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Bundesgerichtshof
Beschl. v. 29.11.2012, Az.: V ZB 170/12
Rechtmäßigkeit einer Inhaftierung zur Sicherung der Abschiebung eines syrischen Staatsangehörigen
Gericht: BGH
Entscheidungsform: Beschluss
Datum: 29.11.2012
Referenz: JurionRS 2012, 30108
Aktenzeichen: V ZB 170/12
ECLI: [keine Angabe]

Verfahrensgang:

vorgehend:

AG Wilhelmshaven - 23.04.2012 - AZ: 15 XIV 7/10 B

LG Oldenburg - 18.07.2012 - AZ: 14 T 323/12

Rechtsgrundlage:

§ 426 Abs. 2 FamFG

Fundstelle:

InfAuslR 2013, 157-158

BGH, 29.11.2012 - V ZB 170/12

Redaktioneller Leitsatz:

1.

Die Sicherungshaft darf nur angeordnet werden, wenn ihr ein zulässiger Antrag zu Grunde liegt, was in jeder Lage des Verfahrens von Amts wegen zu prüfen ist.

2.

Die formelle Rechtskraft einer Haftanordnung hat zur Folge, dass die Rechtswidrigkeit in dem Haftaufhebungsverfahren erst ab dem Zeitpunkt des Eingangs des Haftaufhebungsantrags bei Gericht festgestellt werden kann.

Der V. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat am 29. November 2012 durch die Vorsitzende Richterin Dr. Stresemann, den Richter Dr. Roth, die Richterinnen Dr. Brückner und Weinland und den Richter Dr. Kazele

beschlossen:

Tenor:

Auf die Rechtsbeschwerde des Betroffenen wird der Beschluss der 14. Zivilkammer des Landgerichts Oldenburg vom 18. Juli 2012 unter Zurückweisung des weitergehenden Rechtsmittels im Kostenpunkt und insoweit aufgehoben, als die Beschwerde des Betroffenen gegen den Beschluss des Amtsgerichts Wilhelmshaven vom 23. April 2012 hinsichtlich der Inhaftierung am 2. und 3. August 2010 zurückgewiesen worden ist.

Es wird festgestellt, dass die Inhaftierung in Abschiebungshaft am 2. und 3. August 2010 rechtswidrig war.

Die zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung notwendigen Auslagen des Betroffenen in allen Instanzen werden der Stadt Wilhelmshaven zu 10 % auferlegt. Im Übrigen findet eine Auslagenerstattung nicht statt. Gerichtskosten werden in allen Instanzen nicht erhoben.

Der Gegenstandswert des Rechtsbeschwerdeverfahrens beträgt

3.000 €.

Gründe

I.

1

Der Betroffene, ein syrischer Staatsangehöriger, reiste zuletzt 2008 in die Bundesrepublik Deutschland ein. Auf den Antrag des Beteiligten zu 2 ordnete das Amtsgericht am 21. Juni 2010 die Haft zur Sicherung der Abschiebung bis einschließlich 20. August 2010 an. Die dagegen gerichtete Beschwerde wies das Landgericht mit rechtskräftigem Beschluss vom 27. Juli 2010 zurück. Die Abschiebung erfolgte am 3. August 2010.

2

Mit Schriftsatz vom 2. August 2010 hat sich ein Rechtsanwalt für den Betroffenen gemeldet und beantragt, die Haftanordnung aufzuheben sowie festzustellen, dass die Inhaftierung in Abschiebungshaft rechtswidrig war. Die Beteiligte zu 2 hat die Vollmacht des Rechtsanwalts angezweifelt. Nachdem der Rechtsanwalt eine Untervollmacht des bisherigen Verfahrensbevollmächtigten vorgelegt hat, hat das Amtsgericht den Antrag zurückgewiesen. Die dagegen gerichtete Beschwerde ist erfolglos gewesen. Mit der Rechtsbeschwerde will der Betroffene die Rechtswidrigkeit der Freiheitsentziehung feststellen lassen.

II.

3

Das Beschwerdegericht meint, die rechtskräftige Haftanordnung stehe dem Antrag nicht entgegen. Aus verfassungsrechtlichen Gründen müsse eine Überprüfung des gesamten Zeitraums der Inhaftierung gewährleistet sein; die Beschwerdeentscheidung sei zeitlich vor der Abschiebung ergangen. Der Antrag sei jedoch in der Sache unbegründet, da die Voraussetzungen für den Erlass der Haftanordnung vorgelegen hätten.

III.

4

Die zulässige Rechtsbeschwerde hat nur zu einem geringen Teil Erfolg.

5

1. Entgegen der Auffassung des Beschwerdegerichts war der Antrag auf Haftaufhebung (§ 426 Abs. 2 FamFG) bereits unzulässig, soweit er auf den Haftzeitraum bis einschließlich 1. August 2010 bezogen ist.

6

a) Allerdings ändert der Eintritt der formellen Rechtskraft der Haftanordnung nach der ständigen Rechtsprechung des Senats nichts daran, dass während des Haftvollzugs jederzeit ein solcher Antrag gestellt werden kann. Insbesondere ist nicht erforderlich, dass neue Umstände eingetreten sind; der Antrag kann auch wie hier darauf gestützt werden, dass die Haft von vornherein nicht hätte angeordnet werden dürfen (näher Senat, Beschluss vom 26. Mai 2011 V ZB 214/10, [...] Rn. 7; Beschluss vom 26. Mai 2011 V ZB 318/10, Rn. 16, [...]; Beschluss vom 15. Dezember 2011 V ZB 302/10, [...] Rn. 13). Auch kann die Beschwerde gegen die Zurückweisung eines Haftaufhebungsantrags nach der Erledigung durch die Haftentlassung gemäß § 62 Abs. 1 FamFG mit dem Ziel weiter verfolgt werden, die Rechtsverletzung des Betroffenen festzustellen (st. Rspr., vgl. nur Senat, Beschlüsse vom 28. April 2011 V ZB 292/10, FGPrax 2011, 200 Rn. 7 f.; vom 15. Dezember 2011 V ZB 302/10, [...] Rn. 12).

