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Bundesgerichtshof
Beschl. v. 14.10.2010, Az.: IX ZR 4/10
Verpflichtung eines Rechtsanwalts zum Hinweis des Gerichts auf streitentscheidende rechtliche und tatsächliche Aspekte einer Aktienübertragung und einer damit verbundenen Enthaftung seines Mandanten von der Einlagenschuld; Haftung eines Rechtsanwalts trotz eines für den Schaden einer Partei mitursächlichen Fehlers des Gerichts
Gericht: BGH
Entscheidungsform: Beschluss
Datum: 14.10.2010
Referenz: JurionRS 2010, 25749
Aktenzeichen: IX ZR 4/10
ECLI: [keine Angabe]

Verfahrensgang:

vorgehend:

LG Bochum - 03.01.2008 - AZ: 6 O 78/07

OLG Hamm - 26.11.2009 - AZ: I-28 U 27/08

Rechtsgrundlage:

Art. 103 Abs. 1 GG

BGH, 14.10.2010 - IX ZR 4/10

Redaktioneller Leitsatz:

  1. 1.

    Es gibt keinen Rechtsgrundsatz, wonach sich die Vermögenslage des Auftraggebers nach einem anwaltlichen Fehlverhalten erst mit der ersten nachteiligen Gerichtentscheidung verschlechtert.

  2. 2.

    Hat ein Rechtsanwalt bei der Vertretung einer Partei eine Pflichtverletzung begangen, kann dessen Haftung grundsätzlich auch dann angenommen werden, wenn ein Fehler des Gerichts für den Schaden der Partei mitursächlich geworden ist.

Der IX. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat
durch
den Vorsitzenden Richter Dr. Ganter und
die Richter Raebel, Prof. Dr. Kayser, Prof. Dr. Gehrlein und Grupp
am 14. Oktober 2010
beschlossen:

Tenor:

Die Beschwerde der Kläger gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des 28. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Hamm vom 26. November 2009 wird zurückgewiesen.

Die Beschwerde des Beklagten zu 2 gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des 28. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Hamm vom 26. November 2009 wird zurückgewiesen.

Von den Gerichtskosten tragen der Kläger zu 1 allein 24 %, der Kläger zu 2 allein 30 %, die Kläger als Gesamtschuldner 4 % und der Beklagte zu 2 restliche 42 %.

Die außergerichtlichen Kosten des Klägers zu 1 tragen er selbst zu 64 % und der Beklagte zu 2 zu 36 %.

Die außergerichtlichen Kosten des Klägers zu 2 tragen er selbst zu 54 % und der Beklagte zu 2 zu 46 %.

Die außergerichtlichen Kosten der Beklagten zu 1 tragen der Kläger zu 1 allein zu 42 %, der Kläger zu 2 allein zu 54 % und die Kläger als Gesamtschuldner zu 4 %.

Die außergerichtlichen Kosten des Beklagten zu 2 tragen er selbst zu 82 %, der Kläger zu 1 allein zu 6 %, der Kläger zu 2 allein zu 8 % und die Kläger als Gesamtschuldner zu 4 %.

Der Streitwert wird auf 304.536,95 € festgesetzt.

Gründe

I.

1

Die Beschwerde der Kläger deckt keinen Zulassungsgrund auf.

2

1.

Soweit das Berufungsgericht einen Primäranspruch gegen die Beklagte zu 1 als verjährt ansieht, ist die von der Beschwerde angeführte Divergenz nicht gegeben.

