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Bundesgerichtshof
Beschl. v. 29.09.2016, Az.: 2 StE 16/15
Fortdauer der Untersuchungshaft aufgrund der Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung
Gericht: BGH
Entscheidungsform: Beschluss
Datum: 29.09.2016
Referenz: JurionRS 2016, 27784
Aktenzeichen: 2 StE 16/15
ECLI: [keine Angabe]

Verfahrensgang:

vorgehend:

OLG München - 03.08.2016

Rechtsgrundlage:

§ 112 Abs. 3 StPO

Verfahrensgegenstand:

Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung u.a.

BGH, 29.09.2016 - 2 StE 16/15

Der 3, Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des Generalbundesanwalts sowie der Angeklagten und ihrer Verteidiger am 29. September 2016 gemäß § 304 Abs. 4 Satz 2 Halbsatz 2 Nr. 1 StPO
beschlossen:

Tenor:

Auf die Beschwerde der Angeklagten wird der Beschluss des Oberlandesgerichts München vom 3. August 2016 aufgehoben.

Die Sache wird zu neuer Behandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an das Oberlandesgericht zurückverwiesen.

Gründe

I.

Die Angeklagte wurde am 6. Mai 2015 vorläufig festgenommen und befindet sich seit diesem Tag aufgrund des Haftbefehls des Ermittlungsrichters des Bundesgerichtshofs vom 5. Mai 2015 (3 BGs 78/15) ununterbrochen in Untersuchungshaft. Nach diesem Haftbefehl liegt ihr zur Last, sie habe zusammen mit den Mitangeklagten pp. spätestens im November 2014 die terroristische Vereinigung "Oldschool Society" (kurz: OSS) gegründet und sich an ihr als Mitglied beteiligt (§ 129a Abs. 1 StGB). Ziel dieser Gruppierung, deren Kommunikation weitgehend in Chat-Gruppen stattgefunden habe, sei es gewesen, in kleineren Gruppen bewaffnete Anschläge auf namhafte Salafisten, Moscheen und Asylbewerberheime zu begehen. Die Angeklagte, die als Schriftführerin in die Führungsgruppe der Vereinigung eingebunden gewesen sei, die sich "Geheimrat" genannt und eine gesonderte Chat-Gruppe unterhalten habe, habe mit wesentlichen Redebeiträgen die Diskussionen im "Chat" über mögliche Anschläge bestimmt und in Zusammenarbeit mit dem als "Präsident" der OSS fungierenden Mitangeklagten H. die persönlichen Zusammenkünfte der Gruppierung anberaumt, so auch ein vom 8. bis zum 10. Mai 2015 geplantes Treffen. Anlässlich dieser Zusammenkunft habe die Angeklagte jedenfalls zusammen mit den Mitangeklagten einen mittels Spreng- und Brandsätzen geführten Angriff auf ein Asylbewerberheim unternehmen wollen. In Umsetzung dieser Planung habe sie sich mit dem Mitangeklagten W. am 1. Mai 2015 nach Tschechien begeben, wo sie pyrotechnische Gegenstände mit hoher Sprengkraft, die in Deutschland nicht zugelassen sind, erworben hätten. Diese hätten teilweise zum Bau von Nagelbomben verwendet bzw. mit brennbaren Stoffen verbunden werden und bei dem geplanten Angriff auf ein Asylbewerberheim Verwendung finden sollen. Nach Rückkehr nach Deutschland habe der Mitangeklagte W. die Mitangeklagten O. und H. über den Erwerb der Gegenstände informiert und - unter Beteiligung der Angeklagten - konkret die Verwendung der Sprengsätze bei dem Angriff auf ein Asylbewerberheim festgelegt. Allen Beteiligten sei bewusst gewesen, dass bei den ins Auge gefassten Anschlägen Leib und Leben von Menschen geschädigt werden können.

