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Bundesgerichtshof
Beschl. v. 12.10.2016, Az.: V ZB 8/15
Notwendigkeit des Vorliegens eines Vorliegen eines zulässigen Haftantrags für die Anordnung einer SIcherungshaft bei einem Asylbewerbers
Gericht: BGH
Entscheidungsform: Beschluss
Datum: 12.10.2016
Referenz: JurionRS 2016, 27355
Aktenzeichen: V ZB 8/15
ECLI: ECLI:DE:BGH:2016:121016BVZB8.15.0

Verfahrensgang:

vorgehend:

AG Frankfurt am Main - 18.11.2014 - AZ: 934 XIV 1771/14 B

LG Frankfurt am Main - 07.01.2015 - AZ: 2-29 T 295/14

BGH, 12.10.2016 - V ZB 8/15

Der V. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat am 12. Oktober 2016 durch die Vorsitzende Richterin Dr. Stresemann, die Richterin Prof. Dr. Schmidt-Räntsch und die Richter Dr. Kazele, Dr. Göbel und Dr. Hamdorf

beschlossen:

Tenor:

Auf die Rechtsbeschwerde wird festgestellt, dass der Beschluss des Amtsgerichts Frankfurt am Main vom 18. November 2014 und der Beschluss der 29. Zivilkammer des Landgerichts Frankfurt am Main vom 7. Januar 2015 den Betroffenen in seinen Rechten verletzt haben.

Gerichtskosten werden in allen Instanzen nicht erhoben. Die zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung notwendigen Auslagen des Betroffenen in allen Instanzen werden dem Land Hessen auferlegt.

Der Gegenstandswert des Rechtsbeschwerdeverfahrens beträgt 5.000 €.

Gründe

I.

1

Der Betroffene ist ghanaischer Staatsangehöriger. Nachdem er seinen Asylantrag zurückgenommen hatte, wurde das Asylverfahren mit bestandskräftigem Bescheid vom 28. Februar 2014 eingestellt. Darin wurde er aufgefordert, die Bundesrepublik Deutschland binnen einer Woche nach Bekanntgabe der Entscheidung zu verlassen. In der Folge tauchte er unter und wurde am 18. November 2014 vorläufig festgenommen.

2

Auf Antrag der beteiligten Behörde hat das Amtsgericht nach Anhörung des Betroffenen mit Beschluss vom gleichen Tage Abschiebungshaft bis einschließlich 13. Januar 2015 angeordnet. Die hiergegen gerichtete Beschwerde des Betroffenen hat das Landgericht mit Beschluss vom 7. Januar 2015 zurückgewiesen. Der Betroffene will nach seiner Abschiebung am 9. Januar 2015 mit der Rechtsbeschwerde die Feststellung erreichen, dass die Anordnung der Haft und deren Aufrechterhaltung durch das Beschwerdegericht seine Rechte verletzt haben.

II.

3

Das Beschwerdegericht meint, die Voraussetzungen für die Anordnung der Sicherungshaft lägen vor. Der Betroffene sei aufgrund des bestandskräftigen Bescheides vom 28. Februar 2014 vollziehbar ausreisepflichtig. Der Haftgrund des § 62 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 AufenthG sei gegeben. Auch entspreche der Haftantrag den Vorgaben des § 417 Abs. 2 FamFG, insbesondere enthalte er konkrete Ausführungen dazu, innerhalb welcher Frist mit der Durchführung der Abschiebung des Betroffenen nach Ghana zu rechnen sei und welche Zwischenschritte hierfür erforderlich seien.

III.

4

Die gemäß § 70 Abs. 3 Satz 1 Nr. 3 FamFG mit dem Feststellungsantrag nach § 62 FamFG statthafte und auch im Übrigen (§ 71 FamFG) zulässige Rechtsbeschwerde ist begründet.

5

1. Die Anordnung der Haft durch das Amtsgericht und deren Aufrechterhaltung durch das Beschwerdegericht haben den Betroffenen in seinen Rechten verletzt, weil es an einem zulässigen Haftantrag fehlt und dieser Mangel während des Verfahrens nicht behoben wurde.

6

a) Das Vorliegen eines zulässigen Haftantrags ist eine in jeder Lage des Verfahrens von Amts wegen zu prüfende Verfahrensvoraussetzung. Zulässig ist der Haftantrag der beteiligten Behörde nur, wenn er den gesetzlichen Anforderungen an die Begründung entspricht. Erforderlich sind Darlegungen zu der zweifelsfreien Ausreisepflicht, zu den Abschiebungsvoraussetzungen, zu der Erforderlichkeit der Haft, zu der Durchführbarkeit der Abschiebung und zu der notwendigen Haftdauer (§ 417 Abs. 2 Satz 2 Nr. 3 bis 5 FamFG). Zwar dürfen die Ausführungen zur Begründung des Haftantrags knapp gehalten sein, sie müssen aber die für die richterliche Prüfung des Falls wesentlichen Punkte ansprechen. Fehlt es daran, darf die beantragte Sicherungshaft nicht angeordnet werden (st. Rspr., vgl. nur Senat, Beschluss vom 18. Dezember 2014 - V ZB 192/13, Rn. 6 mwN).

