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Bundesgerichtshof
Beschl. v. 07.09.2011, Az.: XII ZB 12/11
Hinzuziehung eines minderjährigen Kindes als formeller Verfahrensbeteiligter durch das Familiengericht im Verfahren zur Übertragung der elterlichen Sorge; Vertretung eines minderjährigen Kindes im Verfahren zur Übertragung der elterlichen Sorge; Entzug der prozessualen Vertretungsbefugnis eines Elternteils im Zusammenhang mit einem Kindschaftsverfahren im Fall eines erheblichen Interessengegensatzes zwischen Eltern und Kind
Gericht: BGH
Entscheidungsform: Beschluss
Datum: 07.09.2011
Referenz: JurionRS 2011, 25475
Aktenzeichen: XII ZB 12/11
ECLI: [keine Angabe]

Verfahrensgang:

vorgehend:

AG Leer - 01.06.2010 - AZ: 5c F 4237/10 PF

OLG Oldenburg - 28.10.2010 - AZ: 14 UF 114/10

Fundstellen:

BGHZ 191, 48 - 59

EBE/BGH 2011, 342-344

FamFR 2011, 527

FamRB 2011, 371

FamRZ 2011, 1788-1791

FamRZ 2011, 1859

FF 2011, 511

FGPrax 2011, 293-295

FPR 2012, 393-396

FuR 2012, 26-28

JAmt 2011, 535-539

MDR 2011, 1293-1295

NJ 2011, 3

NJW 2011, 6

NJW 2011, 3454-3456

NJW-Spezial 2012, 38

Rpfleger 2012, 23-26

ZAP 2012, 57

ZAP EN-Nr. 37/2012

BGH, 07.09.2011 - XII ZB 12/11

Amtlicher Leitsatz:

BGB §§ 1629, 1796, 1909; FamFG §§ 7, 9, 158

  1. a)

    Das minderjährige Kind ist im Verfahren zur Übertragung der elterlichen Sorge vom Familiengericht hinzuzuziehen und somit formeller Verfahrensbeteiligter ("Muss-Beteiligter"). Ist das Kind nicht selbst verfahrensfähig und bedarf es im Verfahren daher der gesetzlichen Vertretung, so ist diese grundsätzlich von den sorgeberechtigten Eltern ungeachtet ihrer eigenen Verfahrensbeteiligung wahrzunehmen.

  2. b)

    Auch im Fall eines erheblichen Interessengegensatzes zwischen Eltern und Kind darf den Eltern die Vertretungsbefugnis im Zusammenhang mit einem Kindschaftsverfahren dann nicht entzogen werden, wenn bereits durch die Bestellung eines Verfahrensbeistands für eine wirksame Interessenvertretung des Kindes Sorge getragen werden kann. Dass der Verfahrensbeistand nicht gesetzlicher Vertreter des Kindes ist, steht dem nicht entgegen.

Der XII. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat
am 7. September 2011
durch
die Vorsitzende Richterin Dr. Hahne und
die Richter Dose, Dr. Klinkhammer, Dr. Günter und Dr. Nedden-Boeger
beschlossen:

Tenor:

Auf die Rechtsbeschwerde der Mutter wird der Beschluss des 14. Zivilsenats - 5. Senat für Familiensachen - des Oberlandesgerichts Oldenburg vom 28. Oktober 2010 abgeändert.

Auf die Beschwerde der Mutter wird der Beschluss des Amtsgerichts - Familiengericht - Leer vom 1. Juni 2010 aufgehoben.

Gerichtskosten werden nicht erhoben. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.

Wert: 900 €

Gründe

I.

1

Das Verfahren betrifft die Bestellung eines Ergänzungspflegers für das im Mai 2006 geborene Kind M.C. der Beteiligten zu 1 (Mutter) und 2 (Vater). Die nicht miteinander verheirateten Eltern sind aufgrund von Sorgeerklärungen gemeinsam Inhaber der elterlichen Sorge. Die Eltern trennten sich Anfang 2007. Im Mai 2008 wechselte das Kind mit Zustimmung der Mutter in den Haushalt des Vaters. Die Mutter erstrebt in einem weiteren Verfahren (im Folgenden: Kindschaftsverfahren) den Wechsel des Kindes in ihre Obhut und beantragt die Übertragung des Aufenthaltsbestimmungsrechts auf sich. Auf eine entsprechende Bitte der im Kindschaftsverfahren zuständigen Richterin hat die Rechtspflegerin des Familiengerichts eine Ergänzungspflegschaft für das Kindschaftsverfahren angeordnet und das Kreisjugendamt zum Ergänzungspfleger bestellt.

