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Bundesgerichtshof
Beschl. v. 26.02.2013, Az.: II ZR 54/12
Würdigung von Tatsachen der Vermutung der Zahlungsunfähigkeit eines Schuldners anhand einer Liquiditätsbilanz durch einen Insolvenzverwalter i.R.v. Zahlungen an den Schuldner nach Insolvenzreife
Gericht: BGH
Entscheidungsform: Beschluss
Datum: 26.02.2013
Referenz: JurionRS 2013, 33474
Aktenzeichen: II ZR 54/12
ECLI: [keine Angabe]

Verfahrensgang:

vorgehend:

LG Hannover - 04.04.2011 - AZ: 1 O 28/09

OLG Celle - 11.01.2012 - AZ: 9 U 65/11

Fundstelle:

GmbHR 2013, 482-484

BGH, 26.02.2013 - II ZR 54/12

Redaktioneller Leitsatz:

Die Darlegung der Zahlungsunfähigkeit vor dem tatsächlichen Insolvenzantrag anhand einer Liquiditätsbilanz ist entbehrlich, wenn eine Zahlungseinstellung gemäß § 17 Abs. 2 S. 2 InsO die gesetzliche Vermutung der Zahlungsunfähigkeit begründet.

Der II. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat am 26. Februar 2013 durch den Vorsitzenden Richter Prof. Dr. Bergmann und die Richterin Caliebe sowie die Richter Dr. Drescher, Born und Sunder beschlossen:

Tenor:

Auf die Nichtzulassungsbeschwerde des Klägers wird das Urteil des 9. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Celle vom 11. Januar 2012 aufgehoben.

Die Sache wird zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Beschwerdeverfahrens, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.

Der Streitwert für das Beschwerdeverfahren wird auf 1.300.000 € festgesetzt.

Gründe

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I. Der Kläger ist Verwalter im Insolvenzverfahren über das Vermögen der i. GmbH (Schuldnerin), das auf Eigenantrag vom 25. Mai 2005 am 1. August 2005 eröffnet wurde. Er nimmt den Beklagten als Geschäftsführer der Schuldnerin auf Ersatz von 1.300.000 € nebst Zinsen wegen Zahlungen nach Insolvenzreife in Anspruch (§ 64 Abs. 2 Satz 1 GmbHG in der bis zum 31. Oktober 2008 geltenden Fassung). In erster Linie stützt er seine Klage auf Zahlungen im Zeitraum vom 6. Oktober 2004 bis zum 24. Mai 2005 i.H.v. 1.075.926,30 € und von August bis September 2004 i.H.v. 224.073,70 €. Die Parteien streiten im Wesentlichen um die Frage, ob und gegebenenfalls wann die Schuldnerin bereits vor Stellung des Insolvenzantrags zahlungsunfähig i.S.d. § 17 Abs. 2 Satz 1 InsO war.

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Das Landgericht hat der Klage stattgegeben. Das Berufungsgericht hat die Klage abgewiesen und die Revision nicht zugelassen. Hiergegen richtet sich die Nichtzulassungsbeschwerde des Klägers.

3

II. Die Beschwerde ist begründet und führt unter Aufhebung des angefochtenen Urteils zur Zurückverweisung der Sache an das Berufungsgericht. Das Berufungsgericht hat in entscheidungserheblicher Weise den Anspruch des Klägers auf rechtliches Gehör verletzt (§ 544 Abs. 7 ZPO).

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1. Das Berufungsgericht hat Vorbringen des Klägers zu Tatsachen, die auf eine die Vermutung der Zahlungsunfähigkeit der Schuldnerin begründende Zahlungseinstellung i.S.d. § 17 Abs. 2 Satz 2 InsO hindeuten, in seiner Entscheidung nicht gewürdigt, was den Umständen nach darauf schließen lässt, dass es dieses Vorbringen nicht zur Kenntnis genommen und erwogen hat.

