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Bundesgerichtshof
Urt. v. 14.06.2016, Az.: X ZR 12/14
Patentfähigkeit einer Unterschenkelorthese und einer dafür vorgesehenen Stützfeder
Gericht: BGH
Entscheidungsform: Urteil
Datum: 14.06.2016
Referenz: JurionRS 2016, 25498
Aktenzeichen: X ZR 12/14
ECLI: ECLI:DE:BGH:2016:140616UXZR12.14.0

Verfahrensgang:

vorgehend:

BPatG - 27.08.2013 - AZ: 4 Ni 49/11 (EP)

Rechtsgrundlagen:

Art. 54 EPÜ

Art. 56 EPÜ

BGH, 14.06.2016 - X ZR 12/14

für Recht erkannt:

Tenor:

Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des 4. Senats (Nichtigkeitssenats) des Bundespatentgerichts vom 27. August 2013 abgeändert.

Die Klage wird abgewiesen.

Die Kläger tragen die Kosten des Rechtsstreits.

Tatbestand

1

Die Beklagte ist Inhaberin des am 23. April 2002 unter Inanspruchnahme einer deutschen Priorität vom 31. Mai 2001 angemeldeten und mit Wirkung für die Bundesrepublik Deutschland erteilten europäischen Patents 1 389 985 (Streitpatents), das eine Unterschenkelorthese betrifft. Das Streitpatent umfasst zwölf Patentansprüche und wird von den Klägern im Umfang des Anspruchs 1 und der Unteransprüche 3, 4 und 6 - 11 angegriffen. Patentanspruch 1 lautet:

"Unterschenkelorthese mit einer den Unterschenkel (4) umgreifenden Unterschenkelmanschette (2), die zumindest mit einer Stützfeder (22) gelenkig mit einer Fußmanschette (6) verbunden ist, gekennzeichnet durch einen Anschlag (32), der die Biegung der Stützfeder (22) in Richtung der Fußmanschette (6) begrenzt."

2

Die Kläger haben geltend gemacht, der Gegenstand des Streitpatents sei nicht patentfähig. Die Beklagte hat das Streitpatent in der erteilten Fassung und mit vier Hilfsanträgen in geänderten Fassungen verteidigt.

3

Das Patentgericht hat dem Streitpatent die von den Klägern nicht angegriffene Anspruchsfassung des Hilfsantrags I gegeben. In diesem Umfang haben die Kläger die Klage zurückgenommen. Gegen das Urteil des Patentgerichts richtet sich die Berufung der Beklagten, die die Abweisung der Klage erstrebt.

Entscheidungsgründe

4

Die zulässige Berufung hat Erfolg und führt zur Abweisung der Klage.

5

I. Das Streitpatent betrifft eine Unterschenkelorthese und eine dafür vorgesehene Stützfeder.

6

1. Nach den Ausführungen in der Patentbeschreibung werden Unterschenkelorthesen bei Patienten mit unterschiedlichen Erkrankungen oder auch bei gesunden Menschen eingesetzt, um die Funktion des Fußes zu unterstützen. Durch die Orthese werde der Fuß mit Bezug zum Unterschenkel gehalten, wobei eine Bewegung nach vorne und hinten, d.h. in Längsrichtung, bestimmbar freigegeben werde. Dabei sei die Beweglichkeit nach vorne in der Regel über einen größeren Bereich als die Beweglichkeit nach hinten ausgebildet. Demgegenüber solle die Relativbeweglichkeit des Fußes in Querrichtung mit Bezug zum Unterschenkel in der Regel auf ein Minimum reduziert sein (Abs. 2). Bisher bekannte Orthesen wiesen eine Fußmanschette und eine Unterschenkelmanschette auf, die über Knöchelgelenke aus Metall miteinander verbunden seien. Derartige Knöchelgelenke seien großer Belastung und erheblichem Verschleiß unterworfen und müssten daher vergleichsweise stabil ausgeführt sein. Die Beweglichkeit werde durch Anschläge vorgegeben, die im Knöchelgelenk ausgebildet seien. Wegen der stabilen Ausgestaltung verfügten die Orthesen über ein beachtliches Gewicht, das die Beweglichkeit der Patienten beeinträchtige. Nachteilig sei zudem, dass stabile Knöchelgelenke einen erheblichen Bauraum erforderten, so dass die Orthese relativ plump wirke (Abs. 3, 4).

