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Bundesgerichtshof
Beschl. v. 07.08.2013, Az.: XII ZB 691/12
Grundsätze zur Verwertbarkeit eines Sachverständigengutachtens als Entscheidungsgrundlage gem. § 37 Abs. 2 FamFG
Gericht: BGH
Entscheidungsform: Beschluss
Datum: 07.08.2013
Referenz: JurionRS 2013, 44042
Aktenzeichen: XII ZB 691/12
ECLI: [keine Angabe]

Verfahrensgang:

vorgehend:

AG Waldshut-Tiengen - 14.06.2012 - AZ: 6 XVII 752/11

LG Waldshut-Tiengen - 31.10.2012 - AZ: 1 T 66/12

LG Waldshut-Tiengen - 31.10.2012 - AZ: 1 T 99/12

Fundstellen:

AnwBl 2013, 829

BtPrax 2013, 254-255

DS 2013, 398-399

FamRZ 2013, 1725

FGPrax 2013, 261-262

FuR 2013, 712-713

JZ 2013, 617

MDR 2013, 1281-1282

NJ 2013, 4

NJW 2013, 3309-3310

RPsych (R&P) 2014, 38-39

BGH, 07.08.2013 - XII ZB 691/12

Amtlicher Leitsatz:

FamFG §§ 37 Abs. 2, 62, 319 Abs. 1, 321 Abs. 1 Satz 1

  1. a)

    Der Gutachter muss schon vor der Untersuchung des Betroffenen zum Sachverständigen bestellt worden sein (im Anschluss an Senatsbeschluss vom 15. September 2010 - XII ZB 383/10 - FamRZ 2010, 1726).

  2. b)

    Die Verwertung eines Sachverständigengutachtens als Entscheidungsgrundlage setzt gemäß § 37 Abs. 2 FamFG voraus, dass das Gericht den Beteiligten Gelegenheit zur Stellungnahme eingeräumt hat (im Anschluss an Senatsbeschluss vom 6. Juli 2011 XII ZB 616/10 FamRZ 2011, 1574).

  3. c)

    Die Feststellung, dass der Betroffene durch die angefochtene Entscheidung in seinen Rechten verletzt ist, kann grundsätzlich auch auf einer Verletzung des Verfahrensrechts beruhen (im Anschluss an Senatsbeschluss vom 15. Februar 2012 XII ZB 389/11 FamRZ 2012, 619).

Der XII. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat am 7. August 2013 durch den Vorsitzenden Richter Dose, die Richterin Weber-Monecke und die Richter Schilling, Dr. Nedden-Boeger und Dr. Botur

beschlossen:

Tenor:

Auf die Rechtsbeschwerde des Betroffenen wird der Beschluss der 1. Zivilkammer des Landgerichts Waldshut-Tiengen vom 31. Oktober 2012 aufgehoben, soweit darin die Beschwerde des Betroffenen gegen den Beschluss des Amtsgerichts Waldshut-Tiengen vom 14. Juni 2012 über die Genehmigung der Unterbringung zurückgewiesen wurde.

Auf die Beschwerde des Betroffenen wird festgestellt, dass der Beschluss des Amtsgerichts Waldshut-Tiengen vom 14. Juni 2012 den Betroffenen in seinen Rechten verletzt hat.

Das Verfahren der Rechtsbeschwerde ist gerichtsgebührenfrei (§ 128 b KostO).

Die außergerichtlichen Kosten des Betroffenen im Rechtsbeschwerdeverfahren werden der Staatskasse auferlegt (§ 337 Abs. 1 FamFG).

Gründe

I.

1

Der Betroffene wendet sich gegen die Genehmigung seiner Unterbringung.