Der Senat hat mit Beschlüssen vom 17. Dezember 2015 (AK 43-46/15) und 7. April 2016 (AK15-18/16) im Haftprüfungsverfahren nach §§ 121 f. StPO jeweils die Fortdauer der Untersuchungshaft angeordnet. Einen dringenden Tatverdacht hat er dahingehend gesehen, dass jedenfalls die Mitglieder der Führungsgruppe der OSS eine terroristische Vereinigung im Sinne des § 129a Abs. 1 Nr. 1 StGB bildeten, an der sich die Angeklagte als Mitglied beteiligte. Ob die OSS insgesamt als derartige Vereinigung einzustufen und ob der Angeklagten auch deren Gründung anzulasten sei, hat der Senat ausdrücklich offengelassen. Ebenfalls am 17. Dezember 2015 hat der Generalbundesanwalt Anklage zum 8. Strafsenat des Oberlandesgerichts München erhoben, mit der er der Angeklagten vorwirft, eine terroristische Vereinigung gegründet und sich an ihr mitgliedschaftlich beteiligt sowie tateinheitlich ein Explosionsverbrechen vorbereitet zu haben. Das Oberlandesgericht hat die Anklage unverändert zur Hauptverhandlung zugelassen. Diese hat am 27. April 2016 begonnen und wurde bis zum Antrag auf Aufhebung des Haftbefehls am 27. Juli 2016 an 15 Hauptverhandlungstagen geführt. Zu diesem Zeitpunkt war als letzter Verhandlungstag der 22. November 2016 vorgesehen. Allerdings mussten im September wegen einer nicht aufschiebbaren Operation eines Senatsmitglieds mehrere Termine entfallen.

Mit Schriftsatz vom 27. Juli 2016 hat einer der Verteidiger der Angeklagten, Rechtsanwalt Hübner, die Aufhebung des Haftbefehls, hilfsweise dessen Außervollzugsetzung, beantragt. Zur Begründung hat er ausgeführt, dass nach der bisherigen Beweisaufnahme der dringende Verdacht, dass es sich bei der OSS um eine terroristische Vereinigung handele, in Frage zu stellen sei. Zudem lägen die auch beim Haftgrund der Schwerkriminalität zu beachtenden Haftgründe der Verdunkelungs- und Fluchtgefahr nicht (mehr) vor. Weiterhin macht er einen Verstoß gegen das Beschleunigungsgebot geltend, da bis zum Haftprüfungsantrag durchschnittlich nur 1, 2 Tage pro Woche verhandelt worden sei. Das Oberlandesgericht hat diesen Antrag mit Beschluss vom 3. August 2016 zurückgewiesen. Die bisherige Beweisaufnahme habe den dringenden Tatverdacht der Gründung einer terroristischen Vereinigung und der mitgliedschaftlichen Beteiligung an dieser nicht entkräftet. Insoweit wie auch hinsichtlich des Vorliegens der Haftgründe der Schwerkriminalität und der Fluchtgefahr verweist es auf die Gründe der Entscheidung des Senats vom 17. Dezember 2015. Unter näherer Darlegung des Gangs der Hauptverhandlung sieht das Oberlandesgericht darüber hinaus das Beschleunigungsgebot als nicht verletzt an. Hiergegen richtet sich die Beschwerde der Angeklagten, die weiterhin insbesondere das Vorliegen von Haftgründen und die Einhaltung des Beschleunigungsgebots in Abrede nimmt. Das Oberlandesgericht hat dem Rechtsmittel mit Beschluss vom 30. August 2016 nicht abgeholfen. Der Generalbundesanwalt hat beantragt, die Beschwerde zurückzuweisen.

II.

Das gemäß § 304 Abs. 4 Satz 2 Halbsatz 2 Nr. 1 StPO statthafte und auch im Übrigen zulässige Rechtsmittel führt zur Aufhebung des angefochtenen Beschlusses und Zurückverweisung der Sache zu neuer Bescheidung durch das Oberlandesgericht. Die dem Senat bislang unterbreiteten tatsächlichen Grundlagen reichen für eine abschließende Beurteilung des dringenden Tatverdachts bezüglich der der Angeklagten vorgeworfenen Tat nicht aus.