2

Die dagegen gerichtete Beschwerde der Mutter hat das Oberlandesgericht zurückgewiesen. Mit ihrer -vom Oberlandesgericht zugelassenen -Rechtsbeschwerde verfolgt die Mutter die Aufhebung der Ergänzungspflegschaft weiter.

II.

3

Die Rechtsbeschwerde hat Erfolg.

4

1.

Die Rechtsbeschwerde ist nach § 70 Abs. 1 FamFG statthaft und auch sonst zulässig. Die Mutter ist nach § 59 FamFG beschwerdebefugt, weil die Anordnung der Ergänzungspflegschaft einen Eingriff in das ihr zustehende Sorgerecht darstellt (vgl. Staudinger/Peschel-Gutzeit BGB [2007] § 1629 Rn. 304 mwN).

5

2.

Nach der Auffassung des Oberlandesgerichts, dessen Entscheidung unter anderem in FPR 2011, 342 [OLG Oldenburg 28.10.2010 - 14 UF 114/10] veröffentlicht ist, muss das minderjährige Kind aufgrund seiner sich aus § 7 Abs. 2 Nr. 1 FamFG ergebenden formellen Beteiligtenstellung nach § 9 Abs. 2 FamFG im Verfahren gesetzlich vertreten werden. Dass das Kind zu beteiligen sei, ergebe sich aus seiner Rechtsbetroffenheit und der daraus folgenden festen Rechtsposition als Verfahrenssubjekt. Damit seien zunächst die Eltern bzw. ein allein sorgeberechtigter Elternteil zur gesetzlichen Vertretung berufen. Bestehe allerdings zwischen den Eltern oder im Eltern-Kind-Verhältnis ein erheblicher Interessengegensatz, könne die Vertretungsbefugnis nach §§ 1629 Abs. 2 Satz 3, 1796 BGB zu entziehen sein. Von einem derartigen Interessengegensatz sei bereits dann auszugehen, wenn die konkrete Gefahr bestehe, der gesetzliche Vertreter werde im Konfliktfall das Kindeswohl nicht mit der gebotenen Zielstrebigkeit verfolgen. Das Familiengericht habe festzustellen, welche Maßnahmen der Vertretungsbefugte in der betreffenden Angelegenheit plane. Stritten Eltern im Kindschaftsverfahren um das Sorgerecht, offenbare dieser Streit nicht immer und ausnahmslos einen erheblichen Interessengegensatz. Wenn aber um den Aufenthalt des Kindes gestritten werde und die Wohnorte der Eltern weit voneinander entfernt seien, könnten sich die für das Wohl des Kindes bedeutsamen Umstände vom Interesse eines Elternteils, zukünftig gemeinsam mit dem Kind in einem völlig neuen Umfeld einen eigenständigen Lebensmittelpunkt zu begründen, erheblich unterscheiden. Soweit die Eltern das Kind im Kindschaftsverfahren gleichwohl gesetzlich vertreten würden, bestehe die konkrete Gefahr eines erheblichen Interessengegensatzes. Dieser könne nur durch die Entziehung der gesetzlichen Vertretungsbefugnis und die Bestellung eines Ergänzungspflegers vermieden werden.

6

Soweit die Auffassung vertreten werde, dass in Kindschaftsverfahren zur Wahrnehmung der Kindesinteressen generell die Bestellung eines Verfahrensbeistands ausreiche, bleibe unberücksichtigt, dass dieser als gesetzlicher Vertreter des Kindes ausgeschlossen sei. Wenn auch der Gesetzgeber nach dem Grundsatz des geringstmöglichen Eingriffs die Bestellung eines Verfahrensbeistands für den Regelfall als ausreichend gesehen habe, vermöge dieses Konstrukt die Notwendigkeit der gesetzlichen Vertretung des mit Inkrafttreten des FamFG formell am Verfahren beteiligten Kindes nicht zu ersetzen. Der vorübergehende und nur auf die Dauer des Kindschaftsverfahrens beschränkte Eingriff in die grundgesetzlich geschützte elterliche Sorge sei hinzunehmen, weil nur dadurch einem anderen verfassungsrechtlich geschützten Rechtsgut, nämlich der Gewährung von formellen Beteiligungsrechten des Kindes in der Ausformung des rechtlichen Gehörs, effektiv Geltung verschafft werden könne. Dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit sei durch eine pflichtgemäße Prüfung des erheblichen Interessengegensatzes zwischen Eltern und Kind Rechnung zu tragen.

