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Bundesgerichtshof
Beschl. v. 06.06.2012, Az.: 5 StR 233/12
Erforderlichkeit des Entweichens des Explosionsdrucks nach vorne durch den Lauf einer Schreckschusspistole bei Verurteilung wegen besonders schwerer räuberischer Erpressung
Gericht: BGH
Entscheidungsform: Beschluss
Datum: 06.06.2012
Referenz: JurionRS 2012, 17018
Aktenzeichen: 5 StR 233/12
ECLI: [keine Angabe]

Verfahrensgang:

vorgehend:

LG Potsdam - 06.02.2012

Fundstellen:

NStZ 2012, 445

NStZ-RR 2012, 300

NStZ-RR 2012, 299

Verfahrensgegenstand:

Schwere räuberische Erpressung u.a.

BGH, 06.06.2012 - 5 StR 233/12

Redaktioneller Leitsatz:

  1. 1.

    Schließt sich eine Wegnahme zeitlich und räumlich unmittelbar an eine räuberische Erpressung an, kann natürliche Handlungseinheit vorliegen.

  2. 2.

    Eine Schreckschusspistole ist nur dann eine Waffe im Sinne des § 250 Abs. 1 Nr. 1 lit. a und Abs. 2 Nr. 1 StGB, wenn beim Abfeuern der Munition der Explosionsdruck nach vorne durch den Lauf austritt.

Der 5. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat am 6. Juni 2012 beschlossen:

Tenor:

  1. 1.

    Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Potsdam vom 6. Februar 2012 gemäß § 349 Abs. 4 StPO aufgehoben

    1. a)

      im Schuldspruch, soweit der Angeklagte wegen (besonders) schwerer räuberischer Erpressung und räuberischen Diebstahls in Tateinheit mit vorsätzlicher Körperverletzung (Geschehen vom 2. September 2010 - II.1 der Urteilsgründe) verurteilt wurde; jedoch bleiben die Feststellungen mit Ausnahme der die Schreckschusspistole betreffenden aufrechterhalten.

    2. b)

      im Ausspruch über die Gesamtstrafe.

  2. 2.

    Die weitergehende Revision wird gemäß § 349 Abs. 2 StPO als unbegründet verworfen.

  3. 3.

    Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

Gründe

1

Das Landgericht hat den Angeklagten wegen (besonders) schwerer räuberischer Erpressung und wegen räuberischen Diebstahls in Tateinheit mit vorsätzlicher Körperverletzung sowie wegen anderer Delikte zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von vier Jahren und zehn Monaten verurteilt. Die auf die allgemeine Sachrüge gestützte Revision hat den aus der Beschlussformel ersichtlichen Teilerfolg; im Übrigen ist sie unbegründet.

2

1. Nach den unter II.1 getroffenen Feststellungen suchte der Angeklagte am 2. September 2010 gemeinsam mit dem gesondert verfolgten S. den Zeugen Ba. in dessen Wohnung in der Absicht auf, unter Androhung von Gewalt von ihm 300 € zu erlangen und "aus der Wohnung des Ba. Wertgegenstände mitzunehmen" (UA S. 6). Zum Abtransport der angestrebten Beute hatte der Angeklagte eigens eine große leere Sporttasche mitgebracht. Nachdem die Täter von dem Zeugen Ba. unter Vorhalt einer geladenen Schreckschusspistole die Herausgabe eines Laptops, eines I-Phones und einer Playstation erzwungen hatten, wurden sie durch Erscheinen eines Besuchers gestört und begaben sich mit der Beute in Richtung der Wohnungseingangstür. Dabei erblickte der Angeklagte auf einem Wäscheständer einen nassen Lacoste-Pullover, den er in Zueignungsabsicht an sich nahm. Als der Geschädigte den Pullover ergriff, schlug der Angeklagte "mit seinem Kopf auf die Nase des Ba. , um sich den Besitz des Pullovers zu erhalten" (UA S. 7 f.).