1. Nach der Rechtsprechung des Senats unterliegt die Beurteilung des dringenden Tatverdachts, die das erkennende Gericht während laufender Hauptverhandlung vornimmt, im Haftbeschwerdeverfahren nur in eingeschränktem Umfang der Nachprüfung durch das Beschwerdegericht (BGH, Beschlüsse vom 2. September 2003 - StB 11/03, NStZ-RR 2003, 368; vom 19. Dezember 2003 - StB 21/03, StV 2004, 143; vom 8. Oktober 2012 - StB 9/12, NStZ-RR 2013, 16, 17; vom 22. Oktober 2012 - StB 12/12, NJW 2013, 247, 248; vom 5. Februar 2015 - StB 1/15, BGHR StPO § 304 Abs. 4 Haftbefehl 3). Allein das Gericht, vor dem die Beweisaufnahme stattfindet, ist in der Lage, deren Ergebnisse aus eigener Anschauung festzustellen und zu würdigen sowie auf dieser Grundlage zu bewerten, ob und hinsichtlich welcher Taten der dringende Tatverdacht nach dem erreichten Verfahrensstand (noch) besteht. Das Beschwerdegericht hat demgegenüber keine eigenen unmittelbaren Erkenntnisse über den Verlauf der Beweisaufnahme. Da diesem aber die volle Überprüfung der angefochtenen Entscheidung obliegt (KK-Zabeck, 7. Aufl., § 309 Rn. 6), muss es in die Lage versetzt werden, seine Entscheidung über das Rechtsmittel des Angeklagten auf einer hinreichend tragfähigen tatsächlichen Grundlage zu treffen; denn es hat in gleicher Weise wie das Tatgericht alle Voraussetzungen für den weiteren Vollzug der Untersuchungshaft festzustellen und ist daher nicht auf die Überprüfung der Haftgründe und der Einhaltung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit beschränkt. Dies bedingt, dass das erstinstanzliche Gericht dem Beschwerdegericht das Ergebnis seiner bisherigen Beweiserhebungen zumindest in zusammenfassender knapper Form zur Kenntnis bringt, damit dieses in eigener Verantwortung aus einer Zusammenschau des bisher erzielten Ergebnisses der Beweisaufnahme in der Hauptverhandlung mit den noch nicht in diese eingeführten, nach den Ermittlungen aber zur Verfügung stehenden weiteren Beweisen beurteilen kann, ob der dringende Tatverdacht weiter zu bejahen ist (s. etwa OLG Koblenz, Beschluss vom 19. November 1993 - 2 Ws 654/93, StV 1994, 316, 317; KG, Beschluss vom 18. April 2016 - 4 Ws 40/16, StraFo 2016, 292 [KG Berlin 18.04.2016 - 4 Ws 40/16 - 141 AR 165/16]). Nur so kann auch den erhöhten Anforderungen, die nach ständiger Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts an die Begründungstiefe von Haftfortdauerentscheidungen zu stellen sind (vgl. etwa BVerfG, Beschluss vom 24. August 2010 - 2 BvR 1113/10, StV 2011, 31, 33), ausreichend Rechnung getragen werden.

Im Einzelnen bedeutet dies: Ist die Beweiserhebung bereits vorgeschritten, so genügt es regelmäßig nicht, wenn das Tatgericht auf frühere Haftfortdauerentscheidungen oder das wesentliche Ergebnis der Ermittlungen verweist und lediglich festhält, dass der dort beschriebene Tatverdacht durch die Beweisaufnahme nicht entkräftet worden sei. Denn der dringende Verdacht ist nicht für das ganze Verfahren gleich (LR/Hilger, StPO, 26. Aufl., § 112 Rn. 19). Ein zu Beginn der Ermittlungen vorliegender dringender Tatverdacht kann sich bereits im Ermittlungsverfahren nach dem sich in der Regel stetig ändernden Stand der Ermittlungen verstärken oder aber abschwächen bzw. ganz entfallen (LR/Hilger aaO; KK-Graf, StPO, 7. Aufl., § 112 Rn. 6, jew. mwN; OLG Brandenburg, Beschluss vom 20. Dezember 1995 - 2 (3) HEs 106/95, StV 1996, 157; OLG Köln, Beschluss vom 22. Dezember 1998 - HEs 233/98, StV 1999, 156, 157). Ebenso kann sich die Stärke des Tatverdachts mit fortschreitender Beweisaufnahme in der Hauptverhandlung verändern, je nachdem, ob die erhobenen Beweise das den Akten zu entnehmende Beweisergebnis bestätigen oder aber das Gericht nicht zu überzeugen vermögen.

