann angenommen werden kann, wenn eine Beschränkung oder der Ausschluss der Öffentlichkeit mit Wissen und Wollen des Vorsitzenden oder des Gerichts geschieht, nicht aber, wenn der gesetzwidrige Zustand dem Gericht infolge unverschuldeter Unkenntnis verborgen geblieben ist.

2. Eine Rechtsfrage kann nur dann wieder klärungsbedürftig werden, wenn ihr in nicht geringfügigem Umfang widersprochen wird und gegen sie nicht von vornherein abwegige Einwendungen vorgebracht werden. [Nicht amtlich veröffentlichte Entscheidung]

in dem Rechtsstreit

Az: B 4 AS 17/09 B

L 7 AS 163/07 (Sächsisches LSG)

S 6 AS 2226/06 (SG Dresden)

1. ....................................,

2. ....................................,

Kläger und Beschwerdeführer,

Prozessbevollmächtigter zu 1. und 2.: ....................................,

g e g e n

Arbeitsgemeinschaft Dresden,

Budapester Straße 30, 01069 Dresden,

Beklagte und Beschwerdegegnerin.

Der 4. Senat des Bundessozialgerichts hat auf die mündliche Verhandlung vom 1. Juli 2009 durch den Vorsitzenden Richter Prof. Dr. S c h l e g e l , den Richter Dr. V o e l z k e und die Richterin S. K n i c k r e h m sowie die ehrenamtliche Richterin S e t z und den ehrenamtlichen Richter J o h a n n s e n

beschlossen:

Tenor:

Die Beschwerde der Kläger gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des Sächsischen Landessozialgerichts vom 9. Januar 2009 wird zurückgewiesen.

Kosten des Beschwerdeverfahrens sind nicht zu erstatten.

Gründe

I

1

Die Beteiligten streiten im Hauptsacheverfahren darüber, ob Kindergeld für den 1986 geborenen Sohn der Klägerin zu 2 als Einkommen bei der Gewährung von Leistungen nach dem SGB II im Zeitraum vom 1.3.2006 bis 30.6.2006 zu berücksichtigen ist.

2

Die Kläger, die im streitigen Zeitraum mit dem Sohn der Klägerin zu 2 in einer Wohnung zusammenlebten, haben sich mit ihrem Widerspruch dagegen gewandt, dass das Kindergeld für den volljährigen Sohn als Einkommen der Klägerin zu 2 berücksichtigt worden ist, solange der Sohn nicht zur Bedarfsgemeinschaft gehört hat. Die Beklagte wies den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 3.11.2006 zurück.

3

Das Sozialgericht (SG) hat die Klage mit Gerichtsbescheid vom 25.9.2007 abgewiesen. Das Landessozialgericht (LSG) hat die Berufung der Kläger mit Urteil vom 9.1.2009 zurückgewiesen und ausgeführt: Bereits mit den Urteilen vom 23.11.2006 (B 11b AS 1/06 R = SozR 4-4200 § 20 Nr 3), bestätigt durch das Urteil vom 25.6.2008 (B 11b AS 45/06 R), habe das Bundessozialgericht (BSG) entschieden, dass das an den kindergeldberechtigten Elternteil ausgezahlte Kindergeld eines in häuslicher Gemeinschaft lebenden volljährigen Kindes dem Kindergeldberechtigten nach § 11 Abs 1 Satz 1 SGB II als Einkommen zuzuordnen sei. Soweit sich die Kläger auf etwaige Beratungsfehler der Beklagten bezögen, könne der Senat einen solchen Beratungsfehler nicht erkennen. Die Kläger könnten auch nicht damit gehört werden, dass mit der Weiterleitung an den Sohn dessen Hilfebedürftigkeit beseitigt worden sei.

