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Bundesgerichtshof
Beschl. v. 30.11.2009, Az.: II ZR 55/09
Erfüllung des für die Anwendbarkeit des Art. 6 Nr. 1 Lugano-Übereinkommen (LugÜ) erforderlichen Zusammenhangs der Klagen gegen einen in Deutschland wohnhaften Täter einer Untreue und dessen in der Schweiz ansässigen Gehilfen; Anklage eines Gehilfen erst im Wege der Klageerweiterung als der Annahme des Gerichtsstands der Streitgenossenschaft entgegenstehend
Gericht: BGH
Entscheidungsform: Beschluss
Datum: 30.11.2009
Referenz: JurionRS 2009, 31473
Aktenzeichen: II ZR 55/09
ECLI: [keine Angabe]

Verfahrensgang:

vorgehend:

LG Köln, 14 O 450/06 vom 23.07.2008

OLG Köln - 29.01.2009 - AZ: 18 U 143/08

Rechtsgrundlage:

Art. 6 Nr. 1 LugÜ

Fundstellen:

BB 2010, 449

DB 2010, 557-558

DStR 2010, 454-455

DStR 2010, 10

EuZW 2010, 959-960

GWR 2010, 188

IPRax 2010, 533-534

JZ 2010, 285

NJW-RR 2010, 644-645

NZG 2010, 391-392

RIW/AWD 2010, 480

TranspR 2010, 111-112

WM 2010, 378-379

ZBB 2010, 173

ZIP 2010, 347-348

BGH, 30.11.2009 - II ZR 55/09

Amtlicher Leitsatz:

  1. a)

    Der für die Anwendbarkeit des Art. 6 Nr. 1 LugÜ erforderliche Zusammenhang der Klagen gegen den in Deutschland wohnhaften Täter einer Untreue und dessen in der Schweiz ansässigen Gehilfen ist erfüllt, wenn sie auf einem einheitlichen Lebenssachverhalt beruhen und die Beklagten sowohl aus Deliktsrecht als auch aus vertraglicher Pflichtverletzung in Anspruch genommen werden.

  2. b)

    Der Annahme des Gerichtsstands der Streitgenossenschaft i.S. des Art. 6 Nr. 1 LugÜ steht nicht entgegen, dass sich die Klage zunächst gegen den Täter richtet und der Gehilfe erst im Wege der Klageerweiterung verklagt wird.

Der II. Zivilsenat des Bundesgerichtshofes hat
am 30. November 2009
durch
den Vorsitzenden Richter Prof. Dr. Goette und
die Richter Dr. Strohn, Caliebe, Dr. Reichart und Dr. Löffler
einstimmig beschlossen:

Tenor:

Die Parteien werden darauf hingewiesen, dass der Senat beabsichtigt, die Revision des Beklagten zu 3 durch Beschluss gemäß § 552 a ZPO zurückzuweisen.

Gründe

1

Die Voraussetzungen für die Zulassung der Revision liegen nicht vor, und sie hat auch keine Aussicht auf Erfolg.

2

I.

Zulassungsgründe bestehen nicht.

3

1.

Eine Divergenz zur Entscheidung vom 23. Oktober 2001 des XI. Zivilsenats des BGH (XI ZR 83/01, NJW-RR 2002, 1149 f. [BGH 23.10.2001 - XI ZR 83/01]) liegt schon deswegen nicht vor, weil die Beklagten jeweils sowohl aus deliktischen als auch aus vertraglichen Anspruchsgrundlagen verklagt werden, der XI. Zivilsenat aber entscheidend darauf abgestellt hat, dass der für eine internationale Zuständigkeit gem. Art. 6 Nr. 1 LugÜ erforderliche Zusammenhang fehlt, wenn das Klagebegehren gegen den einen Beklagten auf deliktische Anspruchsgrundlagen, das gegen den anderen Beklagten dagegen auf vertragliche oder bereicherungsrechtliche Anspruchsgrundlagen gestützt wird.

4

2.

Grundsätzliche Bedeutung kommt der Rechtssache ebenfalls nicht zu.

Die hier maßgebenden Rechtsfragen sind geklärt. Es entspricht der Rechtsprechung des BGH, dass bei der Auslegung des Art. 6 Nr. 1 LugÜ die Parallelvorschrift des Art. 6 Nr. 1 EuGVÜ und die insoweit ergangene Rechtsprechung des EuGH zu beachten sind (BGH, Urt. v. 23. Oktober 2001 - XI ZR 83/01, NJW-RR 2002, 1149, 1150). Damit ist über den Wortlaut der Vorschrift hinaus für die Annahme des Gerichtsstands Voraussetzung, dass zwischen den Klagen gegen mehrere Personen, die vor einem Gericht erhoben werden sollen, ein Zusammenhang (Konnexität) besteht, der eine gemeinsame Verhandlung und Entscheidung geboten erscheinen lässt, um zu verhindern, dass in getrennten Verfahren widersprechende Entscheidungen ergehen könnten, wobei nur ein bei derselben Sach- und Rechtslage auftretender Widerspruch erheblich ist (EuGH, Urt. v. 11. Oktober 2007 - C 98/06 - Freeport plc, NJW 2007, 3702, 3704 Tz. 39 f.; EuGH, Urt. v. 13. Juli 2006 - C 539/03 - Roche Nederland BV, EuZW 2006, 573, 574 Tz. 26; EuGH, Urt. v. 27. September 1988 - Rs 189/87 - Kalfelis, NJW 1988, 3088, 3089 Tz. 9, 12). Der Annahme eines Zusammenhangs i.S. von Art. 6 Nr. 1 EuGVÜ steht schließlich - anders ist es bei der Frage der Annexzuständigkeit in Art. 5 Nr. 3 EuGVÜ - nicht entgegen, dass die gegen mehrere Beklagte erhobene Klage auf unterschiedliche Rechtsgrundlagen, etwa zum einen auf vertragliche und zum anderen auf deliktische Haftung gestützt ist (EuGH, Urt. v. 11. Oktober 2007 - C 98/06 - Freeport plc, NJW 2007, 3702, 3704 Tz. 42 ff., Tz. 47).

