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Bundesgerichtshof
Beschl. v. 14.06.2012, Az.: V ZB 80/11
Einvernehmen der Staatsanwaltschaft bei Zurückschieben eines Ausländer nach unerlaubter Einreise
Gericht: BGH
Entscheidungsform: Beschluss
Datum: 14.06.2012
Referenz: JurionRS 2012, 18504
Aktenzeichen: V ZB 80/11
ECLI: [keine Angabe]

Verfahrensgang:

vorgehend:

LG Aurich - 17.03.2011 - AZ: 1 T 71/11

BGH, 14.06.2012 - V ZB 80/11

Redaktioneller Leitsatz:

  1. 1.

    Das Vorliegen eines zulässigen Haftantrags für die Sicherungshaft ist eine in jeder Lage des Verfahrens von Amts wegen zu prüfende Verfahrensvoraussetzung. Zulässig ist der Haftantrag der beteiligten Behörde nur, wenn er den gesetzlichen Anforderungen an die Begründung entspricht. Erforderlich sind Darlegungen zu der zweifelsfreien Ausreisepflicht, zu den Abschiebungsvoraussetzungen, zu der Erforderlichkeit der Haft, zu der Durchführbarkeit der Abschiebung und zu der notwendigen Haftdauer. Fehlt es daran, darf die beantragte Sicherungshaft nicht angeordnet werden.

  2. 2.

    Wenn sich aus dem Haftantrag oder den beigefügten Unterlagen ergibt, dass gegen den Ausländer ein strafrechtliches Ermittlungsverfahren eingeleitet worden ist, ist in der Begründung auszuführen, dass die zuständige Staatsanwaltschaft ihr Einvernehmen mit der Abschiebung des Ausländers gemäß § 72 Abs. 4 S. 1 AufenthG erteilt hat. Ohne das Einvernehmen der Staatsanwaltschaft darf die Sicherungshaft nicht angeordnet werden. Das Einvernehmen der Staatsanwaltschaft ist auch dann erforderlich, wenn der Ausländer nach unerlaubter Einreise zurückgeschoben werden soll.

Der V. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat am 14. Juni 2012 durch den Vorsitzenden Richter Prof. Dr. Krüger, die Richter Dr. Lemke und Prof. Dr. Schmidt-Räntsch und die Richterinnen Dr. Brückner und Weinland beschlossen:

Tenor:

Auf die Rechtsbeschwerde des Betroffenen wird festgestellt, dass der Beschluss des Amtsgerichts Leer vom 10. März 2011 und der Beschluss der 1. Zivilkammer des Landgerichts Aurich vom 17. März 2011 ihn in seinen Rechten verletzt haben.

Gerichtskosten werden in allen Instanzen nicht erhoben. Die zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung notwendigen Auslagen des Betroffenen in allen Instanzen werden der Bundesrepublik Deutschland auferlegt.

Der Gegenstandswert des Rechtsbeschwerdeverfahrens beträgt 3.000 €.

Gründe

I.

1

Der Betroffene, ein syrischer Staatsangehöriger, reiste am 9. März 2011 mit einem Bus aus den Niederlanden kommend in das Bundesgebiet ein. In Grenznähe wurde er von Beamten der Bundespolizei mit gefälschten, angeblich in Mailand ausgestellten Papieren angetroffen und festgenommen.

2

Eine Eurodac-Abfrage anhand der Fingerabdrücke ergab, dass der Betroffene am 4. März 2011 in Triest/Italien einen Asylantrag gestellt hatte und erkennungsdienstlich behandelt worden war.

3

Auf Antrag der Beteiligten zu 2 hat das Amtsgericht am 10. März 2011 Haft bis längstens zum 9. Juni 2011 zur Sicherung einer Zurückschiebung nach Italien gemäß Art. 16 der Verordnung (EG) Nr. 343/2003 des Rates vom 18. Februar 2003 (Dublin II-Verordnung) angeordnet. Die Beschwerde des Betroffenen gegen die Haftanordnung hat das Landgericht mit Beschluss vom 17. März 2011 zurückgewiesen. Der Betroffene ist später aus der Haft entlassen worden.

4

Mit der Rechtsbeschwerde beantragt er die Feststellung, durch die Haftanordnung und deren Aufrechterhaltung in seinen Rechten verletzt worden zu sein.

II.

5

Das Beschwerdegericht meint, dass die Haft zur Sicherung der Zurückschiebung des Betroffenen nach Italien zu Recht angeordnet worden sei, und verweist auf die die Gründe des angefochtenen Beschlusses, in dem das Amtsgericht den Haftgrund nach § 62 Abs. 2 Nr. 5 AufenthG bejaht hat.

