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Bundesgerichtshof
Beschl. v. 18.03.2010, Az.: 3 StR 65/10
Rechtzeitige Einlassung für eine Strafmilderung bei Einlassung erst in der Hauptverhandlung; Anwendung des § 31 Betäubungsmittelgesetz (BtMG) auf vor dem 01. September 2009 ergangene Beschlüsse zur Eröffnung des Hauptverfahrens; Vereinbarkeit einer aus Art. 316d Einführungsgesetz zum Strafgesetzbuch (EGStGB) gefolgerten regelmäßigen Anwendung des § 31 BtMG auf ab dem 1. September 2009 eröffnete Verfahren mit dem Rückwirkungsverbot
Gericht: BGH
Entscheidungsform: Beschluss
Datum: 18.03.2010
Referenz: JurionRS 2010, 15670
Aktenzeichen: 3 StR 65/10
ECLI: [keine Angabe]

Verfahrensgang:

vorgehend:

LG Krefeld - 06.11.2009

Fundstellen:

NStZ 2010, 523-524

StraFo 2010, 254-255

StRR 2010, 271 (Volltext mit red. LS u. Anm.)

StV 2010, 481-482

Verfahrensgegenstand:

Einfuhr von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge u.a.

BGH, 18.03.2010 - 3 StR 65/10

Redaktioneller Leitsatz:

  1. 1.

    § 46 b StGB und § 31 BtMG in der Fassung des 43. StrÄndG sind nicht auf Verfahren anzuwenden, in denen vor dem 1. September 2009 die Eröffnung des Hauptverfahrens beschlossen worden ist. Dies ist verfassungsrechtlich unbedenklich.

  2. 2.

    Für die Frage des anwendbaren Rechts in Verfahren, in denen die Anklage nach diesem Zeitpunkt eröffnet wurde, gelten die allgemeinen Regeln, nach denen grundsätzlich das zur Tatzeit geltende materielle Recht Anwendung findet, sofern das neuere Recht in seiner Gesamtheit keine für den Angeklagten günstigere Regelung darstellt.

  3. 3.

    Zwar wird die mit dem 43. StrÄndG eingeführte Kronzeugenregelung in Kriminalitätsbereichen, in denen es bislang keine entsprechenden bereichspezifischen Vorschriften gab, die mildere Regelung darstellen und daher gemäß § 2 Abs. 3 StGB in nach dem 1. September 2009 eröffneten Verfahren regelmäßig Anwendung finden; dies ist jedoch in Bereichen, in denen schon bisher sog. "kleine Kronzeugenregelungen" galten (§ 31 BtMG aF, § 261 Abs. 10 StGB aF), nicht der Fall.

Der 3. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat
nach Anhörung der Beschwerdeführer und des Generalbundesanwalts
- zu 2. auf dessen Antrag -
am 18. März 2010 gemäß
§ 349 Abs. 2 und 4 StPO
einstimmig beschlossen:

Tenor:

  1. 1.

    Auf die Revisionen der Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Krefeld vom 6. November 2009 im Strafausspruch aufgehoben; jedoch bleiben die bisherigen Feststellungen aufrechterhalten.

    Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Rechtsmittel, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

  2. 2.

    Die weitergehenden Revisionen werden verworfen.

Gründe

1

Das Landgericht hat die Angeklagten wegen unerlaubter Einfuhr von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in Tateinheit mit Beihilfe zum unerlaubten Handeltreiben mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge zu Freiheitsstrafen von jeweils drei Jahren und sechs Monaten verurteilt. Die auf die allgemeine Sachrüge gestützten Revisionen der Angeklagten haben zum Strafausspruch Erfolg, zum Schuldspruch sind sie unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO.

2

1.

Der Strafausspruch kann nicht bestehen bleiben. Das Landgericht hat die gegen die Angeklagten verhängten Strafen jeweils dem Strafrahmen des 1 § 30 Abs. 1 BtMG entnommen und bei deren konkreter Bemessung beiden Angeklagten deren "Aufklärungsbereitschaft" strafmildernd zugute gebracht. Dagegen hat es die Anwendung des § 31 BtMG nicht für möglich gehalten. Dies hält rechtlicher Prüfung nicht stand.