7

3.

Dies hält einer rechtlichen Überprüfung nicht stand.

8

Zutreffend ist der rechtliche Ausgangspunkt des Oberlandesgerichts, dass das betroffene Kind im Unterschied zu der bis August 2009 bestehenden Rechtslage am Kindschaftsverfahren immer formell beteiligt ist (missverständlich Bassenge/Roth/Wagner FamFG 12. Aufl. § 158 Rn. 19) und es, weil es nicht verfahrensfähig ist, zur Wahrung seiner (Verfahrens-)Rechte eines gesetzlichen Vertreters bedarf. Nach § 7 Abs. 2 Nr. 1 FamFG sind vom Familiengericht diejenigen als Beteiligte hinzuzuziehen, deren Recht durch das Verfahren unmittelbar betroffen wird. Das ist bei dem vom Sorgeverfahren betroffenen Kind der Fall, weil das Verfahren zu einer Änderung des zwischen Eltern und Kind bestehenden Sorgeverhältnisses führen kann (aA bezüglich der Beschwerdebefugnis OLG Düsseldorf FamRZ 2011, 1081). Gemäß § 9 Abs. 1 FamFG sind die nach bürgerlichem Recht beschränkt Geschäftsfähigen nur ausnahmsweise verfahrensfähig, wenn sie als geschäftsfähig anerkannt sind (Nr. 2) oder soweit sie das 14. Lebensjahr vollendet haben und sie in einem Verfahren, das ihre Person betrifft, ein ihnen nach bürgerlichem Recht zustehendes Recht geltend machen (Nr. 3). Ist das Kind in diesem Sinne nicht verfahrensfähig, so handeln für dieses gemäß § 9 Abs. 2 FamFG die nach bürgerlichem Recht dazu befugten Personen, mithin im Regelfall seine sorgeberechtigten Eltern in gemeinschaftlicher Vertretung (§ 1629 Abs. 1 Satz 1, 2 BGB).

9

Gemäß § 1629 Abs. 2 Satz 3 1. Halbs. BGB kann das Familiengericht dem Vater und der Mutter nach § 1796 BGB - wie einem Vormund - die Vertretung entziehen. Nach § 1796 Abs. 1 BGB kann das Familiengericht dem Vormund die Vertretung für einzelne Angelegenheiten oder für einen bestimmten Kreis von Angelegenheiten entziehen. Die Entziehung soll nach § 1796 Abs. 2 BGB nur erfolgen, wenn das Interesse des Mündels zu dem Interesse des Vormunds in erheblichem Gegensatz steht.

10

a)

Nach der Auffassung des Oberlandesgerichts ist ein solcher Interessengegensatz gegeben, weil um den Aufenthalt des Kindes gestritten werde, die Wohnorte der Eltern weit voneinander entfernt seien und sich die für das Wohl des Kindes bedeutsamen Umstände vom Interesse eines Elternteils, zukünftig gemeinsam mit dem Kind in einem völlig neuen Umfeld einen eigenständigen Lebensmittelpunkt zu begründen, erheblich unterscheiden könnten.

11

Das ist als tatrichterliche Feststellung nicht zu beanstanden. Die Beurteilung entspricht insbesondere dem Grundgedanken der verfassungsrechtlich begründeten Notwendigkeit einer eigenständigen Interessenvertretung für das Kind, wenn die Eltern über einen Aufenthaltswechsel des Kindes streiten (BVerfG FamRZ 1999, 85, 87). Dementsprechend sieht das Gesetz in § 158 Abs. 2 Nr. 3 FamFG in der Regel die Notwendigkeit einer gesonderten Interessenvertretung für das Kind vor, wenn im betreffenden Verfahren eine Änderung des bestehenden Obhutsverhältnisses in Rede steht. Eine solche Lage ist im vorliegenden Fall gegeben, denn die Mutter erstrebt mit ihrem Antrag einen Wechsel des Kindes in ihre Obhut. Demnach lagen im vorliegenden Fall nicht nur die Voraussetzungen für die Bestellung eines Verfahrensbeistands für das Kind vor, sondern im Ausgangspunkt auch die - übereinstimmenden - Voraussetzungen für eine Entziehung der elterlichen Vertretungsbefugnis nach §§ 1629 Abs. 2 Satz 3 1. Halbs., 1796 BGB.

