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Bundesgerichtshof
Beschl. v. 20.10.2016, Az.: V ZB 106/15
Haftanordnung zur Sicherung der Abschiebung nach dem Ablauf der Frist zur Umsetzung der Rückführungsrichtlinie
Gericht: BGH
Entscheidungsform: Beschluss
Datum: 20.10.2016
Referenz: JurionRS 2016, 30356
Aktenzeichen: V ZB 106/15
ECLI: ECLI:DE:BGH:2016:201016BVZB106.15.0

Verfahrensgang:

vorgehend:

AG Wiesbaden - 13.11.2014 - AZ: 710 XIV 709/14 B

LG Wiesbaden - 10.04.2015 - AZ: 4 T 19/15

Rechtsgrundlagen:

§ 62 Abs. 3 S. 1 Nr. 2, 5 AufenthG a.F.

Art. 36 WÜK

Art. 73 Abs. 2 WÜK

BGH, 20.10.2016 - V ZB 106/15

Der V. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat am 20. Oktober 2016 durch die Vorsitzende Richterin Dr. Stresemann, die Richterinnen Prof. Dr. Schmidt-Räntsch und Dr. Brückner, den Richter Dr. Göbel und die Richterin Haberkamp
beschlossen:

Tenor:

Auf die Rechtsbeschwerde der beteiligten Behörde wird der Beschluss der 4. Zivilkammer des Landgerichts Wiesbaden vom 10. April 2015 aufgehoben.

Die Sache wird zur anderweitigen Behandlung und Entscheidung an das Beschwerdegericht zurückverwiesen.

Der Gegenstandswert des Rechtsbeschwerdeverfahrens beträgt 5.000 €.

Gründe

I.

1

Zur Sicherung der am 8. Dezember 2014 erfolgten Abschiebung hat das Amtsgericht gestützt auf § 62 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 und 5 AufenthG aF mit Beschluss vom 13. November 2014 gegen den Betroffenen Haft bis einschließlich 11. Dezember 2014 angeordnet. Auf die Beschwerde des Betroffenen hat das Landgericht festgestellt, dass die Haftanordnung des Amtsgerichts ihn in seinen Rechten verletzt hat, und der beteiligten Behörde die Verfahrenskosten auferlegt. Mit der von dem Landgericht zugelassenen Rechtsbeschwerde beantragt die beteiligte Behörde, den "gesamten angefochtenen Beschluss aufzuheben". Der Betroffene beantragt, das Rechtsmittel zurückzuweisen.

II.

2

Das Beschwerdegericht hält die Haftanordnung für rechtswidrig. Sie habe nicht auf den Haftgrund der Fluchtgefahr gemäß § 62 Abs. 3 Satz 1 Nr. 5 AufenthG aF gestützt werden dürfen, da Deutschland seine Verpflichtung zur Benennung von Kriterien für die Annahme von Fluchtgefahr nach Art. 3 Nr. 7 der Richtlinie 2008/115/EG (sog. Rückführungsrichtlinie) seinerzeit nicht umgesetzt habe. Der Bundesgerichtshof habe das für die wortgleiche Vorschrift des Art. 2 Buchstabe n der Richtlinie 604/2013 (sog. Dublin-III-Verordnung) entschieden. Für Art. 3 Nr. 7 der Rückführungsrichtlinie gelte nichts anderes. Die Voraussetzungen des Haftgrunds nach § 62 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 AufenthG lägen nicht vor. Auf diesen Haftgrund dürfe die Sicherungshaft nur gestützt werden, wenn dem Betroffenen vor dem Verstoß gegen die Pflicht zur Mitteilung eines Aufenthaltswechsels die haftrechtlichen Folgen eines solchen Verstoßes deutlich vor Augen geführt worden seien. Für die Erteilung eines entsprechenden Hinweises sei hier nichts ersichtlich. Da ein begründeter Anlass zur Stellung des Haftantrags nicht vorgelegen habe, seien der beteiligten Behörde die außergerichtlichen Kosten des Betroffenen aufzuerlegen.

III.

3

Diese Erwägungen halten einer rechtlichen Prüfung nicht stand. Die auf Grund der Zulassung durch das Beschwerdegericht statthafte und auch sonst zulässige Rechtsbeschwerde der beteiligten Behörde ist begründet. Haft zur Sicherung der Abschiebung konnte entgegen der Ansicht des Beschwerdegerichts auch nach dem Ablauf der Frist zur Umsetzung der Rückführungsrichtlinie am 24. Dezember 2011 auf den Haftgrund der Fluchtgefahr nach § 62 Abs. 3 Satz 1 Nr. 5 AufenthG in der bis zum 31. Juli 2015 geltenden Fassung gestützt werden (zu den Einzelheiten: Senat, Beschluss vom 18. Februar 2016 - V ZB 23/15, InfAuslR 2016, 235 Rn. 10, 14 f. und 16 f.).

IV.

4

Die Sache ist nicht entscheidungsreif, da sich das Beschwerdegericht - von seinem Standpunkt aus konsequent - nicht mit der Frage befasst hat, ob die Voraussetzungen des § 62 Abs. 3 Satz 1 Nr. 5 AufenthG aF seinerzeit vorlagen. Sie ist deshalb unter Aufhebung der Beschwerdeentscheidung zur anderweitigen Behandlung und Entscheidung an das Beschwerdegericht zurückzuverweisen. Dafür weist der Senat vorsorglich auf Folgendes hin:

5

1. Der Betroffene war zwar gemäß Art. 73 Abs. 2 WÜK jedenfalls auch nach Art. 36 WÜK zu belehren, weil Tunesien Vertragsstaat des Wiener Übereinkommens über den konsularischen Dienst ist (Bekanntmachung vom 30. November 1971, BGBl. II S. 1285). Etwaige Fehler bei dieser Belehrung führten nur aber dann zur Rechtswidrigkeit der Haftanordnung, wenn das Verfahren ohne den Fehler zu einem anderen Ergebnis hätte führen können (Senat, Beschluss vom 22. Oktober 2015 - V ZB 79/15, InfAuslR 2016, 108 Rn. 10).

6

2. Sollte es auf den Haftgrund des nicht angezeigten Aufenthaltswechsels nach § 62 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 AufenthG im weiteren Verfahren noch ankommen, wäre zu beachten, dass dieser Haftgrund nicht nur einen deutlichen Hinweis darauf voraussetzt, dass bei einer Verletzung der Anzeigepflicht Abschiebungshaft angeordnet werden kann, sondern auch erfordert, dass dieser Hinweis einem Betroffenen, der Deutsch nicht beherrscht, in seine Muttersprache oder eine andere Sprache übersetzt wird, die er beherrscht (Senat, Beschluss vom 14. Januar 2016 - V ZB 178/14, FGPrax 2016, 87 Rn. 8).

Stresemann

Schmidt-Räntsch

Brückner

Göbel

Haberkamp

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