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Bundesfinanzhof
Beschl. v. 08.11.2016, Az.: I B 137/15
Anforderungen an die Darlegung einer kurzfristig eingetretenen Erkrankung
Gericht: BFH
Entscheidungsform: Beschluss
Datum: 08.11.2016
Referenz: JurionRS 2016, 32645
Aktenzeichen: I B 137/15
ECLI: [keine Angabe]

Verfahrensgang:

vorgehend:

FG Niedersachsen - 21.09.2015 - AZ: 6 K 6/15

Fundstellen:

BFH/NV 2017, 433-434

GmbH-Stpr. 2017, 145

BFH, 08.11.2016 - I B 137/15

Redaktioneller Leitsatz:

1. In einer plötzlichen Erkrankung eines nicht fachkundig vertretenen Klägers, die dessen Erscheinen zum Verhandlungstermin entgegen steht, kann ein erheblicher Grund für eine Terminverlegung liegt.

2. Wird ein Verlegungsantrag kurz vor dem Termin gestellt und mit einer Erkrankung begründet, so obliegt es dem Beteiligten, die Gründe für die Verhinderung so darzulegen und zu untermauern, dass das Gericht die Frage, ob die betreffende Person verhandlungs- und reiseunfähig ist oder nicht, selbst beurteilen kann. Ein zu diesem Zwecke vorgelegtes privatärztliches Attest muss deshalb die Verhandlungsunfähigkeit eindeutig und nachvollziehbar beschreiben und sich zur Art und Schwere der Erkrankung äußern.

Tenor:

Die Beschwerde der Klägerin wegen Nichtzulassung der Revision gegen das Urteil des Niedersächsischen Finanzgerichts vom 21. September 2015 6 K 6/15 wird als unbegründet zurückgewiesen.

Die Kosten des Beschwerdeverfahrens hat die Klägerin zu tragen.

Gründe

1

I. Die Klägerin und Beschwerdeführerin (Klägerin) ist eine GmbH. Ihr alleiniger Gesellschafter und Geschäftsführer ist K.

2

Zuletzt hat die Klägerin für das Jahr 2006 Steuererklärungen und eine Gewinnermittlung beim Beklagten und Beschwerdegegner (Finanzamt —FA—) eingereicht.

3

Für das Streitjahr 2011 gab sie wiederum keine Erklärungen ab, weshalb das FA die Besteuerungsgrundlagen gemäß § 162 der Abgabenordnung (AO) schätzte. Aufgrund der in den Vorjahren ebenfalls geschätzten Zahlenwerte und den Angaben in den Umsatzsteuervoranmeldungen (Umsatzerlöse von mehr als 100.000 € und damit Erhöhung gegenüber dem Vorjahreswert von einem Drittel) ging das FA von einem Gewinn in Höhe von 75.000 € aus.

4

Im Einspruchs- und Klageverfahren griff die fachkundig nicht vertretene Klägerin im Wesentlichen die Höhe der Schätzung an und verwies zur Begründung auf einen beigefügten vorläufigen Jahresabschluss per 31. Dezember 2011, wonach sich das Ergebnis der gewöhnlichen Geschäftstätigkeit auf ./. 10.033,65 € belaufe. Steuererklärungen oder Gewinnermittlungen gab sie trotz wiederholter Aufforderungen nicht ab.

5

Nachdem die Vorinstanz einen ersten Termin wegen der nicht eingehaltenen Ladungsfrist aufgehoben hatte, terminierte sie die mündliche Verhandlung auf Montag, den 21. September 2015, 11:15 Uhr. Die Ladung wurde der Klägerin am 6. August 2015 zugestellt.

6

Am Freitag, den 18. September 2015 ging um 19:26 Uhr ein Telefax der Klägerin beim Finanzgericht (FG) ein, mit dem sie um Terminsaufhebung wegen Erkrankung des K bat. Zur Glaubhaftmachung legte sie ein ärztliches Attest vor. Auf diesem bestätigt Dr. ..., dass K "an einem akuten fieberhaften Infekt der oberen Luftwege erkrankt - und nicht reise- und verhandlungsfähig" sei. Weitere Angaben enthielten weder der Schriftsatz noch das Attest.

7

Dieser Schriftsatz mit Anlage wurde dem Einzelrichter des FG am anberaumten Sitzungstag um 10:00 Uhr vorgelegt.

8

In der mündlichen Verhandlung erschien für die Klägerin niemand. Das FG verhandelte mit dem Vertreter des FA zur Sache und verkündete am Ende der mündlichen Verhandlung ein klageabweisendes Urteil (Urteil des Niedersächsischen FG vom 21. September 2015 6 K 6/15). Die Revision wurde nicht zugelassen. Dagegen wendet sich die Klägerin mit ihrer Beschwerde.