4

Gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des LSG wenden sich die Kläger mit ihrer Beschwerde und machen einen Verfahrensmangel (§ 160 Abs 2 Nr 3 SGG) sowie die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache (§ 160 Abs 2 Nr 1 SGG) geltend. Als Verfahrensmangel liege der absolute Revisionsgrund nach § 202 SGG iVm § 547 Nr 1 ZPO vor, weil die Vorschriften über die Öffentlichkeit verletzt worden seien (§ 61 SGG; §§ 169, 173 Gerichtsverfassungsgesetz [GVG]). Das LSG habe in nicht öffentlicher Sitzung verhandelt und in dieser Verhandlung das Urteil verkündet (s Sitzungsniederschrift vom 9.1.2009). Die Revision sei des Weiteren wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache wegen der Frage zuzulassen, ob der Betrag von 154 Euro als Unterhalt nach § 11 Abs 2 SGB II vom Einkommen abzusetzen sei. Zwar habe im fraglichen Zeitraum keine ausdrückliche Regelung für gezahlten Unterhalt bestanden, jedoch sei diese Absetzmöglichkeit schon vor dem Inkrafttreten der Regelung richterrechtlich durch das Bundesverwaltungsgericht geschaffen worden.

5

Der Senat hat eine dienstliche Stellungnahme der Richterin am LSG W eingeholt.

II

6

Die Beschwerde ist zulässig. Die Beschwerdebegründung genügt den prozessualen Anforderungen an die Darlegung bzw Bezeichnung von Zulassungsgründen (§ 160a Abs 2 Satz 3 SGG). Sachlich ist sie jedoch nicht begründet, denn eine Verletzung des Grundsatzes der Öffentlichkeit liegt nicht vor und die aufgeworfene Rechtsfrage ist nicht im allgemeinen Interesse klärungsbedürftig.

7

1. Die Kläger machen als Verfahrensmangel geltend, entgegen § 61 SGG iVm § 169 GVG sei die Öffentlichkeit während der Durchführung des Termins vor dem Berufungsgericht am 9.1.2009 nicht hergestellt worden, weil die Sitzungsniederschrift ausweise, dass es sich um einen Erörterungstermin gehandelt habe.

8

Der geltend gemachte Verfahrensmangel liegt tatsächlich nicht vor. Insoweit folgt die von der Beschwerdebegründung behauptete Tatsache nicht bereits aus der Sitzungsniederschrift, denn die Beweiskraft der Niederschrift (§ 122 SGG iVm § 165 ZPO) tritt nicht ein, wenn das Protokoll in sich widerspruchsvoll ist (BSGE 15, 232, 235 = SozR Nr 164 zu § 162 SGG; Keller in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 9. Aufl 2008, § 122 RdNr 10a). Letzteres ist hier der Fall, weil einerseits eine Niederschrift "über den Erörterungstermin" gefertigt worden ist, andererseits in der Niederschrift zweimal von einer "mündlichen Verhandlung" die Rede ist.

9

Der Senat geht insbesondere auf Grund der dienstlichen Stellungnahme der Richterin am LSG W davon aus, dass durchgehend gewährleistet gewesen ist, dass der Zutritt im Rahmen der tatsächlichen Gegebenheiten deutlich erkennbar gestattet gewesen ist. Danach hat es sich bei der Bezeichnung der Niederschrift auf Seite 1 lediglich um ein Versehen gehandelt. In der dienstlichen Stellungnahme der Justizhauptsekretärin V wird zudem schlüssig aufgeklärt, wie es zu dem Versehen gekommen ist. Damit lag der geltend gemachte Verfahrensfehler tatsächlich nicht vor.

10

Keiner Vertiefung bedarf angesichts des tatsächlichen Ablaufs, dass eine Verletzung des § 61 SGG iVm § 169 Satz 1 ZPO ohnehin nur angenommen werden kann, wenn eine Beschränkung oder der Ausschluss der Öffentlichkeit mit Wissen und Wollen des Vorsitzenden oder des Gerichts geschieht, nicht aber, wenn der gesetzeswidrige Zustand dem Gericht infolge unverschuldeter Unkenntnis verborgen geblieben ist (BSG, Beschluss vom 28.4.2004 - B 6 KA 107/03 B, veröffentlicht in juris).

