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Bundesfinanzhof
Urt. v. 27.09.2012, Az.: III R 48/10
Kindergeldberechtigung von nicht freizügigkeitsberechtigten Ausländern
Gericht: BFH
Entscheidungsform: Urteil
Datum: 27.09.2012
Referenz: JurionRS 2012, 28906
Aktenzeichen: III R 48/10
ECLI: [keine Angabe]

Verfahrensgang:

vorgehend:

FG Niedersachsen - 22.01.2010 - AZ: 11 K 274/08

BFH - 11.08.2010 - AZ: III B 34/10

Fundstelle:

BFH/NV 2013, 189-190

BFH, 27.09.2012 - III R 48/10

Redaktioneller Leitsatz:

Eine nach § 25 Abs. 5 AufenthG erteilte Aufenthaltserlaubnis führt bei nicht freizügigkeitsberechtigten Ausländern nur unter den Voraussetzungen des § 62 Abs. 2 Nr. 3 Buchst. a EStG zu einem Anspruch auf Kindergeld. Hiernach hängt der Kindergeldanspruch davon ab, ob der Ausländer sich seit mindestens drei Jahren rechtmäßig, gestattet oder geduldet im Bundesgebiet aufhält.

Gründe

1

I. Die aus Armenien stammende Klägerin und Revisionsbeklagte (Klägerin) war seit dem Jahr 2002 im Besitz einer Aufenthaltsbefugnis nach § 30 Abs. 4 des Ausländergesetzes 1990 (AuslG 1990). Sie war von 2002 bis zum 19. September 2003 nichtselbständig beschäftigt, danach war sie arbeitslos. Da sie das Arbeitsverhältnis selbst gekündigt hatte, erhielt sie erst ab Dezember 2003 Arbeitslosengeld nach Ablauf einer Sperrzeit gemäß § 144 des Dritten Buches Sozialgesetzbuch (SGB III).

2

Die Klägerin beantragte im August 2007 Kindergeld für ihre drei Kinder. Die Beklagte und Revisionsklägerin (Familienkasse) setzte durch Bescheid vom 24. August 2007 Kindergeld ab Juni 2007 fest. Im Verlauf des anschließenden Einspruchsverfahrens, in dem die Klägerin geltend machte, sie sei schon vor Juni 2007 kindergeldberechtigt gewesen, gewährte die Familienkasse für weitere Zeiträume Kindergeld, nicht jedoch in dem von der Klägerin begehrten zeitlichen Umfang.

3

Im Klageverfahren beantragte die Klägerin Kindergeld für die Monate Oktober und November 2003 sowie April bis Oktober 2006. Das Finanzgericht (FG) verpflichtete die Familienkasse, Kindergeld für den erstgenannten Zeitraum zu gewähren, im Übrigen wies es die Klage ab (Entscheidungen der Finanzgerichte 2011, 64). Es war hinsichtlich der Monate Oktober und November 2003 der Auffassung, dass es nicht darauf ankomme, dass ein Kindergeldberechtigter in jedem Monat Geldleistungen nach dem SGB III beziehe. Sinn der Sperrzeitregelung sei allein, die Versichertengemeinschaft typisierend gegen Risikofälle zu schützen. Für die Anspruchsberechtigung nach § 62 Abs. 2 Nr. 2 Buchst. c i.V.m. Nr. 3 Buchst. b des Einkommensteuergesetzes (EStG) sei dies unerheblich.

4

Zur Begründung der hinsichtlich der Monate Oktober und November 2003 zugelassenen Revision trägt die Familienkasse vor, nach § 62 Abs. 2 Nr. 3 Buchst. b EStG müsse die Person, die Kindergeld beanspruche, laufende Geldleistungen nach dem SGB III beziehen. Damit sei der tatsächliche Erhalt solcher Geldleistungen gemeint.

5

Die Familienkasse beantragt sinngemäß,

das angefochtene Urteil hinsichtlich der Monate Oktober und November 2003 aufzuheben und die Klage insoweit abzuweisen.