9

II. Die Beschwerde ist unbegründet und daher durch Beschluss zurückzuweisen (§ 116 Abs. 5 Satz 1 der Finanzgerichtsordnung —FGO—).

10

1. Die Rüge der Klägerin, das FG habe ihrem Terminverlegungsantrag zu Unrecht nicht entsprochen und hierdurch ihren Anspruch auf rechtliches Gehör verletzt, hat in der Sache keinen Erfolg.

11

a) Nach § 155 FGO i.V.m. § 227 der Zivilprozessordnung (ZPO) kann ein Termin aus erheblichen Gründen aufgehoben oder verlegt werden. Liegen erhebliche Gründe vor, verdichtet sich die in dieser Vorschrift eingeräumte Ermessensfreiheit zu einer Rechtspflicht. Der Termin muss dann zur Gewährleistung des rechtlichen Gehörs aufgehoben oder verlegt werden, selbst wenn das Gericht die Sache für entscheidungsreif hält und die Erledigung des Rechtsstreits durch die Aufhebung oder Verlegung des Termins verzögert wird.

12

In einer plötzlichen Erkrankung eines nicht fachkundig vertretenen Klägers, die dessen Erscheinen zum Verhandlungstermin entgegensteht, kann ein erheblicher Grund für eine Terminverlegung liegen. Ob im Einzelfall eine Terminsaufhebung und -verlegung gerechtfertigt ist, muss das FG anhand der ihm bekannten Umstände beurteilen. Dazu muss es in der Lage sein, sich über das Vorliegen eines Verlegungsgrundes ein eigenes Urteil zu bilden. Die Voraussetzungen hierfür zu schaffen, ist Aufgabe desjenigen, der die Verlegung beantragt. Wird ein Verlegungsantrag kurz vor dem Termin gestellt und mit einer Erkrankung begründet, obliegt es nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs (BFH) dem Beteiligten, die Gründe für die Verhinderung so darzulegen und zu untermauern, dass das Gericht die Frage, ob die betreffende Person verhandlungs- und reiseunfähig ist oder nicht, selbst beurteilen kann. Ein zu diesem Zweck vorgelegtes privatärztliches Attest muss deshalb die Verhandlungsunfähigkeit eindeutig und nachvollziehbar beschreiben und sich zur Art und Schwere der Erkrankung äußern (ständige Rechtsprechung; vgl. z.B. BFH-Beschluss vom 19. November 2009 IX B 160/09, BFH/NV 2010, 454, m.w.N.).

13

b) Nach diesen Maßstäben ist die Vorgehensweise des FG nicht zu beanstanden.

14

aa) Im Streitfall ist von einem kurzfristig gestellten Verlegungsgesuch auszugehen (vgl. z.B. BFH-Beschluss vom 10. Mai 2010 IX B 201/09, nicht veröffentlicht; Senatsbeschluss vom 26. November 2013 I B 2/13, BFH/NV 2014, 542). Der Antrag ging erst gegen 19:30 Uhr an einem Freitagabend per Telefax beim FG ein. Mit einer Sichtung und Bearbeitung der eingehenden Post durch einen Gerichtsmitarbeiter konnte zu diesem Zeitpunkt nicht mehr gerechnet werden. Angesichts der Tatsache, dass die mündliche Verhandlung auf den Montagvormittag terminiert war, oblag es der Klägerin, substantiiert auf die Erkrankung ihres gesetzlichen Vertreters und deren Folgen für die Verhandlungs- und Reisefähigkeit einzugehen; hierbei erachtet es der Senat entgegen dem Vorbringen der Klägerin als unerheblich, ob die Geschäftsstelle den Verlegungsantrag dem Richter zu Beginn der Arbeitswoche um 8:00 Uhr oder um 10:00 Uhr vorlegt.

