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Bundesgerichtshof
Beschl. v. 01.10.2013, Az.: LwZB 1/13
Auslegung der Vertragsbestimmung über das Sonderkündigungsrecht wegen Eigenbedarfs i. R. der Übertragung eines landwirtschaftlichen Grundstücks
Gericht: BGH
Entscheidungsform: Beschluss
Datum: 01.10.2013
Referenz: JurionRS 2013, 48827
Aktenzeichen: LwZB 1/13
ECLI: [keine Angabe]

Verfahrensgang:

vorgehend:

AG Erfurt - 25.05.2012 - AZ: Lw 11/11

OLG Jena - 19.12.2012 - AZ: Lw U 548/12

BGH, 01.10.2013 - LwZB 1/13

Der Bundesgerichtshof, Senat für Landwirtschaftssachen, hat am 1. Oktober 2013 durch die Vorsitzende Richterin Dr. Stresemann und die Richter Dr. Lemke und Dr. Czub - gemäß § 20 Abs. 1 Nr. 4 LwVG ohne Zuziehung ehrenamtlicher Richter -

beschlossen:

Tenor:

Die Rechtsbeschwerde gegen den Beschluss des Thüringer Oberlandesgerichts in Jena - Senat für Landwirtschaftssachen - vom 19. Dezember 2012 wird auf Kosten der Klägerin als unzulässig verworfen.

Der Gegenstandswert des Rechtsbeschwerdeverfahrens beträgt bis zu 300 €.

Gründe

I.

1

Die Klägerin schloss mit D. L. , der damaligen Eigentümerin landwirtschaftlicher Grundstücke mit einer Gesamtgröße von 10,89 ha, einen Landpachtvertrag für die Zeit vom 1. November 2002 bis zum 31. Oktober 2020 mit einem jährlichen Pachtzins von 495,90 €. Zu den verpachteten Flächen gehörte ein Flurstück mit einer Fläche von 0,5892 ha. In § 12 Abs. 2 des Pachtvertrags ist bestimmt, dass der Verpächter das Pachtverhältnis vorzeitig kündigen kann, wenn er einen landwirtschaftlichen Familienbetrieb im Haupt- oder Nebenerwerb gründet.

2

Die Verpächterin übertrug das Flurstück ihrem damaligen Ehemann, der es mit notariellem Vertrag vom 9. Oktober 2008 an den Beklagten verkaufte; dieser wurde im März 2009 als Eigentümer in das Grundbuch eingetragen. Der Beklagte, der Landwirtschaft im Nebenerwerb betreibt, zäunte die Fläche ein und kündigte im Juni 2010 unter Bezugnahme auf § 12 Abs. 2 des Pachtvertrags das Vertragsverhältnis mit der Klägerin wegen Eigenbedarfs. Die Klägerin widersprach der Kündigung und forderte den Beklagten auf, ihr die Fläche zur Nutzung wieder zur Verfügung zu stellen.

3

Die Klägerin hat Klage mit dem Antrag erhoben, den Beklagten zu verurteilen, ihr die Nutzung der Fläche zu gewähren. Der Beklagte hat im Wege der Widerklage beantragt, die Klägerin zur Herausgabe der Fläche zu verurteilen. Im Verlauf des Rechtsstreits hat der Beklagte zudem eine fristlose Kündigung wegen Zahlungsverzugs erklärt.

4

Das Amtsgericht (Landwirtschaftsgericht) hat die Klage abgewiesen und der Widerklage stattgegeben. Das Oberlandesgericht (Landwirtschaftssenat) hat die Berufung als unzulässig verworfen. Dagegen wendet sich die Klägerin mit ihrer Rechtsbeschwerde.

II.

5

Das Berufungsgericht meint, die Berufung sei gemäß § 48 Abs. 1 LwVG i.V.m. § 511 Abs. 2 Nr. 1 ZPO unzulässig, weil der Wert des Beschwerdegegenstands den Betrag von 600 € nicht übersteige. Die nach § 8 ZPO zu bemessende Beschwer der Klägerin belaufe sich angesichts einer auf die streitige Fläche entfallenden Pacht von 27,16 € jährlich und einer streitigen Pachtzeit von 9 Jahren und 4 Monaten auf lediglich 253, 49 €.

III.

6

Die Rechtsbeschwerde gegen den die Berufung als unzulässig verwerfenden Beschluss ist zwar gemäß § 574 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 i.V.m. § 522 Abs. 1 Satz 4 ZPO statthaft, aber nach § 574 Abs. 2 Nr. 2 ZPO nicht zulässig, weil die Sache weder grundsätzliche Bedeutung hat noch eine Entscheidung des Rechtsbeschwerdegerichts zur Fortbildung des Rechts oder zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung erfordert.

