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Bundesgerichtshof
Beschl. v. 08.07.2013, Az.: VII ZR 1/12
Begründetheit einer Nichtzulassungsbeschwerde wegen Verletzung rechtlichen Gehörs aufgrund fehlerhafter Annahme der Präklusion eines Angriffsmittels durch das Berufungsgericht
Gericht: BGH
Entscheidungsform: Beschluss
Datum: 08.07.2013
Referenz: JurionRS 2013, 41286
Aktenzeichen: VII ZR 1/12
ECLI: [keine Angabe]

Verfahrensgang:

vorgehend:

LG Lübeck - 22.12.2009 - AZ: 12 O 167/09

OLG Schleswig - 02.12.2011 - AZ: 1 U 35/10

BGH, 08.07.2013 - VII ZR 1/12

Redaktioneller Leitsatz:

1.

Lässt der Tatrichter das Angriffsmittel einer Partei in offenkundig fehlerhafter Anwendung einer Präklusionsvorschrift unberücksichtigt, ist zugleich das rechtliche Gehör der Partei verletzt.

2.

Unstreitige Tatsachen, die erstmals in der Berufungsinstanz vorgetragen werden, sind unabhängig von den Zulassungsvoraussetzungen des § 531 Abs. 2 ZPO zu berücksichtigen.

Der VII. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat am 8. Juli 2013 durch den Vorsitzenden Richter Prof. Dr. Kniffka, die Richterin Safari Chabestari und die Richter Dr. Eick, Kosziol und Dr. Kartzke

beschlossen:

Tenor:

Der Beschwerde des Klägers gegen die Nichtzulassung der Revision wird teilweise stattgegeben.

Das Urteil des 1. Zivilsenats des Schleswig-Holsteinischen Oberlandesgerichts in Schleswig vom 2. Dezember 2011 wird gemäß § 544 Abs. 7 ZPO im Kostenpunkt und insoweit aufgehoben, als die Abweisung der gegen die Beklagte zu 1 gerichteten Klage bezüglich der Schadensposition "Villa H. , Schaden wegen Scheiterns des KG-Modells 161.682 €" bestätigt worden ist.

Im Übrigen wird die Beschwerde des Klägers gegen die Nichtzulassung der Revision zurückgewiesen.

Der Kläger trägt die außergerichtlichen Kosten, die dem Beklagten zu 2 im Nichtzulassungsbeschwerdeverfahren entstanden sind.

Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Nichtzulassungsbeschwerdeverfahrens mit Ausnahme der außergerichtlichen Kosten, die dem Beklagten zu 2 im Nichtzulassungsbeschwerdeverfahren entstanden sind, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.

Streitwert: 500.000,85 €, des stattgebenden Teils: 161.682 €

Gründe

I.

1

Der Kläger begehrt von den Beklagten Schadensersatz wegen Schlechterfüllung eines Geschäftsbesorgungsvertrags und eines Finanzierungsvermittlungsvertrags.

2

Der Kläger stand mit der Beklagten zu 1, einer Gesellschaft mit beschränkter Haftung, deren Geschäftsführer der Beklagte zu 2 ist, in weitgefächerten Vertragsbeziehungen, auf deren Grundlage Wohnungseigentum in Villen auf der Insel U. erstellt und vermarktet werden sollte.

3

Am 16. August 2005 beantragte der Beklagte zu 2 auf dem Briefpapier der Beklagten zu 1 im Namen des Klägers bei der Volksbank W. eG ein Darlehen für den Erwerb und die Sanierung der die "Villa H." betreffenden Immobilie in Höhe von 1.750.000 €. Ein solches Darlehen wurde dem Kläger in der Folgezeit von der genannten Volksbank in dieser Höhe bewilligt.

4

Ab dem Spätsommer 2005 entstanden zunehmend Unstimmigkeiten zwischen den Parteien über die Aufgabenwahrnehmung insbesondere im Hinblick auf eine sorgfältige und zügige Durchführung der jeweiligen Projekte, so dass der Kläger schließlich alle dem Beklagten zu 2 erteilten Vollmachten widerrief, ihn zur ordnungsgemäßen Leistungserbringung bis zum 13. Januar 2006 aufforderte und mit Schreiben vom 16. Januar 2006 die fristlose Kündigung sämtlicher Geschäftsbesorgungsverträge aussprach.

5

In erster Instanz hat der Kläger gegen die Beklagten als Gesamtschuldner Schadensersatz in Höhe von 1.440.833 € nebst Zinsen geltend gemacht. Das Landgericht hat die Klage abgewiesen und auf die Widerklage der Beklagten festgestellt, dass dem Kläger kein Anspruch auf weitere 218.353,70 € zusteht. Die Berufung des Klägers ist erfolglos geblieben. Das Berufungsgericht hat die Revision nicht zugelassen. Hiergegen richtet sich die Nichtzulassungsbeschwerde des Klägers, mit der dieser, wie er mit Schriftsätzen vom 14. Juni 2013 und 21. Juni 2013 klargestellt hat, die Zulassung der Revision begehrt, soweit das Berufungsgericht Ansprüche des Klägers in Höhe von 500.000,85 € abgewiesen hat, wobei der Kläger einen Anspruch auf Ersatz eines Schadens in Höhe von 161.682 € wegen angeblicher Schlechterfüllung eines Finanzierungsvermittlungsvertrags betreffend das Objekt "Villa H." und einen Anspruch auf Ersatz eines Schadens in Höhe von 338.318,85 € wegen angeblicher Schlechtleistung der Beklagten im Zusammenhang mit der Beantragung der Baugenehmigung für das Objekt "Villa G." weiterverfolgt.

II.

