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Bundesgerichtshof
Beschl. v. 06.10.2015, Az.: EnZR 72/14
Darlegung der Billigkeit der vom Stromnetzbetreiber verlangten Netzentgelte auf Grundlage der Entgeltgenehmigung nach § 23a Energiewirtschaftsgesetz (EnWG); Gewinnung des Maßstabs der Billigkeit aus der typischen Interessenlage des Netznutzungsverhältnisses und den für dessen Ausgestaltung maßgeblichen gesetzlichen Vorgaben ; Indizwirkung der Entgeltgenehmigung
Gericht: BGH
Entscheidungsform: Beschluss
Datum: 06.10.2015
Referenz: JurionRS 2015, 38933
Aktenzeichen: EnZR 72/14
ECLI: ECLI:DE:BGH:2015:061015BENZR72.14.0

Verfahrensgang:

vorgehend:

LG Dortmund - 13.06.2013 - AZ: 16 O 197/11 (Kart)

OLG Düsseldorf - 01.10.2014 - AZ: VI-2 U (Kart) 1/13

BGH, 06.10.2015 - EnZR 72/14

Der Kartellsenat des Bundesgerichtshofs hat am 6. Oktober 2015 durch die Präsidentin des Bundesgerichtshofs Limperg sowie die Richter Dr. Kirchhoff, Dr. Grüneberg, Dr. Bacher und Dr. Deichfuß einstimmig
beschlossen:

Tenor:

  1. 1.

    Die Klägerin wird darauf hingewiesen, dass der Senat beabsichtigt, die Revision gemäß § 552a ZPO durch Beschluss zurückzuweisen.

  2. 2.

    Der Streitwert für das Revisionsverfahren wird auf bis zu 95.000 € festgesetzt.

Gründe

1

I. Die Voraussetzungen für eine Zulassung der Revision liegen nicht vor; diese hat auch keine Aussicht auf Erfolg (§ 552a Satz 1 ZPO).

2

1. Dem Rechtsstreit kommt weder grundsätzliche Bedeutung zu (§ 543 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 ZPO) noch erfordert die Fortbildung des Rechts eine Entscheidung des Revisionsgerichts (§ 543 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 Halbs. 1 ZPO). Die von der Revision aufgeworfenen Fragen hat der Bundesgerichtshof bereits entschieden (Senatsurteil vom 15. Mai 2012 - EnZR 105/10, RdE 2012, 382 Rn. 33 ff. - Stromnetznutzungsentgelt V). Danach kann sich der Netzbetreiber zur Darlegung der Billigkeit der von ihm verlangten Netzentgelte - in einem ersten Schritt - auf die Entgeltgenehmigung nach § 23a EnWG stützen (Senatsurteil aaO Rn. 36 - Stromnetznutzungsentgelt V); dies gilt nach der Senatsrechtsprechung für den gesamten Zeitraum der kostenbasierten Entgeltgenehmigung. In der Entscheidung hat der Senat auch zu den Anforderungen an die Erschütterung der Indizwirkung nähere Vorgaben gemacht (Senatsurteil aaO Rn. 36, 38 f. - Stromnetznutzungsentgelt V). Weiterer Leitlinien bedarf es vorliegend nicht.

3

Soweit das Berufungsgericht für den Monat Januar 2008 trotz zeitlichen Ablaufs der Entgeltgenehmigung vom 29. August 2006 in erster Linie auf die Indizwirkung dieser (ersten) Genehmigung abgestellt hat, kommt dem ebenfalls keine grundsätzliche Bedeutung zu. Vielmehr handelt es sich dabei um eine Frage der tatrichterlichen Würdigung in einem Einzelfall.

4

2. Die Revision der Klägerin hat auch in der Sache keine Aussicht auf Erfolg. Das Berufungsgericht hat rechts- und verfahrensfehlerfrei angenommen, dass sich die Beklagte auf die Indizwirkung der Entgeltgenehmigung vom 29. August 2006 berufen kann und die Klägerin diese Indizwirkung nicht erschüttert hat, so dass ihr der geltend gemachte Rückzahlungsanspruch nicht zusteht.

5

a) Nach der Rechtsprechung des Senats hat der Netzbetreiber die Billigkeit der von ihm verlangten Entgelte darzulegen und gegebenenfalls zu beweisen; dies gilt auch im Rückforderungsprozess, wenn der Netznutzer die Entgelte nur unter dem Vorbehalt der gerichtlichen Nachprüfung gezahlt hat (vgl. Senatsurteil vom 15. Mai 2012 - EnZR 105/10, RdE 2012, 382 Rn. 33 mwN - Stromnetznutzungsentgelt V). Der Maßstab der Billigkeit in § 315 BGB ist im Rahmen der Überprüfung von Netzentgelten kein individueller, sondern muss aus der typischen Interessenlage des Netznutzungsverhältnisses und den für dessen Ausgestaltung maßgeblichen gesetzlichen Vorgaben gewonnen werden; dieser Maßstab wird durch §§ 21 ff. EnWG konkretisiert (Senatsurteil aaO Rn. 34 mwN - Stromnetznutzungsentgelt V).

