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Bundesgerichtshof
Urt. v. 04.05.2011, Az.: 2 StR 26/11
Mangels ausreichender Beweiswürdigung bzgl. einer möglichen Strafbarkeit u.a. wegen Geiselnahme ist das Gericht seiner Kognitionspflicht nicht nachgekommen
Gericht: BGH
Entscheidungsform: Urteil
Datum: 04.05.2011
Referenz: JurionRS 2011, 16429
Aktenzeichen: 2 StR 26/11
ECLI: [keine Angabe]

Verfahrensgang:

vorgehend:

LG Mainz - 06.09.2010

Rechtsgrundlage:

§ 177 Abs. 4 StGB

Verfahrensgegenstand:

Schwere Vergewaltigung u.a.

BGH, 04.05.2011 - 2 StR 26/11

Redaktioneller Leitsatz:

Eine Fesselung kann ein Sich-Bemächtigen im Sinn des § 239b StGB darstellen.

Der 2. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat
in der Sitzung vom 4. Mai 2011,
an der teilgenommen haben:
Richter am Bundesgerichtshof Prof. Dr. Fischer als Vorsitzender,
die Richter am Bundesgerichtshof Prof. Dr. Schmitt, Dr. Berger, Prof. Dr. Krehl, Dr. Eschelbach,
Staatsanwalt beim Bundesgerichtshof als Vertreter der Bundesanwaltschaft,
Rechtsanwältin als Vertreterin der Nebenklage,
Justizangestellte als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,
für Recht erkannt:

Tenor:

  1. 1.

    Auf die Revision der Staatsanwaltschaft wird das Urteil des Landgerichts Mainz vom 6. September 2010 mit den Feststellungen - mit Ausnahme derjenigen zum objektiven Tatgeschehen - aufgehoben.

  2. 2.

    Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

Gründe

1

Das Landgericht hat den Angeklagten wegen schwerer Vergewaltigung in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung, Freiheitsberaubung, Besitz eines verbotenen Gegenstandes und schweren Raubes zu einer Freiheitsstrafe von sechs Jahren und sechs Monaten verurteilt. Die auf die Sachrüge gestützte Revision der Staatsanwaltschaft hat Erfolg.

I.

2

1.

Nach den Feststellungen des Landgerichts kannte der Angeklagte die Nebenklägerin, eine auf der K. straße in F. tätige Prostituierte, seit einigen Monaten vor der Tat. Er nahm dort ihre Dienste in Anspruch, traf sich mit ihr aber auch in Restaurants und Cafes ohne sexuellen Hintergrund. Weil die Nebenklägerin im Laufe der Zeit Vertrauen zum Angeklagten fasste, fuhr sie auch mit ihm zu seiner Wohnung nach M. -M. , um dort ihre Dienste anzubieten.

3

Am 29. Januar 2010 überredete der Angeklagte die Nebenklägerin erneut, mit ihm zu seiner Wohnung nach M. zu fahren. Er hatte sich vorgenommen, zur Abwechslung während des üblichen Geschlechtsverkehrs Fesselspiele durchzuführen und diese filmisch zu dokumentieren. Mit dieser Idee wollte der Angeklagte die Nebenklägerin überraschen, die sich gegen ein Entgelt von 600 € zu vier Stunden sexueller Dienstleistungen bereit erklärt hatte. Nach Eintreffen in der Wohnung gegen 20.00 Uhr arbeitete der Angeklagte zunächst an seinem Laptop, bevor es dann zu geschütztem einvernehmlichem Geschlechtsverkehr kam. Im Anschluss daran zeigte und erklärte er ihr den Laptop, den er ihr zu schenken beabsichtigte.

4

Nach weiterer Arbeit am Laptop, bei der der Angeklagte zwei Flaschen Bier trank, forderte der Angeklagte die unbekleidete Nebenklägerin auf, sich umzudrehen. Sie kam diesem Wunsch nach, weil sie davon ausging, dass der Angeklagte nunmehr von hinten geschützten Geschlechtsverkehr mit ihr ausführen wollte. Dies beabsichtigte der Angeklagte allerdings nicht, der der Nebenklägerin stattdessen, nachdem er ihr Pfefferspray ins Gesicht gesprüht hatte, eine von zwei bereit gelegten metallenen Handschellen anlegte. Erschrocken sprang die Nebenklägerin auf, fragte den Angeklagten, was dies solle, und lief ins Bad. Der Angeklagte folgte ihr und war ihr behilflich, das Pfefferspray, das sich auf dem ganzen Körper verteilt hatte, in der Badewanne abzuwaschen. Dabei kettete er sie mit der Handschelle an einem über dem Badewannenrand befindlichen Metallgriff an. Angesichts dieser sich ihm damit bietenden Gelegenheit fasste er nun den Entschluss, die "Fesselspiele" notfalls auch gegen den Willen der Nebenklägerin durchzuführen.