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a) Das Berufungsgericht hat seine Würdigung, nach der die Klage bereits unschlüssig ist, darauf gestützt, dass der Kläger eine schon vor dem tatsächlichen Insolvenzantrag eingetretene Zahlungsunfähigkeit nicht dargelegt habe. Dabei hat es sich ausschließlich mit dem umfangreichen Vorbringen des Klägers zur Darlegung der Zahlungsunfähigkeit der Schuldnerin i.S.d. § 17 Abs. 2 Satz 1 InsO anhand einer Liquiditätsbilanz zu den Stichtagen 1. Februar und 1. September 2004 auseinandergesetzt. Dies deutet darauf hin, dass das Berufungsgericht ein nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs entscheidungserhebliches Vorbringen des Klägers übersehen hat.

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Die Darlegung der Zahlungsunfähigkeit anhand einer Liquiditätsbilanz ist entbehrlich, wenn eine Zahlungseinstellung (§ 17 Abs. 2 Satz 2 InsO) die gesetzliche Vermutung der Zahlungsunfähigkeit begründet (BGH, Urteil vom 20. November 2001 IX ZR 48/01, BGHZ 149, 178, 184 f.; Urteil vom 12. Oktober 2006 IX ZR 228/03, ZIP 2006, 2222 Rn. 28; Urteil vom 21. Juni 2007 IX ZR 231/04, ZIP 2007, 1469 Rn. 27). Zahlungseinstellung ist dasjenige äußere Verhalten des Schuldners, in dem sich typischerweise eine Zahlungsunfähigkeit ausdrückt. Es muss sich also mindestens für die beteiligten Verkehrskreise der berechtigte Eindruck aufdrängen, dass der Schuldner nicht in der Lage ist, seinen fälligen, eingeforderten Zahlungsverpflichtungen zu genügen. Die tatsächliche Nichtzahlung eines erheblichen Teils der fälligen Verbindlichkeiten reicht für die Annahme einer Zahlungseinstellung aus, auch wenn noch geleistete Zahlungen beträchtlich sind, aber im Verhältnis zu den fälligen Gesamtschulden nicht den wesentlichen Teil ausmachen. Sogar die Nichtzahlung einer einzigen Verbindlichkeit kann eine Zahlungseinstellung begründen, wenn die Forderung von insgesamt nicht unbeträchtlicher Höhe ist. Haben im fraglichen Zeitpunkt fällige Verbindlichkeiten bestanden, die bis zur Verfahrenseröffnung nicht mehr beglichen worden sind, ist regelmäßig von Zahlungseinstellung auszugehen (BGH, Urteil vom 30. Juni 2011 IX ZR 134/10, ZIP 2011, 1416 Rn. 12, 15; Urteil vom 24. Januar 2012 II ZR 119/10, ZIP 2012, 723 Rn. 13; Urteil vom 27. März 2012 II ZR 171/10, ZIP 2012, 1174 Rn. 25; Urteil vom 29. März 2012 IX ZR 40/10, WM 2012, 998 Rn. 15; Versäumnisurteil vom 19. Juni 2012 II ZR 243/11, ZIP 2012, 1557 Rn. 24; Urteil vom 10. Januar 2013 IX ZR 13/12, ZIP 2013, 174 Rn. 16 Göttinger Gruppe).

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b) Der Kläger hat bereits im Verfahren erster Instanz vorgetragen, dass im Zeitraum der streitgegenständlichen Zahlungen fällige Verbindlichkeiten erheblichen Umfangs bestanden hätten, die bis zur Eröffnung des Insolvenzverfahrens nicht ausgeglichen worden seien. Dieses Vorbringen hat der Kläger auf den Hinweis des Berufungsgerichts vom 5. September 2011 hin zumindest im Hinblick auf die bis einschließlich September 2004 fälligen Verbindlichkeiten wiederholt. Mit diesem Vorbringen setzt sich das Urteil nicht auseinander. Aus dem Berufungsurteil wird auch nicht deutlich, dass das Vorbringen vom Rechtsstandpunkt des Berufungsgerichts aus betrachtet unerheblich war.

