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Bundesgerichtshof
Beschl. v. 14.10.2014, Az.: 2 StR 134/14
Gewichtung der für das Vorliegen einer unbilligen Härte maßgeblichen Umstände beim Verfall von Wertersatz
Gericht: BGH
Entscheidungsform: Beschluss
Datum: 14.10.2014
Referenz: JurionRS 2014, 27345
Aktenzeichen: 2 StR 134/14
ECLI: [keine Angabe]

Verfahrensgang:

vorgehend:

LG Bonn - 13.12.2013

Rechtsgrundlage:

§ 111i Abs. 2 StPO

Fundstellen:

NStZ-RR 2015, 5

NZA-RR 2015, 6

StV 2016, 18-19

Verfahrensgegenstand:

Zu 1.: Besonders schwerer Raub u.a.
Zu 2.: Erpresserischer Menschenraub u.a.
Zu 3.: Raub u.a.

BGH, 14.10.2014 - 2 StR 134/14

Redaktioneller Leitsatz:

  1. 1.

    Die Annahme einer "unbilligen Härte" im Sinne des § 73c Abs. 1 Satz 1 StGB setzt voraus, nach der die Anordnung des Verfalls das Übermaßverbot verletzen würde, also schlechthin "ungerecht" wäre.

  2. 2.

    Die Auswirkungen müssen im konkreten Einzelfall außer Verhältnis zu dem vom Gesetzgeber mit der Maßnahme angestrebten Zweck stehen; es müssen besondere Umstände vorliegen, auf Grund derer mit der Vollstreckung des Verfalls eine außerhalb des Verfallszwecks liegende zusätzliche Härte verbunden wäre, die dem Betroffenen auch unter Berücksichtigung des Zwecks des Verfalls nicht zugemutet werden kann.

  3. 3.

    Allein der Gesichtspunkt der gesetzlichen Konsequenzen einer gesamtschuldnerischen Haftung stellt kein taugliches Kriterium dar, eine unbillige Härte im Sinne von § 73c Abs. 1 Satz 1 StGB zu verneinen.

  4. 4.

    Maßgebend für die Ermessensentscheidung nach § 73c Abs. 1 Satz 2 1. Alt. StGB ist neben der Gesamthöhe des Erlangten und den wirtschaftlichen Verhältnissen des Betroffenen insbesondere der Grund, aus welchem das Erlangte bzw. dessen Wert sich nicht mehr im Vermögen des Angeklagten befindet.

  5. 5.

    Hierbei können etwa das "Verprassen" der erlangten Mittel oder ihre Verwendung für Luxus und zum Vergnügen gegen die Anwendung der Härtevorschrift sprechen; andererseits kann ihr Verbrauch in einer Notlage oder zum notwendigen Lebensunterhalt des Betroffenen und seiner Familie als Argument für eine positive Ermessensentscheidung dienen.

Der 2. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des Generalbundesanwalts, zu Ziffer 2. und 3. auf dessen Antrag, und der Beschwerdeführer am 14. Oktober 2014 gemäß § 349 Abs. 2 und 4 StPO, § 357 StPO beschlossen:

Tenor:

  1. 1.

    Auf die Revision des Angeklagten S. wird das Urteil des Landgerichts Bonn vom 13. Dezember 2013, soweit es ihn und den Mitangeklagten H. betrifft, im Ausspruch über die Verfallsanordnung nach § 111i Abs. 2 StPO mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben.

    Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels und die dem Nebenkläger insoweit entstandenen notwendigen Auslagen, an eine allgemeine Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

  2. 2.

    Die weiter gehende Revision des Angeklagten S. wird verworfen.

  3. 3.

    Die Revision des Angeklagten B. gegen das vorbezeichnete Urteil wird verworfen. Es wird davon abgesehen, dem Beschwerdeführer die Kosten und gerichtlichen Auslagen seines Rechtsmittels aufzuerlegen; jedoch hat er die insoweit durch das Adhäsionsverfahren entstandenen besonderen Kosten und die dem Nebenkläger im Revisionsverfahren insoweit entstandenen notwendigen Auslagen zu tragen.

Gründe

1

Das Landgericht hat den Angeklagten S. wegen besonders schweren Raubs in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung, Raubs und Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in zwei Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von fünf Jahren und sechs Monaten verurteilt, über einen Betrag in Höhe von 500 € den Verfall von Wertersatz angeordnet und nach § 111i Abs. 2 StPO festgestellt, dass lediglich deshalb nicht auf einen Verfall von Wertersatz in Höhe von insgesamt 20.000 € - davon in Höhe von 15.000 € zusammen mit dem nicht revidierenden Mitangeklagten H. - erkannt wird, weil Ansprüche der Verletzten dem entgegenstehen. Weiterhin hat es ihn seinem Anerkenntnis entsprechend zu Schadensersatz und Schmerzensgeld verurteilt.