6

Wie der Senat des Weiteren bereits entschieden hat, kann sich der Netzbetreiber nach Inkrafttreten des EnWG 2005 zur Darlegung der Billigkeit der von ihm verlangten Netzentgelte - in einem ersten Schritt - auf die Entgeltgenehmigung nach § 23a EnWG stützen. Diese stellt aufgrund der engen Vorgaben der Entgeltkontrolle nach den energiewirtschaftsrechtlichen Vorschriften und der damit verbundenen Prüftiefe durch die (neutralen) Regulierungsbehörden ein gewichtiges Indiz für die Billigkeit und Angemessenheit der genehmigten Entgelte dar (Senatsurteil vom 15. Mai 2012 - EnZR 105/10, RdE 2012, 382 Rn. 36 mwN - Stromnetznutzungsentgelt V). Es obliegt dann dem Netznutzer, im Einzelnen darzulegen, aus welchen Gründen die behördlich genehmigten Netzentgelte überhöht sein sollen, und die indizielle Wirkung der Entgeltgenehmigung zu erschüttern. Insoweit kann er etwa geltend machen, dass die Regulierungsbehörde gegen Vorschriften des EnWG oder der StromNEV bzw. GasNEV verstoßen hat oder die Entgeltgenehmigung auf unrichtigen Tatsachenangaben des Netzbetreibers in den Antragsunterlagen beruht, deren Fehlerhaftigkeit im Genehmigungsverfahren nicht aufgedeckt worden ist (vgl. Senatsurteil aaO Rn. 23 - Stromnetznutzungsentgelt V). Gelingt ihm dies, muss der Netzbetreiber seine Kostenkalkulation vorlegen und im Einzelnen näher erläutern.

7

b) Von diesen Maßgaben ist das Berufungsgericht ausgegangen. Es hat auch rechts- und verfahrensfehlerfrei angenommen, dass sich die Beklagte zum Nachweis der Billigkeit der von ihr verlangten Netzentgelte auf die Netzentgeltgenehmigung vom 29. August 2006 stützen konnte und die Klägerin keine substantiierten Einwendungen erhoben hat, die diese Indizwirkung erschüttern konnten. Die dagegen gerichteten Angriffe der Revision bleiben ohne Erfolg.

8

aa) Das Berufungsgericht ist in revisionsrechtlich unbedenklicher Weise davon ausgegangen, dass sich die Beklagte auf die Indizwirkung der Entgeltgenehmigung vom 29. August 2006 berufen kann. Dem steht nicht entgegen, dass diese Genehmigung bis zum 31. Dezember 2007 befristet war und die nachfolgende Genehmigung vom 30. Januar 2008 erst ab dem 1. Februar 2008 galt. Gegen die tatrichterliche Würdigung, dass die erste Genehmigung auch noch für den "genehmigungsfreien" Monat Januar 2008 ein gewichtiges Indiz für die Billigkeit und Angemessenheit der genehmigten Entgelte darstellte, ist revisionsrechtlich nichts zu erinnern. Aufgrund des engen zeitlichen Zusammenhangs ist es nicht zu beanstanden, die Indizwirkung der ersten Entgeltgenehmigung auf den unmittelbar nachfolgenden - streitgegenständlichen - Monat Januar 2008 auszudehnen. Dafür spricht bereits in tatsächlicher Hinsicht die dem Senat aus anderen Verfahren bekannte Verfahrensweise der Regulierungsbehörde, die Erstgenehmigung im Wege der sogenannten Erstreckungsgenehmigung zu verlängern. Darüber hinaus ist auch in § 23a Abs. 5 Satz 1 EnWG die Beibehaltung des genehmigten Entgelts für den sich zeitlich anschließenden "ungeregelten" Übergangszeitraum vorgesehen. Regelungsgegenstand dieser Vorschrift ist es, die Rechtsbeziehungen zwischen Netzbetreibern und Netznutzern für die Übergangszeit zwischen Genehmigungsantrag und Wirksamwerden auf eine sichere - wenn auch unter Umständen nur vorläufige - Grundlage zu stellen. Diese Beziehungen sollen von Streit frei bleiben, der sich aus der Frage ergeben könnte, nach welchen Tarifen zwischen den Beteiligten in der Übergangszeit die Netznutzung zu vergüten ist (vgl. Senatsbeschluss vom 14. August 2008 - KVR 39/07, RdE 2008, 323 Rn. 13 - Vattenfall). Dann begegnet es aber keinen revisionsrechtlichen Bedenken, der ersten Entgeltgenehmigung auch eine Indizwirkung für die Billigkeit und Angemessenheit der genehmigten Entgelte zuzusprechen.

