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Bundesgerichtshof
Beschl. v. 03.12.2009, Az.: IX ZB 238/08
Anfechtbarkeit eines Beschlusses bei mangelnder Wiedergabe des maßgeblichen Sachverhalts
Gericht: BGH
Entscheidungsform: Beschluss
Datum: 03.12.2009
Referenz: JurionRS 2009, 29525
Aktenzeichen: IX ZB 238/08
ECLI: [keine Angabe]

Verfahrensgang:

vorgehend:

AG Hannover - 09.04.2008 - AZ: 454 C 11978/07

LG Hannover - 07.08.2008 - AZ: 20 S 23/08

Fundstellen:

BRAK-Mitt 2010, 74

JurBüro 2010, 334

BGH, 03.12.2009 - IX ZB 238/08

Redaktioneller Leitsatz:

Beschlüsse, die mit der Rechtsbeschwerde anfechtbar sind, müssen den maßgeblichen Sachverhalt wiedergeben, über den entschieden wird.

Der IX. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat
durch
den Vorsitzenden Richter Dr. Ganter,
den Richter Vill,
die Richterin Lohmann und
die Richter Dr. Fischer und Dr. Pape
am 3. Dezember 2009
beschlossen:

Tenor:

Auf die Rechtsbeschwerde des Klägers wird der Beschluss der 20. Zivilkammer des Landgerichts Hannover vom 7. August 2008 aufgehoben.

Die Sache wird zur erneuten Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsbeschwerdeverfahrens, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.

Der Gegenstandswert für das Rechtsbeschwerdeverfahren wird auf 2.000 EUR festgesetzt.

Gründe

I.

1

Der Kläger legte gegen ein klageabweisendes amtsgerichtliches Urteil Berufung ein und beantragt Wiedereinsetzung in die Berufungsbegründungsfrist. Das Landgericht hat den Antrag auf Wiedereinsetzung mit Beschluss vom 7. August 2008 zurückgewiesen.

2

Mit der Rechtsbeschwerde begehrt der Kläger Aufhebung dieses Beschlusses und Wiedereinsetzung in die versäumte Berufungsfrist, hilfsweise Zurückverweisung.

II.

3

Die Rechtsbeschwerde ist gemäß § 522 Abs. 1 Satz 4, § 238 Abs. 2 Satz 1, § 574 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 ZPO statthaft und zulässig, § 574 Abs. 2 ZPO. Sie führt zur Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und zur Zurückverweisung der Sache an das Berufungsgericht.

4

1.

Der angefochtene Beschluss unterliegt schon deshalb der Aufhebung, weil er nicht mit Gründen versehen ist (§ 576 Abs. 3, § 547 Nr. 6 ZPO). Beschlüsse, die mit der Rechtsbeschwerde angefochten werden können, müssen den maßgeblichen Sachverhalt wiedergeben, über den entschieden wird, denn das Rechtsbeschwerdegericht hat grundsätzlich von demjenigen Sachverhalt auszugehen, den das Berufungs- oder Beschwerdegericht festgestellt hat (§ 577 Abs. 2 Satz 4, § 559 ZPO). Fehlen tatsächliche Feststellungen, ist es zu einer rechtlichen Überprüfung nicht in der Lage. Ausführungen des Berufungsgerichts, die eine solche Überprüfung nicht ermöglichen, sind keine Gründe im zivilprozessualen Sinne (st. Rspr., vgl. z.B. BGH, Beschl. v. 9. März 2006 - IX ZB 17/05, NZI 2006, 481; v. 27. März 2008 - IX ZB 144/07, ZIP 2008, 1034 f Rn. 3 f).

5

Das Landgericht hat seinen Rechtsauführungen keinen Sachverhalt vorangestellt. Auch aus den Entscheidungsgründen selbst ist der entscheidungserhebliche Sachverhalt nicht zu entnehmen. Insbesondere ergibt sich daraus auch nicht, wann mit welcher Begründung ein Wiedereinsetzungsantrag gestellt wurde.

6

Der Beschluss des Landgerichts kann damit keinen Bestand haben. Er ist aufzuheben; die Sache ist zur erneuten Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen (§ 577 Abs. 4 ZPO).

7

2.

Für das weitere Verfahren weist der Senat auf folgende rechtliche Gesichtspunkte hin:

8

a)

Nach gefestigter Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts und des Bundesgerichtshofs dient das Rechtsinstitut der Wiedereinsetzung in den vorigen Stand in besonderer Weise dazu, den Rechtsschutz und das rechtliche Gehör zu garantieren (vgl. zuletzt etwa BGH, Beschl. v. 23. Januar 2008 - XII ZB 155/07, NJW-RR 2008, 930 Rn. 6 m.w.N.). Daher gebieten es die Verfahrensgrundrechte auf Gewährung wirkungsvollen Rechtsschutzes und auf rechtliches Gehör, den Zugang zu den Gerichten und den in den Verfahrensordnungen vorgesehenen Instanzen nicht in unzumutbarer, aus Sachgründen nicht mehr zu rechtfertigender Weise zu erschweren (BVerfGE 88, 118, 123 ff; BVerfG NJW-RR 2002, 1005; BGHZ 151, 221, 227; BGH, Beschl. v. 23. Januar 2008 a.a.O.).

