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Bundesgerichtshof
Beschl. v. 28.02.2012, Az.: II ZB 27/10
Unterzeichnung eines Verlängerungsantrags bzgl. der Berufungsbegründungsfrist ohne handschriftliche Korrektur der als falsch erkannten Adresse durch den Rechtsanwalt als Organisationsverschulden
Gericht: BGH
Entscheidungsform: Beschluss
Datum: 28.02.2012
Referenz: JurionRS 2012, 12001
Aktenzeichen: II ZB 27/10
ECLI: [keine Angabe]

Verfahrensgang:

vorgehend:

LG Koblenz - 26.02.2010 - AZ: 5 O 533/06

OLG Koblenz - 15.11.2010 - AZ: 6 U 367/10

Rechtsgrundlage:

§ 85 Abs. 2 ZPO

Fundstellen:

JurBüro 2013, 445-446

RENOpraxis 2012, 132

BGH, 28.02.2012 - II ZB 27/10

Redaktioneller Leitsatz:

Ein Rechtsanwalt handelt schuldhaft, wenn er einen Verlängerungsantrag für eine Berufungsbegründung unterzeichnet, ohne die von ihm als falsch erkannte Adresse entweder selbst handschriftlich zu korrigieren oder zusätzliche Maßnahmen zu treffen, um sicherzustellen, dass seine Kanzleiangestellte die ihr von ihm zum Zwecke der Korrektur des Fehlers erteilte Einzelweisung tatsächlich befolgt.

Der II. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat
am 28. Februar 2012
durch den Vorsitzenden Richter Prof. Dr. Bergmann und
die Richterin Caliebe sowie
die Richter Dr. Drescher, Born und Sunder
beschlossen:

Tenor:

Die Rechtsbeschwerde des Klägers gegen den Beschluss des 6. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Koblenz vom 15. November 2010 wird auf seine Kosten als unzulässig verworfen.

Beschwerdewert: 15.850,05 ?

Gründe

1

I. Der Kläger begehrt Wiedereinsetzung in die versäumte Berufungsbe- gründungsfrist.

2

Der Kläger legte gegen das ihm am 2. März 2010 zugestellte Urteil des Landgerichts am 30. März 2010 Berufung ein. Mit Schriftsatz vom 28. April 2010 beantragte der Prozessbevollmächtigte des Klägers im Hinblick auf die angekündigte Verhandlung einer Vielzahl von Verfahren aus einer Klageserie vor dem Bundesgerichtshof am 22. November 2010 das Ruhen des Verfahrens und ohne zeitliche Eingrenzung die Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist. Der Vertreter der Beklagtenpartei habe telefonisch bereits die Zu- stimmung zu einer derartigen Verfahrensweise erteilt. Der unter dem Aktenzeichen des Landgerichts an das Landgericht adressierte Schriftsatz ging am 30. April 2010, einem Freitag, beim Landgericht ein. Nach einer Weiterleitungsverfügung vom 3. Mai 2010, einem Montag, erreichte der Schriftsatz das Berufungsgericht erst am 5. Mai 2010.

3

Mit Schriftsatz vom 25. Mai 2010 begründete der Kläger die Berufung und beantragte die Wiedereinsetzung in die Berufungsbegründungsfrist. Dem Prozessbevollmächtigten des Klägers sei aufgefallen, dass der Schriftsatz vom 28. April 2010 versehentlich unter dem Aktenzeichen des erstinstanzlichen Verfahrens an das Landgericht gerichtet gewesen sei. Er habe ihn daraufhin unterzeichnet und die Kanzleiangestellte bei der Rückgabe der Unterschriftenmappe angewiesen, vor der Ausfertigung und Versendung die erste Seite auszuwechseln und sicherzustellen, dass der Schriftsatz unter dem richtigen Aktenzeichen des Berufungsverfahrens an das Berufungsgericht verschickt werde. Zudem habe er die Kanzleiangestellte aufgefordert, den Schriftsatz vorab per Fax zu übermitteln. Weshalb diese Anweisung nicht beachtet worden sei, sei im Nachhinein nicht erklärlich.

4

Mit Beschluss vom 15. November 2010 hat das Oberlandesgericht den Antrag auf Wiedereinsetzung zurückgewiesen und die Berufung als unzulässig verworfen.

5

II. Die Rechtsbeschwerde ist statthaft (§ 574 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1, § 522 Abs. 1 Satz 4, § 238 Abs. 2 Satz 1 ZPO). Sie ist jedoch nicht zulässig, weil die Voraussetzungen des § 574 Abs. 2 ZPO nicht erfüllt sind. Die Rechtssache wirft weder entscheidungserhebliche Fragen von grundsätzlicher Bedeutung auf noch erfordert sie eine Entscheidung des Rechtsbeschwerdegerichts zur Fortbildung des Rechts oder zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung.