11

2. Die Beschwerde ist auch unbegründet, soweit die Beschwerdebegründung sinngemäß die Rechtsfrage aufwirft, ob das an den Sohn der Klägerin zu 2 weitergeleitete Kindergeld als Unterhalt nach § 11 Abs 2 SGB II vom Einkommen abzusetzen ist.

12

Grundsätzliche Bedeutung kommt nach ständiger Rechtsprechung einer Rechtsfrage zu, die sich nach der Gesetzeslage und dem Stand der Rechtsprechung und ggf der Lehre nicht ohne weiteres beantworten, eine verallgemeinerungsfähige Antwort des Revisionsgerichts erwarten lässt und nach den Gegebenheiten des Falls klärungsfähig ist (BSGE 40, 41 ff = SozR 1500 § 160a Nr 4; BSG SozR 3-1500 § 160a Nr 7). Die Beschwerde ist nicht begründet, weil die von den Klägern aufgeworfene Rechtsfrage nicht klärungsbedürftig ist.

13

Hierbei lässt der Senat dahinstehen, ob der von der Beschwerdebegründung aufgeworfenen Frage die erforderliche Breitenwirkung zugemessen werden kann, denn die Rechtsfrage zur Berücksichtigung gesetzlicher Unterhaltsverpflichtungen ist - wie die Beschwerdebegründung einräumt - zwischenzeitlich durch die ab 1.8.2006 geltende Regelung in § 11 Abs 2 Nr 7 SGB II (eingefügt durch das Gesetz zur Fortentwicklung der Grundsicherung für Arbeitsuchende vom 20.7.2006, BGBl I 1706) geklärt. Ob sich die Fragestellung angesichts des Zeitablaufs noch in einer nennenswerten Anzahl von Fällen stellt (vgl zu dieser Anforderung BSG SozR 1500 § 160a Nr 19), erscheint fraglich.

14

Unabhängig davon ist die Rechtsfrage nur klärungsbedürftig, wenn hierzu höchstrichterliche Rechtsprechung noch nicht ergangen ist, also schon vorliegende Urteile die aufgeworfene Frage nicht oder nicht umfassend beantworten (BSG SozR 1500 § 160a Nr 65). Insoweit übersehen die Kläger, dass das BSG in der von ihnen angeführten Entscheidung davon ausgegangen ist, dass lediglich der "Disposition entzogene Einkommensteile" das zu berücksichtigende Einkommen zu vermindern vermögen (vgl BSG, Urteil vom 19.9.2008 - B 14/7b AS 10/07 R - RdNr 25). Da es sich nach den bindenden Feststellungen des LSG um freiwillige Zahlungen der Klägerin zu 2 gehandelt hat, ist die gestellte Rechtsfrage bereits durch das BSG beantwortet.

15

Zwar kann eine Rechtsfrage wieder klärungsbedürftig werden, wenn ihr in nicht geringfügigem Umfang widersprochen wird und gegen sie nicht von vornherein abwegige Einwendungen vorgebracht werden (BSG SozR 1500 § 160a Nr 13). Es ist jedoch weder vorgetragen noch ersichtlich, dass diese Voraussetzung vorliegen könnte. Durch den Hinweis auf den Beschluss des LSG Nordrhein-Westfalen vom 26.2.2007 in einem Prozesskostenhilfeverfahren (L 19 B 56/06 AS, veröffentlicht in juris), der zeitlich vor der fraglichen Entscheidung des BSG ergangen ist, werden die genannten Anforderungen nicht erfüllt.

16

Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG.

Prof. Dr. Schlegel
Dr. Voelzke
Knickrehm
Setz
Johannsen

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