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Bundesgerichtshof
Urt. v. 07.09.2016, Az.: IV ZR 306/14
Anspruch eines Versicherungsnehmers auf Rückzahlung geleisteter Versicherungsbeiträge einer Rentenversicherung
Gericht: BGH
Entscheidungsform: Urteil
Datum: 07.09.2016
Referenz: JurionRS 2016, 24340
Aktenzeichen: IV ZR 306/14
ECLI: ECLI:DE:BGH:2016:070916UIVZR306.14.0

Verfahrensgang:

vorgehend:

LG Köln - 19.03.2014 - AZ: 26 O 64/13

OLG Köln - 11.07.2014 - AZ: 20 U 61/14

Rechtsgrundlagen:

§ 10a VAG

§ 5a Abs. 2 S. 1 VVG

Fundstelle:

r+s 2016, 607-608

BGH, 07.09.2016 - IV ZR 306/14

Redaktioneller Leitsatz:

  1. 1.

    Eine Widerspruchsbelehrung genügt nicht den inhaltlichen Anforderungen des § 5a Abs. 2 S. 1 VVG a.F., wenn sie den Fristbeginn nur an die "Überlassung der Unterlagen" knüpft. Es fehlt dann eine eindeutige Benennung der nach § 5a Abs. 2 S. 1 VVG a.F. fristauslösenden Unterlagen. Danach beginnt der Lauf der Frist erst, wenn dem Versicherungsnehmer der Versicherungsschein und die Unterlagen nach § 5a Abs. 1 VVG a.F. vollständig vorliegen; zu diesen Unterlagen gehören die Versicherungsbedingungen und die Verbraucherinformation nach § 10a VAG. Diese werden in der Belehrung nicht benannt.

  2. 2.

    § 5a Abs. 2 S. 4 VVG a.F. ist richtlinienkonform teleologisch dergestalt zu reduzieren, dass sie im Anwendungsbereich der Zweiten und der Dritten Richtlinie Lebensversicherung keine Anwendung findet und für davon erfasste Lebens- und Rentenversicherungen sowie Zusatzversicherungen zur Lebensversicherung grundsätzlich ein Widerspruchsrecht fortbesteht, wenn der Versicherungsnehmer nicht ordnungsgemäß über das Recht zum Widerspruch belehrt worden ist und/oder die Verbraucherinformation oder die Versicherungsbedingungen nicht erhalten hat.

Der IV. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat durch die Vorsitze nde Richterin Mayen, die Richterin Harsdorf-Gebhardt, die Richter Dr. Karczewski, Lehmann und die Richterin Dr. Brockmöller im schriftlichen Verfahren gemäß § 128 Abs. 2 ZPO mit Schriftsatzfrist bis zum 15. August 2016

für Recht erkannt:

Tenor:

Auf die Revision der Klägerseite wird das Urteil des 20. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Köln vom 11. Juli 2014 aufgehoben und die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsverfahrens, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.

Der Streitwert wird für das Revisionsverfahren auf 7.285 € festgesetzt.

Tatbestand

1

Die Klägerseite (Versicherungsnehmerin: im Folgenden d. VN) begehrt von dem beklagten Versicherer (im Folgenden Versicherer) Rückzahlung geleisteter Versicherungsbeiträge einer Rentenversicherung.

2

Diese wurde aufgrund eines Antrags d. VN mit Versicherungsbeginn zum 1. November 1998 nach dem so genannten Policenmodell des § 5a VVG in der seinerzeit gültigen Fassung (im Folgenden § 5a VVG a.F.) abgeschlossen. D. VN erhielt mit dem Versicherungsschein die Versicherungsbedingungen und eine Verbraucherinformation nach § 10a des Versicherungsaufsichtsgesetzes (VAG) sowie ein Anschreiben, das eine Belehrung über das Widerspruchsrecht gemäß § 5a Abs. 2 Satz 1 VVG a.F. enthielt. Mit Schreiben vom 13. Januar 2012 erklärte sie den Widerspruch gemäß § 5a VVG a.F. und hilfsweise die Kündigung des Vertrages. Der Versicherer akzeptierte die Kündigung und zahlte den Rückkaufswert aus.