2

Den zur Tatzeit 19jährigen Angeklagten B. hat das Landgericht wegen erpresserischen Menschenraubs in zwei tateinheitlichen Fällen in Tateinheit mit besonders schwerer räuberischer Erpressung in zwei tateinheitlichen Fällen, besonders schweren Raub, gefährlicher Körperverletzung und vorsätzlicher Körperverletzung, wegen besonders schweren Raubs in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung, wegen Raubs in Tateinheit mit vorsätzlicher Körperverletzung, gefährlicher Körperverletzung in zwei Fällen, vorsätzlicher Körperverletzung und wegen Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in zwei Fällen zu einer "Einheitsjugendstrafe" von fünf Jahren sowie aufgrund seines Anerkenntnisses zu Schadensersatz und Schmerzensgeld verurteilt.

3

Mit ihren Rechtsmitteln rügen die Angeklagten die Verletzung sachlichen Rechts. Das Rechtsmittel des Angeklagten B. ist unbegründet. Das Rechtsmittel des Angeklagten S. hat in dem aus der Beschlussformel ersichtlichen Umfang Erfolg; im Übrigen ist es ebenfalls unbegründet (§ 349 Abs. 2 StPO).

4

1. Die Überprüfung des angefochtenen Urteils aufgrund der erhobenen allgemeinen Sachrüge hat keinen den Angeklagten B. beschwerenden Rechtsfehler ergeben.

5

2. Die Revision des Angeklagten S. ist ebenfalls unbegründet, soweit sie sich gegen die Schuldsprüche, die verhängten Strafen, den Verfall von Wertersatz und gegen das Anerkenntnisurteil richtet. Die Anordnung gemäß § 111i Abs. 2 StPO ist indes rechtsfehlerhaft.

6

a) Die Strafkammer hat zutreffend das aus den Taten unmittelbar 'Erlangte' im Sinne des § 73 StGB und den dem Wertersatzverfall im Sinne des § 73a StGB entsprechenden Geldbetrag beziffert. Eine unbillige Härte im Sinne von § 73c Abs. 1 Satz 1 StGB hat das Landgericht mit der Erwägung verneint, dass eine Regressmöglichkeit der Gesamtschuldner untereinander bestehe. Die Anwendung des § 73c Abs. 1 Satz 2 StGB hat das Landgericht ebenfalls ausgeschlossen; aufgrund der den Angeklagten "nur wenig belastenden und ausgewogenen Regelung" des § 111i Abs. 2 bis 7 StPO sei es "nicht angezeigt, von dem zeitlich auf drei Jahre beschränkten Zugriff des Staates auf [...] (sein) Vermögen abzusehen".

7

b) Die Ausführungen zu § 73c StGB halten rechtlicher Nachprüfung nichtstand.

8

aa) Soweit das Landgericht eine unbillige Härte im Sinne von § 73c Abs. 1 Satz 1 StGB verneint hat, fehlt es hierfür an einer tragfähigen Begründung. Zwar ist die Anwendung der Härtevorschrift des § 73c StGB in erster Linie Sache des Tatrichters. Die Gewichtung der für das Vorliegen einer unbilligen Härte maßgeblichen Umstände unterliegt daher grundsätzlich nicht der Nachprüfung durch das Revisionsgericht. Mit der Revision kann jedoch beanstandet werden, dass das Tatbestandsmerkmal der "unbilligen Härte" rechtsfehlerhaft interpretiert worden ist (vgl. BGH, Urteil vom 3. Juli 2003 - 1 StR 453/02, insoweit in NStZ 2004, 457 [BGH 03.07.2003 - 1 StR 453/02] nicht abgedruckt).

9

(1) Die Annahme einer "unbilligen Härte" im Sinne des § 73c Abs. 1 Satz 1 StGB setzt nach ständiger Rechtsprechung eine Situation voraus, nach der die Anordnung des Verfalls das Übermaßverbot verletzen würde, also schlechthin "ungerecht" wäre (vgl. BGH, Urteil vom 2. Oktober 2008 - 4 StR 153/08, BGHR StGB § 73c Härte 13; Fischer, StGB, 61. Aufl., § 73c Rdn. 3, jeweils mwN). Die Auswirkungen müssen im konkreten Einzelfall außer Verhältnis zu dem vom Gesetzgeber mit der Maßnahme angestrebten Zweck stehen; es müssen besondere Umstände vorliegen, auf Grund derer mit der Vollstreckung des Verfalls eine außerhalb des Verfallszwecks liegende zusätzliche Härte verbunden wäre, die dem Betroffenen auch unter Berücksichtigung des Zwecks des Verfalls nicht zugemutet werden kann (BGH aaO mwN).

