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Bundesgerichtshof
Beschl. v. 06.12.2011, Az.: KVR 95/10
Einheitlicher Zusammenschluss i.S.v. § 37 Abs. 1 Nr. 1 GWB bei Erwerb mehrerer verselbstständigter Vermögensgegenstände eines Unternehmens
Gericht: BGH
Entscheidungsform: Beschluss
Datum: 06.12.2011
Referenz: JurionRS 2011, 36516
Aktenzeichen: KVR 95/10
ECLI: [keine Angabe]

Verfahrensgang:

vorgehend:

OLG Düsseldorf - 04.08.2010 - AZ: VI-2 Kart 6/09 (V)

Fundstellen:

BGHZ 192, 18 - 45

AG 2012, 502-511

BB 2011, 3074 (Pressemitteilung)

BB 2012, 1421

EWiR 2012, 419

GWR 2012, 277

NZG 2012, 6-7

WM 2012, 2111-2119

WuW 2012, 721-736

Verfahrensgegenstand:

Total/OMV

BGH, 06.12.2011 - KVR 95/10

Amtlicher Leitsatz:

GWB § 19 Abs. 2, Abs. 3 Satz 2, § 37 Abs. 1 Nr. 2, § 74

  1. a)

    Für die Frage, ob der Erwerb mehrerer verselbständigter Vermögensgegenstände eines Unternehmens einen einheitlichen Zusammenschluss im Sinne von § 37 Abs. 1 Nr. 1 GWB darstellt, ist maßgeblich, ob der Vermögenserwerb bei wirtschaftlicher Betrachtung ein einheitlicher Vorgang ist, der geeignet ist, die Marktstruktur zu beeinflussen.

  2. b)

    Die indizielle Bedeutung von Marktstrukturmerkmalen, die eine enge Reaktionsverbundenheit der Mitglieder eines Oligopols erwarten lassen, für eine gemeinsame Marktbeherrschung kann dadurch entkräftet werden, dass tatsächlich wesentlicher Wettbewerb stattfindet. Die Bewertung des tatsächlichen Marktgeschehens muss aber die strukturellen Bedingungen beachten, unter denen es sich vollzieht und die seine ökonomische Beurteilung beeinflussen können.

  3. c)

    Ist das beobachtete Verhalten der Mitglieder eines Oligopols mehrdeutig, vermag dies die aufgrund der Marktstrukturanalyse begründete Annahme eines einheitlichen Verhaltens unter Ausschluss wesentlichen Wettbewerbs jedenfalls im Anwendungsbereich der Oligopolvermutungen des § 19 Abs. 3 Satz 2 GWB nicht in Frage zu stellen.

Der Kartellsenat des Bundesgerichtshofs hat auf die mündliche Verhandlung vom 6. Dezember 2011 durch den Präsidenten des Bundesgerichtshofs Prof. Dr. Tolksdorf, den Vorsitzenden Richter Prof. Dr. Meier-Beck und die Richter Dr. Kirchhoff, Dr. Löffler und Dr. Bacher beschlossen:

Tenor:

Auf die Rechtsbeschwerde des Bundeskartellamts wird der Beschluss des 2. Kartellsenats des Oberlandesgerichts Düsseldorf vom 4. August 2010 aufgehoben.

Die Beschwerde der Betroffenen zu 1 wird verworfen, soweit sie darauf gerichtet ist, den Beschluss des Bundeskartellamts vom 29. April 2009 aufzuheben.

Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung über den Fortsetzungsfeststellungsantrag der Betroffenen zu 1 an das Beschwerdegericht zurückverwiesen.

Der Wert des Rechtsbeschwerdeverfahrens wird auf 10.000.000 € festgesetzt.

Gründe

1

A.

Am 5. Dezember 2008 hat die Betroffene zu 1 (Total Deutschland GmbH) das Vorhaben angemeldet, von der Betroffenen zu 2 (OMV Deutschland GmbH) 59 Tankstellenbetriebe in Sachsen und Thüringen zu erwerben.

2

Total und OMV sind jeweils integrierte Mineralölunternehmen, die auf verschiedenen Stufen der Mineralölproduktion und des Mineralölvertriebs tätig sind. Total, ein mittelbares Tochterunternehmen der Total S. A., Frankreich, betreibt neben einem bundesweiten Tankstellennetz auch - allein oder mit anderen Unternehmen - verschiedene Raffinerien und Tanklager. Der konsolidierte Umsatz der Total-Gruppe betrug im Jahr 2007 weltweit 158,8 Mrd. € und deutschlandweit 16,6 Mrd. € (9,9 Mrd. € ohne Energiesteuer). OMV, ein Tochterunternehmen der OMV AG, Österreich, ist in Deutschland insbesondere in Süd- und Ostdeutschland tätig und betreibt neben einem Tankstellennetz auch eine Raffinerie in Bayern.

3

Das Bundeskartellamt hat den Zusammenschluss durch Verfügung vom 29. April 2009 mit der Begründung untersagt, Total bilde mit den Mineralölgesellschaften Shell, Aral/BP, ConocoPhillips/Jet und ExxonMobil/Esso auf den relevanten Märkten für den Vertrieb von Otto- und Dieselkraftstoffen ein marktbeherrschendes Oligopol im Sinne des § 19 Abs. 2 Satz 2 GWB, das durch den beabsichtigten Erwerb von 59 Tankstellen verstärkt würde. In sachlicher Hinsicht seien gesonderte Märkte für den Vertrieb von Ottokraftstoff einerseits und Dieselkraftstoff andererseits zu unterscheiden. Räumlich sei der Markt danach abzugrenzen, welche Tankstellen für die Nachfrager mit verhältnismäßigem Aufwand erreichbar seien und somit für sie als Bezugsalternative in Betracht kämen. Dies führe hier zur Unterscheidung der Regionalmärkte Chemnitz, Dresden, Erfurt und Leipzig. Auf den so abgegrenzten Märkten überträfen die genannten Mineralölgesellschaften überwiegend die gesetzliche Vermutung des § 19 Abs. 3 Satz 2 Nr. 2 GWB deutlich und bildeten auch im Übrigen ein marktbeherrschendes Oligopol. Bei dem Erwerb weiterer 59 Tankstellen von OMV sei mit einer weiteren Verstärkung der marktbeherrschenden Stellung dieses Oligopols zu rechnen.

4

Das Beschwerdegericht hat die Untersagungsverfügung aufgehoben (OLG Düsseldorf, Beschluss vom 4. August 2010, WuW/E DE-R 3000). Dagegen wendet sich das Bundeskartellamt mit seiner vom Beschwerdegericht zugelassenen Rechtsbeschwerde.

5

Im Laufe des Rechtsbeschwerdeverfahrens hat OMV 56 der 59 Tankstellenbetriebe an die Orlen Deutschland AG verkauft und die übrigen geschlossen. OMV hat daraufhin - anders als Total - ihre Beschwerde gegen die Untersagungsverfügung für erledigt erklärt. Das Bundeskartellamt hat sich dieser Erledigungserklärung angeschlossen.

6

Im Verhältnis zu Total beantragt das Amt,

den Beschluss des Beschwerdegerichts aufzuheben und die Beschwerde zu verwerfen, hilfsweise die Sache zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an das Beschwerdegericht zurückzuverweisen.

7

Total ist der Ansicht, die Rechtsbeschwerde des Amtes sei durch die Aufgabe des Zusammenschlussvorhabens unzulässig geworden, und beantragt,

die Rechtsbeschwerde des Bundeskartellamts zu verwerfen;

hilfsweise

die Rechtsbeschwerde zurückzuweisen;

äußerst hilfsweise,

die Rechtsbeschwerde mit der Maßgabe zurückzuweisen, dass die angefochtene Untersagungsverfügung nicht aufgehoben, sondern deren Rechtswidrigkeit festgestellt wird.

8

B.

Die Rechtsbeschwerde des Bundeskartellamts ist trotz Aufgabe des Zusammenschlussvorhabens und anderweitigen Verkaufs der Tankstellen weiterhin zulässig.

9

I.

Die in der Aufhebung der Untersagungsverfügung liegende Beschwer des Amtes (vgl. zum Erfordernis der Beschwer BGH, Beschluss vom 10. April 1984 - KVR 8/83, WuW/E BGH 2077, 2078 f. - Coop/Supermagazin) ist nicht dadurch entfallen, dass sich die Hauptsache wegen des anderweitigen Verkaufs der Tankstellen erledigt hat. Damit kommt zwar eine Vollstreckung der Untersagungsverfügung nicht mehr in Betracht, da es nicht mehr zu dem untersagten Erwerb durch Total kommen kann. Das Interesse des Amtes, die Entscheidung des Beschwerdegerichts nicht rechtskräftig werden zu lassen, ergibt sich aber aus ihrer sonst bestehenden Bindungswirkung für einen Amtshaftungsprozess. Denn aus der materiellen Rechtskraft des Urteils, das einen Verwaltungsakt aufhebt, folgt mit Bindungswirkung für einen nachfolgenden Amtshaftungsprozess, dass der Verwaltungsakt rechtswidrig war (BGH, Urteil vom 17. März 1994 - III ZR 15/93, NJW 1994, 1950 f.; Urteil vom 9. Juli 1998 - III ZR 87/97, BGHZ 139, 200, 202; MünchKomm.BGB/Papier, 5. Aufl., § 839 BGB Rn. 383; Palandt/Sprau, 70. Aufl., § 839 BGB Rn. 87).

