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Bundesgerichtshof
Beschl. v. 27.09.2016, Az.: 4 StR 391/16
Unzulässigkeit der Verurteilung wegen einer mit auch nur bedingtem Tötungsvorsatz verwirklichten Aussetzung
Gericht: BGH
Entscheidungsform: Beschluss
Datum: 27.09.2016
Referenz: JurionRS 2016, 28396
Aktenzeichen: 4 StR 391/16
ECLI: ECLI:DE:BGH:2016:270916B4STR391.16.0

Verfahrensgang:

vorgehend:

LG Bielefeld - 08.04.2016

Fundstellen:

Jura 39, 492 - 492

NStZ 2017, 90-91

NStZ-RR 2017, 6

StV 2018, 745-746

Verfahrensgegenstand:

Versuchter Totschlag u.a.

BGH, 27.09.2016 - 4 StR 391/16

Der 4. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des Generalbundesanwalts und der Beschwerdeführerin am 27. September 2016 gemäß § 349 Abs. 2 und 4 StPO beschlossen:

Tenor:

  1. 1.

    Auf die Revision der Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Bielefeld vom 8. April 2016

    1. a)

      im Schuldspruch dahin geändert, dass die tateinheitliche Verurteilung wegen Aussetzung entfällt,

    2. b)

      im Strafausspruch mit den Feststellungen aufgehoben.

  2. 2.

    Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere als Schwurgericht zuständige Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

  3. 3.

    Die weiter gehende Revision wird verworfen.

Gründe

1

Das Landgericht hat die Angeklagte wegen versuchten Totschlags in Tateinheit mit Aussetzung und gefährlicher Körperverletzung zu einer Freiheitsstrafe von vier Jahren verurteilt. Die Revision der Angeklagten, mit der sie allgemein die Verletzung sachlichen Rechts beanstandet, hat den aus der Beschlussformel ersichtlichen Teilerfolg. Im Übrigen ist das Rechtsmittel unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO.

I.

2

Das Landgericht hat folgende Feststellungen und Wertungen getroffen:

3

1. Im Oktober 2014 wurde die Angeklagte ungewollt schwanger. Nachdem es ihr in der Folgezeit gelungen war, dies vor ihrer Umgebung zu verbergen, brachte sie am 14. Juni 2015, einem Sonntag, in einem abgelegenen Rohbau in G. aufrecht stehend und ohne jeden Beistand ihren Sohn zur Welt, der an ihrem Bein entlang mit dem Kopf voran auf den Boden rutschte und sich dadurch eine dislozierte Schädelfraktur zuzog. Obwohl die Angeklagte erkannte, dass ihr Sohn lebte, versorgte sie ihn nicht weiter, sondern verstaute ihn unbekleidet in einer Einkaufs-Tragetasche. Diese legte sie auf einem schlecht einsehbaren Beet nahe dem für Kraftfahrzeuge abgesperrten Parkplatz eines Marktes für Elektronikartikel ab. Dabei sah sie als sicher voraus, dass der Säugling durch dieses Vorgehen in eine lebensgefährliche Lage versetzt und angesichts der örtlichen und zeitlichen Gegebenheiten nicht überleben würde. Das noch lebende Kind wurde von Passanten in den frühen Abendstunden entdeckt und stark dehydriert sowie unterkühlt ins Krankenhaus gebracht. Angesichts der vorherrschenden Außentemperaturen hätte es die Nacht nicht überlebt. Erst am Abend des folgenden Tages kehrte die Angeklagte zum Ablageort zurück, wo sie die Tüte mit ihrem Kind nicht mehr vorfand, aber nichts weiter unternahm.

4

2. Das Landgericht hat angenommen, die Angeklagte, die sich zum Tatzeitpunkt nicht ausschließbar im Zustand erheblich verminderter Steuerungsfähigkeit befunden habe, habe sich - mit direktem Vorsatz handelnd - des versuchten Totschlags schuldig gemacht. Zugleich habe sie ihren Sohn durch die Ablage in der Tragetasche in eine hilflose Lage im Sinne von § 221 Abs. 1 StGB gebracht. Ihr Vorgehen stelle ferner eine ebenfalls tateinheitlich begangene gefährliche Körperverletzung in Form einer das Leben gefährdenden Behandlung im Sinne des § 224 Abs. 1 Nr. 5 StGB dar, da ihr Kind die Nacht im Freien ohne die rechtzeitige Entdeckung nicht überlebt hätte.

