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Bundesgerichtshof
Urt. v. 16.09.2015, Az.: IV ZR 235/14
Rückzahlung geleisteter Versicherungsbeiträge einer Risiko-Lebensversicherung und einer fondsgebundenen Rentenversicherung; Prämienrückerstattungsanspruch aus ungerechtfertigter Bereicherung; Fehlerhaftigkeit einer Belehrung in einem Versicherungsschein; Ordnungsgemäße Belehrung über das Widerspruchsrecht; Zustandekommen eines Versicherungsvertrages
Gericht: BGH
Entscheidungsform: Urteil
Datum: 16.09.2015
Referenz: JurionRS 2015, 25987
Aktenzeichen: IV ZR 235/14
ECLI: [keine Angabe]

Verfahrensgang:

vorgehend:

LG Aachen - 23.12.2011 - AZ: 9 O 520/10

OLG Köln - 02.05.2014 - AZ: 20 U 24/12

Rechtsgrundlagen:

§ 5a Abs. 2 S. 1, 4 VVG

§ 812 Abs. 1 S. 1 Alt. 1 BGB

BGH, 16.09.2015 - IV ZR 235/14

Redaktioneller Leitsatz:

§ 5a Abs. 2 S. 4 VVG a.F. findet im Anwendungsbereich der Zweiten und der Dritten Richtlinie Lebensversicherung keine Anwendung; für davon erfasste Lebens- und Rentenversicherungen sowie Zusatzversicherungen zur Lebensversicherung besteht grundsätzlich ein Widerspruchsrecht fort, wenn der Versicherungsnehmer - wie hier - nicht ordnungsgemäß über das Recht zum Widerspruch belehrt worden ist und/oder die Verbraucherinformation oder die Versicherungsbedingungen nicht erhalten hat.

Die Kündigung des Versicherungsvertrages steht dem Widerspruch nicht entgegen.

Der IV. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat durch die Vorsitzende Richterin Mayen, die Richterin Harsdorf-Gebhardt, die Richter Dr. Karczewski, Lehmann und die Richterin Dr. Brockmöller im schriftlichen Verfahren gemäß § 128 Abs. 2 ZPO mit Schriftsatzfrist bis zum 24. August 2015

für Recht erkannt:

Tenor:

Auf die Revision des Klägers wird das Urteil des 20. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Köln vom 2. Mai 2014 aufgehoben und die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsverfahrens, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.

Der Streitwert für das Revisionsverfahren wird auf 7.695,20 € festgesetzt.

Gründe

1

Die Klägerseite (Versicherungsnehmer: im Folgenden d. VN) begehrt von dem beklagten Versicherer (im Folgenden Versicherer) Rückzahlung geleisteter Versicherungsbeiträge einer Risiko-Lebensversicherung und einer fondsgebundenen Rentenversicherung.

2

Erstere wurde nach den Feststellungen des Berufungsgerichts aufgrund Antrags d. VN mit Versicherungsbeginn zum 1. Dezember 1999 (Endziffer 69) und letztere aufgrund Antrags d. VN mit Versicherungsbeginn zum 1. Dezember 2004 (Endziffer 74) nach dem so genannten Policenmodell des § 5a VVG in der seinerzeit gültigen Fassung (im Folgenden § 5a VVG a.F.) abgeschlossen.

3

D. VN zahlte in der Folge die Versicherungsprämien. Mit Schreiben vom 11. Juni 2009 kündigte er unter anderem den Vertrag mit der Endziffer 74 und der Versicherer zahlte den Rückkaufswert aus. Mit Schreiben vom 15. und 16. Juli 2010 erklärte d. VN unter anderem den Widerspruch nach § 5a VVG a.F. zu den beiden Verträgen.

4

Mit der Klage begehrt d. VN - soweit für die Revisionsinstanz noch von Belang - Rückzahlung aller auf die beiden Verträge geleisteten Beiträge nebst Zinsen abzüglich bereits gezahlter Rückkaufwerte, insgesamt 7.695,20 €.