6

1. Das Berufungsgericht führt, soweit hier von Interesse, aus, das Landgericht habe auf der Grundlage des ihm unterbreiteten Sachvortrags eine vertragliche Bindung der Parteien in Bezug auf das Vorhaben "Villa H." zutreffend verneint. Nach dem erst im zweiten Rechtszug geltend gemachten Sachvortrag wäre allerdings davon auszugehen, dass im Hinblick auf die "Villa H." zumindest ein Finanzierungsvermittlungsvertrag zwischen den Parteien bestanden habe. Das Berufungsgericht sei jedoch gemäß § 531 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 ZPO daran gehindert, ein solches Vertragsverhältnis zugrunde zu legen. Sei demgemäß davon auszugehen, dass die Parteien hinsichtlich des Objekts "Villa H." nicht vertraglich miteinander verbunden seien, schieden vertragliche Schadensersatzansprüche wegen verspäteter Gewinnrealisierung und auch wegen einer verlängerten Zinszahlung für dieses Objekt bereits dem Grunde nach aus.

7

2. Die Beschwerde des Klägers gegen die Nichtzulassung der Revision führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Zurückverweisung der Sache an das Berufungsgericht, soweit die Abweisung der gegen die Beklagte zu 1 gerichteten Klage bezüglich der Schadensposition "Villa H., Schaden wegen Scheiterns des KG-Modells 161.682 €" bestätigt worden ist, § 544 Abs. 7 ZPO. Das Berufungsurteil verletzt insoweit den Anspruch des Klägers auf rechtliches Gehör in entscheidungserheblicher Weise.

8

a) aa) Bleibt ein Angriffsmittel einer Partei deswegen unberücksichtigt, weil der Tatrichter es in offenkundig fehlerhafter Anwendung einer Präklusionsvorschrift wie des § 531 Abs. 2 ZPO zu Unrecht zurückgewiesen hat, so ist zugleich das rechtliche Gehör der Partei verletzt (Art. 103 Abs. 1 GG; vgl. BGH, Beschlüsse vom 21. März 2013 - VII ZR 58/12, NJW-RR 2013, 655 Rn. 9; vom 15. August 2012 - VIII ZR 256/11, BeckRS 2012, 19868 Rn. 14, jeweils m.w.N.).

9

bb) Ein derartiger Fall liegt hier vor. Zu Unrecht hat das Berufungsgericht die vom Kläger erstmals mit der Berufungsbegründung vom 7. Juni 2010, Seite 7 vorgelegte Rechnung der Beklagten zu 1 vom 20. März 2006 (Anlage BB 1) gemäß § 531 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 ZPO nicht berücksichtigt. Mit dieser Rechnung hat die Beklagte zu 1 gegenüber dem Kläger eine Provision unter anderem für die Vermittlung der Finanzierung bezüglich des Objekts "Villa H." unter Bezugnahme auf eine mit dem Kläger getroffene Vereinbarung abgerechnet. Nach gefestigter Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs sind unstreitige Tatsachen, die erstmals in der Berufungsinstanz vorgetragen werden, unabhängig von den Zulassungsvoraussetzungen des § 531 Abs. 2 ZPO zu berücksichtigen (vgl. BGH, Beschluss vom 23. Juni 2008 - GSZ 1/08, BGHZ 177, 212 Rn. 10 m.w.N.; Beschluss vom 11. Juli 2006 - VI ZR 23/06, Rn. 2, [...] m.w.N.; Urteil vom 18. November 2004 - IX ZR 229/03, BGHZ 161, 138, 141 ff.). Der Umstand, dass die Beklagte zu 1 die genannte Rechnung gegenüber dem Kläger gestellt hat, ist unbestritten geblieben.

10

b) Auf dem Verfahrensverstoß kann das Urteil des Berufungsgerichts, soweit es um die weiterverfolgte Schadensposition bezüglich des Objekts "Villa H." geht, auch beruhen. Denn es ist nicht auszuschließen, dass das Berufungsgericht bei Berücksichtigung der genannten Rechnung und weiterer unstreitiger Umstände vom Abschluss eines Finanzierungsvermittlungsvertrags zwischen dem Kläger und der Beklagten zu 1 ausgegangen wäre. In diesem Zusammenhang wird das Berufungsgericht zu berücksichtigen haben, dass der klarstellende Vortrag des Klägers in der Berufungsbegründung vom 7. Juni 2010 zum Abschluss eines solchen Finanzierungsvermittlungsvertrags nicht nach § 531 Abs. 2 ZPO zurückgewiesen werden darf. Denn die Äußerung des Klägers im Termin der erstinstanzlichen Verhandlung vom 22. Dezember 2009, im Hinblick auf die "Villa H." gebe es keinen Geschäftsbesorgungsvertrag, war nicht eindeutig in dem Sinne, dass damit auch der Abschluss eines Finanzierungsvermittlungsvertrags in Abrede gestellt worden wäre. Des Weiteren ist mangels weiterer diesbezüglicher Feststellungen des Berufungsgerichts im Übrigen nicht auszuschließen, dass das Berufungsgericht einen Anspruch des Klägers auf Ersatz der genannten Schadensposition wegen Schlechterfüllung dieses Vertrags bejaht hätte.

11

3. Soweit die Beschwerde des Klägers gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Berufungsurteil im Übrigen zurückgewiesen worden ist, wird von einer Begründung abgesehen, weil sie nicht geeignet wäre, zur Klärung der Voraussetzungen beizutragen, unter denen eine Revision zuzulassen ist (§ 544 Abs. 4 Satz 2, 2. Halbsatz ZPO).

Kniffka

Safari Chabestari

Eick

Kosziol

Kartzke

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