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Bundesgerichtshof
Beschl. v. 06.07.2011, Az.: XII ZB 88/11
Beginn der Wiedereinsetzungsfrist spätestens mit Erkennen der eingetretenen Säumnis bei Anwendung der zu erwartenden Sorgfalt; Prüfung der Handakte im Hinblick auf die Einhaltung der Berufungsfrist bei Vorlage der Handakte zur Fertigung der Berufungsbegründung
Gericht: BGH
Entscheidungsform: Beschluss
Datum: 06.07.2011
Referenz: JurionRS 2011, 21794
Aktenzeichen: XII ZB 88/11
ECLI: [keine Angabe]

Verfahrensgang:

vorgehend:

AG Oldenburg (Holstein) - 12.10.2009 - AZ: 23 C 330/06

LG Lübeck - 24.01.2011 - AZ: 1 S 127/09

Fundstellen:

AnwBl 2011, 787

BB 2011, 2113

DB 2011, 2317

FamRZ 2011, 1574

JurBüro 2012, 556-557

MDR 2011, 1208

Mitt. 2012, 45 "Verpasste Berufungsfrist"

NJ 2011, 4

NJW 2011, 8

NJW-Spezial 2011, 670-671

RENOpraxis 2011, 275

ZAP 2011, 1193

ZAP EN-Nr. 782/2011

BGH, 06.07.2011 - XII ZB 88/11

Amtlicher Leitsatz:

ZPO §§ 234 B, 238 Abs. 2, § 522 Abs. 1 Satz 4

  1. a)

    Die Wiedereinsetzungsfrist beginnt spätestens mit dem Zeitpunkt, in dem der verantwortliche Anwalt bei Anwendung der unter den gegebenen Umständen von ihm zu erwartenden Sorgfalt die eingetretene Säumnis hätte erkennen können und müssen (Senatsbeschluss vom 7. Februar 1996 XII ZB 107/94 - FamRZ 1996, 934).

  2. b)

    Wird dem Anwalt die Handakte zur Fertigung der Berufungsbegründung vorgelegt, muss er anhand der Handakte auch prüfen, ob die Berufungsfrist eingehalten worden ist.

Der XII. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat
am 6. Juli 2011
durch
die Vorsitzende Richterin Dr. Hahne und
die Richter Weber-Monecke, Dose, Schilling und Dr. Günter
beschlossen:

Tenor:

Die Rechtsbeschwerde gegen den Beschluss der 1. Zivilkammer des Landgerichts Lübeck vom 24. Januar 2011 wird auf Kosten des Klägers verworfen.

Beschwerdewert: bis 19.000 €

Gründe

I.

1

Der Kläger wendet sich mit der Rechtsbeschwerde gegen die Zurückweisung seines Antrages auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand und die damit einhergehende Verwerfung seiner Berufung.

2

Das Amtsgericht hat die Klage auf Rückzahlung restlicher Mietkaution abgewiesen und der auf Zahlung bzw. Feststellung gerichteten Widerklage stattgegeben. Das Urteil ist dem Kläger am 30. Oktober 2009 zugestellt worden. Die Berufungsschrift des Klägers ist beim Berufungsgericht am 2. Dezember 2009 eingegangen, worauf das Gericht die Parteien mit Schreiben gleichen Datums hingewiesen hatte. Bereits am 30. November 2009 war die Berufungsschrift in Form eines Telefaxes an das Amtsgericht gesandt worden. Dieses hatte sie an das Berufungsgericht weitergeleitet, wo das Telefax am 3. Dezember 2009 schließlich eingegangen war. Nachdem das Berufungsgericht den Kläger am 12. Januar 2011 darauf hingewiesen hatte, dass die Berufungsfrist nicht eingehalten sei, hat er am 14. Januar 2011 Wiedereinsetzung in den vorigen Stand beantragt.