7

b) Diesen Anforderungen genügt der Haftantrag der beteiligten Behörde nicht, weil er keine ausreichenden Angaben zu der notwendigen Haftdauer enthält. Darin wird lediglich auf die als problemlos bezeichnete Passersatzpapierbeschaffung hingewiesen. Der beantragte Haftzeitraum von acht Wochen könne dennoch notwendig werden, weil aufgrund der erheblichen Straffälligkeit des Betroffenen eine begleitete Rückführung durch die Bundespolizei geboten sei. Der Flugtermin hänge von den zur Verfügung stehenden Begleitbeamten sowie davon ab, ob evtl. noch Visa besorgt werden müssten. Diese allgemein gehaltenen Ausführungen sind vor dem Hintergrund, dass die Haft auf die kürzest mögliche Dauer zu beschränken ist (§ 62 Abs. 1 Satz 2 AufenthG; näher Senat, Beschluss vom 10. Mai 2012 - V ZB 246/11, FGPrax 2012, 225 Rn. 10; vgl. auch Beschluss vom 10. Oktober 2013 - V ZB 67/13, Rn. 9) unzureichend. Angaben zu den einzelnen erforderlichen Schritten und die insoweit für die Bearbeitung konkret anzusetzenden Zeiträume enthält der Haftantrag nicht.

8

c) Mängel in der Antragsbegründung wegen fehlender Angabe zu der notwendigen Haftdauer (§ 417 Abs. 2 Satz 2 Nr. 4 FamFG) führen zur Rechtswidrigkeit der auf Grund eines solchen Antrages erlassenen Haftanordnung (Senat, Beschluss vom 16. Juli 2014 - V ZB 80/13, InfAuslR 2014, 384 Rn. 18 ff.). Sie können allerdings in dem gerichtlichen Verfahren mit Wirkung für die Zukunft geheilt werden. Die Behebung des Mangels kann dadurch erfolgen, dass die Behörde von sich aus oder auf richterlichen Hinweis ihre Darlegung ergänzt, dadurch die Lücken des Haftantrags schließt und der Betroffene dazu Stellung nehmen kann. Der Mangel kann aber auch dadurch behoben werden, dass das Gericht das Vorliegen der an sich seitens der Behörde nach § 417 Abs. 2 FamFG vorzutragenden Tatsachen aufgrund eigener Ermittlungen von Amts wegen (§ 26 FamFG) in dem Beschluss feststellt (Senat, Beschluss vom 16. Juli 2014 - V ZB 80/13, aaO, Rn. 21 ff.).

9

Eine solche Heilung des Mangels durch das Beschwerdegericht kann hier schon deshalb nicht eingetreten sein, weil der Betroffene in der Beschwerdeinstanz nicht persönlich angehört wurde. Eine Anhörung ist in diesen Fällen zwingend erforderlich, weil der Betroffene zuvor (mangels zulässigen Haftantrags) keine Gelegenheit hatte, zu den tatsächlichen und rechtlichen Grundlagen der gegen ihn verhängten Freiheitsentziehung Stellung zu nehmen und damit die nach Art. 104 Abs. 1 Satz 1 GG zu beachtende Verfahrens vorschrift des § 420 Abs. 1 Satz 1 FamFG nicht gewahrt ist (vgl. Senat, Beschluss vom 27. Oktober 2011 - V ZB 284/10, Rn. 9; Beschluss vom 18. Dezember 2014 - V ZB 192/13, Rn. 9; Beschluss vom 29. Oktober 2015 - V ZB 67/15, Rn. 6).

10

2. Außerdem hat das Beschwerdegericht die Voraussetzungen des von ihm angenommenen Haftgrundes nach § 62 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 AufenthG verkannt.

11

a) Nach dieser Vorschrift ist ein Ausländer zur Sicherung der Abschiebung in Haft zu nehmen, wenn die Ausreisefrist abgelaufen ist und er seinen Aufenthaltsort gewechselt hat, ohne der Ausländerbehörde eine Anschrift anzugeben, unter der er erreichbar ist. Der nicht angezeigte Aufenthaltswechsel begründet in diesem Fall die Vermutung, dass die Abschiebung ohne die Inhaftnahme erschwert oder vereitelt wird. Deshalb muss die Ausländerbehörde dem Betroffenen in der Regel die Meldepflicht und die einschneidenden Folgen ihrer Verletzung durch einen Hinweis deutlich vor Augen führen (Senat, Beschluss vom 14. Januar 2016 - V ZB 178/14, FGPrax 2016, 87 Rn. 6 mwN).