10

Ob es für eine fortbestehende Beschwer des Amtes ausreicht, dass ein abstraktes Amtshaftungsrisiko besteht, oder ob darüber hinaus Schadensersatzansprüche gegen das Amt konkret drohen müssen, ob also etwa eine Amtshaftungsklage schon anhängig oder ihre alsbaldige Erhebung mit hinreichender Sicherheit zu erwarten sein muss (so für das Fortsetzungsfeststellungsinteresse des Klägers BVerwGE 9, 196, [BVerwG 09.10.1959 - BVerwG VC 166.57] 197 ff.; Gerhardt in Schoch/ Schmidt-Aßmann/Pietzner, VwGO, Stand 2011, § 113 Rn. 95), bedarf hier keiner Entscheidung. Denn das Bundeskartellamt muss konkret mit Schadensersatzforderungen von Total rechnen, wenn die Beschwerdeentscheidung rechtskräftig wird. Total hat ihren hilfsweise gestellten Fortsetzungsfeststellungsantrag mit der Möglichkeit von Schadensersatzansprüchen wegen rechtswidriger Untersagung des Zusammenschlusses begründet. Auch in einem Schreiben an das Bundeskartellamt vom 15. Dezember 2010 hat Total geltend gemacht, ihr sei vom Amt Schaden zugefügt worden.

11

II.

Das Amt kann die mit der Beschwerdeentscheidung verbundene Beschwer nicht dadurch beseitigen, dass es die Rechtsbeschwerde für erledigt erklärt. Die Rechtsbeschwerde hat sich nicht erledigt. Die Aufgabe des Zusammenschlussvorhabens führt zur Erledigung der Hauptsache, nicht des Rechtsmittels (vgl. BGH, Beschluss vom 29. Oktober 1985 - KVR 1/84, WuW/E 2211, 2213 - Morris/Rothmans; Beschluss vom 25. September 2007 - KVR 30/06, BGHZ 174, 179 = WuW/E DE-R 2221 Rn. 8 - Springer/ProSieben I).

12

Das Amt kann auch nicht die Beschwerde in der Hauptsache für erledigt erklären, um der Beschwerdeentscheidung die Wirksamkeit zu entziehen. Diese Befugnis steht unabhängig von den Parteirollen in der Rechtsmittelinstanz nur dem Beschwerdeführer zu. Nachdem die Beschwerdeführerin Total durch ihre Weigerung, das Verfahren in der Hauptsache für erledigt zu erklären, ihr fortdauerndes Interesse an einer Sachentscheidung zu erkennen gegeben hat, muss auch das Amt die Möglichkeit haben, das Verfahren in der Rechtsbeschwerdeinstanz fortzusetzen (vgl. VGH Mannheim, NVwZ-RR 2002, 75 [VGH Baden-Württemberg 19.07.2001 - NC 9 S 2/01]).

13

C.

Auf die Rechtsbeschwerde des Bundeskartellamts ist die Entscheidung des Beschwerdegerichts aufzuheben. Die Beschwerde von Total ist zu verwerfen, soweit sie darauf gerichtet ist, den Beschluss des Bundeskartellamts vom 29. April 2008 aufzuheben. Diesem Antrag fehlt infolge zwischenzeitlicher Erledigung der Hauptsache nunmehr das Rechtsschutzbedürfnis, so dass er unzulässig geworden ist. Soweit Total das Beschwerdebegehren hilfsweise mit einem Fortsetzungsfeststellungsantrag weiterverfolgt, ist die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung an das Beschwerdegericht zurückzuverweisen.

14

I.

Die Beschwerde von Total ist als Fortsetzungsfeststellungsbeschwerde weiterhin zulässig.

15

1.

Im Verfahren der Zusammenschlusskontrolle kann sich das Fortsetzungsfeststellungsinteresse unter dem Gesichtspunkt der Wiederholungsgefahr auch aus der Präjudizierung eines entsprechenden, wenn auch derzeit noch nicht absehbaren Zusammenschlussvorhabens ergeben (BGHZ 174, 179 Rn. 16 ff. - Springer/ProSieben I; BGH, WuW/E DE-R 2905 Rn. 16 - Phonak/GN Store). Das ist der Fall, wenn ein gleichartiges Zusammenschlussvorhaben wie das untersagte möglich erscheint, was regelmäßig erfordert, dass das Zielunternehmen des Zusammenschlussvorhabens bei im Wesentlichen unveränderten Marktverhältnissen noch am Markt ist und erneut als Beteiligter eines Zusammenschlussvorhabens in Betracht kommt (BGH, Beschluss vom 5. Oktober 2010 KVR 33/09, WuW/E DE-R 3097 Rn. 23 - Edeka/Plus). Demgegenüber fehlt es an der erforderlichen Präjudizwirkung, wenn sich die aus der rechtlichen Sicht der Kartellbehörde für die Untersagung maßgeblichen Gesamtumstände, insbesondere die Marktverhältnisse, so wesentlich geändert haben, dass die frühere Beurteilung keine prägende Bedeutung für die spätere Prüfung eines erneuten Zusammenschlussvorhabens haben kann (BGH, WuW/E DE-R 2905 Rn. 16 - Phonak/GN Store).

16

2.

Nach diesen Maßstäben ist hier eine das Fortsetzungsfeststellungsinteresse begründende präjudizielle Wirkung der angefochtenen Verfügung zu bejahen.

17

Mit Ausnahme der drei geschlossenen Standorte werden die OMV-Tankstellen, die Gegenstand des Zusammenschlussvorhabens waren, von Orlen weiterbetrieben. Sie kommen daher grundsätzlich erneut für ein Zusammenschlussvorhaben mit Total in Betracht. Dass durch den Tankstellenverkauf an Orlen - einen nicht als Mitglied des möglicherweise wettbewerbslosen Oligopols angesehenen Außenseiter - eine relevante Veränderung der Marktstruktur und der Wettbewerbsverhältnisse eingetreten sein könnte, ist nicht ersichtlich und wird vom Amt auch nicht geltend gemacht. Tankstellen eines kleineren Marktteilnehmers sind von einem anderen kleinen Marktteilnehmer übernommen worden, wodurch keine Veränderung der Marktstruktur bewirkt worden ist. Zudem hat das Amt angekündigt, künftige Tankstellenakquisitionen durch Mitglieder des Oligopols zu untersagen oder nur unter Auflagen freizugeben.

18

Da Total somit bei künftigen Akquisitionsvorhaben damit rechnen muss, dass der Zusammenschluss aus den Gründen der angefochtenen Verfügung untersagt wird, kann das erforderliche Fortsetzungsfeststellungsinteresse nicht verneint werden.

19

II.

Das Beschwerdegericht hat zu Recht angenommen, dass das Zusammenschlussvorhaben der deutschen Fusionskontrolle unterliegt. Insbesondere ist der zweite Inlandsumsatzschwellenwert von 5 Mio. € (§ 35 Abs. 1 Nr. 2 GWB) erreicht. Der Erwerb der 59 Tankstellen ist entgegen der Ansicht von Total als einheitliches Zusammenschlussvorhaben anzusehen, so dass auf ihren Gesamtumsatz abzustellen ist. Dieser Beurteilung steht nicht entgegen, dass es sich bei den Tankstellen um selbständige Betriebe mit eigener Rechtspersönlichkeit handelt.

20

1.

Für die Frage, ob der Erwerb mehrerer Vermögensgegenstände eines Unternehmens einen einheitlichen Zusammenschluss im Sinne von § 37 Abs. 1 Nr. 1 GWB darstellt, ist nach dem Gesetzeszweck der Fusionskontrolle maßgeblich, ob der Vermögenserwerb bei wirtschaftlicher Betrachtung ein einheitlicher Vorgang ist, der geeignet ist, die Marktstruktur zu beeinflussen. Diese Sichtweise stimmt mit dem europäischen Fusionskontrollrecht überein (vgl. EuG, Urteil vom 23. Februar 2006, T-282/02, WuW/E EU-R 1005 Rn. 102 ff. - Cementbouw/Kommission).

21

Soweit Total in diesem Zusammenhang auf die von ihr als Anlage 2 vorgelegten Eckpunkte einer 8. GWB-Novelle des Bundesministeriums für Wirtschaft, Seite 4, verweist, wonach die zweite Inlandsumsatzschwelle durch Aufspaltung größerer Transaktionen in mehrere kleinere umgangen werden könne, kann dahinstehen, ob diese Aussage zutrifft. Jedenfalls bezieht sie sich - wie aus der Anregung zur Aufnahme einer Art. 5 Abs. 2 Satz 2 FKVO entsprechenden Zusammenrechnungsklausel ersichtlich - auf zeitlich bis zu zwei Jahre gestreckte Erwerbsvorgänge. Demgegenüber stellt der gleichzeitige Erwerb mehrerer Vermögensteile von einem einzelnen Veräußerer auch dann, wenn es sich dabei um selbständige Betriebe handelt, fusionsrechtlich einen einheitlichen Erwerbsvorgang dar.

