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Bundesgerichtshof
Beschl. v. 27.01.2016, Az.: XII ZB 639/14
Gebotenheit der Anwaltsbeiordnung hinsichtlich des Antragstellers und regelmäßig auch für die weiteren Beteiligten im Rahmen der bewilligten Verfahrenskostenhilfe wegen der besonderen Schwierigkeit des Abstammungsverfahrens
Gericht: BGH
Entscheidungsform: Beschluss
Datum: 27.01.2016
Referenz: JurionRS 2016, 10652
Aktenzeichen: XII ZB 639/14
ECLI: ECLI:DE:BGH:2016:270116BXIIZB639.14.0

Verfahrensgang:

vorgehend:

OLG Karlsruhe - 29.10.2014 - AZ: 2 WF 172/14

Rechtsgrundlage:

§ 78 Abs. 2 FamFG

Fundstellen:

AGS 2016, 241-243

FamRB 2016, 142-143

FamRZ 2016, 531

FF 2016, 174

FGPrax 2016, 96

FK 2016, 57

FuR 2016, 286

JurBüro 2016, 259-260

JZ 2016, 179

MDR 2016, 343

NJW 2016, 959-960

NZFam 2016, 274

BGH, 27.01.2016 - XII ZB 639/14

Amtlicher Leitsatz:

FamFG §§ 78 Abs. 2, 172

Wegen der besonderen Schwierigkeit des Abstammungsverfahrens ist im Rahmen der bewilligten Verfahrenskostenhilfe nicht nur hinsichtlich des Antragstellers, sondern auch für die weiteren Beteiligten regelmäßig eine Anwaltsbeiordnung geboten (Fortführung von Senatsbeschluss vom 13. Juni 2012 - XII ZB 218/11 - FamRZ 2012, 1290).

Der XII. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat am 27. Januar 2016 durch den Vorsitzenden Richter Dose und die Richter Dr. Klinkhammer, Schilling, Dr. Botur und Guhling
beschlossen:

Tenor:

Auf die Rechtsbeschwerde der Beteiligten zu 2 wird der Beschluss des 2. Zivilsenats - Senat für Familiensachen - des Oberlandesgerichts Karlsruhe vom 29. Oktober 2014 aufgehoben.

Auf die Beschwerde der Beteiligten zu 2 wird der Beschluss des Amtsgerichts Baden-Baden vom 18. Juni 2014 teilweise abgeändert. Der Beteiligten zu 2 wird mit Wirkung ab Antragstellung Rechtsanwältin H. in Baden-Baden beigeordnet.

Die der Beteiligten zu 2 im Rechtsbeschwerdeverfahren entstandenen außergerichtlichen Kosten werden der Staatskasse auferlegt.

Gründe

I.

1

Gegenstand des Rechtsbeschwerdeverfahrens ist die Notwendigkeit der Beiordnung eines Rechtsanwalts für die am Verfahren auf Anfechtung der Vaterschaft beteiligte Mutter (Beteiligte zu 2).

2

Die Beteiligten zu 1 und 2 sind getrennt lebende Ehegatten. Der Beteiligte zu 1 hat die Vaterschaft zu dem während der Ehe geborenen minderjährigen Kind N. angefochten. Das Amtsgericht hat der Beteiligten zu 2 Verfahrenskostenhilfe bewilligt. Die Beiordnung ihrer Rechtsanwältin hat es abgelehnt, weil dies weder aus objektiven noch subjektiven Gesichtspunkten erforderlich sei. Das Oberlandesgericht hat die Beschwerde der Beteiligten zu 2 zurückgewiesen. Dagegen richtet sich deren zugelassene Rechtsbeschwerde, mit der sie den Antrag auf Beiordnung weiterverfolgt.

3

Das Amtsgericht hat inzwischen in der Hauptsache entschieden und festgestellt, dass der Beteiligte zu 1 nicht der Vater des Kindes ist.

II.

4

Die Rechtsbeschwerde hat Erfolg.

5

1. Nach Auffassung des Oberlandesgerichts ist ein Rechtsanwalt nur beizuordnen, wenn wegen der Schwierigkeit der Sach- und Rechtslage die Vertretung durch diesen erforderlich erscheint. Allein die existenzielle Bedeutung der Sache könne nach dem seit 1. September 2009 geltenden Verfahrensrecht die Beiordnung nicht mehr begründen. Im vorliegenden Fall sei die Beteiligte zu 2 auch nicht Antragstellerin, so dass sich die Notwendigkeit der Beiordnung nach den Umständen des Einzelfalls richte.

