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Bundesgerichtshof
Beschl. v. 20.07.2016, Az.: IV ZR 345/15
Gehörsverletzung wegen Nichtstattgabe des Antrags auf Anhörung des Sachverständigen in mündlicher Verhandlung
Gericht: BGH
Entscheidungsform: Beschluss
Datum: 20.07.2016
Referenz: JurionRS 2016, 21102
Aktenzeichen: IV ZR 345/15
ECLI: ECLI:DE:BGH:2016:200716BIVZR345.15.0

Verfahrensgang:

vorgehend:

LG Kempten - 03.07.2014 - AZ: 21 O 445/13

OLG München - 18.06.2015 - AZ: 14 U 2974/14

BGH, 20.07.2016 - IV ZR 345/15

Der IV. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat durch die Vorsitzende Richterin Mayen, den Richter Felsch, die Richterin Harsdorf-Gebhardt, den Richter Dr. Karczewski und die Richterin Dr. Brockmöller

am 20. Juli 2016

beschlossen:

Tenor:

Auf die Beschwerde der Klägerin wird die Revision gegen das Urteil des Oberlandesgerichts München - 14. Zivilsenat - vom 18. Juni 2015 zugelassen.

Das vorbezeichnete Urteil wird gemäß § 544 Abs. 7 ZPO aufgehoben und die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsverfahrens, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.

Streitwert: 90.000 €

Gründe

1

I. Die Klägerin verlangt von den Beklagten Rückzahlung eines behaupteten Darlehens, das sie der Beklagten zu 1 in mehreren Teilbeträgen gewährt haben will und für das die Beklagte zu 2 die Mithaftung übernommen haben soll. Hierzu stützt sie sich auf ein mit "Vereinbarung" überschriebenes Schriftstück, in dem die Beklagte zu 1 den Erhalt von 90.000 € als Darlehen bestätigt, dessen Rückzahlung bis Ende Februar 2012 verspricht und die Beklagten zu 2 erklärt, sie werde "bei Nichtbezahlen" die Schulden der Erstbeklagten übernehmen. Die Beklagten haben die Echtheit ihrer beiden Unterschriften unter den - unstreitig - von der Klägerin verfassten Text ebenso wie eine Auszahlung von 90.000 € als Darlehen bestritten.

2

II. Das Landgericht hat nach Beweisaufnahme durch Einholung eines Schriftgutachtens und einer ergänzenden schriftlichen Stellungnahme des Sachverständigen zur Frage der Echtheit der Unterschriften der Klage stattgegeben. Auf die Berufung der Beklagten hat das Oberlandesgericht die Klage abgewiesen. Zur Begründung hat es ausgeführt, die Klägerin habe unter Berücksichtigung der Gesamtumstände den gemäß § 440 Abs. 1 ZPO erforderlichen Nachweis nicht geführt, d ass die Unterschriften auf der "Vereinbarung" echt seien. Zwar spreche das vom Erstgericht zugrunde gelegte Sachverständigengutachten zunächst für die Klägerin. Es lägen aber andererseits etliche Umstände vor, die erhebliche Zweifel an der klägerischen Darstellung hervorriefen. Dem Antrag der Klägerin im Berufungsverfahren, den Sachverständigen zur Erläuterung seines Gutachtens anzuhören, hat das Berufungsgericht nicht entsprochen. Die Auffassung der Klägerin, dass der Sachverständige eigentlich zu dem Ergebnis einer Übereinstimmung "mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit" gekommen sei, könne angesichts der zusammenfassenden Bewertung durch den Sachverständigen nicht nachvollzogen werden.

3

III. Die gegen die Nichtzulassung der Revision gerichtete Beschwerde der Klägerin hat Erfolg. Sie führt gemäß § 544 Abs. 7 ZPO zur Zulassung der Revision unter gleichzeitiger Aufhebung des angefochtenen Urteils und Zurückverweisung der Sache an das Berufungsgericht. Die angefochtene Entscheidung verletzt die Klägerin in entscheidungserheblicher Weise in ihrem Anspruch auf Gewährung rechtlichen Gehörs (Art. 103 Abs. 1 GG), weil ihrem Antrag auf Anhörung des Sachverständigen in mündlicher Verhandlung nicht stattgegeben wurde.