22

2.

Danach ist hier von einem einheitlichen Zusammenschlusstatbestand auszugehen. Total hatte sich mit OMV als alleinigem Veräußerer darauf geeinigt, dass 59 Tankstellenbetriebe, die bislang Kraftstoffe von OMV absetzten, künftig als Teil des Vertriebsnetzes von Total Kraftstoffe verkaufen sollten. Wie sich aus der angefochtenen Verfügung ergibt, hätte sich OMV durch den Verkauf des Pakets vollständig aus den Bundesländern Sachsen und Thüringen zurückgezogen. Dem Verkauf lag damit eine einheitliche unternehmerische Entscheidung über das gesamte Tankstellenpaket zugrunde. Das Zusammenschlussvorhaben wurde von Total daher auch einheitlich angemeldet.

23

Darauf, wie sich die Übernahme der an selbständige Handelsvertreter verpachteten Tankstellen durch Total im Einzelnen rechtlich vollzogen hätte, kommt es nicht an. Wie das Beschwerdegericht zutreffend angenommen hat, erfüllt der beabsichtigte Erwerb eines Bündels von Vermögensgegenständen - wie Belieferungs-, Nutzungs- und Eigentumsrechten -, der sich als vollständige Übernahme des Vertriebsnetzes des Wettbewerbers OMV in zwei Bundesländern darstellt, jedenfalls den Zusammenschlusstatbestand des § 37 Abs. 1 Nr. 1 GWB.

24

III.

Mit Erfolg wendet sich die Rechtsbeschwerde gegen die Beurteilung des Beschwerdegerichts, der beabsichtigte Zusammenschluss hätte weder zur Verstärkung noch zur Begründung einer marktbeherrschenden Stellung der Unternehmen Aral, Jet, Esso, Shell und Total auf den Tankstellenmärkten Chemnitz, Dresden, Erfurt und Leipzig geführt. Das Beschwerdegericht hat den sachlich und räumlich relevanten Markt sowie die Marktanteile der Anbieter zwar rechtsfehlerfrei bestimmt (nachfolgend 1. und 2.). Seine Annahme, die fünf großen Mineralölgesellschaften bildeten kein marktbeherrschendes Oligopol, wird aber von seinen Feststellungen nicht getragen und hält der Nachprüfung im Rechtsbeschwerdeverfahren nicht stand (nachfolgend 3.).

25

1.

Die Abgrenzung des maßgeblichen Markts ist grundsätzlich Sache des Tatrichters, da sie wesentlich von den - tatrichterlich festzustellenden - tatsächlichen Gegebenheiten des Markts abhängt. Sie kann vom Rechtsbeschwerdegericht nur begrenzt überprüft werden (vgl. BGH, WuW/E DE-R 2905 Rn. 37 - Phonak/GN Store). Diese Überprüfung lässt keinen Rechtsfehler erkennen.

26

a)

Wie das Bundeskartellamt hat das Beschwerdegericht gesonderte sachlich relevante Märkte für Otto- und Dieselkraftstoff angenommen. Diese Kraftstoffe seien aus der nach dem Bedarfsmarktkonzept maßgeblichen Sicht der Nachfrager nicht austauschbar. Nach der Systementscheidung für eine bestimmte Motorart sei ein Wechsel nur durch den Kauf eines anderen Kraftfahrzeuges und damit nur mit unverhältnismäßigem Aufwand möglich. Der Gesichtspunkt der Angebotsumstellungsflexibilität rechtfertige keine abweichende Beurteilung. Das hält rechtlicher Nachprüfung stand.

27

aa)

Ausgangspunkt der Marktabgrenzung ist nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs das Bedarfsmarktkonzept. Danach sind dem relevanten Angebotsmarkt alle Produkte und Dienstleistungen zuzurechnen, die aus der Sicht der Nachfrager nach Eigenschaft, Verwendungszweck und Preislage zur Deckung eines bestimmten Bedarfs austauschbar sind (vgl. nur BGH, Urteil vom 30. März 2011 - KZR 6/09, WuW/E DE-R 3303 Rn. 12 - MAN-Vertragswerkstatt, mwN). Wird durch die Wahl eines auf eine längerfristige Benutzung angelegten Systems ein davon abgeleiteter spezifischer Bedarf nach einem Betriebsmittel geweckt, kommt es entscheidend darauf an, welche Alternativen sich für den Nachfrager, der sich bereits für ein System entschieden hat, bei der Wahl des Betriebsmittels stellen (BGH, Beschluss vom 10. Dezember 2008 KVR 2/08, WuW/DE-R 2538 Rn. 14 - Stadtwerke Uelzen).

28

bb)

In Anwendung dieser Grundsätze hat das Beschwerdegericht eine Austauschbarkeit von Otto- und Dieselkraftstoff für die an Tankstellen Kraftstoffe nachfragenden Kraftfahrer ohne Rechtsfehler verneint. Die Kraftfahrer fragen, je nach dem, für welches Motorsystem sie sich entschieden haben, entweder nur Otto- oder nur Dieselkraftstoff nach. Ihre Systementscheidung treffen sie zwar jeweils neu, wenn sie ein anderes Kraftfahrzeug erwerben. Das geschieht üblicherweise aber nur in längeren, mehrjährigen Abständen. Soweit, wie Total vorträgt, stets ein gewisser Teil der Verbraucher auf der Suche nach einem neuen Kraftfahrzeug ist und die Kraftstoffanbieter dies bei der Preisfestsetzung berücksichtigen mögen, handelt es sich nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs um einen Wettbewerbsfaktor, der nicht bei der Bestimmung des relevanten Marktes, sondern erst bei der Frage der Marktbeherrschung zu berücksichtigen ist (vgl. BGH, WuW/DE-R 2538 Rn. 14 - Stadtwerke Uelzen).

29

Die Annahme separater Märkte wird auch dadurch bestätigt, dass das Beschwerdegericht für das vom Bundeskartellamt angenommene Oligopol in den betrachteten Regionalmärkten unterschiedliche Marktanteile bei Dieselund Ottokraftstoff festgestellt hat.

30

cc)

Das Bedarfsmarktkonzept ist im Streitfall nicht unter dem Gesichtspunkt der Angebotsumstellungsflexibilität zu korrigieren (vgl. BGH, Beschluss vom 16. Januar 2007 KVR 12/06, BGHZ 170, 299 Rn. 19 f. - National Geographic II). Das Beschwerdegericht hat keine Feststellungen dazu getroffen, ob sich bei der Rohölverarbeitung entgegen Rn. 20 der angefochtenen Verfügung die Produktionsanteile von Otto- und Dieselkraftstoff kurzfristig und ohne spürbare Zusatzkosten erheblich verändern lassen. Die Betroffenen haben dazu im Rechtsbeschwerdeverfahren auch keine Gegenrügen erhoben. Sie machen lediglich geltend, dass dieselben Tankstellen Otto- und Dieselkraftstoff verkaufen und Tanksäulen für Ottokraftstoff ohne großen Aufwand auf die Abgabe von Diesel umgestellt werden können. Damit ist aber keine Erweiterung des für den Vertrieb in Tankstellen insgesamt verfügbaren Angebots etwa von Diesel verbunden. Das Beschwerdegericht konnte deshalb im Ergebnis zu Recht auch unter Berücksichtigung des Konzepts der Angebotsumstellungsflexibilität einen einheitlichen Markt für Otto- und Dieselkraftstoff verneinen.

31

dd)

Die Kommission hält zwar im Bereich der Fusionskontrolle in inzwischen ständiger Praxis eine Unterteilung in Otto- und Dieselkraftstoff auf dem Einzelhandelsmarkt nicht für erforderlich (vgl. Entscheidungen der Kommission vom 29. September 1999 - IV/M.1383 - Exxon/Mobil Rn. 436; vom 1. Dezember 2003 - COMP/M.3291 - Preem/Skandinaviska Raffinaderi Rn. 12; vom 13. September 2004 - COMP/M.3516 - Repsol YPF/Shell Portugal Rn. 8; vom 21. Oktober 2008 - COMP/M.4919 - Statoilhydro/ConocoPhillips Rn. 23; vom 31. Oktober 2008 - COMP/M.5005 - Galp Energia/ExxonMobil Iberia Rn. 12). Diese Praxis ist aber durch Zweckmäßigkeitserwägungen im konkreten Fall geleitet. Das Beschwerdegericht konnte ohne Rechtsfehler im vorliegenden Verfahren zu einer abweichenden tatrichterlichen Beurteilung gelangen.

32

Die sachliche Marktabgrenzung des Berufungsgerichts steht insbesondere mit den zur Auslegung des Unionsrechts ergangenen Bekanntmachungen und Mitteilungen der Kommission etwa der Bekanntmachung über die Definition des relevanten Marktes im Sinne des Wettbewerbsrechts der Gemeinschaft (ABl. 1997 Nr. C 372/5 Rn. 13 ff.) in Einklang, die nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs auch im Bereich der Fusionskontrolle bei der Auslegung des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen zu berücksichtigen sind (vgl. BGH, Beschluss vom 16. Januar 2008 - KVR 26/07, BGHZ 175, 333 Rn. 69 - Kreiskrankenhaus Bad Neustadt; BGH, WuW/E DE-R 2905 Rn. 43 - Phonak/GN Store).