7

1. Die Entscheidung des Berufungsgerichts beruht allerdings auf einem von der Rechtsbeschwerde gerügten Verfahrensfehler. Das Berufungsgericht hat die hier gebotene Nachholung der Prüfung unterlassen, ob die Berufung angesichts des von ihm angenommenen Werts der Beschwer der Klägerin aus den in § 511 Abs. 4 Nr. 1 ZPO genannten Gründen zugelassen werden muss.

8

Hat das erstinstanzliche Gericht keine Veranlassung gesehen, die Berufung zuzulassen, weil es - wie hier - den Streitwert auf über 600 € festgesetzt hat, muss das Berufungsgericht die Entscheidung hierüber nachholen. Die unterschiedliche Bewertung der Beschwer darf nicht zu Lasten der Partei gehen (BGH, Urteil vom 14. November 2007 - VIII ZR 340/06, NJW 2008, 218, 219 Rn. 12; Beschluss vom 19. Mai 2011 - V ZB 250/10, WuM 2011, 432; Beschluss vom 6. Oktober 2011 - V ZB 72/11, NJW-RR 2012, 82, 83 Rn. 7; Beschluss vom 10. Mai 2012 - V ZB 242/11, WuM 2012, 402, 403 Rn. 12 std. Rspr.). Dem ist das Berufungsgericht nicht nachgekommen, da es allein seine von dem erstinstanzlichen Gericht abweichenden Festsetzungen der Beschwer und des Streitwerts begründet hat.

9

2. Dieser Fehler des Berufungsgerichts hätte jedoch nur dann zu einer unzulässigen, weil aus Sachgründen nicht mehr zu rechtfertigenden Erschwerung des Zugangs zu der von dem Gesetzgeber eröffneten Berufungsinstanz geführt, wenn die Berufung nach dem Ergebnis der im Rechtsbeschwerdeverfahren nachzuholenden Prüfung (vgl. BGH, Urteil vom 14. November 2007 VIII ZR 340/06, NJW 2008, 218, 219 Rn. 12; Beschluss vom 21. April 2010 XII ZB 128/09, NJW-RR 2010, 934, 936 Rn. 21; Beschluss vom 10. Mai 2012 V ZB 242/11, WuM 2012, 202, 203 Rn. 12) gemäß § 511 Abs. 4 Satz 1 Nr. 1 ZPO hätte zugelassen werden müssen oder wenn dem Rechtsbeschwerdegericht nach den Feststellungen in dem angefochtenen Beschluss eine solche Entscheidung nicht möglich wäre (BGH, Beschluss vom 19. Mai 2011 V ZB 250/10, WuM 2011, 432, 433 Rn. 5). Das ist jedoch nicht der Fall.

10

a) Allerdings wäre die Zulassung der Berufung geboten gewesen, wenn das Landwirtschaftsgericht seine Auffassung, dass ein Pachtverhältnis zwischen den Parteien nicht mehr besteht, nur auf die Wirksamkeit der unter Berufung auf das Sonderkündigungsrecht nach § 12 Abs. 2 des Pachtvertrags ausgesprochenen Kündigung gestützt hätte. Die Berufung hätte dann zwar - entgegen der Ansicht der Rechtsbeschwerde - nicht wegen der Frage, was unter einem "landwirtschaftlichen Familienbetrieb im Haupt- oder Nebenerwerb" im Sinne des § 12 Abs. 2 des Pachtvertrags zu verstehen ist, aber deshalb zugelassen werden müssen, weil das Erstgericht mit seiner Entscheidung von der eines höherrangigen Gerichts abgewichen ist. In solch einem Fall hat es die Berufung zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung nach § 511 Abs. 4 Nr. 1 Alt. 3 ZPO zuzulassen (vgl. Senat, Beschluss vom 29. Mai 2002 V ZB 11/02, BGHZ 151, 42, 45).

11

Das Landwirtschaftsgericht ist von der Rechtsprechung des Berufungsgerichts abgewichen, nach der eine Vertragsbestimmung in einem langfristigen Pachtvertrag, mit der dem Verpächter ein Kündigungsrecht wegen Eigenbedarfs eingeräumt wird, grundsätzlich so auszulegen ist, dass das Sonderkündigungsrecht nur dem Verpächter zustehen und nicht auf den Erwerber übergehen soll (OLG Jena, Urteil vom 12. Mai 2011 - LwU 1019/10, Urteilsgründe auszugsweise wiedergegeben im Aufsatz von Schneider, NL-BzAR 2011, 262 im Anschluss an das OLG Naumburg, AUR 2005, 93 und RdL 2006, 220; anders allerdings OLG Dresden, AUR 2005, 23). Besondere Absprachen, die hier ein anderes Verständnis der Vertragsbestimmung nahelegen könnten, sind weder vorgetragen noch ersichtlich.