12

b)

Das Oberlandesgericht hat bei der Anordnung der Ergänzungspflegschaft die Interessenvertretung durch einen Verfahrensbeistand nicht als gleichwertige Maßnahme angesehen, weil das "Konstrukt" der Bestellung eines Verfahrensbeistands die Notwendigkeit der gesetzlichen Vertretung des mit Inkrafttreten des FamFG formell am Verfahren beteiligten Kindes nicht zu ersetzen vermöge.

13

Dem kann nicht beigetreten werden.

14

aa)

Das Verhältnis von Verfahrensbeistandschaft und Ergänzungspflegschaft nach Entziehung der elterlichen Vertretungsbefugnis ist allerdings umstritten.

15

Die Auffassung des Oberlandesgerichts, die dieses bereits in einer früheren Entscheidung vertreten hat (FamRZ 2010, 660), teilen eine weitere Entscheidung des OLG Oldenburg (11. Zivilsenat, Beschluss vom 8. Februar 2011 - 11 UF 195/10) sowie Stimmen in der Literatur (Schürmann FamFR 2009, 153; Götz NJW 2010, 897, 898; Hoffmann DIJuF-Rechtsgutachten vom 28. Oktober 2009 - www.dijuf.de - S. 3 ff.; Bork/Jacoby/Schwab/Zorn FamFG § 158 Rn. 21; Thomas/Putzo/Hüßtege ZPO 32. Aufl. § 158 FamFG Rn. 6; offenbar auch Bassenge/Roth/Wagner FamFG 12. Aufl. § 158 Rn. 19). Die vom Oberlandesgericht als seiner Auffassung zustimmend aufgeführte Rechtsprechung ist allerdings für Verfahren nach § 1671 BGB bereits nicht einschlägig. Denn die genannten Entscheidungen betrafen durchweg andere Fallkonstellationen (so zutreffend Salgo FPR 2011, 314, 315 mwN). Die Entscheidung des Kammergerichts Berlin (KG FamRZ 2010, 1171; ebenso OLG Celle Rpfleger 2011, 436) hatte mit der Erbausschlagung und der Zustellung der gerichtlichen Genehmigung ausschließlich eine Vermögensangelegenheit zum Gegenstand (zutreffend KG FamRZ 2010, 1171, 1172), ebenso eine Entscheidung des OLG Köln (FamRZ 2011, 231 [LS]). Diese Entscheidungen betrafen zudem - wie auch die weiter angeführte Entscheidung des OLG Dresden (FamRZ 2010, 1995 -Geltendmachung von Kindesunterhalt gegen den sorgeberechtigten Vater) -Fallgestaltungen, in denen die dem Verfahrensbeistand verschlossene gesetzliche Vertretung als konkrete Form der Interessenwahrung für das Kind erforderlich war.

16

Überwiegend ist die Ansicht des Oberlandesgerichts auf Ablehnung gestoßen. Die Bestellung eines Verfahrensbeistands sei als milderes Mittel zu betrachten, das eine Entziehung der elterlichen Vertretungsbefugnis und die Anordnung einer Ergänzungspflegschaft entbehrlich mache (OLG Stuttgart FamRZ 2010, 1166; OLG Koblenz NJW 2011, 236; OLG Naumburg Beschluss vom 16. November 2010 - 3 UF 178/10; Schael FamRZ 2009, 265, 269; Keuter NJW 2010, 1851, 1852 f.; Schmid FPR 2011, 5, 7; Empfehlungen des Arbeitskreises 11 des 18. Deutschen Familiengerichtstages Nr. 4 Brühler Schriften zum Familienrecht Bd. 16 S. 118 f.; ausführlich Salgo FPR 2011, 314 mwN).

17

bb)

Der überwiegenden Auffassung ist der Vorzug zu geben.