5

Die verhängte Freiheitsstrafe hat das Landgericht dem gemäß §§ 22, 23 sowie § 21, jeweils i.V.m. § 49 Abs. 1 StGB, doppelt gemilderten Strafrahmen des § 212 StGB entnommen. Die Annahme eines minder schweren Falles komme auch unter Berücksichtigung des Vorliegens beider vertypter Milderungsgründe nicht in Betracht. Dagegen spreche neben dem Tatbild auch der Umstand, dass die Angeklagte tateinheitlich drei gravierende Delikte begangen habe.

II.

6

1. Soweit das Landgericht die Angeklagte des versuchten Totschlags in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung schuldig gesprochen hat, hält das angefochtene Urteil rechtlicher Nachprüfung stand. Die (weitere) tateinheitliche Verurteilung wegen Aussetzung (§ 221 Abs. 1, 2 Nr. 1 StGB) begegnet jedoch im vorliegenden Fall durchgreifenden rechtlichen Bedenken.

7

a) Der Bundesgerichtshof hat bereits zu § 221 StGB aF entschieden, dass, wer den äußeren Tatbestand der Aussetzung mit wenn auch nur bedingtem Tötungsvorsatz verwirklicht, nur wegen vollendeter oder versuchter Tötung bestraft werden kann, nicht aber wegen Aussetzung (BGH, Urteil vom 27. März 1953 - 1 StR 689/52, BGHSt 4, 113, 116). Zur Begründung hat er darauf abgestellt, dass dem Aussetzungsvorsatz des Gefährdungsdelikts neben dem zugleich gegebenen Tötungsvorsatz des Erfolgsdelikts strafrechtlich keine eigenständige Bedeutung zukomme (BGH aaO; vgl. auch BGH, Urteil vom 24. Oktober 1995 - 1 StR 465/95, BGHR StGB § 221 Konkurrenzen 1; Beschluss vom 19. Oktober 2011 - 1 StR 233/11, BGHSt 57, 28, 31; ebenso SSW-StGB/ Momsen, 2. Aufl., § 221 Rn. 17; Fischer, StGB, 63. Aufl., § 221 Rn. 28; aA Eser in Schönke/Schröder, StGB, 29. Aufl., § 221 Rn. 18; insbes. zu § 221 Abs. 2 Nr. 1 StGB differenzierend MüKo-StGB/Hardtung, 2. Aufl., § 221 Rn. 50).

8

b) Der Senat braucht aus Anlass des vorliegenden Falles nicht zu entscheiden, ob der Auffassung, zwischen einem versuchten Tötungsdelikt und dem Tatbestand der Aussetzung bestehe Gesetzeskonkurrenz, in dieser Allgemeinheit zu folgen ist. Jedenfalls in Fällen, in denen - wie hier - die - mit direktem Vorsatz ausgeführte - versuchte Tötungshandlung gerade im Verbringen des Opfers in eine hilflose Lage im Sinne des § 221 StGB besteht, ist an dieser Rechtsprechung festzuhalten.

9

2. Der Schuldspruch war demgemäß dahin zu ändern, dass die Verurteilung wegen Aussetzung entfällt. Die Änderung des Schuldspruchs macht die Aufhebung des Strafausspruchs erforderlich. Das Landgericht hat der Angeklagten die tateinheitliche Begehung von drei Delikten straferschwerend angelastet. Auch angesichts des Vorliegens von zwei vertypten Milderungsgründen kann der Senat daher nicht mit der erforderlichen Sicherheit gänzlich ausschließen, dass die verhängte Freiheitsstrafe niedriger ausgefallen wäre.

Sost-Scheible

Roggenbuck

Franke

Bender

Paul

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