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Bundesgerichtshof
Beschl. v. 17.12.2015, Az.: I ZR 275/14
Vollstreckungsgegenklage gegen die Erteilung einer Vollstreckungsklausel für ein Urteil des Stockholm Tingsrätt (Amts- und Landgericht)
Gericht: BGH
Entscheidungsform: Beschluss
Datum: 17.12.2015
Referenz: JurionRS 2015, 34765
Aktenzeichen: I ZR 275/14
ECLI: ECLI:DE:BGH:2015:171215BIZR275.14.0

Verfahrensgang:

vorgehend:

LG Köln - 18.01.2008 - AZ: 3 O 7/07

OLG Köln - 06.02.2014 - AZ: 18 U 89/08

BGH, 17.12.2015 - I ZR 275/14

Der I. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat am 17. Dezember 2015 durch den Vorsitzenden Richter Prof. Dr. Büscher, die Richter Prof. Dr. Schaffert, Dr. Kirchhoff, Prof. Dr. Koch und Feddersen
beschlossen:

Tenor:

Die Beschwerde der Klägerin gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Urteil des 18. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Köln vom 6. Februar 2014 wird auf Kosten der Klägerin zurückgewiesen.

Der Streitwert wird auf 330.000 € festgesetzt.

Gründe

1

I. Die Klägerin wendet sich im Wege der Vollstreckungsgegenklage gegen die Vollstreckung aus einem Beschluss, mit dem das Landgericht Köln gemäß §§ 9, 14 Anerkennungs- und Vollstreckungsausführungsgesetz (AVAG) die Vollstreckungsklausel für ein Urteil des Stockholm Tingsrätt (Amts- und Landgericht) erteilt hat.

2

Im Verfahren vor dem Stockholm Tingsrätt begehrte die Klägerin erfolglos die Ungültigerklärung eines Schiedsspruchs des Internationalen Schiedsgerichts Stockholm, demzufolge die Klägerin an den Beklagten 2,35 Mio. USDollar zu zahlen hat. Nach dem Urteil des Stockholm Tingsrätt hat die Klägerin dem Beklagten die Verfahrenskosten in Höhe von 1.641.692 SEK und weiteren 132.483 € sowie 7.415 US-Dollar zu erstatten.

3

Dem Schiedsspruch des Internationalen Schiedsgerichts Stockholm, der vom Kammergericht für vorläufig vollstreckbar erklärt worden ist (KG-Report 2001, 146), liegt folgender Sachverhalt zugrunde:

4

Die Polizeibehörde der Stadt St. Petersburg und die vom Beklagten geführte S. Group of Companies mit Sitz in den USA hatten im Jahr 1991 die A. K. O. Kompany, eine Aktiengesellschaft russischen Rechts, gegründet. Unternehmensgegenstand waren der Handel mit technischen Geräten, insbesondere Polizeiausrüstungen, sowie Sicherheits- und Bewachungsdienstleistungen. Die Polizeibehörde brachte vereinbarungsgemäß eine Liegenschaft in das Gesellschaftsvermögen ein. Die im vorliegenden Verfahren klagende Russische Föderation beschlagnahmte diese Liegenschaft im Jahr 1996. Daraufhin nahm der Beklagte die Klägerin vor dem Schiedsgericht auf eine Entschädigung wegen Enteignung nach dem Vertrag zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Union der Sozialistischen Sowjetrepubliken über die Förderung und den gegenseitigen Schutz von Kapitalanlagen vom 13. Juni 1989 in Anspruch.

5

Gegen die Vollstreckung aus dem Urteil des Stockholm Tingsrätt wendet die Klägerin - soweit für das vorliegende Verfahren noch von Bedeutung - die Aufrechnung mit einer vom Bezirksgericht St. Petersburg im Juni 2006 rechtskräftig titulierten Schadensersatzforderung wegen Nichtabführung von Steuern in Höhe von 65.612.140 US-Dollar ein.

6

Das Landgericht hat die Klage abgewiesen. Die Berufung der Klägerin ist ohne Erfolg geblieben. Gegen die Nichtzulassung der Revision in Bezug auf die Aufrechnung wendet sich die Klägerin mit der Nichtzulassungsbeschwerde.