3

Diesen Antrag hat das Berufungsgericht mit dem angefochtenen Beschluss zurückgewiesen und zugleich die Berufung des Klägers als unzulässig verworfen. Dem Antrag des Beklagten (richtig: Klägers) sei nicht zu entsprechen, da er nicht innerhalb der Ausschlussfrist des § 234 Abs. 3 ZPO gestellt worden sei. Die Kammer sei nicht gehalten gewesen, vor Ablauf dieser Jahresfrist über die Zulässigkeit der Berufung zu entscheiden. Besondere Umstände, bei deren Vorliegen die Ausschlussfrist nicht eingreife, lägen nicht vor. Zudem hätte auch der Beklagtenvertreter (richtig: Klägervertreter) Kenntnis von den Tatsachen, aus denen sich die Unzulässigkeit der Berufung ergäbe. Hiergegen wendet sich der Kläger mit der Rechtsbeschwerde.

II.

4

Die Rechtsbeschwerde ist unzulässig. Sie ist zwar gemäß § 574 Abs. 1 Nr. 1 i.V.m. §§ 522 Abs. 1 Satz 4, 238 Abs. 2 ZPO statthaft und frist- sowie formgerecht eingelegt worden. Entgegen der Auffassung der Rechtsbeschwerde fehlt es jedoch an den Voraussetzungen des § 574 Abs. 2 ZPO. Namentlich ist eine Entscheidung des Bundesgerichtshofs zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung nicht erforderlich.

5

Es kann dahingestellt bleiben, ob die Begründung der angefochtenen Entscheidung zur Anwendung der Ausschlussfrist des § 234 Abs. 3 ZPO den entsprechenden Angriffen der Rechtsbeschwerde standhielte.

6

Die angefochtene Entscheidung beruht jedenfalls nicht auf einer möglicherweise fehlerhaften Anwendung der Ausschlussfrist des § 234 Abs. 3 ZPO. Nach den getroffenen Feststellungen war der Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand bereits gemäß § 234 Abs. 1 und Abs. 2 ZPO unzulässig.

7

a)

Nach § 234 Abs. 1 Satz 1 ZPO muss die Wiedereinsetzung innerhalb einer zweiwöchigen Frist beantragt werden. Nach § 234 Abs. 2 ZPO beginnt die Frist mit dem Tag, an dem das Hindernis - hier also die Unkenntnis von dem verspäteten Eingang der Berufungsschrift beim Berufungsgericht - behoben ist. Dabei ist ein Hindernis nicht erst bei Kenntnis des wahren Sachverhalts entfallen; es ist im Sinne von § 234 Abs. 2 ZPO auch behoben, sobald die Unkenntnis und damit die Verhinderung nicht mehr unverschuldet ist (BGH Beschlüsse vom 16. September 2003 - X ZR 37/03 - NJW-RR 2004, 282, 283; vom 13. Juli 2004 - XI ZB 33/03 - NJW-RR 2005, 76, 77 und Senatsbeschluss vom 7. Februar 1996 - XII ZB 107/94 - FamRZ 1996, 934). Die Wiedereinsetzungsfrist beginnt deshalb spätestens mit dem Zeitpunkt, in dem der verantwortliche Anwalt bei Anwendung der unter den gegebenen Umständen von ihm zu erwartenden Sorgfalt die eingetretene Säumnis hätte erkennen können und müssen (Senatsbeschluss vom 7. Februar 1996 - XII ZB 107/94 - FamRZ 1996, 935; vgl. auch BGH Beschluss vom 28. Oktober 2009 - IV ZB 10/09 - NJW-RR 2010, 1000 Rn. 9).

8

b)

Gemessen hieran war die zweiwöchige Frist des § 234 Abs. 1 Satz 1 ZPO im Zeitpunkt der Antragstellung bereits abgelaufen.

9

Spätestens bei Vorlage der Handakte zur Fertigung der Berufungsbegründung, deren Frist am 30. Dezember 2009 ablief, hatte der Prozessbevollmächtigte des Klägers Anlass gehabt, auch die Einhaltung der Berufungsfrist zu überprüfen. Hierbei hätte er namentlich anhand der gerichtlichen Eingangsbestätigung vom 2. Dezember 2009 bemerken müssen, dass die Berufung beim Gericht erst am gleichen Tag eingegangen war. Im Übrigen hatte der Beklagtenvertreter (unzutreffend die Bezeichnung durch das Berufungsgericht als Klägervertreter) mit Schriftsatz vom 22. Februar 2010, also rund 11 Monate vor Eingang des Wiedereinsetzungsantrages, auf eine mögliche Fristversäumnis hingewiesen.

Hahne
Weber-Monecke
Dose
Schilling
Günter

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