2

Nachdem für den Betroffenen zunächst vorläufig eine Betreuung angeordnet und seine Unterbringung bis zum 14. Juni 2012 einstweilen genehmigt worden war, hat das Amtsgericht die Unterbringung des Betroffenen in einer geschlossenen Einrichtung bis längstens 26. Juli 2012 genehmigt und mit weiterem Beschluss vom selben Tag die Betreuung im genannten Umfang auch in der Hauptsache angeordnet. Gegen beide Beschlüsse hat der Betroffene, der bereits am 11. Juli 2012 entlassen worden ist, zunächst Beschwerde eingelegt. Das Landgericht, das hinsichtlich der Genehmigung der Unterbringung von einem Antrag gemäß § 62 FamFG zur Feststellung der Rechtswidrigkeit der Maßnahme ausgegangen war, hat die Beschwerden des Betroffenen mit Beschluss vom 31. Oktober 2012 zurückgewiesen. Hiergegen wendet sich der Betroffene, soweit es die Genehmigung der Unterbringung anbelangt, mit seiner Rechtsbeschwerde.

II.

3

Die Rechtsbeschwerde ist zulässig und begründet.

4

1. Die Statthaftigkeit der Rechtsbeschwerde ergibt sich auch im Falle der hier vorliegenden Erledigung der Unterbringungsmaßnahme aus § 70 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 FamFG (vgl. Senatsbeschluss vom 15. Februar 2012 XII ZB 389/11 FamRZ 2012, 619 Rn. 11).

5

2. Die Rechtsbeschwerde hat in der Sache Erfolg. Entgegen der Auffassung des Beschwerdegerichts ist die Genehmigung der Unterbringung durch das Amtsgericht jedenfalls verfahrensfehlerhaft erfolgt.

6

a) Zu Recht rügt die Rechtsbeschwerde, dass die Einholung des Sachverständigengutachtens nicht den Anforderungen einer förmlichen Beweisaufnahme genügt.

7

aa) Unbedenklich ist allerdings, dass die Sachverständige den Betroffenen bereits zuvor behandelt hatte. Nach § 329 Abs. 2 Satz 2 FamFG soll das Gericht nur bei einer Unterbringung mit einer Gesamtdauer von mehr als vier Jahren keinen Sachverständigen bestellen, der den Betroffenen bisher behandelt hat. Daraus folgt im Umkehrschluss, dass bei einer kürzeren Unterbringungsdauer der behandelnde Arzt zum Sachverständigen bestellt werden kann (Senatsbeschluss vom 15. September 2010 - XII ZB 383/10 - FamRZ 2010, 1726 Rn. 9).

8

bb) Allerdings sieht § 321 Abs. 1 Satz 1 FamFG für das Unterbringungsverfahren im Hinblick auf die damit einhergehenden erheblichen Eingriffe in die Freiheitsrechte eine förmliche Beweisaufnahme vor. Danach hat der Sachverständige den Betroffenen gemäß § 321 Abs. 1 Satz 2 FamFG vor Erstattung des Gutachtens persönlich zu untersuchen oder zu befragen, wobei er vor der Untersuchung des Betroffenen bereits zum Sachverständigen bestellt sein und ihm den Zweck der Untersuchung eröffnet haben muss, damit der Betroffene sein Recht, an der Beweisaufnahme teilzunehmen, sinnvoll ausüben kann (Senatsbeschluss vom 15. September 2010 - XII ZB 383/10 - FamRZ 2010, 1726 Rn. 18 ff.).

9

Dem wird das vom Amtsgericht eingeholte Sachverständigengutachten nicht gerecht. Zu Recht weist die Rechtsbeschwerde darauf hin, dass weder aus den gerichtlichen Feststellungen noch aus der Akte ersichtlich wird, dass dem Betroffenen die Bestellung seiner behandelnden Ärztin zur gerichtlichen Sachverständigen vor Beginn der Begutachtung bekannt gegeben worden ist. Hinzu kommt, dass ausweislich des Gutachtens Grundlagen der Begutachtung ausschließlich die Krankenakte, die eigene Kenntnis aus der stationären Behandlung im ZfP R. sowie die Akte des Amtsgerichts waren. Darüber hinaus kann dem Gutachten nicht entnommen werden, dass die Sachverständige den Betroffenen überhaupt auf ihre Funktion als solche hingewiesen hat.

10

b) Schließlich rügt die Rechtsbeschwerde zutreffend, dass das Sachverständigengutachten dem Betroffenen nicht bekannt gegeben worden ist.