6

1. Das Berufungsgericht hat seine Entscheidung wie folgt begründet: Die Umstände vor und auch bis zur Einreichung des Fristverlängerungsgesuchs vom 28. April 2010 gereichten dem Kläger nicht zum Nachteil, weil Versäumnisse der Sekretärin seines Prozessbevollmächtigten ihm nicht zuzurechnen seien. Auch habe der Prozessbevollmächtigte mit der Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist rechnen dürfen und er sei grundsätzlich nicht verpflichtet gewesen, sich beim Oberlandesgericht telefonisch nach dem Eingang des Schriftsatzes zu erkundigen. Es sei aber nicht glaubhaft gemacht, dass der Prozessbevollmächtigte des Klägers dafür Sorge getragen habe, dass nach einem Fristverlängerungsantrag die Frist nicht versäumt werde. Werde die Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist beantragt, dürfe sie nicht in der Weise vorgemerkt werden, dass schon mit der Antragstellung der Endpunkt der Frist im Kalender eingetragen werde. Der Eintrag der endgültigen Frist sei erst dann zulässig, wenn die Verlängerung tatsächlich gewährt worden sei. In jedem Fall sei durch geeignete Maßnahmen sicherzustellen, dass vor Ablauf der Frist, deren Verlängerung beantragt worden sei, das wirkliche Ende der Frist gegebenenfalls durch Rückfrage bei Gericht festgestellt werde. Wäre spätestens am 3. Mai 2010 überprüft worden, welche Fristverlängerung das Oberlandesgericht gewährt habe, hätte sich noch rechtzeitig herausgestellt, dass dort ein Fristverlängerungsantrag nicht vorgelegen habe.

7

2. Das Berufungsgericht hat die beantragte Wiedereinsetzung in die am 3. Mai 2010, einem Montag, abgelaufene und daher versäumte Berufungsbegründungsfrist im Ergebnis zu Recht versagt. Die Versäumung der Frist beruht auf einem Verschulden des Prozessbevollmächtigten des Klägers, das sich dieser nach § 85 Abs. 2 ZPO zurechnen lassen muss.

8

a) Das Berufungsgericht stellt im Ausgangspunkt richtig darauf ab, dass es grundsätzlich an einem der Partei zuzurechnenden Verschulden ihres Anwalts an der Fristversäumung fehlt, wenn der Anwalt einer Kanzleikraft, die sich bislang als zuverlässig erwiesen hat, eine konkrete Einzelanweisung erteilt, deren Befolgung die Fristwahrung gewährleistet hätte; ein Rechtsanwalt darf grundsätzlich darauf vertrauen, dass eine bislang zuverlässige Kanzleikraft eine konkrete Einzelanweisung befolgt. Er ist deshalb im Allgemeinen auch nicht verpflichtet, sich anschließend über die Ausführung seiner Weisung zu vergewissern (st. Rspr., vgl. BGH, Beschluss vom 20. September 2011 VI ZB 23/11, MDR 2011, 1442 Rn. 8).

9

Dieser Vertrauensgrundsatz gilt aber insoweit nicht, als der Rechtsanwalt von der ihm selbst ohne weiteres möglichen Beseitigung eines von ihm erkannten Fehlers absieht. Ein eigenes Verschulden des Prozessbevollmächtigten des Klägers ist hier bereits darin zu sehen, dass dieser den Verlängerungsantrag unterzeichnet hat, ohne die von ihm als falsch erkannte Adresse entweder selbst handschriftlich zu korrigieren oder zusätzliche Maßnahmen zu treffen, um sicherzustellen, dass seine Kanzleiangestellte die ihr von ihm zum Zwecke der Korrektur des Fehlers erteilte Einzelweisung tatsächlich befolgte. Dies hat der Bundesgerichtshof bereits für eine fehlerhaft adressierte Berufungsschrift entschieden (vgl. BGH, Beschluss vom 17. August 2011 I ZB 21/11, NJW-RR 2012, 122 Rn. 13 f.). Einem Schriftsatz, mit dem die Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist beantragt werden soll, kommt für die Zulässigkeit der Berufung keine mindere Bedeutung zu. Dem Fristverlängerungsantrag kann nämlich nur stattgegeben werden, wenn er vor Fristablauf bei Gericht eingeht. Es gelten daher dieselben Sorgfaltsanforderungen bei der Sicherstellung der Einhaltung der Frist wie bei der Einreichung einer Berufungsschrift (vgl. BGH, Beschluss vom 14. Juni 2006 IV ZB 36/05, NJW-RR 2006, 1565 Rn. 7 [BGH 14.06.2006 - IV ZB 36/05]).

10

b) Zu Recht verneint das Berufungsgericht eine Unterbrechung des Kausalverlaufs. Grundsätzlich ist dem Rechtsmittelführer Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren, wenn er einen fristgebundenen Schriftsatz versehentlich nicht beim Rechtsmittelgericht sondern beim Ausgangsgericht einreicht und dieser bei unterstellter Weiterleitung durch das Ausgangsgericht im ordentlichen Geschäftsgang fristgerecht beim Rechtsmittelgericht eingegangen wäre (vgl. BGH, Beschluss vom 15. Juni 2011 XII ZB 468/10, NJW 2011, 2887 Rn. 12 m.w.N.). Das Berufungsgericht hat zutreffend darauf abgestellt, dass bei Eingang des Verlängerungsantrags beim Landgericht am Freitag, dem 30. April 2010, nicht mit einer Weiterleitung des Schriftsatzes auf dem ordentlichen Geschäftsweg bis zum Tag des Fristablaufs am folgenden Montag gerechnet wer- den konnte (vgl. auch BGH, Beschluss vom 15. Juni 2011 XII ZB 468/10, NJW 2011, 2887 Rn. 13). Die Rechtsbeschwerde greift diesen Punkt auch nicht auf.

Bergmann

Caliebe

Drescher

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