10

(2) Das Landgericht hat sich mit diesen Aspekten nicht befasst. Allein der Gesichtspunkt der - abstrakt - gesetzlichen Konsequenzen einer gesamtschuldnerischen Haftung stellt kein taugliches Kriterium dar, eine unbillige Härte im Sinne von § 73c Abs. 1 Satz 1 StGB zu verneinen. Anderenfalls hätte § 73c Abs. 1 Satz 1 StGB im Anwendungsbereich des § 111i Abs. 2 StPO bei gesamtschuldnerischer Haftung keinen Anwendungsbereich. Da es bei mehreren Tätern und/oder Teilnehmern für die Feststellung der dem Auffangrechtserwerb des Staates unterliegenden Vermögenswerte gemäß § 111i Abs. 2 StPO auf die jeweiligen persönlichen Verhältnisse der Tatbeteiligten ankommt (vgl. BGH, Urteil vom 28. Oktober 2010 - 4 StR 215/10, BGHSt 56, 39, 50), hat das Landgericht entsprechende individuelle Feststellungen zu treffen (vgl. Fischer aaO Rdn. 3 mwN) und zu gewichten. Daran fehlt es hier.

11

bb) Die Voraussetzungen des § 73c Abs. 1 Satz 2 StGB sind ebenfalls nicht rechtsfehlerfrei dargelegt.

12

(1) Bereits die Begründung des Landgerichts, angesichts des (abstrakten) Regelungsgefüges des § 111i StPO sei die Anwendung des § 73c Abs. 1 Satz 2 StGB auszuschließen, ist im Ansatz verfehlt (vgl. auch BGH, Urteil vom 28. Oktober 2010 - 4 StR 215/10, BGHSt 56, 39, 44); § 73c Abs. 1 Satz 2 StGB hätte - worauf der Generalbundesanwalt zu Recht hinweist - im Anwendungsbereich des § 111i Abs. 2 StPO keine erkennbare Bedeutung mehr.

13

(2) Die getroffenen Feststellungen bilden zudem keine tragfähige Grundlage für eine Ermessensentscheidung nach § 73c Abs. 1 Satz 2 1. Alt. StGB.

14

Maßgebend für die Ermessensentscheidung nach § 73c Abs. 1 Satz 2 1. Alt. StGB ist neben der Gesamthöhe des Erlangten und den wirtschaftlichen Verhältnissen des Betroffenen insbesondere der Grund, aus welchem das Erlangte bzw. dessen Wert sich nicht mehr im Vermögen des Angeklagten befindet (vgl. BGH, Urteil vom 2. Dezember 2004 - 3 StR 246/04, NStZ-RR 2005, 104, 105; Fischer aaO Rdn. 5, jeweils mwN). Hierbei können etwa das "Verprassen" der erlangten Mittel oder ihre Verwendung für Luxus und zum Vergnügen gegen die Anwendung der Härtevorschrift sprechen; andererseits kann ihr Verbrauch in einer Notlage oder zum notwendigen Lebensunterhalt des Betroffenen und seiner Familie als Argument für eine positive Ermessensentscheidung dienen (BGH aaO mwN). Hierzu verhält sich das angefochtene Urteil angesichts des rechtsfehlerhaften Ansatzes nicht.

15

c) Die Anordnung gemäß § 111i Abs. 2 StPO kann deshalb keinen Bestand haben. Über die Frage, ob und gegebenenfalls in welcher Höhe (vgl. auch § 111i Abs. 2 Satz 4 StPO) nur deshalb nicht auf Verfall von Wertersatz erkannt wird, weil Ansprüche Verletzter entgegenstehen, ist deshalb erneut zu befinden.

16

3. Nach § 357 Satz 1 StPO ist die Aufhebung des Urteils auf den nicht revidierenden Mitangeklagten H. zu erstrecken, soweit sie sich auf die Vermögenswerte beziehen, die diesem Angeklagten aus der Verwirklichung des Tatbestandes zugeflossen sind, denn insoweit beruht die vom Landgericht getroffene Feststellung gemäß § 111i Abs. 2 StPO auf denselben sachlichrechtlichen Mängeln (vgl. auch BGH, Beschluss vom 10. April 2013 - 1 StR 22/13, NStZ-RR 2013, 254, 255).

17

4. Der Senat verweist die Sache an eine allgemeine Strafkammer des Landgerichts zurück, weil sich das Verfahren nur noch gegen Erwachsene richtet.

Fischer

Schmitt

Ott

RiBGH Dr. Eschelbach ist aus tatsächlichen Gründen an der Unterschrift gehindert.
Schmitt

Zeng

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