7

Nach dem deutschen Gebrauchsmuster 299 08 981 (N 2), auf dessen Gegenstand sich das Streitpatent stütze, sei eine Unterschenkelorthese mit einer Stützfeder in einer einstückig ausgestalteten Unterschenkelmanschette und Fußmanschette mit einem im Übergangsbereich vorgesehenen Gelenkschlitz bekannt. Nachteilig an dieser Orthese sei, dass durch die einstückige Ausprägung leichte Pendelbewegungen des Patienten zur ungewollten Schritteinleitung führten, wodurch erhebliche Gleichgewichtsprobleme entstünden (Abs. 5, 6).

8

2. Die Aufgabe der Erfindung besteht sonach darin, eine Unterschenkelorthese und eine Stützfeder bereitzustellen, durch die eine hinreichende Beweglichkeit und Stabilität mit minimalem vorrichtungstechnischem Aufwand gewährleistet ist (Abs. 7).

9

3. Als Lösung dieses Problems schlägt das Streitpatent eine Unterschenkelorthese mit folgenden Merkmalen vor, die im Wesentlichen mit den vom Patentgericht formulierten Merkmalen übereinstimmen:

Die Unterschenkelorthese weist auf:

  1. 1.

    Eine Unterschenkelmanschette, die

    1. 1.1

      den Unterschenkel (4) umgreift und

    2. 1.2

      zumindest mit einer Stützfeder (22) gelenkig mit einer Fußmanschette (6) verbunden ist

    und

  2. 2.

    einen Anschlag (32), der die Biegung der Stützfeder (22) in Richtung der Fußmanschette (6) begrenzt.

10

4. Mit diesen Merkmalen stellt sich für den Fachmann, den das Patentgericht rechtsfehlerfrei als Orthopädietechniker oder -meister mit Erfahrung auf dem Gebiet der Orthesen, der bezüglich medizinischer Fragestellungen mit einem Orthopäden zusammenarbeitet, angesehen hat, der patentgemäße Gegenstand wie folgt dar:

11

Die Unterschenkelorthese verfügt über zumindest eine Stützfeder, über die eine Unterschenkelmanschette, die höhenverstellbar ausgebildet sein kann, und eine Fußmanschette miteinander verbunden sind. Die Stützfeder soll die Beweglichkeit in Längsrichtung im erforderten Bereich freigeben. Sie kann so ausgebildet sein, dass die Beweglichkeit in Querrichtung minimal ist, oder derart, dass eine gewollte Flexibilität zugelassen wird, um eine Gegenrotation und Lenkung zu ermöglichen (Abs. 8). Die Stütz- oder Blattfeder ist in dem in der Patentschrift dargestellten Ausführungsbeispiel in der Fußmanschette so geführt, dass sie nur an ihrem fußseitigen Endabschnitt mit der Fußmanschette verbunden ist und sich zwischen der hinteren Stirnseite der Fußmanschette und dem Fersenteil bzw. dem unterschenkelseitigen Teil der Blattfeder ein Spalt ergibt (Abs. 12). Aus der Sicht des Fachmanns bedeutet dies, dass in der Ruheposition des Fußes der Fersenteil der Stützfeder und die Fußmanschette durch den Spalt voneinander getrennt, jedoch relativ gegeneinander beweglich sind. Diese Bewegung wird über einen (definierten) Anschlag an der hinteren Seite der Fußmanschette bei der Schritteinleitung begrenzt (Abs. 12).

12

Die Begrenzung der Biegung der Stützfeder durch den Anschlag hat die Wirkung, dass in dem von einer Kraftübertragung auf die Fußmanschette freien Winkelbereich Pendelbewegungen des Patienten möglich sind, ohne dass es zu einer Schritteinleitung kommt. Hierzu kommt es erst, wenn infolge der Begrenzung der (freien) Biegung der Stützfeder durch den Anschlag die weitere Biegung auf die Fußmanschette übertragen wird. Hingegen findet zwischen der hinteren Stirnseite der Fußmanschette und dem Fersenteil bzw. einem unterschenkelseitigen Stützfederteil in der Ruheposition, d. h. im Stand, keine Berührung statt (Abs. 22).