3

Mit der Klage verlangt d. VN Rückzahlung aller auf den Vertrag geleisteten Beiträge nebst Zinsen abzüglich des bereits gezahlten Rückkaufswerts.

4

Nach Auffassung d. VN ist der Versicherungsvertrag nicht wirksam zustande gekommen, weil sie zum einen nicht ordnungsgemäß belehrt worden sei und zum anderen § 5a VVG a.F. mit den Lebensversicherungsrichtlinien der Europäischen Union nicht vereinbar sei.

5

Das Landgericht hat die Klage abgewiesen, das Oberlandesgericht die hiergegen gerichtete Berufung zurückgewiesen. Mit der Revision verfolgt d. VN das Klagebegehren weiter.

Entscheidungsgründe

6

Die Revision führt zur Aufhebung des Berufungsurteils und zur Zurückverweisung der Sache an das Berufungsgericht.

7

I. Dieses hat einen Prämienrückerstattungsanspruch aus ungerechtfertigter Bereicherung verneint. Der Versicherer habe d. VN inhaltlich noch hinreichend deutlich über das Widerspruchsrecht belehrt. Die Belehrung sei auch drucktechnisch ordnungsgemäß. D. VN hätte daher das Widerspruchsrecht innerhalb von 14 Tagen nach Zugang der Unterlagen ausüben müssen. § 5a Abs. 1 Satz 1 i.V.m. Abs. 2 Satz 1 VVG a.F. stehe im Einklang mit europäischem Recht.

8

II. Die Revision ist begründet.

9

1. Ein Anspruch auf Prämienrückzahlung aus § 812 Abs. 1 Satz 1 Alt. 1 BGB kann d. VN nicht mit der vom Berufungsgericht gegebenen Begründung versagt werden.

10

a) Der zwischen den Parteien geschlossene Versicherungsvertrag schafft keinen Rechtsgrund für die Prämienzahlung. Er ist infolge des Widerspruchs d. VN nicht wirksam zustande gekommen. Der Widerspruch war - ungeachtet des Ablaufs der in § 5a Abs. 2 Satz 4 VVG a.F. normierten Jahresfrist - rechtzeitig.

11

aa) Entgegen der Ansicht des Berufungsgerichts belehrte der Versicherer d. VN nicht ordnungsgemäß im Sinne von § 5a Abs. 2 Satz 1 VVG a.F. über das Widerspruchsrecht. Die Widerspruchsbelehrung in dem maßgeblichen Policenbegleitschreiben genügt diesen inhaltlichen Anforderungen nicht, weil sie den Fristbeginn nur an die "Überlassung der Unterlagen" knüpft. Es fehlt eine eindeutige Benennung der nach § 5a Abs. 2 Satz 1 VVG a.F. fristauslösenden Unterlagen. Danach beginnt der Lauf der Frist erst, wenn dem Versicherungsnehmer der Versicherungsschein und die Unterlagen nach § 5a Abs. 1 VVG a.F. vollständig vorliegen; zu diesen Unterlagen gehören die Versicherungsbedingungen und die Verbraucherinformation nach § 10a VAG. Diese werden nicht benannt und entgegen der Ansicht des Berufungsgerichts ergibt sich für d. VN auch nicht unter Einbeziehung des Gesamtinhaltes des Policenbegleitschreibens, welche Unterlagen ihm überlassen worden sein müssen, damit die Widerspruchsfrist in Gang gesetzt wird. Denn auch dort werden sie nirgends aufgeführt. Insoweit unterscheidet sich der Streitfall von den Konstellationen, die den Entscheidungen in den Verfahren IV ZR 16/14 und IV ZR 558/15 zugrunde lagen.