7

II. Das Berufungsgericht hat zur Begründung seiner Entscheidung ausgeführt, es fehle hinsichtlich der Aufrechnungsforderung an der internationalen Zuständigkeit deutscher Gerichte. Die Aufrechnungsforderung sei zwar zivilrechtlich eingekleidet, betreffe aber in der Sache hoheitliche Steuerforderungen. Ausweislich der Urteilsgründe des Bezirksgerichts St. Petersburg habe einer hoheitlichen Verfolgung dieser Ansprüche lediglich ein Fristablauf entgegengestanden. Grundlage der Forderung sei jedenfalls eine Norm des Steuerrechts, nämlich Art. 6 der Vorschrift des staatlichen Steueramtes der Russischen Föderation vom 14. Mai 1993, Nr. 20 "Über die Besteuerung des Einkommens und der Gewinne ausländischer juristischer Personen". Dass die Forderung rechtskräftig festgestellt sei, spiele keine Rolle. Zwar komme es bei einer rechtskräftig festgestellten Gegenforderung an sich auf die internationale Zuständigkeit nicht an. Dies sei aber anders, wenn die Forderung im Inland nicht gemäß § 328 ZPO anerkennungsfähig sei. So liege der Fall hier, weil es sich um eine öffentlich-rechtliche Forderung handele.

8

III. Die Nichtzulassungsbeschwerde hat keinen Erfolg. Die Rechtssache hat keine grundsätzliche Bedeutung, die auf die Verletzung von Verfahrensgrundrechten gestützten Rügen greifen nicht durch und die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung erfordern auch im Übrigen keine Entscheidung des Revisionsgerichts (§ 543 Abs. 2 Satz 1 ZPO).

9

1. Ohne Erfolg macht die Nichtzulassungsbeschwerde den Zulassungsgrund der Grundsatzbedeutung im Hinblick auf die Frage geltend, welche Rechtsordnung für die Qualifikation der Rechtsnatur der ausländischen Aufrechnungsforderung maßgeblich ist.

10

a) Die Nichtzulassungsbeschwerde ist der Auffassung, dass die Frage, welches Recht für die Qualifikation heranzuziehen sei, grundsätzliche Bedeutung habe. Der Bundesgerichtshof habe in seiner Entscheidung zur Anerkennung einer US-amerikanischen Verurteilung zu "punitive damages" diese Frage offen gelassen (BGH, Urteil vom 4. Juni 1992 - IX ZR 149/91, BGHZ 118, 312); sie sei auch seither nicht geklärt worden. Zwar habe der Bundesgerichtshof später ausgeführt, die Frage, ob Ansprüche eines ausländischen Staats als öffentlich-rechtlich zu beurteilen seien, bestimme sich nach inländischem Recht (BGH, Beschluss vom 4. Oktober 2005 - VII ZB 8/05, WM 2005, 2274); in jenem Fall habe sich der Anspruch aber aus internationalen Verträgen ergeben. In einer weiteren Entscheidung des Bundesgerichtshofs sei der öffentlich-rechtliche Charakter der Forderungen unstreitig gewesen (BGH, Beschluss vom 25. November 2010 - VII ZB 120/09, WM 2011, 78). Vorliegend sei richtigerweise für die Qualifikation auf das russische Recht abzustellen; dies führe zu einer zivilrechtlichen Einordnung der zur Aufrechnung gestellten Forderung.

11

b) Der Zulassungsgrund der grundsätzlichen Bedeutung liegt nicht vor.

12

Eine Rechtssache hat grundsätzliche Bedeutung, wenn sie eine entscheidungserhebliche, klärungsbedürftige und klärungsfähige Rechtsfrage aufwirft, die über den Einzelfall hinaus Bedeutung für die Allgemeinheit hat (BVerfG, Beschluss vom 19. Juli 2007 - 1 BvR 650/03, NJW-RR 2008, 26, 29; BGH, Beschluss vom 1. Oktober 2002 - XI ZR 71/02, BGHZ 152, 182, 190; Beschluss vom 11. Mai 2004 - XI ZB 39/03, BGHZ 159, 135, 137).

13

Die von der Nichtzulassungsbeschwerde aufgeworfene Frage ist nicht klärungsbedürftig. In der Rechtsprechung wird heutzutage - soweit ersichtlich einhellig die - auch vom Berufungsgericht vertretene - Auffassung vertreten, dass bei Anwendbarkeit des § 328 ZPO - also bei Nichtbestehen völkerrechtlicher Verträge über die Anerkennung und Vollstreckung - für die Qualifikation einer ausländischen Forderung ausschließlich die lex fori des diese Beurteilung vornehmenden Gerichts maßgeblich ist (BGH, Beschluss vom 4. Oktober 2005 - VII ZB 9/05, WM 2005, 2274; BSG, Urteil vom 26. Januar 1983 - 1 S 2/82, BSGE 54, 250 = IPRspr 1983, 349, 354; OLG Hamm, RIW 1994, 513). Dem liegt die Erwägung zugrunde, dass über die Frage, ob eine ausländische Forderung im Inland durchsetzbar ist, allein das inländische Recht zu entscheiden hat (Martiny, Handbuch des Internationalen Zivilverfahrensrechts, Bd. III/1 Rn. 500; Dutta, Die Durchsetzung öffentlich-rechtlicher Forderungen ausländischer Staaten durch deutsche Gerichte, S. 37 f.). Soweit der Bundesgerichtshof in der von der Nichtzulassungsbeschwerde zitierten "punitive-damages"-Entscheidung (BGHZ 118, 312, 336) die Bestimmung der für die Qualifikation maßgeblichen Rechtsordnung offen gelassen hat, ist dem keine Abweichung von der vorgenannten Rechtsprechungslinie zu entnehmen und ergibt sich auch kein Klärungsbedarf.