13

Die nachfolgend dargestellte Figur 1 des Streitpatents zeigt vereinfacht das erörterte Ausführungsbeispiel einer erfindungsgemäßen Unterschenkelorthese in Seiten- und Rückansicht.

BGH_14-06-2016_X_ZR_12_14a.GIF
14

Im Patentanspruch sind die für diese Funktionsweise erforderlichen Elemente der Orthese nur durch das Merkmal 2 festgelegt. Der Patentanspruch gibt damit nicht vor, wie die Möglichkeit der - nicht auf die Fußmanschette übertragenen - Biegung der Stützfeder in Richtung auf die Fußmanschette realisiert wird, sondern überlässt deren Ausgestaltung dem Fachmann. Notwendig ist nur, dass eine solche Biegung in der Ruheposition möglich ist und durch einen Anschlag (definiert) begrenzt wird.

15

II. Das Patentgericht hat seine Beurteilung der Patentfähigkeit im Wesentlichen wie folgt begründet:

16

Der Gegenstand des erteilten Patentanspruchs 1 sei durch die Entgegenhaltung N 2 vorweggenommen. Das Gebrauchsmuster zeige eine Unterschenkelorthese mit einer einen Unterschenkel umgreifenden Unterschenkelmanschette, die durch eine Stützfeder gelenkig, d. h. beweglich, mit einer Fußmanschette verbunden sei. Die Fußmanschette und die Unterschenkelmanschette seien durch einen Gelenkschlitz voneinander getrennt. Dieser befinde sich im Übergangsbereich zwischen den beiden Manschetten. Die Fußmanschette ende an diesem Übergangsbereich und nicht, wie die Beklagte meine, im angezogenen Zustand erst hinter dem Fuß. Zwar könne die Unterschenkelmanschette einstückig mit der Fußmanschette ausgebildet sein und der Gelenkschlitz könne zur maximalen Aussteifung auch vollständig geschlossen sein. In ihrer allgemeinsten Ausführungsform verfüge die Orthese der N 2 aber über eine jeweils separate Unterschenkelmanschette und Fußmanschette, die über eine Stützfeder miteinander verbunden seien. Bei dem in Figur 1 gezeigten Ausführungsbeispiel könne durch entsprechende Wahl der Schlitztiefe der Gelenkschlitz bis zur Sohle reichen, so dass die Fußmanschette und die Unterschenkelmanschette vollständig voneinander getrennt sein könnten. In der N 2 sei jedenfalls keine Beschränkung der Schlitztiefe und der Geometrie des Schlitzes angegeben, so dass der Fachmann diese gemäß den individuellen Anforderungen an die Beweglichkeit der Manschetten zueinander frei wählen könne. Die Beweglichkeit beim Heben des Fußes sei unter anderem durch die Öffnungsweite des Schlitzes bestimmt. Der Öffnungswinkel α des Gelenkschlitzes verringere sich beim Heben des Fußes. Die Dorsalflexion und somit die Biegung der Stützfeder in Richtung der Fußmanschette werde zwangsläufig durch ein Anschlagen der Unterschenkel- und Fußmanschette aneinander begrenzt. Der Einwand der Beklagten, N 2 zeige keinen Anschlag, da die Seiten des Schlitzes nicht aneinander anschlügen, sondern bei beispielsweise einem breiten Schlitz aneinander vorbeirutschten, überzeuge nicht. Selbst wenn bei einem entsprechend breiten Schlitz die Seiten von Unterschenkelund Fußmanschette aneinander vorbeirutschen könnten, werde diese Bewegung spätestens durch ein seitliches Anschlagen der Manschetten aneinander beendet. Zwar verfüge die Orthese der N 2 nicht über einen definierten Anschlag zur Begrenzung der Biegung der Stützfeder, sondern ein Anschlagen von Unterschenkelund Fußmanschette aneinander ergebe sich eher zufällig, abhängig von der Geometrie und Öffnungsweite des Gelenkschlitzes. Bei einem kleinen Öffnungswinkel α könnten aber auch die beiden Seiten des Gelenkschlitzes direkt aneinander anschlagen. Somit weise die aus der N 2 bekannte Unterschenkelorthese auch einen Anschlag im Sinne des erteilten Anspruchs 1 des Streitpatents auf, der die Biegung der Stützfeder in Richtung der Fußmanschette begrenze.