3

2. Das Landgericht wertet dieses Geschehen als zwei realkonkurrierende Taten der (besonders) schweren räuberischen Erpressung und des räuberischen Diebstahls in Tateinheit mit vorsätzlicher Körperverletzung. Hinsichtlich der ersten Tat sieht es wegen der Verwendung einer Waffe den Qualifikationstatbestand des § 250 Abs. 2 Nr. 1 StGB als erfüllt an, ohne allerdings den erhöhten Unrechtsgehalt im Tenor kenntlich zu machen (vgl. BGH, Beschluss vom 28. Januar 2003 - 3 StR 373/02, BGHR StPO § 260 Abs. 4 Satz 1 Urteilsformel 4). Sowohl die Annahme von zwei tatmehrheitlich begangenen Taten als auch die Anwendung der Qualifikation hinsichtlich des ersten Teils des Geschehens begegnen durchgreifenden sachlich-rechtlichen Bedenken.

4

a) Die Wegnahme des Pullovers schloss sich zeitlich und räumlich unmittelbar an die räuberische Erpressung an. Sie wurde unter Fortwirkung der - wenn auch nach Erscheinen des Besuchers möglicherweise gelockerten - Zwangslage begangen. Damit lag natürliche Handlungseinheit vor (vgl. BGH, Beschlüsse vom 12. August 1992 - 3 StR 358/92, BGHR StGB § 249 Abs. 1 Drohung 3; vom 11. Dezember 2007 - 4 StR 576/07). Zudem wurde die noch vor Beendigung der räuberischen Erpressung (vgl. BGH, Beschluss vom 27. August 2002 - 1 StR 287/02, NStZ-RR 2002, 334) begangene Wegnahme des Pullovers von dem Entschluss des Angeklagten getragen, "aus der Wohnung des Ba. Wertgegenstände mitzunehmen" (UA S. 6; vgl. BGH, Beschlüsse vom 6. Oktober 1998 - 4 StR 455/98, StraFo 1999, 100, 101; vom 12. August 1992, aaO).

5

b) Darüber hinaus sind die Voraussetzungen des § 250 Abs. 2 Nr. 1 StGB nicht belegt. Es ist nicht festgestellt, dass nach der Bauart der Schreckschusspistole beim Abfeuern der Munition der Explosionsdruck nach vorne durch den Lauf austritt und es sich deshalb um eine Waffe im Sinne des § 250 Abs. 1 Nr. 1 lit. a und Abs. 2 Nr. 1 StGB handelt (vgl. BGH, Beschlüsse vom 4. Februar 2003 - GSSt 2/02, BGHSt 48, 197, 201; vom 15. März 2011 - 4 StR 40/11, NJW 2011, 1979, 1980 [BGH 15.03.2011 - 4 StR 40/11]; vom 9. Februar 2010 - 3 StR 11/10, NStZ-RR 2010, 170).

6

3. Die rechtsfehlerhafte Beurteilung des Konkurrenzverhältnisses hinsichtlich der Delikte im Rahmen des unter II.1 des angefochtenen Urteils festgestellten Geschehens führt zu einer Aufhebung der entsprechenden Schuldsprüche und bedingt bereits die Aufhebung der jeweiligen Einzelstrafen und der Gesamtstrafe. Der Senat kann keine Umstellung der Schuldsprüche vornehmen. Denn er kann nicht ausschließen, dass weitere Feststellungen zu der Bauart der Schreckschusspistole (vgl. Münch-KommStGB/Heinrich, 2007, § 1 WaffG Rn. 83) und den hierauf bezogenen Wahrnehmungen des Angeklagten getroffen werden können, welche die Annahme einer besonders schweren räuberischen Erpressung nach § 250 Abs. 2 Nr. 1 StGB tragen. Einer umfassenderen Aufhebung von Feststellungen bedarf es hingegen nicht, da hinsichtlich des Konkurrenzverhältnisses lediglich ein Wertungsfehler vorliegt.

Raum

Schaal

Schneider

König

Bellay

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