33

b)

Das Beschwerdegericht hat die räumliche Abgrenzung der relevanten Märkte durch das Bundeskartellamt für zutreffend gehalten. Danach sind Regionalmärkte in Chemnitz, Dresden, Erfurt und Leipzig zu unterscheiden, die sämtliche innerhalb von 30 Fahrminuten vom jeweiligen geographischen Ortsmittelpunkt erreichbare Tankstellen umfassen. Eine Regionalisierung der Anbietermärkte sei so hat das Beschwerdegericht gemeint im Tankstellengeschäft sachgerecht, denn sie trage dem Umstand Rechnung, dass die Tankstellenkunden ihren Kraftstoffbedarf erfahrungsgemäß in der Nähe ihres Geschäftsoder Wohnsitzes deckten. Angesichts der geringen Preisunterschiede sei eine Fahrtzeit von mehr als 30 Minuten in städtischen bzw. 60 Minuten in ländlichen Räumen unwirtschaftlich. Dass das Amt im Hinblick auf die große Anzahl der zu erwerbenden Tankstellenbetriebe von der Abgrenzung gesonderter räumlicher Märkte um jede einzelne Tankstelle abgesehen und stattdessen für die betroffenen Regionen Chemnitz, Dresden, Erfurt und Leipzig jeweils nur einen gemeinsamen räumlichen Markt um den geographischen Ortsmittelpunkt angenommen habe, sei vertretbar. Auch das hält rechtlicher Nachprüfung stand.

34

aa)

Nach dem Bedarfsmarktkonzept ist für die Zusammenschlusskontrolle der Nachfragemarkt räumlich relevant, auf den sich das Zusammenschlussvorhaben auswirkt. Dieser Markt umfasst im Fall eines Zusammenschlusses durch Erwerb von Teilen eines Vertriebsnetzes alle Nachfrager, die nach den tatsächlichen Verhältnissen des konkreten Falles jeweils als Abnehmer für das Angebot dieser Vertriebsstellen in Betracht kommen und deren wettbewerbliche Handlungsmöglichkeiten durch den Zusammenschluss betroffen, insbesondere beschränkt werden können (vgl. BGHZ 175, 333 Rn. 69 - Kreiskrankenhaus Bad Neustadt).

35

Im - bei Kraftstoffen allein relevanten - stationären Handel wird der räumliche Markt durch die Ortsgebundenheit des Angebots und die Mobilität der Nachfrager bestimmt, wobei letztere bei höherwertigen Verbrauchsgütern größer als bei Gütern des täglichen Bedarfs ist. Es kommt auf die räumlichen Ausweichmöglichkeiten der Nachfrager an (vgl. BGH, Beschluss vom 19. Dezember 1995 - KVR 6/95, WuW/E BGH 3037, 3042 - Raiffeisen). Dafür sind die tatsächlichen Verbrauchergewohnheiten und die zurückzulegenden Entfernungen unter Berücksichtigung der Verkehrsverbindungen entscheidend (vgl. BGHZ 175, 333 Rn. 65 ff. - Kreiskrankenhaus Bad Neustadt; Ruppelt in Langen/Bunte, GWB, 11. Aufl., § 19 Rn. 39).

36

bb)

Der im vorliegenden Fall räumlich relevante Markt für den Absatz von Otto- und Dieselkraftstoff an Kraftfahrer ist danach nicht bundesweit abzugrenzen.

37

Die Tankstellen, die von Pächtern geführt werden, die den Kraftstoff als Handelsvertreter der Mineralölunternehmen vertreiben, sind als Absatzmittler auf der Stufe des Einzelhandels tätig. Für die Marktabgrenzung kommt es deshalb auf die Mobilität der Kraftfahrer bei der Wahl der Tankstelle an. Das Beschwerdegericht hat angenommen, Tankstellenkunden deckten ihren Kraftstoffbedarf erfahrungsgemäß in einem gewissen Umkreis um ihren Wohn- oder Arbeitsort. Das lässt keinen Rechtsfehler erkennen und wird von Total auch nicht angegriffen.

38

Die in der Rechtsbeschwerdeerwiderung von Total zitierte Kommissionsentscheidung geht zwar letztlich von einem nationalen Einzelhandelsmarkt für Kraftstoffe in Italien aus, nennt aber zugleich gewichtige Gründe für eine regionale Marktabgrenzung und hält es für erforderlich, den Wettbewerb auf lokaler Ebene in die Prüfung einzubeziehen (Entscheidung der Kommission vom 21. Mai 2010 - COMP/M.5781 - Total Holdings Europe SAS/ERG Spa/JV Rn. 31 ff.). Ein Rechtsfehler des Beschwerdegerichts kann mit dem Hinweis auf diese Kommissionsentscheidung nicht begründet werden (s. auch o. Rn. 31).

39

Nicht zu beanstanden ist, dass das Beschwerdegericht eine bundesweite Marktabgrenzung auch nicht wegen der sog. Kettensubstitutionseffekte für geboten erachtet hat, wonach sich Preisänderungen von einer Tankstelle aus fortpflanzen können. Dieser Effekt schwächt sich mit zunehmender räumlicher Entfernung ab. Das Beschwerdegericht hat in diesem Zusammenhang rechtsfehlerfrei auch auf die allgemeine Lebenserfahrung verwiesen, wonach es erhebliche regionale Preisunterschiede bei Otto- und Dieselkraftstoff geben könne.

40

cc)

Auch die konkrete räumliche Marktabgrenzung durch die vom Bundeskartellamt für Chemnitz, Dresden, Erfurt und Leipzig gebildeten Regionalmärkte, die alle innerhalb von 30 Fahrminuten um den jeweiligen geographischen Ortsmittelpunkt erreichbare Tankstellen umfassen, lässt keinen Rechtsfehler erkennen.

41

Es entspricht der Lebenserfahrung, dass die Bevölkerung, die in Großstädten und ihrem Umland wohnt, typischerweise auch dort ihren Arbeitsort hat. Die Fahrten zwischen Wohn- und Arbeitsort, auf denen vielfach getankt wird, erfolgen dann ebenfalls innerhalb dieses Gebiets. Ähnliches gilt für Einkaufsfahrten. Der für diese Bevölkerung maßgebliche räumliche Tankstellenmarkt beschränkt sich infolgedessen ebenfalls grundsätzlich auf die Großstadt und ihr Umland. Dass dies in Chemnitz, Dresden, Erfurt oder Leipzig anders wäre, hat Total nicht vorgetragen und ist auch sonst nicht ersichtlich.

42

Keinen Bedenken begegnet auch, die Grenzen des räumlichen Marktes nach Fahrminuten vom Mittelpunkt und nicht nach Entfernung zu ermitteln. Denn dadurch werden die gerade für den Tankstellenmarkt wichtigen Besonderheiten der Verkehrsinfrastruktur berücksichtigt.

43

Das Beschwerdegericht und das Bundeskartellamt haben zwar nicht näher begründet, warum gerade 30 Minuten Fahrzeit die Grenzen der relevanten Regionalmärkte bestimmen sollen. Einen eindeutigen Grenzwert gibt es aber auch nicht. Weil nicht fern liegt, dass Kraftfahrer für Besorgungen des täglichen Lebens und für die Fahrt zur Arbeit möglichst nicht länger als 30 Minuten unterwegs sein wollen, ist die Anwendung dieser Grenze nicht willkürlich. Total hat nicht aufgezeigt, aus welchen Gründen welche andere Grenzziehung hätte verwendet werden sollen.

44

2.

Das Bundeskartellamt hat die Marktanteile der Anbieter auf den relevanten Regionalmärkten anhand der Absatzdaten der Tankstellen auf zwei unterschiedliche Weisen ermittelt, nämlich sowohl gewichtet auf der Basis ihrer Entfernung zum Mittelpunkt des jeweiligen räumlichen Marktes als auch ungewichtet. Das Beschwerdegericht macht nicht deutlich, welche Berechnungsweise es seiner Prüfung zugrunde gelegt hat. Im Ergebnis haben sich aber keine größeren Unterschiede zwischen den beiden Berechnungsmethoden ergeben. Auf die durchaus erwägenswerten Bedenken Totals gegen die Gewichtung der einzelnen Tankstellen kommt es daher nicht an. Das Beschwerdegericht konnte seine Entscheidung allein auf die vom Bundeskartellamt ohne Gewichtung ermittelten Marktanteile stützen.

45

3.