17

III. Diese Beurteilung hält der Überprüfung im Berufungsverfahren nicht stand.

18

1. Der Gegenstand des Streitpatents ist neu (Art. 54 EPÜ).

19

a) Die Entgegenhaltung N 2 nimmt den Gegenstand des Streitpatents nicht vorweg.

20

aa) N 2 betrifft eine Unterschenkelorthese mit einer den Unterschenkel (4) umgreifenden Unterschenkelmanschette (2), die gelenkig durch zumindest eine Stützfeder (22) mit einer Fußmanschette (6) oder einem Schuh verbunden ist (Anspr. 1, Beschr. S. 1, Z. 1-3). Ebenfalls offenbart ist eine Unterschenkelorthese, bei der, wie die nachfolgend wiedergegebene Figur 1 zeigt, die Unterschenkelmanschette und die Fußmanschette einstückig ausgebildet sind und im Übergangsbereich ein Gelenkschlitz (16) vorgesehen ist (Anspr. 2, Beschr. S. 5, 3. Abs.).

BGH_14-06-2016_X_ZR_12_14b.gif

Figur 1

21

bb) Mit Erfolg wendet sich die Berufung gegen die Feststellung des Patentgerichts, die Dorsalflexion und somit die Biegung der Stützfeder in Richtung der Fußmanschette werde zwangsläufig durch ein Anschlagen der Unterschenkel- und Fußmanschette aneinander begrenzt. Sie kann der Beurteilung der Patentfähigkeit durch den Senat nicht zugrunde gelegt werden, da die Berufung konkrete Anhaltspunkte aufgezeigt hat, die Zweifel an der Richtigkeit dieser Feststellung begründen und deshalb eine erneute Feststellung im Berufungsverfahren gebieten (§ 117 PatG i.V.m. § 529 Abs. 1 Nr. 1 ZPO).

22

In der Beschreibung der N 2 wird ein Anschlagen der Unterschenkelmanschette an der Fußmanschette nicht erwähnt. Zwar mag es dem Fachmann möglich sein, den Gelenkschlitz (16) und die an ihn angrenzenden Seiten der beiden Manschetten so auszubilden, dass die Unterschenkelmanschette in einer bestimmten Stellung an die Fußmanschette anschlägt und danach eine weitere Biegung der Stützfeder auf die Fußmanschette übertragen wird. Entgegen der Auffassung des Patentgerichts tritt diese Wirkung aber nicht zwangsläufig ein, sondern nur dann, wenn die einzelnen Teile der Orthese in hierfür geeigneter Weise ausgestaltet werden. Hinweise auf eine solche Ausgestaltung finden sich in N 2 nicht.

23

Darüber hinaus kann der Beschreibung der N 2 nicht entnommen werden, dass in der Ruheposition eine Biegung der Stützfeder möglich ist, ohne dass diese auf die Fußmanschette übertragen wird. Wie die Berufung mit dem von ihr vorgelegten und in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat vorgeführten Modell einer nach der N 2 gefertigten Orthese demonstriert hat, ist es auch bei Ausbildung eines Gelenkschlitzes nicht zwangsläufig, dass eine Biegung der Stützfeder aus der Ruhestellung heraus nicht auf die Fußmanschette übertragen wird. Vielmehr kann eine solche Kraftübertragung auch dann stattfinden, wenn die beiden Manschetten durch einen Schlitz voneinander getrennt sind. Hinweise darauf, die Orthese so auszugestalten, dass eine solche Übertragung ausgeschlossen ist, finden sich in N 2 nicht.

24

b) Auch das US-amerikanische Patent 2 557 603 (N 1) nimmt den Gegenstand des Streitpatents nicht vorweg.