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2. Der Verfahrensfehler ist entscheidungserheblich. Der Kläger hat unter Angabe des jeweiligen Gläubigers, des Rechnungsdatums und des Fälligkeitsdatums bis August 2004 fällige Verbindlichkeiten in Höhe von mehr als 15.000 € behauptet, die bis zur Verfahrenseröffnung nicht ausgeglichen wurden. Diese Verbindlichkeiten wuchsen nach den Angaben des Klägers bis Ende September 2004 auf ca. 25.000 € und bis Ende Oktober 2004 auf über 43.000 € an. Diese Beträge können angesichts der vom Berufungsgericht festgestellten Gesamtverbindlichkeiten von rund 400.000 € zum 1. September 2004 nicht als unerheblich angesehen werden.

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III. Für das weitere Verfahren weist der Senat auf folgendes hin:

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1. Das Berufungsgericht wird sich mit der Wirksamkeit der fristlosen Kündigung der Geschäftsbeziehung durch die D. Bank mit Schreiben vom 27. Februar 2003 auseinandersetzen müssen. Kommt das Berufungsgericht zu dem Ergebnis, dass die Kündigung berechtigt war, können die Verbindlichkeiten der Schuldnerin gegenüber der D. Bank nicht deswegen unberücksichtigt bleiben, weil der Kläger die Saldenstände zu den einzelnen Darlehen nicht ausreichend dargelegt hat oder nicht erkennbar ist, ob und in welchem Umfang die mit der Kündigung fälligen Verbindlichkeiten zum Zeitpunkt der Eröffnung des Insolvenzverfahrens noch offen waren. Nach den oben dargestellten Grundsätzen ist allein der Umstand, dass ein wesentlicher Teil der zum Jahresende 2003 bestehenden Verbindlichkeiten gegenüber der D. Bank nicht (vollständig) ausgeglichen wurde, ein erhebliches Indiz für eine Zahlungseinstellung.

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Nach der Bilanz der Schuldnerin zum 31. Dezember 2003, vorgelegt als Anlage K 24, bzw. den Vorjahreszahlen der vom Beklagten als Anlage B 14 vorgelegten Bilanz zum 31. Dezember 2004 haben zum Jahresende 2003 Verbindlichkeiten der Schuldnerin gegenüber der D. Bank im Umfang von rund 310.000 € bestanden. Die vom Kläger unter Bezugnahme auf die Anlage BB 10 behaupteten Kreditsalden zum 1. Januar 2004 weichen hiervon zwar geringfügig ab. Aus dem Gesamtzusammenhang ist jedoch zu ersehen, dass ein wesentlicher Teil der zum Jahresende 2003 fälligen Kreditsalden bis zur Eröffnung des Insolvenzverfahrens nicht zurückgezahlt wurde. Dies gilt insbesondere für den auf dem Konto Nr. ...1 eingeräumten Kredit, der am 1. Januar 2004 i.H.v. 170.324,12 € zur Rückzahlung fällig war und zum Zeitpunkt der Verfahrenseröffnung noch i.H.v. 131.018,57 € bestand.