12

Für einen solchen Fall einer nicht ordnungsmäßen Widerspruchsbelehrung bestimmte § 5a Abs. 2 Satz 4 VVG a.F. zwar, dass das Widerspruchsrecht ein Jahr nach Zahlung der ersten Prämie erlischt. Das Widerspruchsrecht bestand hier aber nach Ablauf der Jahresfrist und noch im Zeitpunkt der Widerspruchserklärung fort.

13

Das ergibt die richtlinienkonforme Auslegung des § 5a Abs. 2 Satz 4 VVG a.F. auf der Grundlage der Vorabentscheidung des Gerichtshofs der Europäischen Union vom 19. Dezember 2013 (VersR 2014, 225). Der Senat hat mit Urteil vom 7. Mai 2014 (IV ZR 76/11, BGHZ 201, 101 Rn. 17-34) entschieden und im Einzelnen begründet, die Regelung müsse richtlinienkonform teleologisch dergestalt reduziert werden, dass sie im Anwendungsbereich der Zweiten und der Drit ten Richtlinie Lebensversicherung keine Anwendung findet und für davon erfasste Lebens- und Rentenversicherungen sowie Zusatzversicherungen zur Lebensversicherung grundsätzlich ein Widerspruchsrecht fortbesteht, wenn d. VN - wie hier - nicht ordnungsgemäß über das Recht zum Widerspruch belehrt worden ist und/oder die Verbraucherinformation oder die Versicherungsbedingungen nicht erhalten hat.

14

bb) Die hilfsweise Kündigung des Versicherungsvertrages steht dem Widerspruch nicht entgegen (vgl. Senatsurteil vom 7. Mai 2014 aaO Rn. 36 m.w.N.). Ein Erlöschen des Widerspruchsrechts nach beiderseits vollständiger Leistungserbringung kommt ebenfalls nicht in Betracht (vgl. Senatsurteil vom 7. Mai 2014 aaO Rn. 37 m.w.N.).

15

b) Die bereicherungsrechtlichen Rechtsfolgen der Europarechtswidrigkeit des § 5a Abs. 2 Satz 4 VVG a.F. sind nicht auf eine Wirkung ab Zugang des Widerspruchs (ex nunc) zu beschränken, sondern nur eine Rückwirkung entspricht dem Effektivitätsgebot (dazu im Einzelnen Senatsurteil vom 7. Mai 2014 aaO Rn. 42-44).

16

2. Der Höhe nach umfasst der Rückgewähranspruch nach § 812 Abs. 1 Satz 1 Alt. 1 BGB nicht uneingeschränkt alle gezahlten Prämien. Vielmehr muss sich d. VN bei der bereicherungsrechtlichen Rückabwicklung den jedenfalls bis zur Kündigung des Vertrages genossenen Versicherungsschutz anrechnen lassen. Der Wert des Versicherungsschutzes kann unter Berücksichtigung der Prämienkalkulation bemessen werden; bei Lebensversicherungen kann etwa dem Risikoanteil Bedeutung zukommen (Senatsurteil vom 7. Mai 2014 aaO Rn. 45 m.w.N.).

17

Da es hierzu an Feststellungen fehlt, ist der Rechtsstreit zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen. Es wird den Parteien Gelegenheit zu ergänzendem Vortrag zu geben haben (vgl. Senatsurteil vom 7. Mai 2014 aaO Rn. 46) und dabei auch die Vorgaben der Senatsurteile vom 29. Juli 2015 (IV ZR 384/14, VersR 2015, 1101 [BGH 29.07.2015 - IV ZR 384/14] Rn. 35 ff.; IV ZR 448/14, VersR 2015, 1104 [BGH 29.07.2015 - IV ZR 448/14] Rn. 34 ff. [BGH 29.07.2015 - IV ZR 448/14]) sowie vom 11. November 2015 (IV ZR 513/14, VersR 2016, 33 Rn. 31 ff.) zu beachten haben.

Mayen

Harsdorf-Gebhardt

Dr. Karczewski

Lehmann

Dr. Brockmöller

Von Rechts wegen

Verkündet am: 7. September 2016

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