14

Nur in Bezug auf Staatsverträge zieht die Rechtsprechung zur Qualifikation die Rechtsordnung des Urteilsstaates heran, um auf diese Weise die möglichst wirksame Anwendung der Staatsverträge sicherzustellen, indem ausgeschlossen wird, dass Urteils- und Vollstreckungsstaat vertragliche Begriffe unterschiedlich auslegen (so zum Übereinkommen der EG über die gerichtliche Zuständigkeit und die Vollstreckung gerichtlicher Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen vom 27. September 1968 BGH, Beschluss vom 26. November 1975 - VIII ZB 26/75, BGHZ 65, 292, 298; Beschluss vom 10. Oktober 1977 - VIII ZB 10/76, NJW 1978, 1113; Martiny aaO Rn. 500 [bei Fn. 1522]). Diese Rechtsprechung steht aber der Qualifikation einer ausländischen Forderung nach der lex fori im staatsvertragsfreien Bereich nicht entgegen. Gleiches gilt für die autonome Qualifikation des Begriffs der Zivil- und Handelssache im Bereich der unionsrechtlichen Zuständigkeitsordnung (s. nur EuGH, NJW 1977, 489, 490 [EuGH 14.10.1976 - 29/76] - Eurocontrol).

15

In der Literatur ist die Auffassung, dass im staatsvertragsfreien Bereich die lex fori für die Qualifikation maßgeblich sei, ganz vorherrschend (Zöller/ Geimer, ZPO, 31. Aufl., § 328 Rn. 80; MünchKomm.ZPO/Gottwald, 4. Aufl., § 328 Rn. 57; Staudinger/Spellenberg, Internationales Verfahrensrecht in Ehesachen, 14. Aufl. Rn. 185; Martiny aaO Rn. 500; Schack, Internationales Zivilverfahrensrecht, 6. Aufl., Rn. 909; Dutta aaO S. 37; Vischer, IPRax 1991, 209, 211; vgl. auch Eickhoff, Inländische Gerichtsbarkeit und internationale Zuständigkeit für Aufrechnung und Widerklage, 1985, S. 43). Vereinzelt wird vertreten, es müsse eine Doppelqualifikation vorgenommen werden; danach kann eine Zivilsache nur angenommen werden, wenn sowohl nach dem Urteilsstaat als auch dem Anerkennungsstaat eine solche vorliegt (Schütze, Deutsches Internationales Zivilprozessrecht, 2. Aufl. Rn. 17; ders. in Wieczorek/Schütze, ZPO, 4. Aufl., § 328 Rn. 24). Diese Ansicht führt vorliegend zu keinem anderen Ergebnis, weil es danach auch auf die Qualifikation der Gegenforderung nach deutschem Rechtsverständnis ankommt. Für die Maßgeblichkeit der Rechtsordnung des Urteilsstaats hat im Jahr 1950 allein Beitzke (AcP 151 [1950/1951] 268, 272) plädiert.

16

Angesichts dieses Meinungsbildes in Rechtsprechung und Literatur ist eine Klärungsbedürftigkeit im Sinne der Grundsatzbedeutung nicht gegeben. Es steht praktisch nicht in Frage, dass im - vorliegend im Verhältnis zur Russischen Föderation gegebenen - staatsvertragsfreien Bereich das inländische Recht über die Qualifikation entscheidet.

17

Der Senat teilt im Übrigen die Auffassung des Berufungsgerichts, dass es sich bei der geltend gemachten Aufrechnungsforderung um eine steuerrechtliche Forderung, also eine solche des öffentlichen Rechts handelt, deren Anerkennung nach § 328 ZPO nicht in Betracht kommt.

18

2. Von einer weiteren Begründung wird gemäß § 544 Abs. 4 Satz 2 Halbsatz 2 ZPO abgesehen

19

3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO.

Büscher

Schaffert

Kirchhoff

Koch

Feddersen

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