3

a)

Nach den Urteilsfeststellungen wurden die Angeklagten am 13. Juli 2009 nach der Einfuhr von etwa 3 kg Marihuana und 3 kg Amphetamin aus den Niederlanden in die Bundesrepublik festgenommen. Sowohl bei ihren polizeilichen Vernehmungen vom selben Tag wie auch im weiteren Ermittlungs- und im Zwischenverfahren leisteten die Angeklagten keine Aufklärungshilfe. Nach Anklageerhebung vom 28. Juli 2009 eröffnete das Landgericht Krefeld mit Be-schluss vom 16. September 2009 das Hauptverfahren (§ 207 StPO). Erstmals in der am 6. November 2009 stattfindenden Hauptverhandlung machten beide Angeklagten Angaben zu ihrem Auftraggeber.

4

Das Landgericht ist der Ansicht, dass es ausgeschlossen sei, auf diese Angaben eine Strafmilderung nach § 31 BtMG zu stützen; denn der späte Zeitpunkt der Aussagen erst in der Hauptverhandlung führe gemäß § 31 Satz 2 BtMG, § 46 b Abs. 3 StGB i.V.m. Art. 316 d EGStGB (jeweils in der Fassung des 43. StrÄndG vom 29. Juli 2009, BGBl. I 2288, in Kraft seit 1. September 2009) dazu, dass wegen der nunmehr geltenden zeitlichen Grenze der Berück-sichtungsfähigkeit die "Vergünstigung des § 31 BtMG" den Angeklagten nicht mehr zugute kommen könne.

5

b)

Dem kann nicht gefolgt werden. Art. 316 d EGStGB bestimmt, dass § 46 b StGB und § 31 BtMG in der Fassung des 43. StrÄndG nicht auf Verfahren anzuwenden sind, in denen vor dem 1. September 2009 die Eröffnung des Hauptverfahrens beschlossen worden ist. Diese negativ formulierte Überleitungsvorschrift stellt eine - verfassungsrechtlich unbedenkliche (BVerfGE 81, 132, 136 f.; BGHSt 42, 113, 120; Eser in Schönke/Schröder, StGB 27. Aufl. § 2 Rdn. 16) - Derogation des Meistbegünstigungsprinzips (§ 2 Abs. 3 StGB) dar, die die Gerichte in bereits rechtshängigen Verfahren von der gegebenenfalls schwierigen Bewertung entbinden soll, ob die alte oder neue Fassung des § 31 BtMG nach den Umständen des konkreten Einzelfalls das mildere Gesetz sei (BTDrucks. 16/6268 S. 17: etwa im Hinblick auf die Frage einer Milderung nach § 49 Abs. 1 oder 2 StGB oder eines Absehens von Strafe).

6

Sie bedeutet jedoch nicht, dass im Umkehrschluss die neuen Vorschriften - und damit auch die Präklusionsvorschrift des § 46 b Abs. 3 StGB - ohne weiteres auf Verfahren anzuwenden sind, in denen die Eröffnung des Hauptverfahrens nach dem 1. September 2009 beschlossen worden ist. Für die Frage des auf diese Verfahren anwendbaren Rechts gelten vielmehr die allgemeinen Regeln, nach denen grundsätzlich das zur Tatzeit geltende materielle Recht Anwendung findet (§§ 1, 2 Abs. 1 StGB), sofern das neuere Recht in seiner Gesamtheit keine für den Angeklagten günstigere Regelung darstellt (§ 2 Abs. 3 StGB).