6

Die Klägerin beantragt,

die Revision zurückzuweisen.

7

Sie habe sich dauerhaft in Deutschland aufgehalten. Vor den Monaten Oktober und November 2003 sei sie erwerbstätig gewesen. Nach Ablauf der Sperrzeit habe sie zunächst Leistungen nach dem SGB III erhalten und sei dann wieder einer Erwerbstätigkeit nachgegangen. Die Konstellation des Streitfalles sei vom Gesetzgeber augenscheinlich nicht bedacht worden.

8

Die Beteiligten sind mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden (§ 90 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung --FGO--).

9

II. Die Revision ist begründet. Sie führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Zurückverweisung der Sache an das FG zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung (§ 126 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 FGO). Das FG hat einen Kindergeldanspruch der Klägerin für die Monate Oktober und November 2003 bejaht, obwohl seine tatsächlichen Feststellungen hierfür nicht ausreichen.

10

1. Der Kindergeldanspruch richtet sich in den streitigen Monaten nach § 62 Abs. 2 Nr. 3 EStG, da die Klägerin in diesem Zeitraum im Besitz einer ausländerrechtlichen Aufenthaltsbefugnis nach § 30 Abs. 4 AuslG 1990 war.

11

a) Die Neuregelung der Kindergeldberechtigung von Ausländern in § 62 Abs. 2 EStG n.F. ist mit Wirkung vom 1. Januar 2006 in Kraft getreten und erfasst gemäß § 52 Abs. 61a Satz 2 EStG alle Sachverhalte, bei denen --wie im Streitfall-- das Kindergeld noch nicht bestandskräftig festgesetzt worden ist (Art. 2 des Gesetzes zur Anspruchsberechtigung von Ausländern wegen Kindergeld, Erziehungsgeld und Unterhaltsvorschuss vom 13. Dezember 2006, BGBl I 2006, 2915, BStBl I 2007, 62).

12

b) Betrifft der Sachverhalt --wie hier-- einen Zeitraum vor 2005, in dem noch das AuslG 1990 galt, sind Aufenthaltsgenehmigungen i.S. des § 5 AuslG 1990 entsprechend den Fortgeltungsregelungen in § 101 des Aufenthaltsgesetzes (AufenthG) in Aufenthaltstitel im Sinne des AufenthG umzuqualifizieren (Senatsurteile vom 15. März 2007 III R 93/03, BFHE 217, 443, BStBl II 2009, 905, sowie vom 22. November 2007 III R 54/02, BFHE 220, 45, BStBl II 2009, 913).

13

2. Im Streitfall war die Klägerin im Besitz einer Aufenthaltsbefugnis nach § 30 Abs. 4 AuslG 1990, die weitgehend einer Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 5 AufenthG entsprach (Senatsurteil vom 30. Juli 2009 III R 47/07, BFH/NV 2009, 1984). Eine nach § 25 Abs. 5 AufenthG erteilte Aufenthaltserlaubnis führt bei nicht freizügigkeitsberechtigten Ausländern nur unter den Voraussetzungen des § 62 Abs. 2 Nr. 3 Buchst. a EStG zu einem Anspruch auf Kindergeld. Hiernach hängt der Kindergeldanspruch davon ab, ob der Ausländer sich seit mindestens drei Jahren rechtmäßig, gestattet oder geduldet im Bundesgebiet aufhält. Aus dem Urteil des FG geht lediglich hervor, dass die Klägerin seit dem Jahr 2002 im Besitz einer Aufenthaltsbefugnis nach § 30 Abs. 4 AuslG 1990 war. Zum vorhergehenden ausländerrechtlichen Status hat das FG keine Feststellungen getroffen, so dass nicht beurteilt werden kann, ob die Voraussetzungen des § 62 Abs. 2 Nr. 3 Buchst. a EStG erfüllt waren. Das angefochtene Urteil ist daher aufzuheben und die Streitsache ist zurückzuverweisen.

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