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Bundesfinanzhof
Beschl. v. 30.07.2013, Az.: IV B 109/12
Voraussetzungen einer Erledigungserklärung
Gericht: BFH
Entscheidungsform: Beschluss
Datum: 30.07.2013
Referenz: JurionRS 2013, 46422
Aktenzeichen: IV B 109/12
ECLI: [keine Angabe]

Verfahrensgang:

vorgehend:

FG Münster - 28.06.2012 - AZ: 5 K 4958/07 U

Fundstelle:

BFH/NV 2013, 1931-1933

BFH, 30.07.2013 - IV B 109/12

Redaktioneller Leitsatz:

Das Finanzamt kann im Verfahren der Nichtzulassungsbeschwerde die Hauptsache nicht wirksam für erledigt erklären, wenn es die Nichtzulassungsbeschwerde nicht in einer den Anforderungen des § 116 Abs. 3 S. 3 FGO genügenden Weise begründet hat.

Gründe

1

I. Die Beschwerde des Beklagten, Beschwerdeführers und Beschwerdegegners (Finanzamt --FA--) hat keinen Erfolg, denn sie ist unzulässig und konnte nicht wirksam in der Hauptsache für erledigt erklärt werden.

2

1. Das FA hat sich mit seiner am 21. August 2012 eingelegten Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision gewandt, soweit das angegriffene Urteil die Umsatzsteuer 2002 betrifft. Es hat hierzu ausgeführt, dass das Finanzgericht (FG) verfahrensfehlerhaft über das Klagebegehren hinausgegangen sei (§ 115 Abs. 2 Nr. 3 der Finanzgerichtsordnung --FGO-- i.V.m. § 96 Abs. 1 Satz 2 FGO) und seine Entscheidung zudem nicht begründet habe (§ 115 Abs. 2 Nr. 3 FGO i.V.m. § 96 Abs. 1 Satz 3 FGO, § 119 Nr. 6 FGO), soweit das FG im Einspruchs- und Klageverfahren nicht streitige steuerpflichtige innergemeinschaftliche Erwerbe in Höhe von 32.710 € (2002) nicht (mehr) der Umsatzsteuer unterworfen habe. Auf den Antrag des FA hat das FG mit Beschluss vom 20. August 2012 den Tenor des angefochtenen Urteils betreffend Umsatzsteuer 2002 nach § 107 Abs. 1 FGO berichtigt und zur Begründung u.a. ausgeführt, dass die innergemeinschaftlichen Erwerbe nicht streitig gewesen und von ihm --dem FG-- auch nicht überprüft worden seien. Die in dem angefochtenen Umsatzsteuerbescheid 2002 berücksichtigten innergemeinschaftlichen Erwerbe habe es in seiner Entscheidung schlicht übersehen und deshalb in die Ermittlung der festzusetzenden Umsatzsteuer nicht übernommen. Ihm --dem FG-- sei kein Fehler bei der Bildung des Entscheidungswillens bzw. im Bereich der materiellen Rechtsfindung unterlaufen. Mit Schriftsatz vom 8. Oktober 2012 hat das FA seine Beschwerde begründet, die Hauptsache für erledigt erklärt und beantragt, die Kosten des Beschwerdeverfahrens nach billigem Ermessen gemäß § 138 FGO gegeneinander aufzuheben. Die Klägerin, Beschwerdeführerin und Beschwerdegegnerin (Klägerin) hat sich zu der Erledigungserklärung des FA nicht geäußert.

3

2. Das FA konnte im Beschwerdeverfahren die Hauptsache nicht wirksam für erledigt erklären. Denn die Beschwerde des FA ist unzulässig, weil die Voraussetzungen einer Zulassung der Revision nach § 115 Abs. 2 Nr. 3 FGO nicht in einer den Anforderungen des § 116 Abs. 3 Satz 3 FGO genügenden Weise dargelegt sind.