5

Nach Auffassung d. VN sind die Versicherungsverträge nicht wirksam zustande gekommen, weil d. VN zum einen nicht ordnungsgemäß belehrt wurde und zum anderen das Policenmodell mit den Lebensversicherungsrichtlinien der Europäischen Union nicht vereinbar sei.

6

Das Landgericht hat die Klage abgewiesen; die Berufung des Klägers ist vom Oberlandesgericht zurückgewiesen worden. Hiergegen richtet sich die Revision des Klägers.

Entscheidungsgründe

7

Die Revision führt zur Aufhebung des Berufungsurteils und zur Zurückverweisung der Sache an das Berufungsgericht.

8

I. Dieses hat Prämienrückerstattungsansprüche aus ungerechtfertigter Bereicherung verneint. Der Versicherer habe zwar nicht ordnungsgemäß über das Widerspruchsrecht belehrt. Die Verträge seien aber gemäß § 5a Abs. 2 Satz 4 VVG a.F. ein Jahr nach Zahlung der jeweils ersten Prämie rückwirkend endgültig wirksam geworden.

9

II. Die Revision ist begründet.

10

1. Ein Anspruch auf Prämienrückzahlung aus § 812 Abs. 1 Satz 1 Alt. 1 BGB kann d. VN mit der vom Berufungsgericht gegebenen Begründung nicht versagt werden.

11

a) Die zwischen den Parteien geschlossenen Versicherungsverträge schaffen keinen Rechtsgrund für die Prämienzahlungen. Sie sind infolge des jeweiligen Widerspruchs d. VN nicht wirksam zustande gekommen. Diese waren - ungeachtet des Ablaufs der in § 5a Abs. 2 Satz 4 VVG a.F. normierten Jahresfrist - rechtzeitig.

12

aa) Die Beweiswürdigung des Berufungsgerichts, die Beklagte habe die Übergabe der Verbraucherinformation hinsichtlich des Versicherungsvertrages mit der Endziffer 69 bei Antragstellung nicht bewiesen, ist - entgegen der Ansicht der Revisionserwiderung - revisionsrechtlich nicht zu beanstanden. Die Bestätigung im Versicherungsantrag, auf die sich der Versicherer zum Beweis der Übergabe der Verbraucherinformation berufen hatte, belegt dies gerade nicht. Dass das Berufungsgericht aus der ausgebliebenen Reaktion des Klägers auf die später im Versicherungsschein enthaltene Information, ihm sei bei Antragstellung eine Verbraucherinformation ausgehändigt worden, keine Schlüsse gezogen hat, ist schon deshalb jedenfalls revisionsrechtlich nicht zu beanstanden. 13 D. VN hat zu diesem Vertrag unstreitig mit Übersendung des Versicherungsscheins eine Widerspruchsbelehrung nicht erhalten, so dass keine ordnungsgemäße Belehrung i.S. von § 5a Abs. 2 Satz 1 VVG erfolgt ist.

14

Nach den revisionsrechtlich bindenden Feststellungen des Berufungsgerichts belehrte der Versicherer d. VN auch hinsichtlich des Vertrages mit der Endziffer 74 nicht ordnungsgemäß i.S. von § 5a Abs. 2 Satz 1 VVG a.F. über das Widerspruchsrecht, weil die gesetzlich vorgeschriebene Widerspruchsbelehrung mit Übersendung des Versicherungsscheins auch hier nicht erfolgt ist. Zutreffend war das Berufungsgericht der Ansicht, dass die Belehrung im Versicherungsantrag - unabhängig von der Frage, ob diese ordnungsgemäß war - nicht ausreichte, weil diese Belehrung nicht maßgeblich ist (Senatsurteile vom 22. April 2015 - IV ZR 503/14, Rn. 11 und vom 28. Januar 2004 - IV ZR 58/03, VersR 2004, 497 unter 3 b).