III.

6

Die Rechtsbeschwerde ist nach Erledigung der Hauptsache mit dem Feststellungsantrag analog § 62 FamFG ohne Zulassung nach § 70 Abs. 3 Nr. 3 FamFG statthaft (vgl. Senat, Beschluss vom 29. April 2010 - V ZB 218/09, InfAuslR 2010, 359, 360), form- und fristgerecht gemäß § 71 FamFG eingelegt und hat auch in der Sache Erfolg.

7

1.

Der Betroffene ist bereits durch die Haftanordnung in seinen Rechten verletzt worden, weil die Haft zur Sicherung einer Zurückschiebung wegen Fehlens eines den Begründungsanforderungen in § 417 Abs. 2 FamFG entsprechenden Haftantrags nicht hätte angeordnet werden dürfen.

8

a)

Das Vorliegen eines zulässigen Haftantrags ist eine in jeder Lage des Verfahrens von Amts wegen zu prüfende Verfahrensvoraussetzung. Zulässig ist der Haftantrag der beteiligten Behörde nur, wenn er den gesetzlichen Anforderungen an die Begründung entspricht. Erforderlich sind Darlegungen zu der zweifelsfreien Ausreisepflicht, zu den Abschiebungsvoraussetzungen, zu der Erforderlichkeit der Haft, zu der Durchführbarkeit der Abschiebung und zu der notwendigen Haftdauer (§ 417 Abs. 2 Satz 2 Nr. 3 bis 5 FamFG). Fehlt es daran, darf die beantragte Sicherungshaft nicht angeordnet werden (Senat, Beschluss vom 27. Oktober 2011 - V ZB 311/10, Rn. 12 mwN, [...]; Beschluss vom 15. September 2011 - V ZB 123/11, Rn. 8 mwN, [...]).

9

b)

Die Rechtsbeschwerde rügt zu Recht einen Verstoß gegen § 417 Abs. 2 Satz 2 Nr. 5 FamFG. Danach hat die Begründung des Haftantrags die Tatsachen zur Durchführbarkeit der Abschiebung zu benennen.

10

aa)

Dazu ist - wenn sich aus dem Haftantrag oder den beigefügten Unterlagen ergibt, dass gegen den Ausländer ein strafrechtliches Ermittlungsverfahren eingeleitet worden ist - auszuführen, dass die zuständige Staatsanwaltschaft ihr Einvernehmen mit der Abschiebung des Ausländers gemäß § 72 Abs. 4 Satz 1 AufenthG erteilt hat (vgl. Senat, Beschluss vom 3. Februar 2011 - V ZB 224/10, FGPrax 2011, 148, 149 Rn. 7). Ohne das Einvernehmen der Staatsanwaltschaft darf die Sicherungshaft nicht angeordnet werden. Das Einvernehmen der Staatsanwaltschaft ist auch dann erforderlich, wenn - wie hier - der Ausländer nach unerlaubter Einreise zurückgeschoben werden soll (Senat, Beschluss vom 24. Februar 2011 - V ZB 202/10, FGPrax 2011, 146 Rn. 13 ff.). Das Fehlen entsprechender Ausführungen führt zur Unzulässigkeit des Haftantrags (vgl. nur Senat, Beschlüsse vom 20. Januar 2011 V ZB 226/10, FGPrax 2011, 144 Rn. 9; vom 3. Februar 2011 V ZB 224/10, FGPrax 2011, 148 ff. und vom 29. September 2011 V ZB 61/11, Rn. 5, [...] std. Rspr.).

11

bb)

Danach war der Haftantrag unzulässig. In der ihm beigefügten Darstellung des Sachverhalts durch die Beteiligte zu 2 ist ausgeführt, dass diese gegen den Betroffenen ein Strafverfahren wegen des Verdachts der unerlaubten Einreise und der Urkundenfälschung eingeleitet hatte. Danach hätte der Haftantrag eine Erklärung zum Einvernehmen der Staatsanwaltschaft enthalten müssen, woran es jedoch fehlte. Eine Heilung dieses Mangels ist nicht erfolgt.

12

2.

Von einer weiteren Begründung der Entscheidung wird nach § 74 Abs. 7 FamFG abgesehen.

IV.

13

Die Kostenentscheidung folgt aus § 81 Abs. 1, § 83 Abs. 2, § 430 FamFG, § 128c Abs. 3 Satz 2 KostO. Unter Berücksichtigung der Regelung in Art. 5 EMRK entspricht es billigem Ermessen, die Bundesrepublik Deutschland zur Erstattung der notwendigen Auslagen des Betroffenen zu verpflichten.

Krüger
Lemke
Schmidt-Räntsch
Brückner
Weinland

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