5

II.

Die Revision hat auch in der Sache keine Aussicht auf Erfolg. Das Berufungsgericht hat zu Recht die internationale Zuständigkeit des Landgerichts Köln auf Art. 6 Nr. 1 LugÜ gestützt.

6

1.

Der Anwendung des Art. 6 Nr. 1 LugÜ steht nicht entgegen, dass die Klägerin zunächst den Beklagten zu 1 allein und den Beklagten zu 3 erst im Wege der Klageerweiterung verklagt hat. Es entspricht allgemeiner Ansicht, dass auch eine nachträgliche subjektive Klagehäufig das Tatbestandsmerkmal "zusammen verklagt" erfüllt (Geimer/Schütze, Europäisches Zivilverfahrensrecht 2. Aufl. Art. 6 Rdn. 24; Kropholler, Europäisches Zivilprozessrecht 8. Aufl. Art. 6 Rdn. 14; Schlosser, EU-Zivilprozessrecht 3. Aufl. Art. 6 EuGVVO, Rdn. 2).

7

2.

Auch das ungeschriebene - aber zur Vermeidung von manipulativem Vorgehen des Klägers unerlässliche - Tatbestandsmerkmal der Konnexität ist gegeben.

8

a)

Die Gefahr widersprechender Entscheidungen in Bezug auf dieselbe Sachlage ergibt sich aus dem einheitlichen Lebenssachverhalt, der den mit der Klage geltend gemachten Pflichtverletzungen der Beklagten zugrunde liegt. Nach dem insoweit maßgebenden Vortrag der Klägerin hat der Beklagte zu 3 es - im Wissen um die Untreueabsicht des Beklagten zu 1 - zugelassen, dass der Beklagte zu 1 die 210.000,00 EUR in den vom Beklagten zu 3 zur Verfügung gestellten Räumen in Empfang nahm, statt sie als Verwaltungsrat der S. AG selbst entgegenzunehmen, sicher zu verwahren und unverzüglich auf deren Bankkonto einzuzahlen.

9

b)

Dieselbe Rechtslage ist deshalb betroffen, weil nach dem vorgetragenen Sachverhalt und der Begründung der Klage beide Beklagte dem Zedenten sowohl deliktisch als auch vertraglich haften. Die Klägerin nimmt den Beklagten zu 1 wegen Untreue und den Beklagten zu 3 wegen Beihilfe zur Untreue in Anspruch. Eine vertragliche Haftung des Beklagten zu 1 ergibt sich aus dem Gesichtspunkt der Verletzung von (Treue-)Pflichten aus dem Aktienkaufvertrag sowie aus der Abrede, den vom Zedenten gezahlten Betrag für ihn anzulegen. Im Hinblick auf den Beklagten zu 3 steht eine Verletzung seiner Treuepflichten als Verwaltungsrat der veräußernden und der erworbenen Aktiengesellschaften in Rede.

10

c)

Für eine Anwendung des Art. 6 Nr. 1 LugÜ sprechen schließlich die allgemeinen Grundsätze: Es entspricht der Prozessökonomie und damit dem Sinn und Zweck der Vorschrift, dass ein Gericht, welches sich ohnehin mit der täterschaftlichen Untreuehandlung des Beklagten zu 1 auseinandersetzt, sich auch mit den Beihilfehandlungen des Beklagten zu 3 befasst, die einen einheitlichen Lebenssachverhalt betreffen. Schützenswerte Belange des Beklagten zu 3 stehen nicht entgegen. Dem Gesichtspunkt der Rechtssicherheit (EuGH, EuZW 2006, 667, 668 Tz. 24 f. m.w.Nachw.) ist Rechnung getragen. Es ist für den als Gehilfe einer Straftat in Anspruch Genommenen nicht unvorhersehbar, sondern vielmehr nahe liegend, dass das Gericht der Klage gegen den Täter sich auch mit der Klage gegen den Gehilfen beschäftigt. Auch für ein missbräuchliches "Forumshopping" (dazu Kropholler, Europäisches Zivilprozessrecht, 8. Aufl. Art. 6 Rdn. 15; Althammer, IPRax 2008, 228, 231), welches nur dazu dienen soll, dem Beklagten zu 3 seinen grundsätzlich gegebenen Wohnsitzgerichtsstand in der Schweiz zu nehmen, sind keinerlei Umstände ersichtlich.

Goette
Strohn
Caliebe
Reichart
Löffler

Das Revisionsverfahren ist durch Revisionsrücknahme erledigt worden.

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