Das Beschwerdegericht hat auf den relevanten Regionalmärkten für Otto- und Dieselkraftstoffe ein marktbeherrschendes Oligopol aus den Mineralölgesellschaften Shell, Aral/BP, ConocoPhillips/Jet, Total und ExxonMobil/Esso verneint. Das angemeldete Zusammenschlussvorhaben führe deshalb nicht zur Verstärkung einer marktbeherrschenden Stellung; auch sei nicht zu erwarten, dass eine solche entstehen werde. Außer auf den regionalen Absatzmärkten für Ottokraftstoffe in Erfurt und Chemnitz seien die Voraussetzungen der Oligopolvermutung zwar erfüllt. Total und OMV hätten die Vermutung aber widerlegt und nachgewiesen, dass die Wettbewerbsbedingungen zwischen den möglichen Oligopolmitgliedern wesentlichen Wettbewerb erwarten ließen und dass diese im Verhältnis zu den übrigen Wettbewerbern keine überragende Marktstellung hätten. Für die Annahme einer engen Reaktionsverbundenheit, die ein dauerhaft einheitliches, gleichförmiges Verhalten der Mitglieder des Oligopols erwarten lasse, fehle es trotz ungünstiger Strukturmerkmale des Tankstellenmarktes jedenfalls an wirksamen Abschreckungsmitteln, die Wettbewerbsvorstöße eines von ihnen entwerteten. Zudem ergebe die Analyse des tatsächlichen Wettbewerbsgeschehens, dass sowohl zwischen den Mitgliedern des Oligopols als auch im Verhältnis zu den Außenseitern wesentlicher Preis- und sonstiger Wettbewerb bestehe, so dass es zu nicht unerheblichen Marktanteilsverschiebungen komme.

46

Das hält der Nachprüfung nicht stand.

47

a)

Zwei oder mehr Unternehmen sind nach § 19 Abs. 2 GWB marktbeherrschend, soweit zwischen ihnen kein wesentlicher (Binnen-)Wettbewerb stattfindet und sie als Gesamtheit im Außenverhältnis keinem wesentlichen Wettbewerb ausgesetzt sind oder jedenfalls eine im Verhältnis zu ihren Wettbewerbern überragende Marktstellung haben (BGH, Beschluss vom 11. November 2008 - KVR 60/07, BGHZ 178, 285 Rn. 26 - E.ON/Stadtwerke Eschwege).

48

Maßgebend für die Prognose, ob die Wettbewerbsbedingungen keinen wesentlichen Binnenwettbewerb zwischen den Oligopolmitgliedern erwarten lassen, ist eine Gesamtbetrachtung aller relevanten Umstände. Dabei kommt im Rahmen der Zusammenschlusskontrolle den Marktstrukturmerkmalen besonderes Gewicht zu. Insbesondere ist von Bedeutung, ob aufgrund der Marktstruktur mit einem dauerhaft einheitlichen Verhalten der Mitglieder des Oligopols zu rechnen ist, weil ein solches Verhalten aufgrund der Merkmale des relevanten Marktes und deren Änderung durch den Zusammenschluss wirtschaftlich vernünftig ist, um den gemeinsamen Gewinn durch Beeinflussung von Wettbewerbsfaktoren zu maximieren (vgl. EuGH, Urteil vom 10. Juli 2008 - C-413/06, Slg. 2008, I-4951 = WuW/E EU-R 1498 Rn. 121 f. - Bertelsmann/Impala; BGHZ 178, 285 Rn. 39 - E.ON/Stadtwerke Eschwege; BGH, Beschluss vom 20. April 2010 - KVR 1/09, WuW/E DE-R 2905 Rn. 55 - Phonak/GN Store; Beschluss vom 8. Juni 2010 - KVR 4/09, WuW/E DE-R 3067 Rn. 20 - Springer/ ProSieben II).

49

Ein einheitliches Verhalten ist zu erwarten, wenn zwischen den beteiligten Unternehmen eine enge Reaktionsverbundenheit ("implizite Kollusion") besteht. Entscheidende Indizien dafür sind Markttransparenz und wirksame Abschreckungs- und Sanktionsmittel der Unternehmen gegen Wettbewerbsvorstöße eines von ihnen. Es besteht kein Anreiz, von einem einheitlichen Verhalten abzuweichen, wenn ein auf Vergrößerung des eigenen Marktanteils gerichteter Wettbewerbsvorstoß erfolglos bliebe, weil er gleiche Maßnahmen der anderen Unternehmen auslösen würde. In diesem Zusammenhang sind die Symmetrie der beteiligten Unternehmen hinsichtlich Produktpalette, verwendeter Technologie und Kostenstruktur, etwaige Marktzutrittsschranken, die Nachfragemacht der Marktgegenseite und die Preiselastizität der Nachfrage zu berücksichtigen. Von Bedeutung kann auch sein, ob aufgrund der Homogenität des vertriebenen Produkts ein Produkt- und Qualitätswettbewerb nur eingeschränkt oder gar nicht in Betracht kommt und ob die Mitglieder des Oligopols gesellschaftsrechtlich miteinander verflochten sind (BGHZ 178, 285 Rn. 39 - E.ON/ Stadtwerke Eschwege; BGH WuW/E DE-R 2905 Rn. 55 - Phonak/GN Store; WuW/E DE-R 3067 Rn. 21 - Springer/ProSieben II).

50

Liegen danach Strukturmerkmale vor, die eine enge Reaktionsverbundenheit der Unternehmen erwarten lassen, ist weiter zu prüfen, ob deren indizielle Bedeutung dadurch entkräftet wird, dass tatsächlich wesentlicher Wettbewerb zwischen ihnen stattfindet (BGHZ 178, 285 Rn. 39, 41, 44 - E.ON/Stadtwerke Eschwege; BGH WuW/E DE-R 2905 Rn. 72 - Phonak/GN Store; WuW/E DE-R 3067 Rn. 22 - Springer/ProSieben II). Die Bewertung des tatsächlichen Marktgeschehens muss dabei die strukturellen Bedingungen beachten, unter denen es sich vollzieht und die seine ökonomische Beurteilung beeinflussen können.

51

Die hiernach maßgebliche wertende Gesamtbetrachtung, bei der die einzelnen Strukturelemente im Hinblick auf ihre Bedeutung für den konkreten Markt zu gewichten und darauf zu untersuchen sind, ob und in welchem Umfang sie tatsächlich geeignet sind, ein einheitliches Vorgehen der beteiligten Unternehmen zu erleichtern (BGH WuW/E DE-R 3067 Rn. 21 - Springer/ ProSieben II), hat grundsätzlich der Tatrichter vorzunehmen. Das Rechtsbeschwerdegericht kann nur überprüfen, ob Verfahrensregeln verletzt worden sind und ob das Beschwerdegericht unzutreffende rechtliche Erwägungen angestellt, insbesondere gegen Denkgesetze oder allgemeine Erfahrungssätze - einschließlich anerkannter Gesetzmäßigkeiten der Ökonomie - verstoßen hat (BGHZ 178, 285 Rn. 26 - E.ON/Stadtwerke Eschwege; BGH WuW/E DE-R 2905 Rn. 56 - Phonak/GN Store; WuW/E DE-R 3067 Rn. 23 - Springer/ ProSieben II; Bornkamm, ZWeR 2010, 34, 40).

52

b)

Nach diesen Maßstäben hält der angefochtene Beschluss der Nachprüfung nicht stand. Schon unter Berücksichtigung der festgestellten ungünstigen Marktstrukturmerkmale lassen die Ausführungen des Beschwerdegerichts zum tatsächlichen Marktgeschehen nicht den Schluss zu, es fehle an einem wirksamen Abschreckungs- und Sanktionsmechanismus gegen Wettbewerbsvorstöße. Auch die weiteren Erwägungen zum Bestehen wesentlichen Binnenund Außenwettbewerbs sind nicht frei von Rechtsfehlern. Damit erweist sich die wertende Gesamtbeurteilung des Beschwerdegerichts als rechtsfehlerhaft, so dass auf ihrer Grundlage ein marktbeherrschendes Oligopol nicht verneint werden kann.

53

aa)

Das Beschwerdegericht hat zutreffend zahlreiche Strukturmerkmale festgestellt, die für eine enge Reaktionsverbundenheit der Oligopolmitglieder sprechen.

54

Mit Ausnahme der Regionalmärkte für Ottokraftstoff in Erfurt und Chemnitz hat das Beschwerdegericht für alle relevanten Märkte sehr hohe Konzentrationsgrade festgestellt. Die zwei oder drei marktstärksten Anbieter, zu denen jeweils auch Total zählt, erreichen zusammen bereits einen Marktanteil von mindestens 50%, so dass die enge Oligopolvermutung des § 19 Abs. 3 Satz 2 Nr. 1 GWB erfüllt ist. Hinzu kommt insbesondere die Homogenität der Produkte Otto- bzw. Dieselkraftstoff und die untergeordnete Bedeutung technischer Innovationen, die produktbezogenen Qualitätswettbewerb praktisch bedeutungslos machen. Dadurch verbleibt als einziger wesentlicher Wettbewerbsparameter der Preis, über den indes nahezu vollkommene Transparenz besteht. Wie das Beschwerdegericht festgestellt hat, verschaffen sich insbesondere die großen Mineralölunternehmen anhand der Preisauszeichnungen anderer Tankstellen ständig einen Überblick über die aktuellen Preise der Wettbewerber, indem sie die Tankstellenpächter regelmäßig vertraglich verpflichten, die Tankstellenpreise der näheren Umgebung zu melden. Dadurch können die Mineralölunternehmen innerhalb kürzester Zeit auf Preisbewegungen reagieren.