18

Das Vorliegen eines erheblichen Interessengegensatzes zwischen Kind und Eltern führt nicht notwendigerweise zur Entziehung der elterlichen Vertretungsbefugnis. Da es sich bei der Entziehung der Vertretungsbefugnis um einen Eingriff in das Elternrecht handelt, ist vielmehr der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit zu beachten (vgl. MünchKommBGB/Huber 5. Aufl. § 1629 Rn. 63 mN). Daher hat das Gericht vor Entziehung der Vertretungsbefugnis in jedem Fall zu prüfen, ob dem Interessengegensatz nicht auf andere Weise Rechnung getragen werden kann. Wenn mildere Maßnahmen möglich sind, um dem Interessenkonflikt wirksam zu begegnen, ist die Entziehung der Vertretungsbefugnis übermäßig und daher rechtswidrig.

19

Davon ist im Ansatz auch das Oberlandesgericht ausgegangen. Es hat allerdings die Bestellung des Verfahrensbeistands nicht als gleich wirksame Maßnahme angesehen. Damit hat es die vom Gesetzgeber im Zuge der FGG-Reform getroffenen Wertungen und die darauf beruhende Gesetzessystematik nicht hinreichend beachtet.

20

cc)

Die Wahrnehmung der Kindesinteressen in einem auf die Person bezogenen Kindschaftsverfahren ist originäre Aufgabe des Verfahrensbeistands. Aufgrund der vorausgegangenen Fachdiskussion um die Subjektstellung des Kindes in Kindschaftsverfahren und die Gewährleistung einer verlässlichen Vertretung seiner - auch subjektiven - Interessen (vgl. BVerfG FamRZ 1999, 85, 87; BT-Drucks. 13/4899 S. 48; Salgo Der Anwalt des Kindes 1993 S. 236 ff. sowie Limbach Der Anwalt des Kindes aus juristischer Sicht Protokolldienst der Evangelischen Akademie Bad Boll 14/1983 S. 12 ff.) ist im Zuge der Kindschaftsrechtsreform von 1997 (KindRG vom 16. Dezember 1997 BGBl. I S. 2942) speziell für bestehende Interessenkollisionen zwischen Eltern und Kind das Institut des Verfahrenspflegers in Kindschaftsverfahren ("Anwalt des Kindes") eingeführt worden (näher Salgo FPR 2011, 314, 315). Den verfassungsrechtlichen Anforderungen an eine wirksame Vertretung der Kindesinteressen in Kindschaftsverfahren hat der Gesetzgeber durch dieses Institut (nunmehr Verfahrensbeistand) Genüge getan (BVerfG FamRZ 2004, 86).

21

dd)

Auch wenn ursprünglich - unter anderem - die fehlende formelle Beteiligung des Kindes ein Beweggrund für die Einführung des Verfahrenspflegers war (BT-Drucks. 13/4899 S. 129), führt die Einbeziehung minderjähriger Kinder in den Kreis der notwendigerweise am Kindschaftsverfahren zu Beteiligenden ("Muss-Beteiligte") nicht dazu, dass nunmehr das Institut des Verfahrensbeistands als Interessenvertreter ("Anwalt") des Kindes etwa durch den Ergänzungspfleger abgelöst werden sollte. Dass dies nicht in der Absicht des Gesetzgebers im Rahmen der FGG-Reform lag, wird dadurch verdeutlicht, dass er dem Verfahrensbeistand besondere Aufmerksamkeit gewidmet und dessen Stellung aufgrund der seit seiner Einführung im Jahr 1998 gewonnenen Praxiserfahrungen näher ausgeformt hat. Hierbei hat der Gesetzgeber unter anderem unterstrichen, dass die Bestellung des Verfahrensbeistands nicht im Ermessen des Familiengerichts steht, sondern zwingend zu erfolgen hat (§ 158 Abs. 1 FamFG). Ferner sind die Aufgaben des Verfahrensbeistands, insbesondere Aufklärungspflicht und Interessenvertretung einschließlich der adäquaten Information des Kindes, näher konkretisiert worden. Und schließlich stellt das Gesetz nunmehr klar, dass der Verfahrensbeistand nicht gesetzlicher Vertreter des Kindes ist (§ 158 Abs. 4 Satz 6 FamFG) und dass seine Bestellung nicht selbständig anfechtbar ist (§ 158 Abs. 3 Satz 4 FamFG).

22

Dass der Verfahrensbeistand nicht gesetzlicher Vertreter des Kindes ist und sein Handlungsspielraum insoweit gegenüber dem des Ergänzungspflegers begrenzt ist, begründet entgegen der Auffassung des Oberlandesgerichts nicht die Notwendigkeit, die elterliche Vertretungsbefugnis zu entziehen. Gerade die der Regelung in § 158 Abs. 4 Satz 6 FamFG zugrunde liegenden Erwägungen zeigen vielmehr, dass es nach den Vorstellungen des Gesetzgebers mit der Bestellung des Verfahrensbeistands als Interessenvertreter des Kindes selbst bei Interessenkonflikten regelmäßig auch bewenden soll.