9

Das Berufungsgericht durfte auch von der Indizwirkung der Entgeltgenehmigung vom 29. August 2006 ausgehen, ohne - wie die Revision meint - Feststellungen dazu treffen zu müssen, ob im konkreten Fall die in den energiewirtschaftsrechtlichen Vorschriften vorgesehene Prüftiefe tatsächlich erreicht worden ist. Nach der Rechtsprechung des Senats stellt die Entgeltgenehmigung nach § 23a EnWG aufgrund der engen Vorgaben der Entgeltkontrolle und der damit verbundenen Prüftiefe durch die - neutralen - Regulierungsbehörden generell ein gewichtiges Indiz für die Billigkeit und Angemessenheit der genehmigten Entgelte dar (vgl. Senatsurteile vom 20. Juli 2010 - EnZR 23/09, RdE 2010, 385 Rn. 41 ff. - Stromnetznutzungsentgelt IV und vom 15. Mai 2012 - EnZR 105/10, RdE 2012, 382 Rn. 36 mwN - Stromnetznutzungsentgelt V). Weiterer Darlegungen des Netzbetreibers und entsprechender tatrichterlicher Feststellungen zur Einhaltung dieser Maßgaben im konkreten Einzelfall bedarf es nicht. Vielmehr obliegt es dann dem Netznutzer, im Einzelnen darzulegen, aus welchen Gründen die behördlich genehmigten Netzentgelte überhöht sein sollen, und die indizielle Wirkung der Entgeltgenehmigung zu erschüttern (Senatsurteil vom 15. Mai 2012, aaO - Stromnetznutzungsentgelt V).

10

bb) Entgegen der Auffassung der Revision hat das Berufungsgericht an die Erschütterung der Indizwirkung der Entgeltgenehmigung keine überhöhten Anforderungen gestellt.

11

Soweit das Berufungsgericht ausgeführt hat, dass der Netznutzer nicht nur substantiiert und nachvollziehbar darzulegen hat, aus welchen Gründen das behördlich genehmigte Entgelt im konkreten Einzelfall unbillig überhöht sein soll, sondern dies auch gegebenenfalls zu beweisen hat, mag dies zwar missverständlich sein. Dies hat sich aber nicht entscheidungserheblich ausgewirkt, weil das Berufungsgericht keine Beweislastentscheidung getroffen hat, sondern die Indizwirkung der Entgeltgenehmigung bereits mangels hinreichender Darlegung als nicht erschüttert angesehen hat.

12

cc) Schließlich halten auch die Ausführungen des Berufungsgerichts zu den Einwendungen der Klägerin gegen die Indizwirkung der Entgeltgenehmigung vom 29. August 2006 einer revisionsrechtlichen Überprüfung stand.

13

(1) Das Berufungsgericht hat das Vorbringen der Klägerin, die von der Beklagten verlangten Netzentgelte seien allein deshalb überhöht, weil die Höhe des Eigenkapitals der Beklagten von 40% über dem Durchschnitt liege, als unsubstantiiert angesehen. Dagegen ist revisionsrechtlich nichts zu erinnern. Es fehlt vor allem an einer konkreten Darlegung der Klägerin, inwieweit die Bundesnetzagentur als zuständige Regulierungsbehörde die angesetzte Eigenkapitalquote nicht auf ihre sachliche Richtigkeit überprüft hat. Ihr Vorbringen erschöpft sich im Wesentlichen in allgemeinen Ausführungen zu bilanziellen Eigenkapitalquoten bei der Konzernmutter der Beklagten wie bei anderen Netzbetreibern, die keinen konkreten Bezug zu der kalkulatorischen Eigenkapitalquote der Beklagten aufweisen. Die sachgerechte Begrenzung der Eigenkapitalquote auf das notwendige Maß ist - was unter anderem §§ 6, 7 StromNEV zeigen - ein wesentliches Ziel der Entgeltregulierung und war im Rahmen der ersten Genehmigungsverfahren einer der Hauptstreitpunkte zwischen Netzbetreibern und Regulierungsbehörden (vgl. Senatsurteil vom 15. Mai 2012 - EnZR 105/10, RdE 2012, 382 Rn. 38 mwN - Stromnetznutzungsentgelt V). Etwas anderes ergibt sich entgegen der Auffassung der Revision auch nicht aus dem Beschlussentwurf der Bundesnetzagentur zu "Vorgaben zum Tätigkeitsabschluss für die Gasfernleitung und die Gasverteilung nach § 6b Abs. 3 EnWG" (BK9-15/601-1). Dieser Entwurf betrifft das Regime der Anreizregulierung und soll Missbrauchsmöglichkeiten in vertikal integrierten Energieversorgungsunternehmen begegnen, Verbindlichkeiten aus dem Netzbetrieb zu anderen Tätigkeiten des Unternehmens zu verlagern und dadurch das Eigenkapital des Netzbetriebs zu erhöhen. Dass dies vorliegend der Fall ist, hat die Klägerin nicht substantiiert vorgetragen.