Um dem Beschwerdegericht eine eigenverantwortliche Entscheidung zu ermöglichen, bedarf es deshalb einer - wenn auch knappen - Darstellung, ob und inwieweit sowie durch welche Beweismittel sich der zu Beginn der Beweisaufnahme vorliegende Verdacht bestätigt hat und welche Beweisergebnisse noch zu erwarten sind. Dies bedeutet nicht, dass das Tatgericht alle bislang erhobenen Beweise in der von ihm zu treffenden Entscheidung einer umfassenden Darstellung und Würdigung unterziehen muss. Die abschließende Bewertung der Beweise und ihre entsprechende Darlegung ist den Urteilsgründen vorbehalten. Es genügt, wenn das erkennende Gericht darlegt, auf welche in der Hauptverhandlung erhobenen Beweise es den dringenden Tatverdacht stützt. Deren Bewertung bedarf es regelmäßig nicht. Zu Inhalt und Ergebnis aller Beweiserhebungen muss sich das Tatgericht nicht erklären (vgl. BGH, Beschluss vom 21. April 2016 - StB 5/16, NStZ-RR 2016, 217 mwN). Auch kann - schon zur Vermeidung ausschließlicher und damit überflüssiger Schreibarbeit - insbesondere bezüglich des noch erwartenden Beweisergebnisses in geeigneten Fällen grundsätzlich auf frühere Entscheidungen oder die Anklage Bezug genommen werden (vgl. BGH, Beschluss vom 22. September 2016 - StB 29/16, Rn. 8).

2. Den dargestellten Anforderungen wird der angegriffene Beschluss nicht gerecht. Der Senat kann auf der Grundlage der bisherigen Ausführungen des Oberlandesgerichts auch mit Blick auf den Inhalt der Anklageschrift, den Nichtabhilfebeschluss und den Senatsbeschluss vorn 17. Dezember 2015, auf den das Oberlandesgericht verweist, nicht abschließend beurteilen, ob und in welchem Umfang der dringende Verdacht einer Straftat nach § 129a StGB nach der bis zur Haftentscheidung an 17 Tagen stattgefundenen Hauptverhandlung fortbesteht. Es lässt sich der angefochtenen Entscheidung zwar noch entnehmen, dass das Oberlandesgericht im Rahmen der bisherigen Beweis- aufnahme Zeugen vernommen und Telefonate und Audio-Chats in Augenschein genommen hat. Eine auch nur ansatzweise Konkretisierung des daraus gewonnenen Beweisergebnisses, das den dringenden Verdacht jedenfalls der mitgliedschaftlichen Beteiligung an einer terroristischen Vereinigung bestätigt haben könnte, lässt der Beschluss jedoch vermissen. Dabei kommt insbesondere dem Umstand Gewicht zu, dass der Mitangeklagte O., auf dessen Einlassungen im Ermittlungsverfahren der Senat in seinem Beschluss vom 17. Dezember 2015 den dringenden Verdacht gegen die Angeklagte maßgeblich gestützt hat, in der Hauptverhandlung von seinem Aussageverweigerungsrecht Gebrauch gemacht hat. Ob und in welcher Form das Oberlandesgericht dessen Angaben gleichwohl in die Hauptverhandlung hat einführen und sich von ihrer Richtigkeit hat überzeugen können, lässt seine Entscheidung nicht erkennen. Ebenso wenig kann dieser entnommen werden, wie das Oberlandesgericht zu dem - vom Senat in seinen Haftprüfungsentscheidungen offen gelassenen - dringenden Verdacht gelangt ist, dass die Angeklagte sich nicht nur als Mitglied an einer terroristischen Vereinigung beteiligt, sondern diese auch gegründet hat. Damit der Senat das Vorliegen eines dringenden Tatverdachts in einer die Entscheidung über die Beschwerde der Angeklagten tragenden Weise bewerten kann, bedarf es daher weiterer Darlegungen des Ergebnisses der Beweisaufnahme durch das Oberlandesgericht, als dies bislang geschehen ist.