11

Die Verwertung eines Sachverständigengutachtens als Entscheidungsgrundlage setzt gemäß § 37 Abs. 2 FamFG voraus, dass das Gericht den Beteiligten Gelegenheit zur Stellungnahme eingeräumt hat. Insoweit ist das Gutachten mit seinem vollen Wortlaut grundsätzlich auch dem Betroffenen persönlich im Hinblick auf dessen Verfahrensfähigkeit (§ 275 FamFG) zur Verfügung zu stellen. Davon kann nur unter den Voraussetzungen des § 288 Abs. 1 FamFG abgesehen werden (Senatsbeschluss vom 6. Juli 2011 XII ZB 616/10 FamRZ 2011, 1574 Rn. 11 mwN).

12

Auch diesen Anforderungen wird das vorliegende Verfahren nicht gerecht. Aus der Gerichtsakte lassen sich keine Verfügungen ersehen, wonach das Gutachten vom 1. Juni 2012 dem Betroffenen oder auch nur den anderen Beteiligten bekannt gegeben worden ist. Ebenso wenig enthält das Sachverständigengutachten einen Hinweis darauf, dass der Betroffene durch dessen Bekanntgabe an ihn Gesundheitsnachteile entsprechend § 288 Abs. 1 FamFG zu befürchten hätte.

13

c) Von einer weiteren Begründung wird insoweit gemäß § 74 Abs. 7 FamFG abgesehen.

14

3. Gemäß § 74 Abs. 5 FamFG ist der angefochtene Beschluss aufzuheben. Der Senat kann in der Sache selbst abschließend entscheiden, weil diese zur Entscheidung reif ist (§ 74 Abs. 6 Satz 1 FamFG).

15

a) Die Feststellung, dass der Betroffene durch die angefochtene Entscheidung in seinen Rechten verletzt ist, kann grundsätzlich auch auf einer Verletzung des Verfahrensrechts beruhen (Senatsbeschluss vom 15. Februar 2012 - XII ZB 389/11 - FamRZ 2012, 619 Rn. 25).

16

Da die entsprechende Maßnahme bereits erledigt ist, kommt eine Zurückverweisung der Sache an das Beschwerdegericht nicht in Betracht (vgl. dazu Senatsbeschluss vom 15. Februar 2012 - XII ZB 389/11 - FamRZ 2012, 619 Rn. 31). Wegen des Zeitablaufs und der damit einhergehenden Änderung des Zustandes des Betroffenen kann im Nachhinein grundsätzlich nicht mehr mit der erforderlichen Sicherheit festgestellt werden, ob die Genehmigung der Unterbringung auch bei Einhaltung der Verfahrensvorschriften gerechtfertigt gewesen wäre. Hinzu kommt, dass dem Betroffenen erneute Ermittlungen allein zur Klärung der Frage, ob der von dem Gericht zu verantwortende Verfahrensfehler noch zu heilen wäre, nicht zumutbar sind. Denn (auch) diese würden erheblich in die Rechtssphäre des mittlerweile entlassenen Betroffenen eingreifen und ihn erneut mit der "Akutphase seiner Erkrankung" konfrontieren. Es ist deshalb zugunsten des Betroffenen davon auszugehen, dass die Beschwerdeentscheidung auf dem Verfahrensfehler beruht (vgl. Senatsbeschluss vom 15. Februar 2012 - XII ZB 389/11 - FamRZ 2012, 619 Rn. 29 ff. mwN).

17

b) Demgemäß ist festzustellen, dass die Entscheidung des Amtsgerichts den Betroffenen in seinen Rechten verletzt hat, nämlich in seinem Freiheitsgrundrecht aus Art. 2 Abs. 2 Satz 2 GG.

18

Das hierfür erforderliche Feststellungsinteresse ist in der Regel anzunehmen, wenn ein schwerwiegender Grundrechtseingriff vorliegt (§ 62 Abs. 2 Nr. 1 FamFG), wobei die hier vorliegende Genehmigung einer freiheitsentziehenden Maßnahme stets einen schwerwiegenden Grundrechtseingriff bedeutet (Senatsbeschluss vom 15. Februar 2012 - XII ZB 389/11 - FamRZ 2012, 619 Rn. 10 mwN).

Dose

Weber-Monecke

Schilling

Nedden-Boeger

Botur

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