15

Für einen solchen Fall bestimmte § 5a Abs. 2 Satz 4 VVG a.F. zwar, dass das Widerspruchsrecht ein Jahr nach Zahlung der ersten Prämie erlischt. Das Widerspruchsrecht bestand hier aber nach Ablauf der Jahresfrist und noch im Zeitpunkt der Widerspruchserklärung fort.

16

Das ergibt die richtlinienkonforme Auslegung des § 5a Abs. 2 Satz 4 VVG a.F. auf der Grundlage der Vorabentscheidung des Gerichtshofs der Europäischen Union vom 19. Dezember 2013 (VersR 2014, 225 [EuGH 19.12.2013 - Rs. C-209/12]). Der Senat hat mit Urteil vom 7. Mai 2014 (IV ZR 76/11, BGHZ 201, 101 Rn. 17-34) entschieden und im Einzelnen begründet, die Regelung müsse richtlinienkonform teleologisch dergestalt reduziert werden, dass sie im Anwendungsbereich der Zweiten und der Dritten Richtlinie Lebensversicherung keine Anwendung findet und für davon erfasste Lebens- und Rentenversicherungen sowie Zusatzversicherungen zur Lebensversicherung grundsätzlich ein Widerspruchsrecht fortbesteht, wenn d. VN - wie hier - nicht ordnungsgemäß über das Recht zum Widerspruch belehrt worden ist und/oder die Verbraucherinformation oder die Versicherungsbedingungen nicht erhalten hat.

17

bb) Die Kündigung der Versicherungsverträge steht den Widersprüchen nicht entgegen (vgl. Senatsurteil vom 7. Mai 2014 aaO Rn. 36 m.w.N.). Ein Erlöschen des Widerspruchsrechts nach beiderseits vollständiger Leistungserbringung kommt ebenfalls nicht in Betracht (vgl. Senatsurteil vom 7. Mai 2014 aaO Rn. 37 m.w.N.).

18

b) Die bereicherungsrechtlichen Rechtsfolgen der Europarechtswidrigkeit des § 5a Abs. 2 Satz 4 VVG a.F. sind nicht auf eine Wirkung ab Zugang des Widerspruchs (ex nunc) zu beschränken, sondern nur eine Rückwirkung entspricht dem Effektivitätsgebot (dazu im Einzelnen Senatsurteil vom 7. Mai 2014 aaO Rn. 42-44).

19

2. Der Höhe nach umfasst der Rückgewähranspruch nach § 812 Abs. 1 Satz 1 Alt. 1 BGB nicht uneingeschränkt alle gezahlten Prämien. Vielmehr muss sich d. VN bei der bereicherungsrechtlichen Rückabwicklung den jedenfalls bis zur Kündigung der Verträge genossenen Versicherungsschutz anrechnen lassen. Der Wert des Versicherungsschutzes kann unter Berücksichtigung der Prämienkalkulation bemessen werden; bei Lebensversicherungen kann etwa dem Risikoanteil Bedeutung zukommen (Senatsurteil vom 7. Mai 2014 aaO Rn. 45 m.w.N.; vgl. auch Senatsurteile vom 29. Juli 2015 - IV ZR 384/14, VersR 2015, 1101 Rn. 35 ff. und IV ZR 448/14, VersR 2015, 1104 [BGH 29.07.2015 - IV ZR 448/14] Rn. 33 ff.).

20

Da es hierzu an Feststellungen fehlt, ist der Rechtsstreit zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen. Es wird den Parteien Gelegenheit zu ergänzendem Vortrag zu geben haben (vgl. Senatsurteil vom 7. Mai 2014 aaO Rn. 46).

Mayen

Harsdorf-Gebhardt

Dr. Karczewski

Lehmann

Dr. Brockmöller

Verkündet am: 16. September 2015

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