3

Der Bundesgerichtshof hat in dem Beschluss vom 20. Oktober 2005 (IX ZR 147/02, BRAK-Mitt. 2006, 24 Rn. 3) lediglich darauf hingewiesen, dass es keinen in der ständigen Rechtsprechung bekräftigten Grundsatz gibt, wonach sich die Vermögenslage des Auftraggebers nach einem anwaltlichen Fehlverhalten erst mit der ersten nachteiligen Gerichtentscheidung verschlechtert. Demzufolge besteht die Möglichkeit eines Verjährungsbeginns bereits vor Erlass der ersten dem Mandanten nachteiligen Entscheidung. Die Verjährung beginnt jedoch in Übereinstimmung mit der Würdigung des Berufungsgerichts spätestens mit Erlass der ersten dem Kläger nachteiligen Entscheidung zu laufen (BGH, Urt. v. 9. Dezember 1999 - IX ZR 129/99, WM 2000, 959, 960; v. 27. Januar 2000 - IX ZR 354/98, WM 2000, 969, 970; v. 21. Februar 2002 - IX ZR 127/00, WM 2002, 1078, 1079; Zugehör in Zugehör/Fischer/Sieg/Schlee, Handbuch der Anwaltshaftung 2. Aufl. Rn. 1347; Fahrendorf in Fahrendorf/Mennemeyer/Terbille, Anwaltshaftung 8. Aufl. Rn. 1214).

4

2.

Vergeblich rügen die Kläger im Blick auf einen Sekundäranspruch eine Verletzung des Art. 103 Abs. 1 GG.

5

Ausweislich des Urteilstatbestandes hat das Berufungsgericht den von Rechtsanwalt T. nach Erlass des Ersturteils gefertigten Vermerk zur Kenntnis genommen. Das Berufungsgericht hat den Inhalt des Vermerks jedoch nicht als entscheidungserheblich erachtet und daraus nicht die von den Klägern befürworteten Rechtsfolgen hergeleitet. Das Berufungsgericht ist ersichtlich davon ausgegangen, dass Rechtsanwalt T. weder nach Erlass des erstinstanzlichen Urteils noch bei Abschluss des Vergleichs einen Anlass hatte, sein Verhalten zu überprüfen. Das Prozessgrundrecht des rechtlichen Gehörs gibt keinen Anspruch darauf, dass sich das Gericht mit Vorbringen einer Partei in der Weise auseinandersetzt, die sie selbst für richtig hielt. Aus Art. 103 Abs. 1 GG folgt auch keine Pflicht der Gerichte, der von einer Partei vertretenen Rechtsansicht zu folgen (BGH, Beschl. v. 21. Februar 2008 - IX ZR 62/07, DStRE 2009, 328 Rn. 5 m.w.N.).

6

3.

Soweit das Berufungsgericht den durch die erfolglose Inanspruchnahme des Wirtschaftsprüfers B. entstandenen Kostenschaden als unbegründet erachtet hat, scheidet ein Verstoß gegen Art. 103 Abs. 1 GG aus, weil die von den Klägern vermisste Berücksichtigung der Beiakte für sich genommen nicht das rechtliche Gehör verletzt. Die Kläger haben nicht vorgetragen, sich in den Tatsacheninstanzen auf bestimmte Inhalte der Beiakte bezogen zu haben. Im Übrigen wäre ein Verfahrensmangel nicht entscheidungserheblich. Dadurch würde die tragende Würdigung des Berufungsgerichts nicht berührt, dass die Kläger die Beklagte zu 1 unrichtig informiert haben und eine Klage gegen den Wirtschaftsprüfer B. mangels einer Mitwirkung an der Kapitalerhöhung von vornherein aussichtslos war.

II.

7

Die Beschwerde des Beklagten zu 2 ist ebenfalls unbegründet.

8

1.

Ohne Erfolg macht der Beklagte zu 2 unter dem Gesichtspunkt der Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung (§ 543 Abs. 2 Nr. 2 Altern. 2 ZPO) geltend, in dem Vorprozess nicht zu einem näheren Vortrag hinsichtlich der Übertragung der Aktien von den Klägern auf die t. AG verpflichtet gewesen zu sein.