9

b)

Der Rechtsbeschwerdeführer konnte sich für den Transport der Berufungsbegründungsschrift eines privaten Kurierdienstes, nämlich des Postverteilungsdienstes des Anwaltsvereins bedienen. In der Auswahl dieses Dienstes ist ein Verschulden des Anwalts grundsätzlich nicht zu sehen (vgl. BVerfG, NJW-RR 2002 a.a.O. S. 1006; BGH, Beschl. v. 15. Juli 1998 - IV ZB 8/98, NJW-RR 1998, 1443, 1444; v. 22. Mai 2007 - VI ZB 59/05, NJW-RR 2008, 141, 142; v. 23. Januar 2008 a.a.O. Rn. 10). Dies gilt jedenfalls dann, wenn nach den üblichen Postlaufzeiten des Kurierdienstes mit einem fristgerechten Eingang zu rechnen war (BGH, Beschl. v. 22. Mai 2007 a.a.O.; v. 23. Januar 2008 a.a.O. Rn. 10 f). Entgegen der Auffassung des Landgerichts durfte also der Prozessbevollmächtigte der Klägerin einen Kurierdienst des Anwaltsvereins nutzen und musste den Schriftsatz nicht in den Nachtbriefkasten einwerfen oder zur Wachtmeisterei bringen.

10

c)

Hat der Rechtsanwalt das Schriftstück so rechtzeitig und ordnungsgemäß aufgegeben, dass es nach den Vorkehrungen des in Anspruch genommenen Kurierdienstes den Empfänger fristgerecht erreichen konnte, ist er nicht gehalten, sich vor Fristablauf durch Rückfrage bei der Geschäftsstelle des Berufungsgerichts von einem rechtzeitigen Eingang zu überzeugen (BGH, Beschl. v. 23. Januar 2008 a.a.O.). Gerade wenn man mit der Rechtsprechung den Bevollmächtigten im besonderen Maße für verpflichtet hält, für hinreichend sichere Ausgangskontrollen bei der Absendung fristwahrender Schriftsätze zu sorgen, kann er regelmäßig nicht auch noch gehalten sein, den Eingang seiner Schriftsätze bei Gericht zu überwachen (BVerfGE 79, 372, 375 f; BVerfG NJW 1992, 38).

11

Eine Nachfragepflicht kommt nur in Betracht, wenn hierfür ein konkreter Anlass vorliegt (BVerfGE 42, 120, 126; BVerfG NJW 1992, 38, 39). Ein solcher konkreter Anlass besteht nicht schon darin, dass der Anwalt in der noch laufenden Berufungsbegründungsfrist noch keine auf seinen Schriftsatz bezogene Verfügung des Gerichts erhalten hat. Denn allein daraus mussten sich ihm noch keine Zweifel aufdrängen, dass sein Schriftsatz nicht bei Gericht eingegangen sein könnte. Eine Erkundigungspflicht hätte nur eine Mitteilung des Gerichts ausgelöst, die unzweideutig ergeben hätte, dass etwas fehlgelaufen ist (BVerfG NJW 1992, 38, 39).

12

Allerdings geht der Bundesgerichtshof in ständiger Rechtsprechung im Rahmen des § 167 ZPO davon aus, dass der Kläger oder sein Prozessbevollmächtigter verpflichtet sind, bei einer Klageeinreichung ohne Kostenvorschuss nach angemessener Frist wegen einer ausgebliebenen Vorschussanforderung bei Gericht nachzufragen (BGHZ 69, 361, 363 f m.w.N.; 168, 306, 311 Rn. 18 m.w.N.). Das beruht jedoch darauf, dass der Kläger oder Prozessbevollmächtigte in diesen Fällen noch nicht alles getan hat, was das Verfahrensrecht von ihnen zur Gewährleistung einer ordnungsgemäßen Zustellung fordert. Der Kläger, bzw. sein Prozessbevollmächtigter wissen, dass die von ihnen zu veranlassende Zahlung noch aussteht (BGHZ 168, 306, 311 f Rn. 19).

13

Diese Erkundigungspflicht ist auf die Verpflichtung zur rechtzeitigen Einreichung der Berufungsbegründung nicht übertragbar. Hat der Anwalt diese rechtzeitig und ordnungsgemäß abgeschickt, so dass er auf den rechtzeitigen Eingang bei Gericht vertrauen darf, hat er alles Erforderliche für den Fortgang des Verfahrens getan.

Ganter
Vill
Lohmann
Fischer
Pape

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