Bei dieser Sach- und Rechtslage scheidet eine abschließende Sachentscheidung des Senats ausnahmsweise aus. Die vorliegende Fallkonstellation entspricht derjenigen, bei der ein Verfahrensmangel vorliegt, den das Beschwerdegericht nicht beheben kann (vgl. hierzu Meyer-Goßner, StPO, 59. Aufl., § 309 Rn. 8 mwN). Das Begehren der Angeklagten bedarf deshalb insgesamt neuer Befassung und Entscheidung durch das Oberlandesgericht, das dabei auch über die Kosten des Rechtsmittels zu befinden haben wird.

III.

Dagegen sind nach derzeitigem Sachstand keine Gründe ersichtlich, auf das Rechtsmittel der Angeklagten den Haftbefehl des Ermittlungsrichters des Bundesgerichtshofs vom 5. Mai 2015 aufzuheben:

1. Sollte - was der Senat zum jetzigen Zeitpunkt nicht abschließend beurteilen kann - der dringende Verdacht der mitgliedschaftlichen Beteiligung an einer terroristischen Vereinigung weiterhin bestehen, dann wäre gegen die Annahme des Haftgrundes der Schwerkriminalität nach § 112 Abs. 3 StPO nichts zu erinnern.

a) Bei den in § 112 Abs. 3 StPO aufgeführten Straftaten der Schwerkriminalität, zu denen auch die Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung nach § 129a Abs. 1 StGB zählt, darf nach dem Wortlaut die Untersuchungshaft auch dann angeordnet werden, wenn ein Haftgrund nach § 112 Abs. 2 StPO - namentlich Flucht, Fluchtgefahr oder Verdunkelungsgefahr - nicht besteht. Allerdings ist die Vorschrift nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG, Beschluss vorn 15. Dezember 1965 - 1 BvR 513/65, BVerfGE 19, 342, 350 f.) wegen eines sonst darin enthaltenen offensichtlichen Verstoßes gegen den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit verfassungskonform dahin auszulegen, dass der Erlass eines Haftbefehls auf deren Grundlage nur zulässig ist, wenn Umstände vorliegen, welche die Gefahr begründen, dass ohne die Verhaftung des Beschuldigten die alsbaldige Aufklärung und Ahndung der Tat gefährdet sein könnte. Genügen kann insoweit die zwar nicht mit bestimmten Tatsachen belegbare, aber nach den Umständen des Falles doch nicht auszuschließende Flucht- oder Verdunkelungsgefahr oder die ernstliche Befürchtung, dass der Täter weitere Taten ähnlicher Art begehen werde. Ausreichend, aber auch erforderlich ist die Feststellung, dass jedenfalls eine verhältnismäßig geringe oder entfernte Gefahr dieser Art besteht. Wenn allerdings nach den Umständen des Einzelfalles gewichtige Gründe gegen jede Flucht-, Verdunkelungs- oder Wiederholungsgefahr sprechen, ist nach dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit vom Erlass eines Haftbefehls nach § 112 Abs. 3 StPO abzusehen (BGH, Beschluss vom 23. Dezember 2009 - StB 51/09, NStZ 2010, 445, 448).