23

Dass dem Verfahrensbeistand nicht die Befugnis zur gesetzlichen Vertretung zugedacht ist, beruht auf der gesetzgeberischen Zielsetzung, den Eingriff in das Elternrecht möglichst gering zu halten (BT-Drucks. 16/6308 S. 240). Die gesetzliche Regelung beruht daher auf der Annahme, dass die dem Verfahrensbeistand verliehenen Befugnisse zur effizienten Wahrung der Kindesinteressen ausreichend sind und gleichzeitig in die Befugnisse der Eltern nicht weiter eingegriffen werden soll, als es zur Erreichung dieses Ziels notwendig ist. Dem würde es widersprechen, wenn durch die tatbestandlich unter denselben Voraussetzungen stehende und demselben Zweck dienende Entziehung der Vertretungsbefugnis gleichwohl noch weitergehend in das Elternrecht eingegriffen würde.

24

Auch mit dem Ausschluss der selbständigen Anfechtbarkeit (§ 158 Abs. 3 Satz 4 FamFG) hat der Gesetzgeber konkrete sachliche Wertungen verbunden. Dieser dient dem ausdrücklich genannten Zweck, Verfahrensverzögerungen zu verhindern (BT-Drucks. 16/6308 S. 239). Auch diesem Ziel würde es aber zuwiderlaufen, wenn entweder neben oder anstatt der Bestellung eines Verfahrensbeistands die elterliche Vertretungsbefugnis zu entziehen wäre. Dann wäre ein gesondertes Verfahren erforderlich, welches rechtsmittelbewehrt wäre und die gesetzliche Vertretung im Kindschaftsverfahren in der Schwebe ließe. Der Gesetzgeber hat indessen im Gegenteil der Verfahrensbeschleunigung (vgl. § 155 FamFG) den Vorzug gegeben, was entwertet würde, wenn zugleich regelmäßig die elterliche Vertretungsbefugnis zu entziehen wäre (zutreffend Schmid FPR 2011, 5, 7).

25

Dass in Fällen des wesentlichen Interessengegensatzes von Eltern und Kind stets eine Entziehung der Vertretungsbefugnis angezeigt wäre, kann demnach nicht als Wille des Gesetzgebers unterstellt werden, schon weil er sich damit zu seiner abgewogenen eigenen Entscheidung zur Reichweite der Interessenvertretung des Kindes im Verhältnis zum Elternrecht und zur Vermeidung von Verfahrensverzögerungen in Widerspruch gesetzt hätte. Die Auffassung, dass sowohl die Verzögerung (so OLG Oldenburg Beschluss vom 8. Februar 2011 - 11 UF 195/10) als auch der stärkere Eingriff in das Elternrecht hinnehmbar seien, steht demnach zu der Absicht des Gesetzgebers im direkten Gegensatz.

26

Die vom Oberlandesgericht herangezogene Gesetzesbegründung zur Bestimmung des Beteiligtenbegriffs (BT-Drucks. 16/6308 S. 165) widerspricht dem nicht. Sie bringt den Grundgedanken zum Ausdruck, dass durch die formelle Beteiligung der Grundsatz des rechtlichen Gehörs effektiv gewahrt werden soll. Die zitierte Gesetzesbegründung verhält sich aber schon nicht zu der Frage, wer zur gesetzlichen Vertretung des Kindes berufen ist, und kann daher nicht dafür angeführt werden, dass das Kind in Konfliktfällen stets durch einen Ergänzungspfleger vertreten werden müsse. Dass an anderer Stelle der Gesetzesbegründung im Fall eines bereits zuvor bestellten Ergänzungspflegers erwähnt ist, dass dieser die Bestellung eines Verfahrensbeistands entbehrlich mache (BT-Drucks. 16/6308 S. 238 r. Sp.), steht dem ebenfalls nicht entgegen. Wenn etwa die gesetzliche Vertretung als Handlungsform zwingend erforderlich ist, stünde dies mit der grundsätzlich vorrangigen Bestellung des Verfahrensbeistands durchaus im Einklang, weil dem Verfahrensbeistand die gesetzliche Vertretung verschlossen ist. Überdies geht es aber in der vorliegenden Fallkonstellation gerade um die vorgelagerte Frage, ob überhaupt ein Ergänzungspfleger zu bestellen ist, was die vorherige Entziehung der elterlichen Vertretungsbefugnis voraussetzt und damit eine Entscheidung der Konkurrenz beider Rechtsinstitute unausweichlich macht.

