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Bundesgerichtshof
Beschl. v. 16.12.2011, Az.: AnwZ (Brfg) 52/11
Darlegung der verfahrensfehlerhaften Verhinderung der Teilnahme an der mündlichen Verhandlung durch einen Rechtsanwalt
Gericht: BGH
Entscheidungsform: Beschluss
Datum: 16.12.2011
Referenz: JurionRS 2011, 34107
Aktenzeichen: AnwZ (Brfg) 52/11
ECLI: [keine Angabe]

Verfahrensgang:

vorgehend:

AGH Baden-Württemberg - 30.07.2011 - AZ: AGH 17/10 (I)

nachgehend:

BGH - 11.06.2012 - AZ: AnwZ (Brfg) 52/11

Verfahrensgegenstand:

Widerruf der Zulassung zur Rechtsanwaltschaft

BGH, 16.12.2011 - AnwZ (Brfg) 52/11

Redaktioneller Leitsatz:

1.

Ein nach einem Verfahren vor dem Anwaltsgerichtshof statthafter Antrag eines Klägers auf Zulassung der Berufung hat Erfolg, wenn der Kläger hinreichend dargelegt hat, dass dem Anwaltsgerichtshof ein Verfahrensfehler unterlaufen ist.

2.

Ein solcher Verfahrensfehler liegt vor, wenn der Anwaltsgerichtshof den Terminverlegungsantrag eines Klägers zurückgewiesen hat, obwohl dieser durch Vorlage eines aussagekräftigen ärztlichen Attests und ergänzender Erklärungen seiner Ehefrau glaubhaft gemacht hat, dass er aufgrund einer plötzlichen und unvorhersehbaren Verschlechterung seines gesundheitlichen Zustands daran gehindert war, selbst an der mündlichen Verhandlung teilzunehmen oder wenigstens einen umfassend informierten Kollegen mit seiner Vertretung zu beauftragen. Eine ungerechtfertigte Zurückweisung eines Verlegungsantrags stellt eine Verletzung des Anspruchs eines Klägers auf Gewährung rechtlichen Gehörs dar, wenn nicht ausgeschlossen werden kann, dass die Entscheidung des Anwaltsgerichtshofs auf diesem Verfahrensfehler beruht.

3.

Auch wenn ein Kläger in einem solchen Fall nicht damit hätte gehört werden können, seine finanziellen Verhältnisse hätten sich nach Abschluss des behördlichen Verfahrens über den Zulassungswiderruf konsolidiert; so blieb ihm doch Vortrag zu anderen Aspekten der Widerrufsentscheidung unbenommen.

4.

Wenn ein Kläger nicht nur eine unzureichende Aufklärung des dem Gericht unterbreiteten Prozessstoffs, sondern die verfahrensfehlerhafte Verhinderung seiner Teilnahme an der mündlichen Verhandlung rügt, ist von ihm kein hypothetischer Sachvortrag dazu zu verlangen, was er im Falle seiner Teilnahme oder der Vertretung durch einen sachkundigen Kollegen in der mündlichen Verhandlung im Einzelnen vorgebracht hätte. Seine Ausführungen im Zulassungsverfahren, wonach er im Termin zur mündlichen Verhandlung den Nachweis hätte erbringen können, dass eine Gefährdung der Interessen der Rechtsuchenden ausnahmsweise ausgeschlossen gewesen sei, genügt daher den Anforderungen an die Darlegung eines Verfahrensfehlers.

5.

Das Verfahren wird dann als Berufungsverfahren fortgesetzt; der Einlegung einer Berufung bedarf es nicht.

Der Bundesgerichtshof, Senat für Anwaltssachen, hat durch die Vorsitzende Richterin Dr. Kessal-Wulf, den Richter Prof. Dr. König, die Richterin Dr. Fetzer und die Rechtsanwälte Dr. Wüllrich und Prof. Dr. Stüer

am 16. Dezember 2011 beschlossen:

Tenor:

Auf Antrag des Klägers wird die Berufung gegen das Urteil des I. Senats des Anwaltsgerichtshofs Baden-Württemberg vom 30. Juli 2011 zugelassen.

Gründe

I.