12

b) Die Abweichung von der Rechtsprechung des Berufungsgerichts bei der Auslegung der Vertragsbestimmung über das Sonderkündigungsrecht wegen Eigenbedarfs war jedoch nicht entscheidungserheblich, weil das Landwirtschaftsgericht seine Entscheidung auf einen weiteren, selbständig tragenden Grund gestellt hat, indem es auch die im Verlauf des Rechtsstreits von dem Beklagten wegen Zahlungsverzugs ausgesprochene Kündigung als berechtigt angesehen hat. Insoweit rügt die Rechtsbeschwerde zwar eine Verletzung des Verfahrensgrundrechts auf rechtliches Gehör (Art. 103 Abs. 1 GG) durch das Landwirtschaftsgericht, da dieses den unter Zeugenbeweis gestellten Vortrag der Klägerin übergangen habe, dass sie die von November 2009 an geschuldeten Pachten an die ihr bekannte Verpächterin L. weiter gezahlt habe. Damit hat sie aber keinen Erfolg.

13

aa) Es ist bereits zweifelhaft, ob ein Verstoß gegen Art. 103 Abs. 1 GG überhaupt als Grund für eine Zulassung der Berufung in Betracht kommt, wenn das Berufungs- bzw. das Rechtsbeschwerdegericht (hier auf Grund einer abweichenden Wertfestsetzung auf einen Betrag unter der Berufungssumme) die Entscheidung des erstinstanzlichen Gerichts über die Zulassung der Berufung nach § 522 Abs. 4 ZPO nachzuholen hat. Das Erstgericht darf nämlich nicht, wenn es eine Verletzung von Verfahrensgrundrechten erkennt, die Berufung nach § 511 Abs. 4 Satz 1 Nr. 1 ZPO zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung zulassen, sondern hat den Fehler selbst zu beheben (vgl. Münch-Komm-ZPO/Rimmelspacher, 4. Aufl., § 511 Rn. 77; PG/Lemke, ZPO, 5. Aufl., § 511 Rn. 44). Wenn das Erstgericht die Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör nicht bemerkt, hat es ebenfalls keinen Anlass, die Berufung gegen sein Urteil zuzulassen. Dem Rechtsmittelgericht dürfte, wenn es ausnahmsweise anstelle des erstinstanzlichen Gerichts über die Zulassung der Berufung zu entscheiden hat, nicht die Befugnis zukommen, die Berufung wegen der Verletzung eines Verfahrensgrundrechts dennoch zuzulassen und damit den Instanzenzug faktisch zu erweitern.

14

bb) Diese Frage bedarf hier jedoch keiner Entscheidung, weil das Landwirtschaftsgericht den unter Beweis gestellten Vortrag über die Weiterzahlung der jährlich jeweils zum 15. November fälligen Pachten an die bisherige Verpächterin wegen deren fehlender Empfangszuständigkeit als unerheblich angesehen hat. Die gerügte Verletzung des Art. 103 Abs. 1 GG liegt danach nicht vor. Das Gebot des rechtlichen Gehörs verpflichtet ein Gericht zwar, die Ausführungen der Prozessbeteiligten zur Kenntnis zu nehmen und in Erwägung zu ziehen (BVerfG, NJW 2009, 1584 Rn. 14 [BVerfG 26.11.2008 - 1 BvR 670/08]), jedoch nicht dazu, der Rechtsansicht einer Partei zu folgen. Soweit dem Gericht insoweit Rechtsfehler unterlaufen sein sollten, bewirkt dies allein nicht die Verletzung des Art. 103 Abs. 1 GG (BVerfG, NJW 2005, 3345, 3346 [BVerfG 26.07.2005 - 1 BvR 85/04] mwN).

15

3. Die Berufung war auch nicht als Wertberufung nach § 511 Abs. 2 Nr. 1 ZPO statthaft. Die Festsetzung des Werts der Beschwer auf einen 600 € nicht übersteigenden Betrag kann von dem Rechtsbeschwerdegericht nur darauf überprüft werden, ob das Berufungsgericht von seinem Ermessen (§ 3 ZPO) einen ungesetzlichen Gebrauch gemacht hat (vgl. Senat, Beschluss vom 14. Oktober 1993 - LwZB 6/93, NJW-RR 1994, 256). Das ist hier nicht der Fall. Die auf § 8 ZPO gestützte Bemessung des Streitwerts nach dem auf die gesamte streitige Zeit entfallenden Pachtzins entspricht der Rechtsprechung des Senats (vgl. Beschluss vom 14. Oktober 1993 - LwZB 6/93, aaO). Die Rechtsbeschwerde erhebt insoweit auch keine Einwendungen.

IV.

16

Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO und die Bemessung des Werts auf § 41 Abs. 1, 2 GKG i.V.m. § 34 Abs. 1 GKG.

Stresemann

RiBGH Dr. Lemke ist infolge Urlaubs an der Unterschrift gehindert.
Karlsruhe, den 11. Oktober 2013
Die Vorsitzende Stresemann

Czub

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