25

aa) In dieser Entgegenhaltung wird eine Fall- oder Hängefußstütze ("drop-foot brace") vorgestellt, die es an Fußhebeschwäche leidenden Personen ermöglicht, in einer nahezu normalen Art und Weise zu gehen oder den Fuß zu bewegen. Die Stütze weist ein längliches Stützelement 8 ("brace member") auf, dessen mittleres Kernelement aus einem Material wie Aluminium und dessen äußere Deckschicht aus einem Material wie Leder besteht. Wie aus den nachfolgend dargestellten Figuren 1 und 2 der N 1 erkennbar ist,

BGH_14-06-2016_X_ZR_12_14c.GIF

trägt das längliche Stützelement 8 ein oberes, breites, das Bein umgreifendes und stützendes Element 10 (leg embracing member; Sp. 2, Z. 13-22) und ist über eine Gelenkverbindung 16 (pivotal connection, Sp. 2, Z. 23-28) mit einem Schuh verbunden. Die Gelenkverbindung ist mit einer Platte 22 (plate) und einem Rohr (tube) mit Längsbohrung ausgebildet, in der sich ein Kolben 40 (plunger) bewegen kann. Die Kraft, mit der die Stütze den Fuß in die normale Stellung zurückführt, wird durch ein Einschrauben des Anstoßstopfens 44 (abutment plug) gesteuert und eingestellt (Sp. 3, Z. 5-19, Z. 52-55). Abhängig davon, ob der Anstoßstopfen nach innen oder nach außen geschraubt wird, erhält die Stütze eine größere oder geringere Rückstellkraft. Wenn die Stütze und der Schuh in den in Figur 1 und 2 angegebenen Stellungen sind, wird der Fuß ständig in die Richtung gegen den Uhrzeigersinn gedrängt. Wenn sich Fuß und Bein wie etwa beim Sitzen in Ruhestellung befinden, haben der Schuh und der Fuß eine normale Höhe in Bezug auf das Bein, wobei die Bewegung des Schuhs und des Fußes gegen den Uhrzeigersinn durch den Kontakt zwischen dem unteren Ende der Stütze und der Rückseite des Schuhs begrenzt werden ("when the foot and leg are at rest, as when the wearer of the brace and shoe issitting, the foot and shoe thus have a normal attitude with respect to the leg, the counter-clockwise motion of the shoe and foot being limited by contact betweenthe lower end of brace 8 and the rear of the shoe", Sp. 3, Z. 33-40).

26

bb) Bei dieser Sachlage weist, selbst wenn man das längliche Stützelement 8 wegen seines Aluminiumkerns als Stützfeder, den Schuh als Fußmanschette und das beinumgreifende Element 10 als Unterschenkelmanschette ansehen wollte, die Fußstütze der N 1 keinen die Biegung der Stützfeder in Richtung der Fußmanschette begrenzenden Anschlag im Sinne des Merkmals 2 auf. Denn in der Ruheposition wird die hintere Seite der Fußmanschette durch die gegen den Uhrzeigersinn wirkende Rückstellkraft bestimmungsgemäß gegen die Stützfeder gedrückt. Zu einer eine Pendelbewegung erlaubenden freien, durch einen Anschlag begrenzten Biegung der Stützfeder in Richtung der Fußmanschette soll und kann es mithin nicht kommen.

27

c) Der Gegenstand des Streitpatents ist schließlich auch neu gegenüber dem US-amerikanischen Patent 3 827 430 (N 3).

28

aa) N 3 betrifft eine orthopädische Fußstütze mit einem Schaftelement 12 ("shank member"), das einen vertikalen sich erstreckenden Abschnitt 14 ("vertical elongated portion") und an dessen unterem Ende einen sich horizontal erstreckenden, einen Schuh ergreifenden Abschnitt 16 ("horizontal elongatedshoe engaging portion") aufweist. Am oberen Ende des Schaftelements ist, wie in der nachstehend wiedergegebenen Figur 1 gezeigt, ein länglicher vertikaler Schlitz vorgesehen, in dem ein die Wade ergreifendes Element 10 ("calf engaging member") gleitbar montiert ist ("slidably mounted in a slot"; Sp. 2, Z. 18-31).

BGH_14-06-2016_X_ZR_12_14d.gif

Der den Schuh ergreifende Abschnitt ist in einer Position an der Hacke gesichert oder unter die Innensohle eingepasst und mit dem Spann des Schuhs vernietet. Bei einer derartigen Sicherung an einem Schuh wird die vertikale Bewegung des sich vertikal erstreckenden Abschnitts von der Relativbewegung des die Wade aufnehmenden Elements in dem Schlitz ausgeglichen (Sp. 1, Z. 55-62). Durch die Bewegung des den Schuh ergreifenden Abschnitts 16 wird eine Vorspannung aufgebracht, die das Wadenelement gegen die Rückseite der Wade drückt und es an Ort und Stelle hält, ohne dass die bis zu diesem Zeitpunkt verwendete Streifen und Bänder zur Befestigung der Stütze erforderlich sind (Sp. 3, Z. 13-20). Das Wadenelement übt damit die Funktion einer Stützfeder aus.