4

a) Für die Erledigung des Rechtsstreits in der Hauptsache im Rahmen einer Nichtzulassungsbeschwerde sind die zur einseitigen Erledigungserklärung entwickelten Grundsätze entsprechend anwendbar (vgl. hierzu und zum Folgenden z.B. Beschlüsse des Bundesfinanzhofs --BFH-- vom 3. April 2000 I B 68/99, BFH/NV 2000, 1226, und vom 22. Februar 2013 V B 72/12, BFH/NV 2013, 984, jeweils m.w.N.). Die Erledigungserklärung hat zum Inhalt, dass das zunächst zulässige und begründete Rechtsmittel inzwischen gegenstandslos geworden ist. Durch die Erledigungserklärung geht der Beschwerdeführer also von seinem ursprünglichen Sachantrag (Zulassung der Revision) auf einen Feststellungsantrag über. Gegenstand des Rechtsstreits ist dann grundsätzlich nur noch die Frage, ob die Hauptsache erledigt ist und wer die Kosten des Verfahrens zu tragen hat. Auch aus Vorstehendem ergibt sich jedoch, dass im Rechtsmittelverfahren die Hauptsache nur dann wirksam für erledigt erklärt werden kann, wenn das Rechtsmittel (hier die Beschwerde) im Zeitpunkt der Erledigungserklärung zulässig war (z.B. BFH-Beschlüsse vom 27. März 2000 III S 6/99, BFH/NV 2000, 1129; vom 20. Dezember 2005 X B 144/05, BFH/NV 2006, 604; vom 9. Februar 2006 IX B 47/05, BFH/NV 2006, 1120, jeweils m.w.N.). Diese Voraussetzung liegt im Streitfall nicht vor.

5

b) Die Beschwerde des FA war auch im Zeitpunkt der Erledigungserklärung unzulässig. Das FA hat einen Verfahrensfehler i.S. von § 115 Abs. 2 Nr. 3 FGO nicht schlüssig dargetan. Einerseits hat das FA in der Begründung seiner am 21. August 2012 eingelegten Beschwerde gerügt, das FG sei über den Klageantrag hinausgegangen und dessen Entscheidung sei nicht mit Gründen versehen, soweit es innergemeinschaftliche Erwerbe im Streitjahr 2002 nicht berücksichtigt habe. Andererseits hat das FA nach Aktenlage bereits zuvor mit Schriftsatz vom 2. August 2012 beim FG --ausweislich des erwähnten FG-Beschlusses vom 20. August 2012 erfolgreich-- einen Antrag auf Berichtigung des mit der Beschwerde angefochtenen Urteils nach § 107 Abs. 1 FGO dahingehend gestellt, dass die in der Einspruchsentscheidung enthaltenen steuerpflichtigen innergemeinschaftlichen Erwerbe noch bei der Berechnung der Umsatzsteuer 2002 zu berücksichtigen seien. In der Begründung jenes Antrags hat das FA ausgeführt, es gehe davon aus, dass es sich bei der Nichtberücksichtigung der innergemeinschaftlichen Erwerbe um ein "einfaches Versehen" handele und dass ein Rechtsirrtum bei dem hier gegebenen Sachverhalt ausgeschlossen sei. In seiner Beschwerdebegründung führt das FA einerseits aus, ein Verfahrensfehler i.S. des § 119 Nr. 6 FGO setze voraus, dass das Urteil hinsichtlich eines wesentlichen Streitpunkts nicht mit Gründen versehen sei. Andererseits räumt es aber ein, dass die steuerliche Behandlung innergemeinschaftlicher Erwerbe weder im Einspruchs- noch im Klageverfahren streitig gewesen sei. Unter diesen Umständen lässt die Beschwerdebegründung nicht hinreichend deutlich erkennen, dass der im BFH-Beschluss in BFH/NV 2006, 1120 angesprochene "Zweifelsfall", in dem etwa ein gleichzeitiger Antrag nach § 109 FGO als Ausdruck einer sorgfältigen Prozessführung der Zulässigkeit einer Nichtzulassungsbeschwerde nicht entgegensteht, vorliegend hinsichtlich der Wahl zwischen einem Antrag nach § 107 FGO und einer Nichtzulassungsbeschwerde gegeben sein könnte. Vielmehr lässt sich dem Vortrag des FA lediglich entnehmen, dass das Begehren des FA auch im Beschwerdeverfahren im Kern nicht über die Berichtigung eines sog. "mechanischen" Fehlers hinausgeht. Zielt (auch) die Nichtzulassungsbeschwerde allein auf eine Berichtigung des FG-Urteils wegen einer offenbaren Unrichtigkeit, so kann damit die Zulassung der Revision nach den §§ 115 Abs. 2 Nr. 3, 119 Nr. 6 FGO nicht erreicht werden. Dem steht nicht entgegen, dass der BFH im Rahmen des Beschwerdeverfahrens über die Nichtzulassung der Revision auch für eine Berichtigung einer offenbaren Unrichtigkeit i.S. des § 107 FGO zuständig ist (z.B. BFH-Beschlüsse vom 25. November 1999 III B 5/99, BFH/NV 2000, 844; vom 12. März 2004 VII B 239/02, BFH/NV 2004, 1114; vom 19. Juli 2010 X B 21/10, BFH/NV 2010, 2093). Selbst wenn im Beschwerdeverfahren --anders als hier nach dem FG-Beschluss vom 20. August 2012-- (noch) eine Berichtigung nach § 107 FGO in Betracht kommt, ist die Beschwerde selbst nur zulässig, wenn sie den Darlegungsanforderungen entspricht.