55

Zudem sind die Oligopolmitglieder durch zahlreiche strukturelle Gemeinsamkeiten verbunden, die wettbewerbsbeschränkendes Parallelverhalten begünstigen. Es handelt sich um vertikal integrierte Unternehmen, die über eigene Raffineriekapazitäten im Inland und ein bundesweites Tankstellennetz verfügen. Daraus ergeben sich zahlreiche Vorteile gegenüber anderen Marktteilnehmern, wie etwa abgesicherte Lieferwege, Gewinnerzielungsmöglichkeiten auf allen Stufen der Mineralölwirtschaft und die Möglichkeit eines bundesweiten Einsatzes von Flottenkarten und Kundenbindungsprogrammen. Ferner sind die Mitglieder des möglicherweise marktbeherrschenden Oligopols nach den Feststellungen in vielfältiger Weise über Gemeinschaftsraffinerien und Gemeinschaftstanklager miteinander verbunden. Sie praktizieren auch seit langem ein System des Kraftstofftausches um den Kraftstofftransport über längere Strecken zu minimieren. Damit besteht eine weitgehende Symmetrie der vertikal integrierten Mineralölunternehmen hinsichtlich Produktpalette, verwendeter Technologie und - zumindest in Bezug auf die Beschaffung der Raffinerieerzeugnisse - auch Kostenstruktur. Aus diesen strukturellen Merkmalen ergeben sich erhebliche Anreize für ein einheitliches Preissetzungsverhalten.

56

bb)

Schon bei der gebotenen angemessenen Berücksichtigung dieser strukturellen Gegebenheiten erweist sich der allein auf das tatsächliche Marktgeschehen gestützte Schluss des Beschwerdegerichts als rechtsfehlerhaft, es fehle an einem wirksamen Abschreckungs- und Sanktionsmechanismus bei abweichendem Verhalten und damit an einem entscheidenden Indiz für ein marktbeherrschendes Oligopol.

57

(1)

Auch die Frage, ob ein wirksamer Abschreckungs- und Sanktionsmechanismus besteht, beurteilt sich zunächst aufgrund einer umfassenden Analyse der Marktstruktur (vgl. BGHZ 178, 285 Rn. 42 - E.ON/Stadtwerke Eschwege). Dabei sind die Strukturmerkmale unter Beachtung des wirtschaftlichen Gesamtzusammenhangs einer unterstellten stillschweigenden Koordinierung zu würdigen (vgl. EuGH, WuW/E EU-R 1498 Rn. 125 f. - Bertelsmann/ Impala). Bei einer ansonsten für eine enge Reaktionsverbundenheit sprechenden Marktstruktur ist ein wirksamer Abschreckungs- und Sanktionsmechanismus grundsätzlich bereits dadurch hinreichend belegt, dass ein Preisvorstoß durch ein Unternehmen von den anderen sofort erkannt und mit einer entsprechenden Preissenkung beantwortet werden kann, so dass das vorstoßende Unternehmen durch die Preissenkung weder einen Marktanteilszuwachs noch sonstige Vorteile erzielte (vgl. BGHZ 178, 285 Rn. 39, 42 - E.ON/Stadtwerke Eschwege; BGH, WuW/E DE-R 2905 Rn. 55 - Phonak/GN Store). Diese Voraussetzungen liegen hier vor.

58

In einem zweiten Schritt ist sodann zu prüfen, ob die aufgrund der Marktstruktur bestehende Erwartung eines wirksamen Abschreckungs- und Sanktionsmechanismus durch das tatsächliche Wettbewerbsgeschehen entkräftet wird. Dazu ist es erforderlich, dass Wettbewerbsvorstöße möglicher Oligopolmitglieder festgestellt werden, die - insbesondere in Form erheblicher Veränderungen der Marktanteile - wesentlichen Binnenwettbewerb eindeutig belegen (vgl. BGH, WuW/E DE-R 2905 Rn. 84 - Phonak/GN Store). Nur dann kann angenommen werden, dass ungeachtet ungünstiger Marktstrukturen gleichwohl wesentlicher Wettbewerb stattfindet. Ist das beobachtete Verhalten hingegen mehrdeutig, vermag dies die aufgrund der Strukturanalyse begründete Annahme eines einheitlichen Verhaltens unter Ausschluss wesentlichen Wettbewerbs jedenfalls im Anwendungsbereich der Oligopolvermutungen des § 19 Abs. 3 Satz 2 GWB nicht in Frage zu stellen.

59

(2)

Das Beschwerdegericht hat ein im Wesentlichen gleichförmiges Preisverhalten der Anbieter auf den Kraftstoffmärkten festgestellt. Diese Reaktionsverbundenheit führt es auf die prägenden Strukturmerkmale der relevanten Märkte zurück, insbesondere die nahezu vollständige Markttransparenz und die durch die Homogenität der Produkte bedingte Bedeutung des Preises als wesentlichen Wettbewerbsfaktors. Auf Preisvorstöße eines zu den Oligopolisten gezählten Marktteilnehmers reagierten die anderen sofort mit eigenen Preissenkungen.

60

Insoweit entspricht das beobachtete Verhalten der Marktteilnehmer demjenigen, das von gemeinschaftlich marktbeherrschenden Oligopolisten zu erwarten ist. Allerdings kann es, wie das Beschwerdegericht zutreffend angenommen hat, auf durch Produkthomogenität, Transparenz und hohe Preiselastizität geprägten Märkten auch bei funktionsfähigem Wettbewerb zu entsprechenden Reaktionen der Anbieter kommen. Aus dieser grundsätzlichen Ambivalenz des festgestellten gleichförmigen Preisverhaltens folgt aber nur, dass das Vorhandensein eines wirksamen Abschreckungs- und Sanktionsmechanismus weiterhin durch das (sonstige) tatsächliche Wettbewerbsgeschehen widerlegt werden kann. Ein gegen das Bestehen eines Oligopols sprechendes Indiz ergibt sich, wie auch das Beschwerdegericht zutreffend annimmt, aus dem gleichförmigen Preisverhalten der möglichen Oligopolmitglieder dagegen nicht.

61

(3)

Als entscheidendes Indiz gegen einen wirksamen Abschreckungsund Sanktionsmechanismus sieht es das Beschwerdegericht an, dass sich nach typischerweise von Aral oder Shell ausgehenden Preisanhebungen das höhere Preisniveau nicht dauerhaft etablieren könne, sondern regelmäßig wieder auf das Ausgangsniveau absinke. Demgegenüber seien in einem wettbewerbslosen Oligopol im Anschluss an eine Preisanhebung auf Dauer höhere Preise zu erwarten. Auch fallende Rohstoffpreise könnten in einem marktbeherrschenden Oligopol nur Anlass zur Erhöhung der Marge, nicht aber zu Preissenkungen geben. Diesen Erwägungen liegt ein zu enges Verständnis der möglichen Verhaltenskoordinierung in einem oligopolistischen Markt zugrunde.

62

Insbesondere bei fallenden Rohstoffpreisen kann auch in einem marktbeherrschenden Oligopol für den einzelnen Oligopolisten ein Anreiz bestehen, den Preis in gewissem Umfang zu senken, um den eigenen Gewinn durch Absatz größerer Mengen zu steigern. Dafür spricht auf den relevanten Kraftstoffmärkten - selbst bei leicht rückläufiger und weniger elastischer Gesamtnachfrage - die vom Beschwerdegericht festgestellte Preissensibilität und Wechselbereitschaft der Kunden. Denn ein Oligopolist kann auch bei im Wesentlichen konstanter Gesamtnachfrage durch eine Preissenkung eine größere Menge zulasten der anderen Oligopolisten verkaufen. Sein niedrigerer Preis muss dann gleichwohl nicht dem Preis bei funktionsfähigem Wettbewerb entsprechen, schon weil Ausgangspunkt der Preissenkung der höhere oligopolistische Gleichgewichtspreis war. Unter diesen Umständen ist nicht auszuschließen, dass sich auch in einem marktbeherrschenden Oligopol jedenfalls bei fallenden Rohstoffpreisen ein dauerhaft niedrigeres Preisniveau als koordiniertes Gleichgewicht einstellen kann, das oberhalb des Preises bei funktionsfähigem Wettbewerb liegt.

63

(4)

Das Beschwerdegericht hat ferner den Umstand, dass Preiserhöhungen regelmäßig von Aral oder Shell ausgehen, bei der Beurteilung des tatsächlichen Preisgeschehens nicht angemessen berücksichtigt. Gibt es auf dem Kraftstoffmarkt klare Preisführer, so ist dies ein Indiz dafür, dass den vom Beschwerdegericht festgestellten zyklischen Preisveränderungen die Funktion zukommt, einen neuen oligopolistischen Gleichgewichtspreis zu finden. Denn die Etablierung eines Preisführers ist ein in der Ökonomie anerkannter Koordinierungsmechanismus, um den Gleichgewichtspreis in Oligopolen zu bestimmen (vgl. MünchKomm.EUWettbR/Kerber/Schwalbe, Einl. Rn. 1222, 1224).