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(2) Unsubstantiiert sind auch die weiteren Einwendungen der Klägerin, die genehmigten Entgelte seien überhöht, weil die Bundesnetzagentur Anlagevermögen der Beklagten berücksichtigt habe, ohne zu prüfen, ob das Anlagevermögen betriebsnotwendig sei, und weil die aufwandsgleichen Kosten überhöht seien. Insoweit fehlt es bereits an konkretem Vorbringen der Klägerin dazu, dass die Beklagte im Genehmigungsverfahren unzutreffende Angaben gemacht hat. Die Klägerin hat lediglich pauschal und ohne jeden Bezug zum konkreten Genehmigungsverfahren behauptet, die von der Beklagten beantragten und von der Bundesnetzagentur angesetzten Abschreibungen für das Anlagevermögen seien um 27,5% zu kürzen, die aufwandsgleichen Kosten seien nicht überprüft worden und deshalb zu hoch. Dies genügt den Anforderungen an einen substantiierten Vortrag, aus welchen Gründen die behördlich genehmigten Netzentgelte überhöht sein sollen, nicht.

15

(3) Im Ergebnis ohne Erfolg bleibt auch der Einwand der Revision, das Berufungsgericht habe das Vorbringen der Klägerin, die Beklagte habe die Kosten für Verlustenergie falsch angegeben, zu Unrecht als unsubstantiiert angesehen. Insoweit trifft es zwar zu, dass die Klägerin im Genehmigungsverfahren die Beschaffungskosten für das Jahr 2005 mit 34.777.641 € angegeben hat, während sie diese im Rahmen eines nachfolgenden Gerichtsverfahrens mit 32,4 Mio. € beziffert hat. Diese unterschiedlichen Angaben können aber die Indizwirkung der Entgeltgenehmigung vom 29. August 2006 nicht erschüttern. Beide Beträge liegen über dem von der Bundesnetzagentur insoweit ermittelten effizienten Verlustenergiebeschaffungskostenwert für 2005 in Höhe von 31.972.417,83 €, der sodann noch - was die Klägerin selbst vorgetragen hat - auf 28.774.859,06 € reduziert worden ist. Die Kürzung dieser Kostenposition durch die Bundesnetzagentur beruht auf dem von ihr im Interesse einer Gleichbehandlung aller Netzbetreiber in einer gewissen Bandbreite pauschal anerkannten - wettbewerbsanalogen - Beschaffungspreis, ohne dass deshalb die Angaben der Beklagten zur Höhe der ihr konkret entstandenen Beschaffungskosten für Verlustenergie als falsch angesehen werden können.

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(4) Schließlich hat das Berufungsgericht auch rechts- und verfahrensfehlerfrei das Vorbringen der Klägerin zurückgewiesen, die Aufwendungen an Betreiber vorgelagerter Netze seien von der Regulierungsbehörde in übersetzter Höhe gebilligt worden. Dies vermag eine Unbilligkeit und Unangemessenheit der genehmigten Entgelte der Beklagten von vornherein nicht zu begründen. Denn die Kosten vorgelagerter Netze gehören nicht zu den der Entgeltgenehmigung zu Grunde gelegten Kosten. Sie unterliegen nicht der Überprüfung im Rahmen der Entgeltgenehmigung, sondern dürfen ungeprüft auf die Netzkunden abgewälzt werden (vgl. Senatsbeschluss vom 31. Januar 2012 - EnVR 31/10, RdE 2012, 209 Rn. 46 - Stadtwerke Freudenstadt).

17

II. Es besteht Gelegenheit zur Stellungnahme innerhalb von drei Wochen ab Zustellung dieses Beschlusses.Das Verfahren wurde mit Senatsbeschluss vom 8. März 2016 erledigt.

Limperg

Kirchhoff

Grüneberg

Bacher

Deichfuß

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