5

Die Nebenklägerin fragte nach dem Grund der Fesselung, worauf der Angeklagte ihr androhte, sie zu erschießen, falls sie schreien würde. Dem verlieh er dadurch Nachdruck, dass er ihr ein im Badezimmerregal neben einem Würgeholz deponiertes, einer echten Pistole zum Verwechseln ähnlich sehendes Feuerzeug zeigte. Gleichzeitig kündigte er an, die Nebenklägerin am nächsten Tag freizulassen. Über ihre Bitte, sie sofort gehen zu lassen, ging er hinweg. Nachdem der Angeklagte festgestellt hatte, dass er keinen Schlüssel mehr für die Handschellen besaß, versuchte er, mit einem Schraubenzieher den Haltegriff von der Wand abzuschrauben. Schließlich gelang es der Nebenklägerin, diesen Griff aus der Wand zu reißen und sich so zu befreien. Sie verließ das Badezimmer und legte sich auf Aufforderung des Angeklagten auf das im Nebenzimmer befindliche Sofa, um ihn nicht unnötig zu provozieren. Dort befestigte er eine zweite bereit liegende metallene Handschelle an der anderen Hand, umwickelte mit einer blauen Kordel mehrfach ihre Beine und Arme und fesselte die auf dem Rücken liegende Nebenklägerin mit einem Kabel an das Schlafsofa.

6

Der Angeklagte forderte nunmehr von der Nebenklägerin Sex. Sie lehnte ab, wollte erst wieder "entfesselt" werden. Er setzte sich gleichwohl auf ihren Bauch und bedrängte sie, ihn oral zu befriedigen. Als die Nebenklägerin sich durch Wegdrehen des Kopfes weigerte, erzwang er von der sich weiter wehrenden Nebenklägerin den ungeschützten Geschlechtsverkehr. Dabei drohte er zum Schein, sie erschießen zu wollen, falls sie sich weiterhin widersetze. Im Laufe der Nacht kam es noch zwei weitere Male zum Vollzug des ungeschützten Geschlechtsverkehrs gegen den Willen der Nebenklägerin, die aufgrund der Fesselung die Wohnung nicht unbemerkt verlassen konnte und im Übrigen wie der Angeklagte auch aus Erschöpfung einschlief.

7

Nach dem letzten Beischlaf gegen 8.00 Uhr morgens teilte der Angeklagte der Nebenklägerin mit, dass er für zwei Stunden weg müsse. Er forderte von ihr Geld. Nachdem er in ihrer Jacke und Handtasche nachgesehen und dort nur Kleingeld gefunden hatte, herrschte er sie an, dass dies nicht alles sein könne, und hielt ihr die aus dem Badezimmer geholte Pistolenattrappe drohend vor. Aus Angst offenbarte sie dem Angeklagten, wo sich weiteres Geld befände. Der Angeklagte nahm einen 50 €-Schein an sich und verließ sodann die Wohnung, nachdem er die Nebenklägerin zusätzlich mit einem Gürtel gefesselt und weiter mit einem Schal geknebelt hatte. Ihr gelang es schließlich, einen Teil der Fesselungen zu lösen und vom Balkon aus eine Nachbarin aufmerksam zu machen, die die Polizei benachrichtigte. Die Nebenklägerin erlitt durch die Misshandlungen des Angeklagten Rötungen und Reizungen der Bindehäute beider Augenlider sowie kräftige Hautrötungen und Abschürfungen vor allem an den Unterarmen und an den Knöcheln. Zwei Wochen lang litt die Nebenklägerin an Angststörungen und Albträumen. Zu bleibenden körperlichen oder psychischen Schäden ist es nicht gekommen.

8

2.

Das Landgericht hat den Angeklagten - nach Einstellung von Tatvorwürfen hinsichtlich einer Körperverletzung durch die Fesselung und der Bedrohung mit dem Tod - wegen schwerer Vergewaltigung in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung, Freiheitsberaubung, Besitz eines verbotenen Gegenstandes und schweren Raubes verurteilt. An einer Verurteilung nach § 177 Abs. 4 StGB hat es sich gehindert gesehen, weil das Pfefferspray als gefährliches Werkzeug nicht "bei der Tat" verwendet worden sei. Die verwirklichten Tatbestände stünden in Tateinheit, da vom Vorliegen einer "natürlichen Handlungseinheit" auszugehen sei.