64

(5)

Der angefochtene Beschluss lässt weiter nicht erkennen, ob das Beschwerdegericht bei der Bewertung des tatsächlichen Preisgeschehens berücksichtigt hat, dass es für oligopolistisches Parallelverhalten genügt, wenn dem Preiswettbewerb Grenzen gesetzt sind, die seine Funktion, den Preissetzungsspielraum der Unternehmen wirksam zu kontrollieren, wesentlich beeinträchtigen. Auch regelmäßig wiederkehrende Preiszyklen können deshalb Ausdruck kollusiven Preissetzungsverhaltens sein. Denn sie ermöglichen es den Oligopolmitgliedern, das Verhalten der jeweils anderen vorherzusehen, das eigene Marktverhalten daran anzupassen und so den gemeinsamen Gewinn durch Beeinflussung des Wettbewerbs zu steigern. Insbesondere kann der Preiswettbewerb durch eine stillschweigende Verständigung auf kalkulierbare Preiszyklen so weit begrenzt sein, dass sich im Durchschnitt ein über dem Wettbewerbspreis liegendes Preisniveau einstellt. Sanktionierungsbedürftig sind dann nur ernsthafte, auf eine nicht nur vorübergehende Ausweitung der Marktanteile gerichtete Preisvorstöße außerhalb der Bandbreite des Zyklus. Solche können die vertikal integrierten Mineralölunternehmen aufgrund ihrer Kenntnis der Marktlage und der Preistransparenz ohne weiteres von üblichen zyklischen Preisentwicklungen unterscheiden.

65

(6)

An der Ambivalenz des tatsächlich auf dem Markt zu beobachtenden Preisverhaltens ändert auch der Hinweis von Total nichts, dass auf den relevanten Kraftstoffmärkten auf Preiserhöhungen keine symmetrischen Preissenkungen folgen, sondern Preisanpassungen nach unten in kleinen Schritten ("Edgeworth-Zyklen"). Es gibt keinen anerkannten ökonomischen Erfahrungssatz, dass äußerlich Edgeworth-Zyklen entsprechende Preisbewegungen der Annahme eines wirksamen Abschreckungs- und Sanktionsmechanismus im Oligopol entgegenstehen. Vielmehr können sie, wie die Rechtsbeschwerde zutreffend ausführt, auch damit erklärt werden, dass ein Preisführer einen höheren Preis für das Oligopol vorschlägt, bei dessen nur teilweiser Annahme durch die anderen Oligopolisten entsprechende Anpassungen nach unten erforderlich werden; der sich dann ergebende oligopolistische Gleichgewichtspreis liegt über dem Preis bei wirksamen Wettbewerb.

66

(7)

Soweit das Beschwerdegericht einen wirksamen Abschreckungsund Sanktionsmechanismus im Hinblick auf gewisse regionale Preiskämpfe und das Verhalten des Marktteilnehmers Jet verneint, kann dem aus Rechtsgründen ebenfalls nicht beigetreten werden.

67

(a)

Die vom Bundeskartellamt erwähnten regionalen Preiskämpfe lassen entgegen der Auffassung des Beschwerdegerichts den Schluss auf fehlende wirksame Abschreckungsmaßnahmen nicht zu. Das Bundeskartellamt hat als Ursache für die nur sehr selten vorkommenden Preiskämpfe Markteintritte auf einem regionalen Markt durch Errichtung oder Erwerb einer Tankstelle angesehen, wobei der neue Marktteilnehmer durch einen kurzen Preiskampf diszipliniert werden solle. Das Beschwerdegericht hat keine Feststellungen getroffen, die es erlaubten, aus den regionalen Preiskämpfen das Gegenteil, nämlich das Fehlen eines wirksamen Abschreckungsmechanismus, abzuleiten.

68

(b)

Auch das festgestellte Verhalten des Marktteilnehmers Jet lässt auf der Grundlage der bisherigen Feststellungen nicht darauf schließen, dass kein glaubhafter Sanktionsmechanismus gegenüber abweichenden Preisstrategien besteht.

69

Das Beschwerdegericht geht davon aus, dass Jet die Preise der übrigen zum Oligopol gezählten Unternehmen regelmäßig um einen Cent pro Liter unterbietet. Daraus ergibt sich aber, dass Jet die zyklischen Preisbewegungen und insbesondere die von den Marktführern Aral und Shell angestoßenen Preiserhöhungen unter Beibehaltung des Abstandes von einem Cent jeweils mitvollzieht und sich damit bei der Preissetzung weitgehend gleichförmig verhält. Die Preispolitik von Jet ist damit für die anderen Marktteilnehmer vorhersehbar. Die Bewertung dieses Wettbewerbers als "preisaggressiv" lässt sich mit diesen Feststellungen nicht in Einklang bringen und überschreitet die Grenzen zulässiger tatrichterlicher Würdigung.

70

In anderem Zusammenhang hat das Beschwerdegericht zudem festgestellt, dass manche Anbieter Kundenbindungs- und Bonusprogramme eingeführt haben, die zu Preisvorteilen von mehr als einem Cent führen können. Sollte, was die Rechtsbeschwerde geltend macht und mangels gegenteiliger Feststellungen revisionsrechtlich zu unterstellen ist, Jet kein vergleichbares Kundenbindungsprogramm anbieten, könnte die Preisdifferenz schon dadurch neutralisiert sein.

71

Dass Jet im Juni 2009 an vier Tankstellen in den betroffenen Regionalmärkten auf Preiserhöhungen durch Shell und Aral mit Preissenkungen reagiert hat, rechtfertigt eine Qualifikation als preisaggressiver Wettbewerber ebenfalls nicht. Abgesehen davon, dass sich aus den Feststellungen des Beschwerdegerichts nichts über die Dauer der Preissenkungen ergibt, sind derartige einzelne Ereignisse für sich genommen nicht geeignet, die für die Zusammenschlusskontrolle maßgebliche Marktanalyse zu beeinflussen.

72

Ein wirksamer Preiswettbewerb durch Jet ließe sich in erster Linie durch erhebliche, nicht nur vorübergehende Marktanteilsgewinne nachweisen (BGH, WuW/E DE-R 2905 Rn. 84 - Phonak/GN Store). Dazu hat das Beschwerdegericht jedoch keine Feststellungen getroffen. Sollte sich der Marktanteil von Jet in den Jahren vor der Anmeldung des Zusammenschlusses nicht nennenswert erhöht haben, gäbe es keine Grundlage dafür anzunehmen, dass die Preisdifferenz von einem Cent Ausdruck wirksamen Preiswettbewerbs oder fehlender wirksamer Abschreckungs- und Sanktionsmittel ist.

73

cc)

Das Vorliegen eines wirksamen Abschreckungs- und Sanktionsmechanismus kann sonach mit der vom Beschwerdegericht gegebenen Begründung nicht verneint werden. Zu einem tatsächlichen wesentlichen Binnenwettbewerb zwischen Aral, Shell, Esso, Jet und Total hat das Beschwerdegericht auch im Übrigen keine tragfähigen Feststellungen getroffen.

74

(1)

Das Beschwerdegericht hat angenommen, die in Deutschland beim Absatz von Kraftstoffen erzielten Gewinnmargen seien gering und lägen im europäischen Vergleich auf den hinteren Rängen; dies belege die fehlende Möglichkeit der vermeintlichen Oligopolisten zur unabhängigen Preissetzung und Preiserhöhung.

75

Dies begegnet rechtlichen Bedenken. Auch geringe Margen können über dem Niveau liegen, das sich bei wirksamem Wettbewerb einstellt. Anhand eines Vergleichs mit anderen europäischen Märkten könnte der Wettbewerbspreis von vornherein nur ermittelt werden, wenn feststünde, dass es sich bei den Vergleichsmärkten um Wettbewerbsmärkte handelt. Das hat das Beschwerdegericht nicht festgestellt.

76

(2)

Soweit das Beschwerdegericht darauf abstellt, die Mineralölgesellschaften stünden in Wettbewerb um attraktive Tankstellenstandorte, fehlen Feststellungen dazu, welche Bedeutung dies für den Wettbewerb zwischen den Anbietern auf den hier relevanten Kraftstoffmärkten hat. Vor dem Hintergrund der vom Beschwerdegericht betonten Knappheit attraktiver Standorte ist zudem offen, welchen Umfang der Standortwettbewerb hat.

77

Auch im Zusammenhang mit dem vom Beschwerdegericht angenommenen Wettbewerb zwischen den Tankstellenbetreibern bei Service- und Zusatzleistungen wie Lebensmittelsortiment, Autowaschanlagen und dergleichen ist nicht festgestellt, wie sich dieser Wettbewerb auf den hier relevanten Märkten auswirkt und dort ein einheitliches Preissetzungsverhalten in Frage stellen könnte.

78

dd)

Die Würdigung des Beschwerdegerichts, die Oligopolisten seien wesentlichem Außenwettbewerb ausgesetzt, hält der Nachprüfung durch das Rechtsbeschwerdegericht ebenfalls nicht stand.