15

bb) Das von der Klägerin eingereichte privatärztliche Attest ermöglichte es dem FG nicht, sich eine eigene Meinung über die Verhandlungs- und Reiseunfähigkeit des K zu bilden. In dem Attest werden diese Hinderungsgründe zwar pauschal dargelegt, allerdings fehlen substantiierte Angaben zu Art und Schwere der Krankheit. Das Attest spricht lediglich von einem akuten fiebrigen Infekt der oberen Luftwege. Darunter können leichte Erkrankungen (z.B. Erkältungen) mit —bei Virusinfektionen regelmäßig einhergehender— erhöhter Körpertemperatur gefasst werden als auch —z.B. durch seltene Erreger ausgelöste— schwere Infektionen mit hohem Fieber. Der abweichend vom Wortlaut des privatärztlichen Attests im Terminverlegungsantrag verwendete Begriff des grippalen Infekts beschreibt nichts anderes als eine Erkältung und stellt gerade keine —typischerweise schwerwiegende— Infektion mit dem Influenza-Virus dar. Der Schweregrad der Erkrankung bleibt somit in dem Attest völlig offen. Liegt aber lediglich eine leichte oder mittelschwere Erkältung vor, dann kann dies nach Auffassung des Senats regelmäßig nicht dazu führen, dass sich das dem FG durch § 227 ZPO eingeräumte Ermessen zu einer Rechtspflicht zur Terminverlegung verdichtet.

16

2. Auch soweit die Klägerin geltend macht, das FG habe einen gravierenden Rechtsanwendungsfehler begangen, als es eine zweifelsfreie Strafschätzung des FA übernommen habe, rechtfertigt dies keine Revisionszulassung.

17

a) Das Institut der Nichtzulassungsbeschwerde dient nicht allgemein dazu, die Richtigkeit finanzgerichtlicher Entscheidungen zu gewährleisten. Folglich kommt eine Revisionszulassung nicht allein deshalb in Betracht, weil das FG einen Steuerbescheid, der wegen Verletzung des § 162 Abs. 1 AO objektiv rechtswidrig ist (z.B. wegen groben Schätzungsfehlern), rechtsfehlerhaft als rechtmäßig bewertet hat. Vielmehr muss mit einer auf § 115 Abs. 2 Nr. 2 FGO gestützten Beschwerde geltend gemacht werden, dass ein besonders schwerwiegender "qualifizierter" Rechtsanwendungsfehler vorliegt (vgl. hierzu Gräber/Ratschow, Finanzgerichtsordnung, 8. Aufl., § 115 Rz 70, m.w.N.). Ein solcher qualifizierter Rechtsanwendungsfehler in Gestalt einer objektiv willkürlichen FG-Entscheidung kann nach der Spruchpraxis des BFH dann gegeben sein, wenn das vom FG gefundene Schätzungsergebnis schlechterdings unvertretbar (wirtschaftlich unmöglich) ist oder krass von den tatsächlichen Gegebenheiten abweicht und wenn in keiner Weise erkennbar ist, dass überhaupt oder welche Schätzungserwägungen angestellt worden sind (BFH-Beschluss vom 4. August 2010 X B 198/09, BFH/NV 2010, 2102, m.w.N.).

18

b) Dass die Vorinstanz in diesem Sinne objektiv willkürlich geurteilt hat, ist weder schlüssig dargelegt noch sonst ersichtlich. Das FG hat seine Schätzungserwägungen klar und eindeutig genannt. Es ist von den vorangemeldeten Umsatzerlösen ausgegangen und hat auf die positive Umsatz- und Ertragsentwicklung der vorangegangenen Jahre abgestellt (u.a. Erhöhung der vorangemeldeten Umsätze um ein Drittel). Dass es ausgehend von den vorangemeldeten Umsatzerlösen in Höhe von ca. 105.000 € einen Gewinn von 75.000 € als wirtschaftlich möglich erachtet hat, begegnet zwar Bedenken, lässt das Schätzungsergebnis allerdings nicht als schlechterdings unvertretbar erscheinen. Hierbei ist zu berücksichtigen, dass ein "Zwang", die vorangemeldeten Umsatzerlöse zum Ausgangspunkt aller Überlegungen zu machen, nicht bestanden hat. Angesichts der nachhaltigen Verletzung der Mitwirkungspflichten der Klägerin wären pauschale Hinzuschätzungen bei den Umsatzerlösen nicht zu beanstanden gewesen (vgl. BFH-Beschluss vom 2. Juni 2014 III B 101/13, BFH/NV 2014, 1374). Der Hinweis der Klägerin auf die in den Altjahren abgegebenen Gewinnermittlungen, die ein ganz anderes Bild zeigen würden, geht fehl, weil trotz der geltend gemachten Personal- und Raumkosten im Jahr 2006 von der Außenprüfung ein Gewinn von 17.651 € festgestellt wurde und die vorangemeldeten Umsatzerlöse sich seitdem kontinuierlich und erheblich nach oben entwickelt haben.

19

3. Von einer weitergehenden Begründung sieht der Senat gemäß § 116 Abs. 5 Satz 2 Halbsatz 2 FGO ab.

20

4. Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 2 FGO.

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