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Bundesgerichtshof
Beschl. v. 21.06.2012, Az.: V ZB 269/11
Zulässigkeit einer Rechtsbeschwerde bei der Geltendmachung einer Einwendung gegen die normative Grundlage eines Titels
Gericht: BGH
Entscheidungsform: Beschluss
Datum: 21.06.2012
Referenz: JurionRS 2012, 18170
Aktenzeichen: V ZB 269/11
ECLI: [keine Angabe]

Verfahrensgang:

vorgehend:

AG Varel - 08.09.2011 - AZ: 40 K 33/08

LG Oldenburg - 08.11.2011 - AZ: 6 T 752/11

Rechtsgrundlagen:

§ 574 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 ZPO

§ 43 Abs. 1 Nr. 5 NSpG

BGH, 21.06.2012 - V ZB 269/11

Redaktioneller Leitsatz:

  1. 1.

Ein den förmlichen Anforderungen genügender Vollstreckungstitel ist von den Vollstreckungsorganen ungeachtet seiner eventuellen materiellrechtlichen Fehlerhaftigkeit zu vollstrecken.

2.

Eine die normative Grundlage eines Titels betreffende Einwendung kann grundsätzlich nur mit der Titelgegenklage nach § 767 ZPO analog geltend gemacht werden.

Der V. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat am 21. Juni 2012 durch den Vorsitzenden Richter Prof. Dr. Krüger, die Richter Dr. Lemke und Prof. Dr. Schmidt-Räntsch und die Richterinnen Dr. Brückner und Weinland

beschlossen:

Tenor:

Die Rechtsbeschwerde gegen den Beschluss der 6. Zivilkammer des Landgerichts Oldenburg vom 8. November 2011 wird auf Kosten der Schuldnerin zurückgewiesen.

Der Gegenstandswert des Rechtsbeschwerdeverfahrens beträgt für die Gerichtskosten 3.000 €, für die anwaltliche Vertretung der Schuldnerin und der Gläubigerin jeweils 31.000 €.

Gründe

I.

1

Auf Antrag der Gläubigerin "gemäß § 16 des Gesetzes für den Landesteil O. vom 3. Juli 1933 betreffend die Landessparkasse zu O. in Verbindung mit § 80 Abs. 1 Nr. 22 des Nds. Verwaltungsvollstreckungsgesetzes vom 2. Juni 1982" ordnete das Amtsgericht mit Beschluss vom 2. Oktober 2008 die Zwangsversteigerung des im Eingang dieses Beschlusses bezeichneten Grundstücks der Schuldnerin wegen einer dinglichen Forderung an. In dem Antrag heißt es u.a.:

"Die Vollstreckbarkeit des dinglichen Anspruchs wird insoweit bescheinigt."

2

Es folgen unter dem Zusatz "Landessparkasse zu O. Der Vorstand" zwei Unterschriften.

3

Die Schuldnerin hat am 8. April 2011 die "Aussetzung bzw. Einstellung" des Zwangsversteigerungsverfahrens bis zur Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts über einen Vorlagebeschluss des Oberlandesgerichts Oldenburg beantragt, welches das Selbsttitulierungsrecht einer anderen Gläubigerin für verfassungswidrig hält. Das Amtsgericht hat den Antrag zurückgewiesen. Die sofortige Beschwerde ist erfolglos geblieben. Mit der zugelassenen Rechtsbeschwerde, deren Zurückweisung die Gläubigerin beantragt, verfolgt die Schuldnerin ihren Antrag weiter.

II.

4

Nach Ansicht des Beschwerdegerichts ersetzt gemäß § 16 Abs. 2 des Gesetzes für den Landesteil O. betreffend die Landessparkasse zu O. vom 3. Juli 1933 ein Vollstreckungsantrag des Vorstands der Gläubigerin einen vollstreckbaren Schuldtitel. Diese Regelung habe noch heute Bestand. Sie verstoße nicht gegen geltendes Verfassungsrecht.