27

Schließlich ist der Ergänzungspfleger (entgegen OLG Oldenburg FamRZ 2010, 660, 662) nicht mit der in § 158 Abs. 5 FamFG ausdrücklich genannten Vertretung durch einen Rechtsanwalt oder anderen geeigneten Verfahrensbevollmächtigten vergleichbar. Denn hierbei handelt es sich nicht um gesetzliche Vertreter, sondern um (rechtsgeschäftlich) Bevollmächtigte. Diese § 50 Abs. 3 FGG entsprechende Regelung geht überdies davon aus, dass Vollmachtgeber gerade das - ausnahmsweise verfahrensfähige - Kind oder seine Eltern sind (vgl. die Gesetzesbegründung zum KindRG BT-Drucks. 13/4899 S. 132).

28

Selbst wenn man aber davon abweichend noch von einer Widersprüchlichkeit der Gesetzesmaterialien ausgehen wollte (so offenbar Zorn in Bork/ Jacoby/Schwab FamFG § 158 Rn. 21 und Jacoby aaO § 9 Rn. 2 sowie FamRZ 2007, 1703, 1709), so käme von mehreren sich - vordergründig - widersprechenden Aussagen derjenigen das ausschlaggebende Gewicht zu, welche mit bewussten gesetzgeberischen Wertungen verbunden ist. Die in diesem Sinne spezielleren Wertungen sind hier aber zweifellos zur Regelung des Verfahrensbeistands getroffen worden. Sowohl die bewusste Begrenzung des Eingriffs in das Elternrecht als auch das mit dem Ausschluss der Anfechtbarkeit verfolgte Ziel einer raschen und damit schonenden Konfliktlösung in Kindschaftssachen sprechen für den Verfahrensbeistand als vorrangigen Interessenvertreter des Kindes. Dass die Konsequenz der fortbestehenden Vertretungsbefugnis der Eltern vom Gesetzgeber gesehen und auch gewollt war, belegt abermals die Gesetzesbegründung, indem sie ausdrücklich herausgestellt hat, dass die Eltern auch nach der Bestellung des Verfahrensbeistands in vollem Umfang zur Vertretung des Kindes berechtigt sind (BT-Drucks. 16/6308 S. 239). Für diese Feststellung hätte keine Veranlassung bestanden, wenn unter denselben Voraussetzungen wie für die Bestellung des Verfahrensbeistands den Eltern außerdem noch ihre gesetzliche Vertretungsbefugnis entzogen werden müsste.

29

ee)

§ 1796 BGB ist demnach im Zusammenhang mit Kindschaftsverfahren dahin zu verstehen, dass eine Entziehung der elterlichen Vertretungsbefugnis dann nicht angeordnet werden darf, wenn durch die Bestellung eines Verfahrensbeistands bereits auf andere Weise für eine wirksame Interessenvertretung des Kindes Sorge getragen werden kann. Das ist in Verfahren, welche die Person des Kindes betreffen, der Fall. Die Bestellung eines Verfahrensbeistands ist dabei nicht auf Verfahren, die die Personensorge betreffen, beschränkt, sondern erfasst alle Verfahren, die sich nicht ausschließlich auf Vermögensangelegenheiten beziehen (Keidel/Engelhardt FamFG 16. Aufl. § 158 Rn. 4; BT-Drucks. 13/4899 S. 130 f.).

30

4.

Der angefochtene Beschluss ist abzuändern. Da im vorliegenden Fall die Bestellung eines Verfahrensbeistands zulässig und ausreichend ist, war die Bestellung eines Ergänzungspflegers durch das Amtsgericht und die damit verbundene Entziehung der Vertretungsbefugnis nicht geboten und demzufolge unzulässig. Der Senat kann in der Sache abschließend entscheiden, weil es weiterer Feststellungen nicht bedarf. Demnach ist der Beschluss des Amtsgerichts - ersatzlos - aufzuheben.

Hahne
Dose
Klinkhammer
Günter
Nedden-Boeger

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