79

(1)

Wie bei der Feststellung, ob innerhalb des Oligopols ein maßgeblicher (Binnen-)Wettbewerb herrscht, ist auch bei der Untersuchung der (Außen-) Wettbewerbsstellung des Oligopols im Verhältnis zu den übrigen tatsächlichen oder potenziellen Marktteilnehmern eine Gesamtbetrachtung aller maßgeblichen Umstände geboten. Dabei kann gemäß § 19 Abs. 2 Satz 2 in Verbindung mit Satz 1 Nr. 2 GWB der gemeinsame Marktanteil des Oligopols eine Rolle spielen, aber auch etwa der Abstand zu den nächststarken Wettbewerbern, die Unternehmensstrukturen, die etwaigen Marktzutrittsschranken und unternehmerischen Verflechtungen und die tatsächlich bestehenden Wettbewerbsverhältnisse (BGHZ 178, 285 Rn. 52 - E.ON/Stadtwerke Eschwege).

80

(2)

Das Beschwerdegericht hat dazu ausgeführt, in jedem Regionalmarkt seien neben den vertikal integrierten Mineralölgesellschaften weitere und durchaus starke Wettbewerber vorhanden, deren Marktanteil denjenigen vermeintlicher Oligopolisten übersteige. Dies belege, dass der vertikalen Integration und bundesweiten Präsenz der vom Bundeskartellamt als marktbeherrschend angesehenen Unternehmen für die Beurteilung des Außenwettbewerbs keine maßgebliche Bedeutung zukomme. Auf den einzelnen Regionalmärkten herrsche intensiver Standortwettbewerb zwischen allen Marktteilnehmern und es komme zu dynamischen Marktbewegungen durch nicht unerhebliche Marktanteilsverschiebungen.

81

(3)

Diese Beurteilung begegnet rechtlichen Bedenken. Die Bedeutung der strukturellen Merkmale, die für eine enge Reaktionsverbundenheit der bundesweit tätigen und vertikal integrierten Mineralölunternehmen und damit für eine entsprechende Marktmacht gegenüber Außenseitern sprechen, wird nicht schon durch die unterdurchschnittliche Präsenz jeweils eines dieser Unternehmen in bestimmten Regionen beseitigt. Ein Indiz für wesentlichen Außenwettbewerb wäre eine solche Marktanteilsverteilung nur, wenn angenommen werden könnte, dass die Außenseiter ihre Marktanteile auf den relevanten Kraftstoffmärkten im Wettbewerb errungen haben. Auf der Grundlage der bisherigen Feststellungen des Beschwerdegerichts ist indes nicht auszuschließen, dass die beschriebene Marktanteilsverteilung auf wettbewerbsneutralen Einflüssen beruht, etwa darauf, dass die Mineralölunternehmen Tankstellen oder Tankstellenkonzessionen nach der deutschen Wiedervereinigung regional unterschiedlich erwerben konnten.

82

(4)

Der Nachweis wesentlichen (Außen-)Wettbewerbs könnte durch dauerhafte Marktanteilszuwächse zulasten der Oligopolmitglieder geführt werden. Die Feststellungen des Beschwerdegerichts hierzu reichen dafür jedoch nicht aus. Das Beschwerdegericht erwähnt zwar nicht unerhebliche Marktanteilsverschiebungen und führt hierfür Beispiele an. Diese vermitteln jedoch nicht das für eine zuverlässige Beurteilung erforderliche Gesamtbild der Marktanteilsentwicklung aller Marktteilnehmer und lassen nicht erkennen, ob die Marktanteilsgewinne von Dauer waren und in welchem Umfang sie zulasten der vertikal integrierten Mineralölunternehmen gingen.

83

ee)

Aufgrund der Mängel bei der Marktstrukturanalyse und der Bewertung des tatsächlichen Marktgeschehens ist auch das Gesamtergebnis der Beurteilung des Beschwerdegerichts zu beanstanden. Es kommt in Betracht, dass das Beschwerdegericht bei erschöpfender und fehlerfreier Würdigung der für und gegen ein marktbeherrschendes Oligopol sprechenden Umstände das in verschiedener Hinsicht mehrdeutige Marktgeschehen im Ergebnis anders bewertet hätte.

84

D.

Der Senat kann nicht selbst in der Sache entscheiden. Ob ein Zusammenschluss ein marktbeherrschendes Oligopol im Sinne des § 19 Abs. 2 und 3 GWB verstärkt oder begründet, hat grundsätzlich der Tatrichter aufgrund einer Gesamtwürdigung der strukturellen Wettbewerbsbedingungen und der tatsächlichen Wettbewerbsverhältnisse zu beurteilen. Erweist sich diese Gesamtwürdigung als fehlerhaft, so kann das Rechtsbeschwerdegericht eine abschließende Entscheidung in der Sache nur treffen, wenn keine weitere Sachaufklärung geboten ist und eine fehlerfreie Gesamtwürdigung nur ein Ergebnis zulässt (vgl. BGH, WuW/E DE-R 2905 Rn. 81 - Phonak/GN Store). Diese Voraussetzungen liegen im Streitfall nicht vor.

85

Für die weiteren Feststellungen, die nach den vorstehenden Ausführungen erforderlich sind, und zur erneuten Gesamtwürdigung der Wettbewerbsverhältnisse ist die Sache deshalb an das Beschwerdegericht zurückzuverweisen, das auch einheitlich über die Kosten zu entscheiden hat.

86

E.

Im wiedereröffneten Beschwerdeverfahren wird Folgendes zu beachten sein:

87

I.

Für die Beurteilung der Wettbewerbsverhältnisse im Oligopol kommt der Verteilung und Entwicklung der Marktanteile besondere Bedeutung zu. Bleiben die Marktanteile über längere Zeit unverändert, kann dies im Rahmen der Gesamtbeurteilung für ein marktbeherrschendes Oligopol sprechen (vgl. BGH, WuW/E DE-R 2905 Rn. 57 - Phonak/GN Store; WuW/E DE-R 3067 Rn. 25 - Springer/ProSieben II). Denn wesentlicher Wettbewerb wirkt sich häufig in erheblichen, nicht nur vorübergehenden Marktanteilsveränderungen aus.

88

Soweit das Bundeskartellamt die Einsicht in die Daten zur Marktanteilsentwicklung zur Wahrung von Betriebs- und Geschäftsgeheimnissen weiter verweigern sollte, müsste das Beschwerdegericht prüfen, ob die Voraussetzungen des § 72 Abs. 2 Satz 4 GWB vorliegen. Dabei ist auch zu berücksichtigen, dass das Geheimhaltungsinteresse an Marktdaten typischerweise mit ihrem Alter abnimmt (vgl. BGH, Urteil vom 28. Juni 2011 - KZR 75/10, BGHZ 190, 145 Rn. 77 - ORWI).

89

II.

Das Beschwerdegericht ist von einer hohen Preiselastizität der Nachfrage ausgegangen. Dies bezieht sich jedoch, wie sich aus dem Gesamtzusammenhang der Beschlussgründe ergibt, allein auf die markenspezifische Preiselastizität, also die Bereitschaft der Tankkunden zu einem Anbieterwechsel bei Preisdifferenzen. Für die Strukturanalyse ist indes auch die produktspezifische Preiselastizität, also die Abhängigkeit der Gesamtnachfrage vom Kraftstoffpreis, in den Blick zu nehmen. Hierzu hat das Beschwerdegericht keine Feststellungen getroffen.

90

Im Rechtsbeschwerdeverfahren gehen beide Seiten davon aus, dass die produktspezifische Preiselastizität der Nachfrage vergleichsweise gering ist. Total hat in ihrer Rechtsbeschwerdeerwiderung betont, dass sich der branchenweite Gesamtabsatz von Kraftstoffen durch Preissenkungen nicht erheblich steigern lasse. Dies würde umgekehrt bedeuten, dass die Nachfrage bei steigenden Preisen auch nicht wesentlich zurückgeht. Das könnte seine Erklärung in einem relativ hohen Anteil an Kunden finden, der langfristig nicht auf Kraftstoff verzichten kann. Dann würde das gleichgerichtete Interesse der vertikal integrierten Mineralölunternehmen, den Preiswettbewerb zurückzudrängen, verstärkt, weil die Gesamtabsatzmenge durch Preissenkungen nicht wesentlich gesteigert werden könnte.

91

III.

Das Beschwerdegericht ist davon ausgegangen, dass der Absatzmarkt für Kraftstoffe insgesamt rückläufig ist und wirtschaftlich attraktive Tankstellenstandorte knapp sind. Sollte, was bei rückläufigem Markt und unterstellt geringer produktspezifischer Preiselastizität nicht fern liegt, die Marktstellung der vertikal integrierten Mineralölunternehmen von Außenseitern nur durch den Erwerb größerer Tankstellenpakete angegriffen werden können, würde dies für erhebliche Marktzutrittsschranken sprechen. Das wäre ein wichtiger Strukturfaktor für die Stabilität impliziter Kollusion im Oligopol.

Tolksdorf
Meier-Beck
Kirchhoff
Löffler
Bacher

Verkündet am: 6. Dezember 2011

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