6

Das nicht kontradiktorisch geführte Vaterschaftsanfechtungsverfahren habe für die Beteiligte zu 2 keine besonderen Schwierigkeiten aufgewiesen. Die Beteiligten hätten bereits vorgerichtlich einvernehmlich ein Abstammungsgutachten eingeholt, welches die biologische Vaterschaft des Beteiligten zu 1 ausschließt. Die Beteiligte zu 2 habe sich der Anfechtung auch nicht entgegengestellt. Soweit sie geltend mache, es sei Aufgabe ihrer Verfahrensbevollmächtigten gewesen, in Vorbereitung ihrer Antragserwiderung den Tatsachenvortrag, insbesondere die Anfechtungsfristen, zu prüfen und zu entscheiden, ob und in welchem Umfang sie dem Vorbringen des Beteiligten zu 1 zustimme, bestünden im vorliegenden Einzelfall keine Anhaltspunkte dafür, dass sie ihre Entscheidung, dem Antrag zuzustimmen, von der Prüfung der Anfechtungsfristen abhängig gemacht habe. Vielmehr habe es offenkundig in ihrem Interesse gelegen, die Vaterschaft zu ihrer Tochter zu klären, nicht aber dem Anfechtungsantrag des rechtlichen Vaters aus "formalen Gründen" entgegenzutreten. Da sie den Beteiligten zu 1 von seiner möglichen Nichtvaterschaft unterrichtet und freiwillig an der Einholung eines Gutachtens mitgewirkt habe, sei ihr Interesse dem des Beteiligten zu 1 nicht entgegengerichtet gewesen. Weil das Privatgutachten einvernehmlich verwertet worden sei, sei auch die Notwendigkeit der Prüfung eines gerichtlichen Sachverständigengutachtens entfallen. Die Schwierigkeiten bei der Beantwortung der Frage, wer das minderjährige Kind vertreten könne, seien vor allem beim Kind selbst verortet und damit gegebenenfalls bei der Beurteilung der Notwendigkeit der Beiordnung eines Rechtsanwalts für dieses, nicht aber hier zu berücksichtigen.

7

Anders als der Antragsteller hätten die weiteren Beteiligten eines Vaterschaftsanfechtungsverfahrens nicht die Hürde des schlüssigen Vortrags und der strengen Beweisanforderungen zu nehmen. Auch der Prüfung, ob der Antragsteller den strengen Voraussetzungen gerecht geworden sei, bedürfe es in einem einvernehmlich geführten Verfahren nicht. Dem Interesse der Beteiligten zu 2 sei schon damit gedient gewesen, dass sie dem Antrag des Beteiligten zu 1 nicht entgegentrete oder diesem zustimme. Dazu allein habe sie keiner anwaltlichen Vertretung bedurft.

8

Dass der Beteiligte zu 1 anwaltlich vertreten gewesen sei, führe ebenfalls nicht ohne Weiteres zur Notwendigkeit der Beiordnung. Der Gesetzgeber habe bei der gesetzlichen Neuregelung in § 78 Abs. 2 FamFG bewusst den in § 121 Abs. 2 Alt. 2 ZPO zum Ausdruck gekommenen Grundsatz der Waffengleichheit nicht übernommen. Auch eine Notwendigkeit, in besonderem Maße ihre Intimoder Privatsphäre zu offenbaren, sei für die Beteiligte zu 2 infolge der gleichgerichteten Interessen "beider Beteiligter" nicht zu befürchten gewesen.

9

Anhaltspunkte für eine Notwendigkeit anwaltlicher Vertretung aufgrund besonderer subjektiver Umstände lägen nicht vor.

10

2. Das hält rechtlicher Nachprüfung nicht stand.

11

Gemäß § 78 Abs. 2 FamFG wird einem Beteiligten, wenn eine Vertretung durch einen Rechtsanwalt nicht vorgeschrieben ist, auf seinen Antrag ein zur Vertretung bereiter Rechtsanwalt seiner Wahl beigeordnet, wenn wegen der Schwierigkeit der Sach- und Rechtslage die Vertretung durch einen Rechtsanwalt erforderlich erscheint.

12

Nach der Rechtsprechung des Senats kann sich das Verfahren für einen Beteiligten allein wegen einer schwierigen Sach- oder Rechtslage so kompliziert darstellen, dass auch ein bemittelter Beteiligter einen Rechtsanwalt hinzuziehen würde (Senatsbeschlüsse BGHZ 186, 70 = FamRZ 2010, 1427 Rn. 14 und vom 13. Juni 2012 - XII ZB 218/11 - FamRZ 2012, 1290 Rn. 14). Die Erforderlichkeit der Beiordnung eines Rechtsanwalts beurteilt sich zudem nach den subjektiven Fähigkeiten des betroffenen Beteiligten (Senatsbeschluss BGHZ 186, 70 = FamRZ 2010, 1427 Rn. 24 f.). Allein die existentielle Bedeutung der Sache kann die Beiordnung eines Rechtsanwalts nach neuem Recht dagegen nicht mehr begründen (vgl. Senatsbeschlüsse BGHZ 186, 70 = FamRZ 2010, 1427 Rn. 19 und vom 13. Juni 2012 - XII ZB 218/11 - FamRZ 2012, 1290 Rn. 14).