6

II. Die Beschwerde der Klägerin ist ebenfalls unzulässig.

7

1. Die Klägerin hat in den Verfahren IV B 107/12 und IV B 109/12 im Wesentlichen gleichlautende Beschwerdebegründungen vorgelegt. Soweit der Vortrag in diesem Verfahren (IV B 109/12) mit der Begründung der Beschwerde in dem Verfahren IV B 107/12 identisch ist, wird zur Begründung auf Ziffer II. der Gründe des in jenem Verfahren ergangenen Beschlusses des erkennenden Senats vom 30. Juli 2013 Bezug genommen.

8

2. Soweit die Klägerin in diesem Verfahren (IV B 109/12) ihren Vortrag um die Rüge ergänzt hat, dass das FG seine Zuschätzung für das Kalenderjahr 2003 für sie --die Klägerin-- nicht vorhersehbar "um 125 % gegenüber der Ankündigung erhöh(t)" habe, legt sie eine unzulässige Überraschungsentscheidung nicht substantiiert dar.

9

a) Eine Überraschungsentscheidung, die gegen den Grundsatz der Gewährung rechtlichen Gehörs verstößt (Art. 103 Abs. 1 des Grundgesetzes, § 96 FGO), ist gegeben, wenn das Gericht einen bis dahin nicht erörterten rechtlichen oder tatsächlichen Gesichtspunkt zur Grundlage seiner Entscheidung gemacht und damit dem Rechtsstreit eine Wendung gegeben hat, mit der auch ein gewissenhafter und kundiger Prozessbeteiligter selbst unter Berücksichtigung der Vielzahl vertretbarer Auffassungen nach dem bisherigen Verlauf der Verhandlung nicht rechnen musste (z.B. BFH-Beschluss vom 31. Dezember 2012 III B 95/12, BFH/NV 2013, 768, m.w.N.). Die Rüge einer Verletzung des rechtlichen Gehörs wird, wenn sich der Verstoß auf einzelne Feststellungen bezieht, nur dann ordnungsgemäß vorgebracht, wenn der Beschwerdeführer darlegt, was er vorgetragen hätte, wenn sein Anspruch auf rechtliches Gehör nicht verletzt worden wäre, und dass bei Berücksichtigung dieses zusätzlichen Vortrags eine andere Entscheidung des FG in der Sache möglich gewesen wäre (z.B. BFH-Beschluss in BFH/NV 2013, 768, m.w.N.).

10

b) Die Klägerin legt schon nicht dar, warum sie davon ausgehen musste und durfte, dass das FG im Rahmen seiner eigenen (Zu-)Schätzung des Umsatzes 2003 dem Ansatz des gerichtseigenen Prüfers folgen würde. Allein aus dem Umstand, dass dieser Prüfer bei seinem Vorschlag einer Schätzung unter dem vom FG schließlich erkannten Wert geblieben ist, ergibt sich die von der Klägerin behauptete "Ankündigung" des FG nicht. Außerdem führt die Klägerin nicht aus, was sie andernfalls noch hätte vortragen wollen. Schließlich ergibt sich nicht, ob und inwieweit das FG, nach dessen Auffassung das Ergebnis der Buchhaltung der Klägerin nicht der Besteuerung zugrunde gelegt werden und nur der Umsatz für das Jahr 2002 kalkuliert werden konnte, aufgrund weiteren Vortrags der Klägerin zu einer anderen Entscheidung hinsichtlich des Umsatzes 2003 hätte gelangen können.

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