29

bb) Wie die bereits erörterten Entgegenhaltungen weist auch die orthopädische Fußstütze der N 3 das Merkmal 2 des Anspruchs 1 des Streitpatents nicht auf. Sie offenbart keinen Anschlag, der eine freie Bewegung des Schaftelements in der Ruheposition in Richtung des Schuhs, wenn man diesen als Fußmanschette ansehen wollte, begrenzt, und nimmt den Gegenstand des Streitpatents nicht vorweg.

30

2. Der Gegenstand des Streitpatents ist durch den Inhalt der vorstehend erörterten Druckschriften, insbesondere durch eine Zusammenschau der N 2 mit den Entgegenhaltungen N 1 oder N 3, auch nicht nahegelegt (Art. 56 EPÜ).

31

a) Wie bereits ausgeführt ist in dem Gebrauchsmuster N 2 ein Anschlag im Sinne des Merkmals 2 nicht erwähnt. Die Entgegenhaltung gibt dem Fachmann auch keine Anregung dafür, eine freie Bewegung des vertikalen Stütz- oder Schaftelements in Richtung der Fußmanschette in der Ruheposition zuzulassen und durch einen Anschlag gezielt zu begrenzen.

32

Die Kläger haben bei der Erörterung dieser Frage in der mündlichen Verhandlung nicht aufzeigen können, dass aus fachmännischer Sicht eine Ausgestaltung der Orthese angezeigt oder jedenfalls sinnvoll wäre, bei der, wie vom Patentgericht angenommen, die Fußmanschette als Anschlag für die Unterschenkelmanschette wirkt. Der Fachmann erhält aus der N 2 keinen Hinweis darauf, dass durch eine begrenzte Zulassung einer freien Biegung der Stützfeder in Richtung der Fußmanschette bei der Schritteinleitung eine Stabilisierung der Schritteinleitung mit einem geringen vorrichtungstechnischen Aufwand erzielt werden kann (Streitpatent, Abs. 23 und 7). Bei der N 2 beeinflusst der zwischen der Unterschenkel- und der Fußmanschette vorgesehene Spalt lediglich das Maß der Beweglichkeit der Manschetten gegeneinander, die Beweglichkeit lässt sich durch die Auslegung der Stützfeder und/oder durch das Ausbilden eines Gelenkschlitzes in der Manschette einstellen (S. 3, 4. Abs.). Wenn dieser nahezu vollständig geschlossen ist, wird eine maximale Aussteifung erreicht, während eine größere Beweglichkeit erreicht werden kann, indem man den Gelenkschlitz zum Unterschenkel hin durch eine Ausnehmung erweitert (S. 5, vorletzter und letzter Abs., S. 6, 1. Abs.). Käme es bei der Biegung der Stützfeder in Richtung der Fußmanschette an irgendeiner Stelle zu einem Anschlagen der Unterschenkelmanschette an die Fußmanschette, träte ein (sprunghafter) Anstieg des der Bewegung entgegengesetzten Widerstandsmoments auf. Weder ist der N 2 irgendetwas dafür zu entnehmen, dass und warum dies wünschenswert sein könnte, noch regt sie den Fachmann überhaupt zu der Erwägung an, erst nach einem solchen Anschlag die Biegung der Stützfeder auf die Fußman-schette zu übertragen und in der Ruheposition ein freies Pendeln der Stützfeder zuzulassen.

33

b) Dazu enthalten auch die Entgegenhaltungen N 1 und N 3 keine Anregung, die - wie ausgeführt - ebenfalls keine freie Bewegung der Stützfeder in der Ruheposition zulassen.

34

IV. Die Kostenentscheidung beruht auf § 121 Abs. 2 PatG und § 91 Abs. 1 ZPO.

Meier-Beck

Gröning

Bacher

Hoffmann

Schuster

Von Rechts wegen

Verkündet am: 14. Juni 2016

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