9

a)

Nach gefestigter Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs ist der mit der Prozessführung betraute Rechtsanwalt seinem Mandanten gegenüber verpflichtet, dafür einzutreten, dass die zugunsten des Mandanten sprechenden tatsächlichen und rechtlichen Gesichtspunkte so umfassend wie möglich ermittelt und bei der Entscheidung des Gerichts berücksichtigt werden. Mit Rücksicht auf das auch bei Richtern nur unvollkommene menschliche Erkenntnisvermögen und die niemals auszuschließende Möglichkeit eines Irrtums ist es Pflicht des Rechtsanwalts, nach Kräften dem Aufkommen von Irrtümern und Versehen des Gerichts entgegenzuwirken (BGH, Urt. v. 18. Dezember 2008 - IX ZR 179/07, WM 2009, 324, 325 Rn. 8 m.w.N.). Deshalb ist der Rechtsanwalt im Rahmen seines Auftrags verpflichtet, seinen Mandanten vor voraussehbaren und vermeidbaren Nachteilen zu bewahren. Er hat, wenn verschiedene Maßnahmen in Betracht kommen, den relativ sichersten Weg zu gehen (BGH, Urt. v. 17. September 2009 - IX ZR 74/08, WM 2009, 2138, 2139 Rn. 7).

10

b)

Bei dieser Sachlage war der Beklagte zu 2 in dem Vorprozess gehalten, das Gericht im Einzelnen auf die streitentscheidenden tatsächlichen und rechtlichen Aspekte der Aktienübertragung von den Klägern auf die t. AG sowie auf die mangels einer Möglichkeit des gutgläubigen Erwerbs damit verbundene Enthaftung der Kläger von der Einlageschuld hinzuweisen. Die Haftung des Rechtsanwalt kann im Regelfall auch dann angenommen werden, wenn ein Fehler des Gerichts insbesondere bei der rechtlichen Prüfung des Streitfalls für den Schaden einer Partei mitursächlich geworden ist (BVerfG, 2. Kammer des Ersten Senats, Beschl. v. 22. April 2009 - 1 BvR 386/09, NJW 2009, 2945, 2946 Rn. 16). Wie das Bundesverfassungsgericht in dem vorbezeichneten Beschluss ausgeführt hat (aaO Rn. 17), kann aus dem von der Nichtzulassungsbeschwerde angeführten Beschluss vom 12. August 2002 (BVerfG, 2. Kammer des Ersten Senats - 1 BvR 399/02, NJW 2002, 2937, 2938 [BVerfG 12.08.2002 - 1 BvR 399/02]) nicht hergeleitet werden, dass die haftungsrechtliche Verantwortung von Verfassungs wegen ausschließlich den Gerichten übertragen sein soll. Im vorliegenden Fall ergab sich die dargestellte Verpflichtung es Beklagten zu 2 insbesondere daraus, dass er als Berufungsanwalt das anzufechtende Urteil der Vorinstanz zu überprüfen und etwaige Fehler dem Berufungsgericht aufzuzeigen hatte. Bei Erfüllung dieser Pflichten hätte er darauf stoßen müssen, dass bereits das Landgericht die Enthaftung der Kläger von der Einlagepflicht übersehen hatte, und seinen Berufungsangriff darauf stützen müssen.

11

2.

Im Blick auf die von den Beklagten zu 2 beanstandete Schadensberechnung greift ebenfalls ein Zulassungsgrund nicht durch.

12

Da die Kläger im Vergleichsweg den offenen Einlagebetrag im Wesentlichen an den Insolvenzverwalter nachentrichtet haben, stehen sie wirtschaftlich nicht günstiger, wie wenn die Pflichtverletzung des Beklagten zu 2 nicht stattgefunden hätte. Tatsächlich wurden die Kläger damit einer Einlagepflicht unterworfen, obwohl nach Veräußerung ihrer Aktien eine Enthaftung eingetreten war.

Ganter
Raebel
Kayser
Gehrlein
Grupp

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