7

Die vom Landgericht vorgenommene Auslegung, nach der § 46 b Abs. 3 StGB i.V.m. § 31 Satz 2 BtMG nF auch dann Anwendung finden soll, wenn dies zur Versagung einer nach alter Rechtslage gegebenen Milderungsmöglichkeit nach § 31 BtMG führt und damit eine für den Angeklagten nachteilige Änderung des zur Tatzeit geltenden materiellen Rechts darstellt, findet in der Gesetzesbegründung keine Stütze. Diese geht erkennbar nur von der Derogation des Meistbegünstigungsprinzips (§ 2 Abs. 3 StGB) aus. Auch die dortige Formulierung, dass § 46 b StGB in Strafverfahren "anwendbar" sei, in denen bei Inkrafttreten der Neuregelung am 1. September 2009 noch kein Eröffnungsbeschluss ergangen sei (BTDrucks. a.a.O.), kann keinen Anwendungsautomatismus in Bezug auf die neuen Vorschriften begründen. Zwar wird die mit dem 43. StrÄndG eingeführte Kronzeugenregelung in Kriminalitätsbereichen, in denen es bislang keine entsprechenden bereichspezifischen Vorschriften gab, die mildere Regelung darstellen und daher gemäß § 2 Abs. 3 StGB in nach dem 1. September 2009 eröffneten Verfahren regelmäßig Anwendung finden. Dies ist jedoch in Bereichen, in denen schon bisher sog. "kleine Kronzeugenregelungen" galten (§ 31 BtMG aF, § 261 Abs. 10 StGB aF), nicht der Fall. Hier ist im Einzelfall zu entscheiden, ob die neue oder die alte Regelung der Rechtsfolgen einer Aufklä-rungs- bzw. Präventionshilfe in ihrer Gesamtheit die für den Angeklagten günstigere Gesetzeslage darstellt.

8

Einer Auslegung des Art. 316 d EGStGB dahin, dass in den ab dem 1. September 2009 eröffneten Verfahren stets § 31 BtMG nF anzuwenden ist, kann auch deshalb nicht gefolgt werden, weil dies eine Änderung der mit Verfassungsrang (Fischer, StGB 57. Aufl. § 2 Rdn. 2; Eser a.a.O. Rdn. 1) versehenen Vorschrift des § 2 Abs. 1 StGB und damit einen Verstoß gegen das im Strafrecht absolut geltende Rückwirkungsverbot (Art. 103 Abs. 2 GG) darstellen würde. Zu den vom Rückwirkungsverbot erfassten Normen gehören auch jene Regeln, die über die Art und Weise der Rechtsfolgen der Erfüllung eines Straftatbestandes entscheiden und damit auch die Vorschriften über die Strafzumessung (vgl. BVerfGE 105, 135, 156 f. [BVerfG 20.03.2002 - 2 BvR 794/95]; Schulze-Fielitz in H. Dreier, Grundgesetz-Kommentar 2. Aufl. Art. 103 Abs. 2 Rdn. 24). Dass § 31 BtMG tatbestandlich an das Nachtatverhalten und einen etwaigen Aufklärungserfolg anknüpft, mithin an Sachverhalte, die (teilweise) in die Zeit nach Inkrafttreten des 43. StrÄndG fallen, ändert daran nichts. Mit der gesetzlichen Bestimmung der Strafbarkeit ist der gesamte sachliche Rechtszustand gemeint, von dem die Zulässigkeit und die Modalitäten der Ahndung einer Straftat abhängen (Fischer a.a.O. § 1 Rdn. 15; Eser a.a.O. § 2 Rdn. 20; Rudolphi in SK-StGB § 2 Rdn. 8; Schmitz in MünchKomm-StGB § 2 Rdn. 10; Schulze-Fielitz a.a.O. Rdn. 23 ff., 50).

9

2.

Die rechtsfehlerfrei getroffenen Feststellungen zum Strafausspruch können bestehen bleiben (§ 353 Abs. 2 StPO). Im Rahmen der neuen Strafzumessung sind ergänzende Feststellungen, insbesondere zur Frage eines Aufklärungserfolges, möglich, sofern sie den bisher getroffenen nicht widersprechen.

Becker
Pfister
Sost-Scheible
Hubert
Mayer

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