4

1. a) Die Parteien haben zur Gewährleistung des rechtlichen Gehörs nach §§ 397, 402 ZPO einen Anspruch darauf, dass sie dem Sachverständigen die Fragen, die sie zur Aufklärung der Sache für wesentlich erachten, in einer mündlichen Anhörung stellen könne n, und zwar ohne Rücksicht darauf, ob das Gericht seinerseits noch Erläuterungsbedarf sieht oder ob zu erwarten ist, dass der Sachverständige seine Auffassung noch ändert (vgl. Senatsbeschluss vom 19. November 2014 - IV ZR 47/14, VersR 2015, 257 Rn. 8 m.w.N.). Dabei kann von der Partei, die einen Antrag auf Ladung des Sachverständigen stellt, nicht verlangt werden, dass sie die Fragen, die sie an den Sachverständigen zu richten beabsichtigt, im Voraus konkret formuliert. Es genügt, wenn sie allgemein angibt, in welcher Richtung sie durch ihre Fragen eine weitere Aufklärung herbeizuführen wünscht (Senatsbeschluss vom 19. November 2014 aaO). Dass die Klägerin diesen Antrag erst im Berufungsverfahren gestellt hat, rechtfertigt entgegen der Auffassung der Beschwerdeerwiderung angesichts der Umstände des Streitfalles kein anderes Ergebnis.

5

b) Das Berufungsgericht durfte danach hier nicht ohne Ladung des Sachverständigen zur mündlichen Verhandlung maßgeblich gestützt auf eine Würdigung der außerhalb der "Vereinbarung" liegenden Umstände zu einer der Klägerin nachteiligen Entscheidung kommen. Das Vorbringen der Klägerin bot - entgegen der Ansicht des Berufungsgerichts - Anlass, den gerichtlich bestellten Schriftsachverständigen zur mündlichen Verhandlung zu laden und zur Erläuterung seines Gutachtens persönlich anzuhören. Wie das Berufungsgericht nicht verkennt, hat der gerichtlich bestellte Sachverständige in seinem Gutachten eine hohe bis sehr hohe Wahrscheinlichkeit für die Urheberschaft der beiden Beklagten und nur eine niedrige bis sehr niedrige Wahrscheinlichkeit für die Urheberschaft einer anderen Person dargelegt. Weder in seinem Hauptgutachten vom November 2013 noch in seiner ergänzenden Stellungnahme vo m Januar 2014 hat er dabei auf die bei Schriftgutachten verwendete "Wahrscheinlichkeitsskala" Bezug genommen, sondern dies haben erst, wie die Beschwerde zu Recht ausführt, die Beklagten in der Berufungsbegründung getan. Da der Sachverständige keine Anhaltspunkte für eine technische Manipulation oder atypische Entstehungsweise, insbesondere Nachzeichnung der Unterschriften hat finden können, wohl aber eine weitgehende, wenn auch nicht vollständige Einfügung der grafischen Eigenschaften der in Frage stehenden Unterschriften in die Variationsbreite der Vergleichsproben festgestellt hat, ist nicht klar, von welcher Wahrscheinlichkeitsskala der Gutachter ausgegangen ist. Er selbst hat ausgeführt, die sprachlich formulierten Wahrscheinlichkeitsgrade stellten personelle Wahrscheinlichkeiten dar, die nicht ohne das numerische Gerüst der Wahrscheinlichkeitstheorie denkbar seien. Die Feststellungen des Sachverständigen waren daher klärungsbedürftig.

6

2. Der Senat kann nicht ausschließen, dass das Berufungsgericht hinsichtlich der Frage der Echtheit der Urkunde zu einem anderen Ergebnis gelangt wäre, wenn die Klägerin Gelegenheit erhalten hätte, den Sachverständigen in mündlicher Anhörung zur Erläuterung seines Gutachtens zu befragen.

Mayen

Felsch

Harsdorf -Gebhardt

Dr. Karczewski

Dr. Brockmöller

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