13

Mit der Frage der Erforderlichkeit einer Anwaltsbeiordnung in Abstammungssachen nach dem seit 1. September 2009 geltenden Recht hat sich der Senat bereits befasst und diese dahin beantwortet, dass jedenfalls für den Antragsteller eine Anwaltsbeiordnung regelmäßig erforderlich ist (Senatsbeschluss vom 13. Juni 2012 - XII ZB 218/11 - FamRZ 2012, 1290 Rn. 15 ff. mwN). Der Senat hat dies mit den besonderen Anforderungen an den Vortrag des Antragstellers begründet sowie mit der gebotenen Prüfung eines eingeholten Abstammungsgutachtens und der gesetzlichen Vertretung des am Verfahren zu beteiligenden Kindes. Da sich die Rechtslage im Vaterschaftsanfechtungsverfahren regelmäßig als schwierig im Sinne von § 78 Abs. 2 FamFG erweise und sich zu Beginn des Verfahrens nicht sicher einschätzen lasse, welche der erwähnten einzelnen Schwierigkeiten im weiteren Verfahren möglicherweise aufträten, sei eine pauschal anzunehmende Erforderlichkeit der Beiordnung gerechtfertigt (vgl. Senatsbeschluss vom 13. Juni 2012 - XII ZB 218/11 - FamRZ 2012, 1290 Rn. 18 ff.).

14

Nach diesen Maßstäben ist auch im vorliegenden Fall eine Beiordnungnotwendig.

15

Das Oberlandesgericht hat der generellen Schwierigkeit des Verfahrens bereits nicht hinreichend Rechnung getragen. Die Einschätzung des Oberlandesgerichts, dass das Verfahren nicht kontradiktorisch geführt werde und die Interessen der Beteiligten übereinstimmten, wird der Eigenart des Abstammungsverfahrens nicht hinreichend gerecht. Damit wird vernachlässigt, dass die Interessen der Beteiligten weder durch die Art der Verfahrensbeteiligung noch durch die Antragstellung vorgegeben sind (vgl. Senatsbeschluss BGHZ 193, 1 = FamRZ 2012, 859 Rn. 17). Die am Verfahren beteiligte Mutter hat nicht notwendig ein Interesse am Erfolg der Vaterschaftsanfechtung, schon weil sie dem Kind dadurch möglicherweise allein unterhaltspflichtig wird. Aus ihrer Zustimmung zum Anfechtungsantrag kann entgegen der Auffassung des Oberlandesgerichts nichts Gegenteiliges gefolgert werden, weil diese notwendigerweise erst das Ergebnis der vorausgegangenen Prüfung der Sach- und Rechtslage ist. Wäre die Mutter selbst Antragstellerin, wäre ihr demnach regelmäßig ein Rechtsanwalt beizuordnen. Aber auch wenn unterstellt wird, dass sie wie der anfechtende rechtliche Vater ein Interesse am Erfolg der Vaterschaftsanfechtung hat, muss sie ebenfalls in der Lage sein, die mit dem Verfahren verbundenen rechtlichen und tatsächlichen Schwierigkeiten zuverlässig einzuschätzen und erforderlichenfalls auf die Verfahrensführung des Gerichts Einfluss zu nehmen. Dazu gehört es auch, etwaigen Verfahrensfehlern des Gerichts vorzubeugen und etwa den Eintritt der Rechtskraft der für und gegen alle wirkenden Statusentscheidung (vgl. § 184 Abs. 2 FamFG) zu sichern. Entgegen der Auffassung des Oberlandesgerichts gehört dazu auch die Gewährleistung einer wirksamen gesetzlichen Vertretung des Kindes, die mithin nicht nur die Interessen des Kindes betrifft.

16

Dass im vorliegenden Fall die Sach- und Rechtslage nicht einfach und zweifelsfrei ist, zeigt sich schon daran, dass dem Amtsgericht ein schwerer Verfahrensfehler unterlaufen ist. Es hat entgegen § 172 Abs. 1 Nr. 1 FamFG das Kind nicht am Verfahren beteiligt (vgl. zum früheren Recht Senatsurteil vom 27. März 2002 - XII ZR 203/99 - FamRZ 2002, 880, 881 f.). Die mit dem Beteiligten zu 1 verheiratete Beteiligte zu 2 war zudem entsprechend § 1795 Abs. 1 Nr. 3 BGB gehindert, das Kind im Anfechtungsverfahren gesetzlich zu vertreten (vgl. Senatsbeschluss BGHZ 193, 1 = FamRZ 2012, 859 Rn. 21). Die unterbliebene Beteiligung des Kindes schiebt den Eintritt der formellen Rechtskraft jedenfalls hinaus und sperrt insoweit etwa auch eine wirksame Anerkennung durch den leiblichen Vater (vgl. §§ 1594 Abs. 2, 1599 Abs. 1 BGB).

17

Nach alledem ist wegen der besonderen Schwierigkeit des Abstammungsverfahrens im Rahmen der bewilligten Verfahrenskostenhilfe nicht nur hinsichtlich des Antragstellers, sondern auch für die weiteren Beteiligten regelmäßig eine Anwaltsbeiordnung geboten. Im vorliegenden Fall liegt die Notwendigkeit der Anwaltsbeiordnung für die Beteiligte zu 2 jedenfalls auf der Hand.

Dose

Klinkhammer

Schilling

Botur

Guhling

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