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2. Für die Frage der Zahlungseinstellung kommt es daher auch nicht entscheidend auf den im Februar 2004 gewährten Zahlungsaufschub an, weil die Verbindlichkeiten zu diesem Zeitpunkt bereits mehr als drei Wochen offen standen. Im Zusammenhang mit dem Zahlungsaufschub hat das Berufungsgericht im Übrigen verkannt, dass es für die Fälligkeit der Verbindlichkeiten im insolvenzrechtlichen Sinne nach Ablauf des 30. Juni 2004 keiner erneuten Zahlungsaufforderung bedurfte. Von der Nichtzahlung einer nach § 271 Abs. 1 BGB fälligen Forderung darf zwar nicht schematisch auf die Zahlungsunfähigkeit geschlossen werden. Eine Forderung ist vielmehr nur dann zu berücksichtigen, wenn eine Gläubigerhandlung feststeht, aus der sich der Wille, vom Schuldner Erfüllung zu verlangen, im Allgemeinen ergibt. Hierfür genügen sämtliche fälligkeitsbegründenden Handlungen des Gläubigers, gleich ob die Fälligkeit aus der ursprünglichen Vertragsabrede oder aus einer nach Erbringung der Leistung übersandten Rechnung herrührt. Eine zusätzliche Rechtshandlung im Sinne eines Einforderns ist daneben entbehrlich. Dieses Merkmal dient allein dem Zweck, solche fälligen Forderungen bei der Prüfung der Zahlungsunfähigkeit auszuschließen, die rein tatsächlich also auch ohne rechtlichen Bindungswillen oder erkennbare Erklärung gestundet sind (BGH, Beschluss vom 19. Juli 2007 IX ZB 36/07, BGHZ 173, 286 Rn. 18 f.; Urteil vom 20. Dezember 2007 IX ZR 93/06, ZIP 2008, 420 Rn. 25 f.; Urteil vom 14. Mai 2009 IX ZR 63/08, BGHZ 181, 132 Rn. 22; Beschluss vom 14. Juli 2011 IX ZB 57/11, ZIP 2011, 1875 Rn. 9; Urteil vom 22. November 2012 IX ZR 62/10, ZIP 2013, 79 Rn. 8).

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Die D. Bank hatte sich bereits mit Schreiben vom 2. März 2004 alle Maßnahmen zur Beitreibung ihrer Forderungen nach Ablauf des 30. Juni 2004 vorbehalten und damit ihren Willen, Zahlung zu verlangen, unmissverständlich bekundet. Dies wird das Berufungsgericht in seiner tatrichterlichen Würdigung zu berücksichtigen haben. Zu würdigen ist wie das Berufungsgericht zutreffend erkannt hat auch, dass die Ausführung weiterer Überweisungen und die Zulassung von Kontobelastungen ein Anhaltspunkt dafür sind, dass die D. Bank der Schuldnerin wieder Kredit eingeräumt hat und damit zugleich von ihrem Erfüllungsverlangen Abstand genommen haben könnte. In Widerspruch dazu steht es allerdings, dass die D. Bank das Kontokorrentverhältnis ungeachtet dessen nicht fortgesetzt hat, sondern wie aus der Anlage BB 10 zu ersehen weiter vom Verzug der Schuldnerin ausgegangen ist (vgl. zur Fortsetzung eines Kontokorrentverhältnisses: BGH, Urteil vom 20. Mai 2003 XI ZR 235/02, ZIP 2003, 1435, 1436). Näher zu begründen wäre auch, warum einzelne weitere Belastungen auf dem Konto Nr. ...0 die Fälligkeit sämtlicher Verbindlichkeiten aus der Geschäftsverbindung in Frage stellen sollen.

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3. Sollte das Berufungsgericht die Überzeugung von einer Zahlungseinstellung i.S.d. § 17 Abs. 2 Satz 2 InsO gewinnen, steht es dem Beklagten offen, die Vermutung der Zahlungsunfähigkeit zu widerlegen, indem er etwa konkret vorträgt und gegebenenfalls beweist, dass eine Liquiditätsbilanz im maßgebenden Zeitraum für die Schuldnerin eine Deckungslücke von weniger als 10 % ausgewiesen hat (BGH, Urteil vom 24. Mai 2005 IX ZR 123/04, BGHZ 163, 134, 144 ff.; Urteil vom 30. Juni 2011 IX ZR 134/10, ZIP 2011, 1416 Rn. 20; Urteil vom 15. März 2012 IX ZR 239/09, ZIP 2012, 735 Rn. 18).

Bergmann

Caliebe

Drescher

Born

Sunder

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