1

Die Beklagte hat mit Bescheid 30. April 2010 die Zulassung zur Rechtsanwaltschaft wegen Vermögensverfalls (§ 14 Abs. 2 Nr. 7 VwGO) widerrufen. Den Widerspruch des Klägers hat die Beklagte mit Bescheid vom 3. September 2010 zurückgewiesen. Die hierauf vom Kläger erhobene Klage hat der Anwaltsgerichtshof abgewiesen. Dagegen richtet sich der Antrag des Klägers auf Zulassung der Berufung.

II.

2

Der nach § 112e Satz 2 BRAO, § 124a Abs. 4 VwGO statthafte Antrag des Klägers auf Zulassung der Berufung hat Erfolg. Die Berufung ist zuzulassen, weil der Kläger hinreichend dargelegt hat, dass dem Anwaltsgerichtshof ein Verfahrensfehler im Sinne von § 112e Satz 2 BRAO, § 124 Abs. 2 Nr. 5 VwGO unterlaufen ist.

3

Der Anwaltsgerichtshof hat den Terminverlegungsantrag des Klägers vom 29. Juli 2011 zurückgewiesen, obwohl der Kläger, der sich selbst vertritt, durch Vorlage eines aussagekräftigen ärztlichen Attests und ergänzende Erklärungen seiner Ehefrau glaubhaft gemacht hat, dass er aufgrund einer plötzlichen und unvorhersehbaren Verschlechterung seines gesundheitlichen Zustands daran gehindert war, selbst an der mündlichen Verhandlung teilzunehmen oder wenigstens einen umfassend informierten Kollegen mit seiner Vertretung zu beauftragen. Die somit unter Verstoß gegen § 112c Abs. 1 BRAO, § 173 Abs. 1 VwGO, § 227 Abs. 1 Satz 1 ZPO erfolgte Zurückweisung des Verlegungsantrags stellt unter den hier gegebenen Umständen eine Verletzung des Anspruchs des Klägers auf Gewährung rechtlichen Gehörs (Art. 103 Abs. 1 GG) dar (vgl. BVerwG, NJW 2001, 2735 [BVerwG 22.05.2001 - 8 B 69/01] m.w.N.). Es kann nicht ausgeschlossen werden, dass die Entscheidung des Anwaltsgerichtshofs auf diesem Verfahrensfehler beruht (§ 124 Abs. 2 Nr. 5 VwGO, § 112e BRAO). Zwar hätte der Kläger nach dem seit 1. September 2009 geltenden Recht in der mündlichen Verhandlung nicht damit gehört werden können, seine finanziellen Verhältnisse hätten sich nach Abschluss des behördlichen Verfahrens über den Zulassungswiderruf konsolidiert; dieses Vorbringen ist einem gesonderten Wiederzulassungsverfahren vorbehalten (Senatsbeschluss vom 29. Juni 2011 - AnwZ (Brfg) 11/10, NJW 2011, 3234 Rn. 9 ff.). Vortrag zu anderen Aspekten der Widerrufsentscheidung blieb dem Kläger jedoch unbenommen.

4

Da der Kläger nicht nur eine unzureichende Aufklärung des dem Gericht unterbreiteten Prozessstoffs, sondern die verfahrensfehlerhafte Verhinderung seiner Teilnahme an der mündlichen Verhandlung rügt, ist von ihm kein hypothetischer Sachvortrag dazu zu verlangen, was er im Falle seiner Teilnahme oder der Vertretung durch einen sachkundigen Kollegen in der mündlichen Verhandlung im Einzelnen vorgebracht hätte (vgl. BVerwG, aaO; NJW 2008, aaO Rn. 4 m.w.N.). Seine Ausführungen im Zulassungsverfahren, wonach er im Termin zur mündlichen Verhandlung den Nachweis hätte erbringen können, dass eine Gefährdung der Interessen der Rechtsuchenden ausnahmsweise ausgeschlossen gewesen sei, genügt daher den Anforderungen an die Darlegung eines Verfahrensfehlers.

III.

5

Das Verfahren wird als Berufungsverfahren fortgesetzt; der Einlegung einer Berufung bedarf es nicht (§ 112e Satz 2 BRAO, § 124a Abs. 5 Satz 5 VwGO).

Kessal-Wulf

König

Fetzer

Wüllrich

Stüer

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