b) Entgegen der Ansicht der Beschwerdeführerin kommt es deshalb nicht darauf an, ob bestimmte ihrer Handlungen es wahrscheinlich erscheinen lassen, dass sie auf sachliche oder persönliche Beweismittel einwirken und dadurch die Ermittlung der Wahrheit erschweren wird, wie es der Haftgrund der Verdunkelungsgefahr nach § 112 Abs. 2 Nr. 3 StPO erfordert (Meyer-Goßner/Schmitt, aaO, § 112 Rn. 26 ff. mwN). Vielmehr sind bestimmte Tatsachen, die die Verdunkelungsgefahr belegen, gerade nicht erforderlich; es genügt, dass diese nach den Umständen des Falles nicht auszuschließen ist. Das ist aber vorliegend der Fall, da in der Hauptverhandlung noch weitere Zeugen zu vernehmen sein werden, die zum Umfeld der OSS und damit zu einem Personenkreis zählen, auf den die Angeklagte in der Vergangenheit Einfluss ausgeübt haben soll.

Nichts anderes gilt hinsichtlich der Frage, ob Gründe erkennbar sind, die ausschließen, dass sich die Angeklagte im Falle einer Freilassung dem Verfahren durch Flucht entziehen wird. Weder der Umstand, dass die Angeklagte nur über geringe finanzielle Mittel verfügt, noch ihre Absicht, sich um ihre Kinder kümmern zu wollen, schließen eine Fluchtgefahr aus. Insoweit kann auf die vom Oberlandesgericht aufgeführten Gründe verwiesen werden.

2. Ein Verstoß gegen den Beschleunigungsgrundsatz als spezielle Ausprägung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes liegt nicht vor.

a) Bei der Anordnung und der Aufrechterhaltung der Untersuchungshaft ist das Spannungsverhältnis zwischen dem in Art. 2 Abs. 2 Satz 2 GG gewährleisteten Recht des Einzelnen auf persönliche Freiheit und den unabweisbaren Bedürfnissen einer wirksamen Strafverfolgung zu beachten. Als Ausprägung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes, der nicht nur für die Anordnung, sondern auch für die Dauer der Untersuchungshaft von Bedeutung ist, fordert das verfassungsrechtlich ebenfalls in Art. 2 Abs. 2 Satz 2 GG verankerte Beschleunigungsgebot in Haftsachen, dass die Strafverfolgungsbehörden und -gerichte alle möglichen und zumutbaren Maßnahmen ergreifen, um mit der gebotenen Schnelligkeit eine gerichtliche Entscheidung über die einem Beschuldigten vorgeworfenen Taten herbeizuführen. An den zügigen Fortgang des Verfahrens sind dabei umso strengere Anforderungen zu stellen, je länger die Untersuchungshaft schon andauert. Dies gilt auch für die Hauptverhandlung. Bei absehbar umfangreichen Verfahren ist deshalb eine vorausschauende, auch größere Zeiträume umfassende Hauptverhandlungsplanung mit durchschnittlich mehr als nur einem Hauptverhandlungstag pro Woche gefordert (vgl. im Einzelnen BVerfG, Beschlüsse vom 23. Januar 2008 - 2 BvR 2652/07, StV 2008, 198 ff.; vom 24. August 2010 - 2 IlivR 1113/10, StV 2011, 31, 32 ff.; vom 4. Juni 2012 - 2 BvR 644/12, BVerfGK 19, 428,432 f.).