III.

5

Die nach § 574 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 ZPO statthafte und auch im Übrigen zulässige (§ 557 ZPO) Rechtsbeschwerde ist unbegründet.

6

1. Die Entscheidung des Beschwerdegerichts ist unabhängig von der Frage, derentwegen die Rechtsbeschwerde zugelassen worden ist, rechtlich nicht zu beanstanden. Denn ob das nach dem Landesrecht bestehende Selbsttitulierungsrecht der Gläubigerin gegen höherrangiges Recht verstößt, ist von dem Vollstreckungsgericht nicht zu prüfen. Wegen der formalisierten Ausgestaltung des Zwangsvollstreckungsverfahrens ist ein wie hier den förmlichen Anforderungen genügender Vollstreckungstitel von den Vollstreckungsorganen ungeachtet seiner eventuellen materiellrechtlichen Fehlerhaftigkeit zu vollstrecken (vgl. BGH, Urteil vom 14. Mai 1992 VII ZR 204/90, BGHZ 118, 229, 234; Beschluss vom 12. Januar 2012 VII ZB 71/09, WM 2012, 454, 455 f. Rn. 15 für eine Vollstreckungsklausel).

7

2. Die Frage der Verfassungsmäßigkeit des § 16 Abs. 2 Satz 2 des Gesetzes für den Landesteil O. betreffend die Landessparkasse zu O. vom 3. Juli 1933 in der Fassung des § 43 Abs. 1 Nr. 5 NSpG vom 6. Juli 1962 (Nds. GVBl. S. 77) betrifft die materielle Wirksamkeit des den Vollstreckungstitel ersetzenden Vollstreckungsantrags der Gläubigerin. Denn in Frage steht nicht eine an den Antrag zu stellende förmliche Anforderung, sondern die Rechtmäßigkeit des Gesetzes, welches ihn einem Vollstreckungstitel gleichstellt. Eine solche, die normative Grundlage des Titels betreffende Einwendung kann grundsätzlich nur mit der Titelgegenklage (§ 767 ZPO analog; vgl. BGH, Urteil vom 14. Mai 1992 VII ZR 204/90, BGHZ 118, 229, 223; Senat, Urteil vom 27. Januar 2012 V ZR 92/11 Rn. 8, [...]) geltend gemacht werden.

8

3. Ob ausnahmsweise etwas anderes gilt, wenn die Unwirksamkeit des Titels evident ist, kann offenbleiben. Denn die Feststellung, dass § 16 Abs. 2 Satz 2 des Gesetzes für den Landesteil O. betreffend die Landessparkasse zu O. gegen höherrangiges Recht verstößt, liegt wie der Vorlagebeschluss des Oberlandesgerichts Oldenburg vom 17. März 2011 (8 U 139/10, [...]) und nicht zuletzt die Begründung des Beschwerdegerichts deutlich machen nicht auf der Hand.

IV.

9

1. Die Kostenentscheidung folgt aus § 97 Abs. 1 ZPO. Diese Norm ist hier anwendbar, weil sich die Beteiligten bei dem Streit um die Einstellung der Zwangsversteigerung ähnlich wie in einem kontradiktorischen Verfahren gegenüberstehen (Senat, Beschluss vom 25. Januar 2007 V ZB 125/05, BGHZ 170, 378, 381 f. Rn. 7 f.).

10

2. Die Festsetzung des Gegenstandswerts für die Gerichtskosten hat ihre Grundlage in § 47 Abs. 1 Satz 1 GKG, die für die anwaltliche Vertretung der Schuldnerin und der Gläubigerin in § 26 Nr. 1 Halbsatz 4, Nr. 2 RVG; als Wert des Versteigerungsobjekts hat der Senat den von dem Sachverständigen ermittelten Grundstückswert angenommen.

Krüger

Lemke

Schmidt-Räntsch

Brückner

Weinland

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