II.

9

Die vom Generalbundesanwalt vertretene Revision der Staatsanwaltschaft, die die Beweiswürdigung des Landgerichts beanstandet, das einen Entschluss des Angeklagten zur gewaltsamen Erzwingung der Fesselspiele erst nach dem Einsatz des Pfeffersprays angenommen hat und in erster Linie eine Verurteilung auch wegen besonders schwerer Vergewaltigung, zudem aber auch wegen Geiselnahme erstrebt, hat Erfolg.

10

1.

Dabei kann dahinstehen, ob die von der Revision beanstandeten Mängel in der Beweiswürdigung, die das Absehen von einer Verurteilung nach § 177 Abs. 4 Nr. 1 StGB als bedenklich erscheinen lassen, gegeben sind. Denn auch auf der Grundlage der landgerichtlichen Feststellungen erweist sich das Urteil als rechtsfehlerhaft. Die Kammer hat mit ihrem Schuldspruch den Unrechtsgehalt der von ihr festgestellten Tat nicht ausgeschöpft und ist somit ihrer Kognitionspflicht nicht nachgekommen.

11

a)

So hat das Landgericht nicht erörtert, ob sich der Angeklagte der Geiselnahme (§ 239b StGB) schuldig gemacht hat. Nach den Feststellungen bemächtigte sich der Angeklagte der Nebenklägerin jedenfalls in dem Augenblick, als er ihre Hand mit einer Handschelle an einem Metallgriff im Badezimmer verband. Dies tat er zwar zunächst nicht, um sie - wie später mehrfach geschehen - zur Duldung des Geschlechtsverkehrs zu nötigen. Soweit er aber während des nunmehr andauernden psychischen Herrschaftsverhältnisses über das Tatopfer den Entschluss fasste, die Fesselspiele notfalls auch gegen den Willen der Nebenklägerin durchzuführen, und diese anschließend ausdrücklich für den Fall von Schreien und sodann im Zusammenhang mit dem ersten sexuellen Übergriff mit dem Tode bedrohte, könnte er objektiv und subjektiv die von ihm geschaffene Lage zu einer (qualifizierten) Nötigung mittels ausdrücklicher und später fortgesetzter konkludenter Todesdrohung genutzt haben (§ 239b Abs. 1 2. Halbs. StGB). Hiermit hätte sich das Landgericht auseinandersetzen müssen (vgl. BGH, Urteil vom 9. Dezember 2010 - 2 StR 453/10).

12

b)

Auch hätte sich das Landgericht gedrängt sehen müssen, eine mögliche Strafbarkeit nach § 239a Abs. 1 2. Alt. StGB zu erörtern. Auch insoweit liegt es nach den landgerichtlichen Feststellungen nahe, dass der Angeklagte eine von ihm geschaffene und infolge der Fesselungen bis in den Morgen hinein andauernde Bemächtigungslage zu einem Raub ausgenutzt haben könnte.

13

2.

Es kann dahinstehen, ob die jedenfalls nicht nahe liegende Annahme des Landgerichts, die nach seiner rechtlichen Würdigung verwirklichten Straftatbestände bildeten eine "natürliche Handlungseinheit" und stünden deshalb untereinander im Verhältnis der Tateinheit, vor allem mit Blick auf den Raubtatbestand rechtlicher Überprüfung letztlich standhält. Denn sollten in der neuen Hauptverhandlung mit der andauernden Bemächtigungslage die Voraussetzungen für eine Geiselnahme bzw. einen erpresserischen Menschenraub festgestellt werden können, käme insoweit die Annahme von Tateinheit in Betracht (vgl. Fischer StGB 58. Aufl. § 239a Rn. 21 f.).

14

3.

Das angefochtene Urteil kann somit keinen Bestand haben. Jedoch können die Feststellungen zum objektiven Tatgeschehen aufrechterhalten werden; denn sie sind von den dargelegten Rechtsfehlern nicht betroffen. Weitere Feststellungen kann der nunmehr zur Entscheidung berufene Tatrichter treffen, wenn sie zu den bisherigen nicht in Widerspruch stehen.

Fischer
Schmitt
Berger
Krehl
Eschelbach

Von Rechts wegen

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