b) Bei Anwendung dieser Grundsätze unterliegt die Verfahrensführung des Oberlandesgerichts keiner Beanstandung. Die Hauptverhandlung hat selbst nach dem Vortrag der Beschwerdeführerin bisher an durchschnittlich mehr als nur einem Tag pro Woche stattgefunden. Nach Beginn der Hauptverhandlung am 27. April 2016 ist nach der Aufstellung der Verteidigung im Mai zwar nur an zwei, im Juni und Juli aber jeweils an sechs Tagen verhandelt worden. Bis dahin waren zwei Verhandlungstermine wegen der Verhinderung von Zeugen aufgehoben worden, nachdem ein vom Gericht vorgeschlagenes alternatives Beweisprogramm für einen dieser Tage nach hiergegen gerichteten Anträgen der Verteidiger nicht durchgeführt werden konnte. Ein weiterer Verhandlungstag musste abgesetzt werden, weil die Angeklagte und der Mitangeklagte O., die sich beide im Ermittlungsverfahren eingelassen hatten, keine Angaben mehr machen wollten. Dass es immer wieder zu sachlich begründeten Terminsaufhebungen kommen kann, ist jeder Hauptverhandlung eigen. Ebenso steht es außer Frage, dass die eine Terminsaufhebung erfordernde Erkrankung eines Verfahrensbeteiligten, die zu einer Aufhebung der für die 37. Kalenderwoche vorgesehenen Verhandlungstage geführt hat, keinen Verstoß gegen das Beschleunigungsgebot begründen kann. Dies gilt selbst dann, wenn es zu einer durch die Erkrankung eines Richters veranlassten längeren Unterbrechung der Hauptverhandlung kommen sollte. Die Strafprozessordnung sieht in § 229 Abs. 3 Satz 1 StPO bei einer krankheitsbedingten Verhinderung eines zur Entscheidung berufenen Richters die Hemmung des Laufs der Unterbrechungsvorschriften vor, wenn die Verhandlung wie hier schon mehr als zehn Tage gedauert hat. Durch diese Fristenhemmung hat der Gesetzgeber zum Ausdruck gebracht, dass eine dadurch hervorgerufene Verzögerung der Hauptverhandlung für die Dauer der Erkrankung des Richters, längstens aber für sechs Wochen, hingenommen werden soll, weil dies der beschleunigten Erledigung des gesamten Verfahrens dient. Denn die Hemmung der Unterbrechungsfristen für die Dauer von höchstens sechs Wochen soll eine deutlich größere Verfahrensverzögerung vermeiden, die in der Regel mit einer Aussetzung der Hauptverhandlung verbunden ist (BT-Drucks. 15/1508 S. 25), und läuft dementsprechend dem Beschleunigungsgebot nicht zuwider, sondern trägt ihm im Gegenteil Rechnung (vgl. BGH, Beschluss vom 8. März 2016 - 3 StR 544/15, NStZ 2016, 557, 558). Schließlich bedarf es keiner näheren Darlegung, dass ein Verstoß gegen das Beschleunigungsgebot nicht dadurch begründet wird, dass im Rahmen der gesetzlichen Regelungen den berechtigten Regenerations- und Erholungsinteressen der Verfahrensbeteiligten in angemessener Weise Rechnung getragen wird; das Beschleunigungsgebot lässt vielmehr Unterbrechungen für eine angemessene Zeit bei einer ansonsten hinreichenden Terminsdichte zu (vgl. BVerfG, Beschluss vom 23. Januar 2008 - 2 BvR 2652/07, StV 2008, 198, 199). Die vorgesehenen Urlaubsunterbrechungen im August und Oktober 2016 stellen mithin keinen Verstoß gegen das Beschleunigungsgebot dar.

3. Auch im Übrigen ist nach dem jetzigen Sachstand und vorbehaltlich des Vorliegens eines dringenden Tatverdachts wenigstens der mitgliedschaftlichen Beteiligung an einer terroristischen Vereinigung der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit (§ 112 Abs. 1 Satz 2 StPO) gewahrt. Auch unter Berücksichtigung der bisherigen Dauer der Untersuchungshaft von nunmehr mehr als 16 Monaten erscheint die Fortdauer der Haft mit Blick auf das Gewicht der der Angeklagten angelasteten Tatbeiträge sowie der für den Fall einer Verurteilung konkret im Raum stehenden Straferwartung und des - unter Berücksichtigung einer etwaigen Aussetzung der Vollstreckung des Strafrests zur Bewährung gemäß § 57 StGB - hypothetischen Strafendes (vgl. BVerfG, Beschluss vom 4. Juni 2012 - 2 BvR 644/12, BVerfGK 19, 428, 433) als nicht unverhältnismäßig. Jedoch kann der Unrechts- und Schuldgehalt der Tat, deren die Angeklagte dringend verdächtig ist, abschließend erst nach der erneuten Befassung er Sache durch das Oberlandesgericht beurteilt werden.

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