12

b) Das Amtsgericht, auf dessen Begründung das Beschwerdegericht Bezug nimmt, führt insoweit aus, dass der Betroffene die Ausländerbehörde nicht über seinen zwischenzeitlichen Aufenthaltsort informiert habe, obwohl er auf die Folgen einer unterlassenen Ausreise hingewiesen worden sei. Das ist rechtsfehlerhaft. Hingewiesen werden muss - in einer dem Betroffenen verständlichen Sprache - auf die Pflicht zur Angabe der Anschrift bei einem Wechsel des Aufenthaltsorts und die Folgen ihrer Verletzung. Diesbezügliche Feststellungen haben die Instanzgerichte nicht getroffen.

13

3. Schließlich beruht die Haftanordnung des Amtsgerichts und ihre Aufrechterhaltung durch das Beschwerdegericht auf einer Verletzung der Amtsermittlungspflicht (§ 26 FamFG) des Haftrichters.

14

a) Die Haftgerichte sind auf Grund von Art. 20 Abs. 3 GG verfassungsrechtlich und auf Grund von § 26 FamFG einfachrechtlich verpflichtet, das Vorliegen der gesetzlichen Voraussetzungen für die Anordnung von Sicherungshaft in rechtlicher und tatsächlicher Hinsicht umfassend zu prüfen. Die Freiheitsgewährleistung des Art. 2 Abs. 2 Satz 2 GG setzt auch insoweit Maßstäbe für die Aufklärung des Sachverhalts und damit für die Anforderungen in Bezug auf die tatsächliche Grundlage der richterlichen Entscheidungen. Es ist unverzichtbare Voraussetzung rechtsstaatlichen Verfahrens, dass Entscheidungen, die den Entzug der persönlichen Freiheit betreffen, auf zureichender richterlicher Sachaufklärung beruhen und eine in tatsächlicher Hinsicht genügende Grundlage haben, die der Bedeutung der Freiheitsgarantie entspricht (BVerfG, InfAuslR 2012, 186 Rn. 18; Senat, Beschluss vom 16. Juni 2016 - V ZB 12/15, Rn. 15; Beschluss vom 20. Januar 2011 - V ZB 226/10, FGPrax 2011, 144 Rn. 15). Hierfür sind regelmäßig die Akten der Ausländerbehörde beizuziehen (BVerfGK 15, 139, 151 mwN). Von dieser Regel kann nur dann abgesehen werden, wenn sich der festzustellende Sachverhalt aus den vorgelegten Teilen der Akte vollständig ergibt und die nicht vorgelegten Teile keine weiteren Erkenntnisse versprechen (Senat, Beschluss vom 16. Juni 2016 - V ZB 12/15, Rn. 26; Beschluss vom 10. Juni 2010 - V ZB 204/09, NVwZ 2010, 1172 Rn. 27; Beschluss vom 17. Juni 2010 - V ZB 3/10, FGPrax 2010, 261 Rn. 21).

15

b) Diese Anforderungen haben Amts- und Landgericht nicht beachtet. Der Haftrichter hat lediglich die Angabe der beteiligten Behörde im Haftantrag übernommen, wonach § 72 Abs. 4 Satz 1 AufenthG aF einer Abschiebung nicht entgegenstehe, weil nach Aktenlage weder eine Anklage noch ein strafrechtliches Ermittlungsverfahren gegen den Betroffenen eingeleitet worden sei. Ob es sich jedoch so verhielt, hätten er und das Beschwerdegericht anhand der über den Betroffenen geführten Ausländerakte prüfen müssen. Der Betroffene rügt mit Erfolg, dass die Darstellung im Haftantrag nicht den Inhalt der Ausländerakte wiedergibt. Aus dem darin enthaltenen Schlussvermerk der Polizei vom 18. November 2014 geht hervor, dass gegen den Betroffenen bei dem Amtsgericht Frankfurt am Main ein Strafverfahren wegen Körperverletzung und bei der Staatsanwaltschaft bei dem Landgericht Hamburg ein Ermittlungsverfahren wegen illegalen Aufenthalts anhängig waren. Ihr ist weiterhin lediglich zu entnehmen, dass die Amtsanwaltschaft Frankfurt am Main am 25. November 2014, mithin erst nach der Haftanordnung des Amtsgerichts, ihr Einvernehmen mit der Abschiebung erklärt hat. Die nach dem Aktenstand ebenfalls erforderliche Zustimmung der Staatsanwaltschaft bei dem Landgericht Hamburg, deren telefonische Unterrichtung ausweislich des polizeilichen Schlussvermerks versucht wurde, ist in ihr nicht dokumentiert. Das Fehlen der nach § 72 Abs. 4 Satz 1 AufenthG aF erforderlichen Zustimmung der zuständigen Staatsanwaltschaft führt zur Unzulässigkeit der Abschiebungshaft (Senat, Beschluss vom 24. Februar 2011 - V ZB 202/10, FGPrax 2011, 146, Rn. 7 mwN).

16

4. Von einer weiteren Begründung wird abgesehen (§ 74 Abs. 7 FamFG).

Stresemann

Schmidt-Räntsch

Kazele

Göbel

Hamdorf

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