7

b) Die formelle Rechtskraft der Haftanordnung hat aber zur Folge, dass die Rechtswidrigkeit in dem Haftaufhebungsverfahren erst ab dem Zeitpunkt des Eingangs des Haftaufhebungsantrags bei Gericht hier also ab dem 2. August 2010 festgestellt werden kann (Senat, Beschluss vom 26. Mai 2011 V ZB 214/10, [...] Rn. 15; Beschluss vom 26. Mai 2011 V ZB 318/10, [...] Rn. 16). Zwar ist vor dem Hintergrund der verfassungsrechtlichen Vorgaben, die an einen wirkungsvollen Rechtsschutz bei prozessualer Überholung zu stellen sind, ein Rechtsschutzinteresse an der Feststellung der Rechtswidrigkeit einer freiheitsentziehenden Maßnahme regelmäßig gegeben. Dieses rechtliche Interesse erlaubt jedoch nicht die Stellung eines Feststellungsantrags losgelöst von dem jeweils bestehenden Rechtsschutzsystem, sofern es dem Betroffenen zumutbar und möglich war, eine von der Verfahrensordnung bereitgestellte Rechtsschutzmöglichkeit zu ergreifen; besteht eine solche Möglichkeit, kann von dem Betroffenen erwartet werden, dass er diese wahrnimmt (eingehend Senat, Beschluss vom 28. April 2011 V ZB 292/10, FGPrax 2011, 200 Rn. 14 ff.; Beschluss vom 26. Mai 2011 V ZB 318/10, [...] Rn. 16).

8

2. Dagegen ist der Antrag für die Zeit am 2. und 3. August 2010 zulässig und begründet.

9

a) Dass die von der beteiligten Behörde angezweifelte Vollmacht erst später schriftlich zu den Gerichtsakten gereicht worden ist (§ 11 Satz 1 und 3 FamFG), steht der Zulässigkeit des Antrags nicht entgegen, weil der Mangel der Vollmacht durch deren Erteilung rückwirkend geheilt worden ist (Beschluss des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes vom 17. April 1984 GmS-OGB 2/83, BGHZ 91, 111, 115).

10

b) Insoweit ist der Antrag auch begründet, weil es an einem zulässigen Haftantrag fehlte.

11

aa) Das Vorliegen eines zulässigen Haftantrags ist eine in jeder Lage des Verfahrens von Amts wegen zu prüfende Verfahrensvoraussetzung. Zulässig ist der Haftantrag der beteiligten Behörde nur, wenn er den gesetzlichen Anforderungen an die Begründung entspricht. Erforderlich sind Darlegungen zu der zweifelsfreien Ausreisepflicht, zu den Abschiebungsvoraussetzungen, zu der Erforderlichkeit der Haft, zu der Durchführbarkeit der Abschiebung und zu der notwendigen Haftdauer (§ 417 Abs. 2 Satz 2 Nr. 3 bis 5 FamFG). Fehlt es daran, darf die beantragte Sicherungshaft nicht angeordnet werden (st. Rspr., siehe nur Senat, Beschlüsse vom 10. Mai 2012 V ZB 246/11, InfAuslR 2012, 328 ff. Rn. 10; vom 27. Oktober 2011 V ZB 311/10, FGPrax 2012, 82 Rn. 12 f. mwN; vom 15. September 2011 V ZB 123/11, InfAuslR 2012, 25 Rn. 8 mwN).

12

bb) In dem Haftantrag muss die Durchführbarkeit der Abschiebung mit konkretem Bezug auf das Land, in das der Betroffene abgeschoben werden soll, dargelegt werden. Anzugeben ist dazu, ob und innerhalb welchen Zeitraums Abschiebungen in das betreffende Land üblicherweise möglich sind, von welchen Voraussetzungen dies abhängt und ob diese im konkreten Fall vorliegen (st. Rspr., siehe nur Senat, Beschlüsse vom 10. Mai 2012 V ZB 246/11, InfAuslR 2012, 328 ff. Rn. 9 f.; vom 27. Oktober 2011 V ZB 311/10, FGPrax 2012, 82 Rn. 13 f. jeweils mwN). Daran fehlt es hier. In dem Haftantrag ist nur durch Ankreuzen eines Textbausteins angegeben, die Haftdauer sei erforderlich, um "die weiteren innerdienstlichen Voraussetzungen zur Durchführung der Abschiebung vorzubereiten". Der Mangel ist auch nicht was mit Wirkung für die Zukunft möglich gewesen wäre (vgl. Senat, Beschluss vom 15. September 2011 V ZB 136/11, FGPrax 2011, 318 Rn. 8) im weiteren Verlauf des Verfahrens geheilt worden.

IV.

13

Die Kostenentscheidung beruht auf § 81 Abs. 1 Satz 1 und 2, § 83 Abs. 2, § 84, § 430 FamFG, Art. 5 Abs. 5 EMRK analog. Die Kostenquote trägt dem Umstand Rechnung, dass die Rechtsbeschwerde im Wesentlichen erfolglos gewesen ist. Die Festsetzung des Beschwerdewerts beruht auf § 128c Abs. 2 KostO i.V.m. § 30 Abs. 2 KostO.

Stresemann

Roth

Brückner

Weinland

Kazele

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